Nach einem arbeitsreichen Sommer liegt unser Antrag für ein partielles Grundeinkommen (oder Sockelgrundeinkommen) inzwischen auch offiziell vor. Der baden-württembergische Landesverband von Bündnis 90/Die Grünen hatte ja nicht nur elektronisch über dieses Thema diskutiert, sondern Anfang des Jahres auch eine Projektgruppe Grundeinkommen/Grundsicherung ins Leben gerufen. Nach gemeinsamen Eckpunkten hat sich dann vor der Sommerpause gezeigt, dass innerhalb der Projektgruppe noch immer sowohl VertreterInnen eines „Weiter so“ im Sinne einer Verbesserung von Hartz-IV (als „lernender Reform“, wie dies Kerstin Andreae so schön ausdrückte) als auch VertreterInnen eines Grundeinkommens zu finden waren. Es gab dann also zwei Arbeitsgruppen, die jeweils einen eigenen Antrag ausgearbeitet haben.
Impressionen von der Regionalkonferenz zu Grundeinkommen/Grundsicherung im Februar 2007
Der Kern des Antrags der Grundeinkommensgruppe (geleitet von Beate Müller-Gemmeke, sehr aktiv dabei Thomas Poreski) ist ein als negative Einkommenssteuer ausgestaltetes „Sockelgrundeinkommen“ in Höhe von 420 Euro pro erwachsener Person (300 Euro für Kinder, das Thema RentnerInnen wurde ausgeklammert, ließe sich aber analog über eine Mindestrente ausgestalten). Negative Einkommenssteuer heißt dabei: das Grundeinkommen wird mit der Steuerschuld verrechnet. Wer kein Einkommen hat, und deswegen auch keine Steuern zahlt, erhält automatisch 420 Euro im Monat (Wohngeld und Leistungen in besonderen Lebenslagen kommen bedarfsgeprüft noch dazu). Wer 420 Euro pro Monat an Steuern zahlt, erhält nichts und zahlt nichts; wer mehr zahlt, zahlt seine Steuerschuld abzüglich der 420 Euro pro Monat. Insofern wirkt das Grundeinkommen bei höheren Einkommen als eine Art Steuerfreibetrag. Bei GeringverdienerInnen soll die Krankenversicherung vom Staat übernommen werden, wird also – anders als z.B. bei Althaus – nicht von den 420 Euro abgezogen.
Zur Finanzierung soll vor allem auf eine Einkommenssteuerreform (d.h. letztlich auf Umverteilung zwischen SpitzenverdienerInnen und Armen) gesetzt werden. Dazu gehört insbesondere die Abschaffung von Steuerfreibeträgen, u.a. auch das Ehegattensplitting (stattdessen entsteht ein individualisierter Leistungsanspruch unabhängig von Partnerschaften etc.). Zudem kann eine Art Ökosteuer-II zur Finanzierung beitragen und zugleich ökologische Lenkungswirkungen entfalten. Anders als bei dem gerne diskutierten Götz-Werner-Modell kommt es also nicht zu einer unsozialen extremen Mehrwertsteuererhöhung.
Ein solches Sockelgrundeinkommen trägt sowohl dazu bei, Armut abzubauen (v.a. auch Kinderarmut), als auch dazu führt, Arbeitanreize zu schaffen und Existenzgründungen und prekäre Lebensphasen zu unterstützen. Wer sich mit 420 Euro plus Wohngeld zufrieden geben will, und so avantgardistische Lebensentwürfe ausprobieren will, kann dies jedoch ebenfalls tun. Sanktionen und Zwang passen nicht zu diesem Modell.
Das Sockelgrundeinkommen kann jedoch nicht alleine dastehen. Wir wollen nicht alles auf den finanziellen Transfer reduzieren. U.a. deswegen ist auch die im Vergleich zu anderen Modellen eher geringe Höhe zu erklären. Eingebettet werden soll das Sockelgrundeinkommen sowohl in Bildungsreformen, wie die Grünen sie schon lange fordern (also etwa die Basisschule oder den Ausbau von Schulsozialarbeit) als auch in aktive Arbeitsmarktpolitik – auf freiwilliger Basis.
Ein zweiter Schritt, der sich an das ABC aus Armutsbekämpfung, Bildungsförderung und die Eröffnung von Chancen anschließt, ist eine Kombination aus Erhöhung des Grundeinkommens auf etwa 500 Euro und die Kopplung an Reformen im Sozialversicherungsbereich (v.a. auch Rente) in Richtung Bürgerversicherung/Schweizer Modell.
Das Sockelgrundeinkommensmodell ist insofern sehr pragmatisch und realpolitisch, als es – durch eine Einkommenssteuerreform – relativ schnell einzuführen wäre. Es stellt einen Einstieg in einen Systemwechsel dar, einen fließenden Übergang. Nach einigen Jahren kann dann anhand der Erfahrungen damit überlegt werden, ob ein darüber hinausgehenden Grundeinkommen sinnvoll ist, und ob die Hoffnungen in die Entfaltung von Freiheitlichkeit und Kreativität berechtigt waren.
Abschließend, weil das immer wieder gerne als Strohmann oder Strohfrau aufgestellt wird: das Sockelgrundeinkommen ist nicht identisch mit dem 1200-Euro-Grundeinkommensmodell, sondern begrenzt sich auf 420 Euro; es dient nicht der Abschaffung der Erwerbsarbeit, sondern stellt eine Möglichkeit dar, mit den veränderten Bedingungen der Erwerbsgesellschaft sinnvoll umzugehen, statt auf die utopische Hoffnung „Arbeitsplätze für alle“ zu setzen; es ist finanzierbar – und es ist kein Versuch, Menschen ins Eck zu stellen und mit Geld abzuspeisen, sondern soll von sinnvollen Maßnahmen aus der Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik begleitet werden.
Warum blogge ich das? Ob das Sockelgrundeinkommen zum grünen Modell wird, entscheidet sich für Baden-Württemberg am 14. Oktober auf dem Landesparteitag in Heilbronn. Schon am 6. Oktober diskutiert der LV Berlin ein ähnliches Konzept, und auch ein Teil der bundesweiten Kommission zur Zukunft der Sozialen Sicherung tendiert wohl zu ähnlichen Vorstellungen. Bis zum 14.10. wird es jetzt u.a. darum gehen, noch einmal massiv Werbung für das Modell zu machen, es zu erläutern und zu diskutieren. Dieser Blogeintrag soll einen Beitrag dazu liefern.
Update (6.10.2007): Die Berliner Grünen haben das Grundeinkommen knapp abgelehnt.
Update 2: Artikel und Kommentar zur knappen Grundeinkommensablehnung in Berlin. Für mich wird hier noch einmal deutlich, dass es sich beim Grundeinkommen eben nicht um ein klares „Flügelprojekt“ handelt, wie das manche sehen, sondern dass die Konfliktlinien hierzu quer zu den Strömungen in der Partei liegen. Auch wenn das Konzept Grundeinkommen alt ist, mag die Debattenlage etwas mit dem Aktualität des Konzepts und der Tatsache zu tun haben, dass der postindustrielle Wandlungsprozess allmählich auch außerhalb soziologischer Labors deutlich wird.
Update 3 (8.10.2007): Henning äußert sich prinzipiell-sympathisch und konkret-kritisch zum Sockelgrundeinkommens-Antrag. Schade, dass das jetzt kommt. Wäre blöd, wenn aus solchen Überlegungen heraus am Schluss ein LDK-Entscheid für ein Grundsicherungsmodell herauskommt. Noch ist die Frist für Änderungsanträge nicht abgelaufen …