Die erste digitale Bundesdelegiertenkonferenz – Abstimmungsmarathon um unsere Grundwerte

#dbdk20

20 Jah­re nach dem ers­ten vir­tu­el­len Par­tei­tag und ein hal­bes Jahr nach der gro­ßen Schalt­kon­fe­renz, dem digi­ta­len Län­der­rat, tag­te an die­sem Wochen­en­de die grü­ne Bun­des­de­le­gier­ten­kon­fe­renz (BDK) digi­tal. Hash­tag #dbdk20. Coro­na macht’s mög­lich – und gleich­zei­tig lässt sich fest­stel­len: so eine digi­ta­le BDK ist fast genau­so anstren­gend wie zwei­ein­halb Tage in irgend­ei­ner Mes­se­hal­le zu sit­zen, dort Reden zu lau­schen, kon­zen­triert abzu­stim­men und neben­bei noch den einen oder ande­ren Plausch zu hal­ten. Die Hin- und Rück­fahrt ent­fällt, aber das macht das feh­len­de Wochen­en­de auch nicht wett.

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Kurz: Kategorienfehler

In den letz­ten Tagen ist oft von Aus­ein­an­der­set­zun­gen zwi­schen Links und Rechts zu lesen. Das sug­ge­riert eine in Links – Mit­te – Rechts auf­ge­teil­te Gesell­schaft, mit einer Mit­te, die die­ses gan­ze Thea­ter gar nichts angeht. Das ist aber ein kras­ser Kate­go­rien­feh­ler. 80 Pro­zent der Men­schen in Deutsch­land ste­hen zum Grund­ge­setz und zu einer Wert­hal­tung, die nicht wört­lich im Grund­ge­setz steht, die aber viel mit der deut­schen Geschich­te zu tun hat. Dazu gehört eine beson­de­re welt­po­li­ti­sche Ver­ant­wor­tung Deutsch­lands, dazu gehört der Wert der Soli­da­ri­tät, und dazu gehört es auch, Men­schen, die ver­folgt wer­den, Schutz zu bie­ten. Wenn der Begriff nicht so kaputt wäre, könn­te die­se Wert­hal­tung auch als Leit­kul­tur bezeich­net werden.

Eine klei­ne, radi­ka­le Min­der­heit ver­sucht, die­sen Kon­sens zu zer­stö­ren. Weil die­se klei­ne, radi­ka­le Min­der­heit dafür kei­ne Mehr­hei­ten hat, greift sie zum Bau­kas­ten der Pro­pa­gan­da. Sie sti­li­siert sich selbst als Opfer. Sie behaup­tet, für eine schwei­gen­de Mehr­heit zu spre­chen. Sie ver­sucht, ihre Posi­ti­on als nor­mal dar­zu­stel­len. Sie sucht Anläs­se, um ihre Ideo­lo­gie medi­al wirk­sam aus­brei­ten zu kön­nen. Chem­nitz ist nur ein Bei­spiel für die­ses Vor­ge­hen. Dis­kur­se, Wahr­heit, Fak­ten – das ist die­ser klei­nen, radi­ka­len Min­der­heit egal. Ihr Ziel ist der Bruch mit der his­to­ri­schen Ver­ant­wor­tung Deutsch­lands. Wenn die­se klei­ne, radi­ka­le Min­der­heit vom Sys­tem­wech­sel spricht, dann greift sie damit Demo­kra­tie, Pres­se­frei­heit und Tole­ranz an.

Das fie­se an die­ser Situa­ti­on ist, dass die­se Stra­te­gie des Rechts­rucks zu ver­fan­gen scheint. Der Ver­fas­sungs­schutz wird sei­ner Auf­ga­be nicht gerecht. Der Opfer-Dis­kurs scheint für Men­schen anschluß­fä­hig zu sein, die sich selbst als Opfer der gesell­schaft­li­chen Ent­wick­lung sehen. Medi­en ori­en­tie­ren sich an Aus­ge­wo­gen­heit und an Neu­ig­keits­wer­ten und prä­sen­tie­ren die Posi­tio­nen die­ser klei­nen, radi­ka­len Min­der­heit als „die eine Sei­te“, der „die ande­re Sei­te“ gegen­über gesetzt wer­den muss. Sozia­le Medi­en kata­ly­sie­ren alles, was Auf­merk­sam­keit erregt, und het­zen damit die Stim­mung an. Und man­chen Propagandist*innen aus der gro­ßen Mehr­heit scheint es ganz recht zu sein, mit dem rech­ten Feu­er zu spie­len, in der Hoff­nung, selbst davon zu pro­fi­tie­ren. Wir haben ein Pro­blem. Daher mache ich mir Sor­gen um den his­to­ri­schen Kon­sens in die­sem Land – und hof­fe, dass eine Bewe­gung wie #wir­s­ind­mehr einen Bei­trag dazu leis­tet, Soli­da­ri­tät, Frei­heit, Demo­kra­tie und Ver­ant­wor­tung als unse­re Wert­hal­tung zu schützen.

