Kurzkritik zum SWR-Duell

In der Eigen­wer­bung des SWRs war es so etwas wie der Höhe­punkt die­ses Wahl­kampfs – das Duell. Ges­tern hat es statt­ge­fun­den, mich aber ehr­lich gesagt eher rat­los zurück­ge­las­sen. Minis­ter­prä­si­dent Kret­sch­mann hat sich wacker geschla­gen, deut­lich gemacht, dass er das Land ver­läss­lich aus der Kri­se füh­ren möch­te und ist auch Kon­tro­ver­sen etwa zum Arten­schutz oder zum Woh­nungs­bau und Flä­chen­ver­brauch nicht aus­ge­wi­chen. Und er hat vor allem immer wie­der erklärt, war­um bei­spiels­wei­se in der Pan­de­mie­be­kämp­fung das eine gemacht und das ande­re nicht gemacht wird, war­um wei­ter­hin Vor­sicht not­wen­dig ist und ein schlich­tes „alles öff­nen“ nicht geht.

Die Kul­tus­mi­nis­te­rin und CDU-Spit­zen­kan­di­da­tin habe ich dage­gen als sehr phra­sen­haft wahr­ge­nom­men. Immer wie­der for­der­te sie Han­deln, Kon­zep­te, etwas tun ein – wenn dann, was sel­ten genug vor­kam, nach Details gefragt wur­de, blieb es schwam­mig und ober­fläch­lich. Etwa bei der Digi­ta­li­sie­rung der Schu­len. Das drei­ma­li­ge Wie­der­ho­len der sel­ben Wor­te ist noch kein Kon­zept. Immer­hin – ein paar Dif­fe­ren­zen wur­den deut­lich: aus Sicht der CDU-Kan­di­da­tin hilft der wei­te­re mas­si­ve Eigen­heim­bau gegen die Woh­nungs­not, und wenn dafür die Grund­er­werbs­steu­er auf Null gesenkt wird, und das ein Mil­li­ar­den­loch reißt, ist ihr das auch egal. Von Gesprä­chen hält sie nicht viel, und dass der Stra­te­gie­dia­log Auto­mo­bil oder der geplan­te Dia­log zum neu­en Gesell­schafts­ver­trag Land­wirt­schaft mehr als blo­ße Gesprächs­run­den sind, ist bei ihr auch nicht angekommen. 

Aus Sicht einer CDU-Anhänger:in wür­de das mög­li­cher­wei­se etwas anders erzählt, und natür­lich wuss­te (und twit­ter­te) die CDU schon lan­ge vor Ende des Duells, dass ihre Kan­di­da­tin das Duell gewon­nen hat. Genau­so, wie wir die Stär­ken und Ideen des MPs her­vor­ge­ho­ben haben. Aber das ist es nicht, was mich ges­tern Abend rat­los und auch etwas frus­triert den Fern­se­her aus­schal­ten ließ. 

Nein, es ist das gan­ze Set­ting und die Art und Wei­se, wie der SWR ver­sucht hat, Poli­tik auf Teu­fel komm raus als Unter­hal­tung zu insze­nie­ren. Das fängt beim Blick auf die Geträn­ke­aus­wahl und die (ver­un­glück­te, weil in der Regie zunächst falsch zuge­ord­ne­te) Rede­zeit­an­zei­ge an. Aber so rich­tig schlimm wur­de es erst in der Nach­be­trach­tungs­sen­dung – Ana­ly­se ist dafür zu hoch gegrif­fen. Zu Wort kamen diver­se CDU-Mit­glie­der (etwa die Vor­sit­zen­den des Unter­neh­me­rin­nen­ver­ban­des) und Zuschal­tun­gen aus Wohn­zim­mern mit einem extrem reprä­sen­ta­ti­ven Sam­ple der baden-würt­tem­ber­gi­schen Bevöl­ke­rung. Fast alle Zuschal­tun­gen waren tech­nisch von mise­ra­bler Qua­li­tät, selbst die Lan­des­vor­sit­zen­den der Grü­nen Jugend und der Jun­gen Uni­on, die offen­sicht­lich aus einer Art Stu­dio dazu­ge­schal­tet wur­den, waren kaum zu ver­ste­hen. Abge­run­det wur­de die­se „Ana­ly­se“ durch einen öster­rei­chi­schen Kör­per­spra­che-Coach, der von Kret­sch­manns Kör­per­grö­ße, sei­nen Augen­brau­en und den zu Ende voll­führ­ten Ges­ten beein­druckt war – und der Poli­tik­wis­sen­schaft­le­rin Andrea Röm­me­le, die das gan­ze Duell als ver­ta­ne Chan­ce ein­ord­ne­te. Zu viel aktu­el­le Coro­na-Poli­tik, viel zu wenig Ideen für die nächs­ten fünf Jah­re. Da hat sie recht, aber die Fra­gen hat der SWR-Chef­re­dak­teur aus­ge­sucht. War­um der SWR statt eines Gesprächs dar­über eine Coro­na-Sprech­stun­de abhielt, ist deren Sache. Ein gutes Licht wirft es nicht auf unse­ren öffent­lich-recht­li­chen Sen­der. Und dass Kli­ma­schutz nur des­we­gen in der Debat­te vor­kam, weil der MP es in sei­nen Aus­füh­run­gen zum Bau­en und zur Land­wirt­schaft unter­brach­te, vom SWR aber mit kei­nem Wort zu die­sem The­ma gefragt wur­de, bleibt offen. Selbst das wäre ja „kon­fron­ta­tiv“ und „knal­lig“ mög­lich gewesen.

Der ande­re Tief­punkt war die Spit­zen­kan­di­da­tin der CDU. Wie gesagt, das mögen ande­re anders wahr­ge­nom­men haben, aber ich fand mich doch sehr stark an die­se Ana­ly­se von René Engel erin­nert, der sich die aktu­el­le CDU/C­SU-Wahl­kampf­tak­tik näher ange­schaut hat und viel Trump und Kurz gefun­den hat. Halb­sät­ze wer­den skan­da­li­siert, Erklä­run­gen und sach­li­che Debat­ten