Annäherungen an seltsame Welten, oder: Demokratie als Utopie

Side street

Weih­nach­ten ist ja ger­ne gese­hen als Zeit­punkt für Rück­bli­cke auf das ver­gan­ge­ne Jahr. Per­sön­lich kann ich nicht kla­gen, wenn ich auf 2017 zurück­bli­cke. Aber das gro­ße Gan­ze liegt mir schwer im Magen – nach Brexit und Trump gab es 2017 nicht nur neu auf­flam­men­de Krie­ge und Kon­flik­te, son­dern auch Wahl­er­geb­nis­se in Euro­pa, bei denen doch erschre­ckend vie­le Men­schen rechts­po­pu­lis­ti­sche Par­tei­en und deren Kandidat*innen gewählt haben. Die AfD sitzt jetzt nicht nur in diver­sen Land­ta­gen, son­dern auch im Bun­des­tag. In Frank­reich und in Öster­reich wur­den Rechtsaußen-Präsident*innen nur knapp ver­hin­dert. Und in Öster­reich regiert nun die FPÖ mit und dreht das Rad des Fort­schritts zurück. 

Und wenn ich bei mei­nen häu­fi­gen Zug­fahr­ten – oder selbst im Bekann­ten­kreis – mit­krie­ge, über was Men­schen sich unter­hal­ten, was sie bewegt, was ihre Grund­an­nah­men sind: auch dann ist da erschre­ckend viel dabei, was gut zu die­sen rech­ten Ten­den­zen passt. Und ich fra­ge mich, was in die­sen Men­schen eigent­lich vor­geht. Wie sie die Welt sehen. 

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Zehn Regeln für Demokratie-Retter

Nur etwas mehr als hun­dert Sei­ten umfasst das Büch­lein Zehn Regeln für Demo­kra­tie-Ret­ter des Köl­ner Jour­na­lis­ten Jür­gen Wie­bicke, das als Lizenz­aus­ga­be der Bun­des­zen­tra­le für poli­ti­sche Bil­dung für 1,50 € erhält­lich ist. Und eigent­lich ist alles, was Wie­bicke dort locker erzäh­lend auf­schreibt, selbst­ver­ständ­lich. Oder soll­te selbst­ver­ständ­lich sein. Viel­leicht braucht eine im Ange­sicht eines auf­lo­dern­den Rechts­po­pu­lis­mus ver­un­si­cher­te Gesell­schaft genau die­se Bestä­ti­gung des Selbst­ver­ständ­li­chen, und viel­leicht ist Wie­bickes Buch gera­de des­we­gen ein wich­ti­ges Vade­me­cum für Bür­ge­rin­nen und Bürger. 

Oder viel­leicht ist das Büch­lein auch des­we­gen wich­tig, weil sich hin­ter den Regeln, hin­ter dem Auf­ruf zu Gelas­sen­heit und loka­lem Enga­ge­ment auch eini­ge Sät­ze ver­ber­gen, die mög­li­cher­wei­se nicht auf Zustim­mung sto­ßen oder nicht sofort geteilt werden. 

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Kurz: Der lange Arm der Monarchie

Die Queen besucht Deutsch­land leib­haf­tig, und all­über­all (bis hin zu Rena­te-Kün­ast-Gast­bei­trä­gen) ver­brei­tet sich ein eigen­tüm­li­ches Gefühl. Es ist, ja was – eine Mischung aus Bewun­de­rung und Ehr­furcht, und zwi­schen den Zei­len und Sen­de­mi­nu­ten schwingt bei man­chen doch fast so etwas wie Sehn­sucht nach der Erb­mon­ar­chie mit. Da ist jeden­falls mehr als nur Cele­bri­ty-Rum­mel. Und als demo­kra­tisch gewähl­tem Ersatz­kö­nig fehlt Bun­des­prä­si­dent Gauck das gewis­se Etwas.

Der lan­ge Arm der Mon­ar­chie ist leicht zu erklä­ren: Bevor noch irgend­ein Kind etwas über Par­la­men­te erfährt, lernt es alles über wei­se Köni­ge, edle Prin­zes­sin­nen, wird viel­leicht sogar selbst so genannt, tap­fe­re Rit­ter-Prin­zen und star­ke Köni­gin­nen. Bis zum Alter von fünf Jah­ren bleibt die Feu­dal­zeit das mär­chen­haf­te Leit­mo­tiv der Kind­heit, wird Fami­lie und Königs­fa­mi­lie in eins gesetzt. Die fins­te­ren und blu­ti­gen Sei­ten wer­den im Mär­chen wie im Kin­der­ka­nal aus­ge­blen­det*, viel­mehr sind klei­ne Köni­ge nied­lich. Nie­mand ima­gi­niert sich als Leib­ei­ge­ner oder als Kammermädchen.

Kein Wun­der, dass das ein Schau­dern durch das Land läuft, wenn eine sol­che Mär­chen­fi­gur sich „in echt“ die – respekt­voll distan­zier­te – Ehre gibt. Arche­ty­pen wer­den gemacht – und das gilt auch für Köni­ge und Königinnen.

* Rit­ter Trenk wäre da eine Ausnahmen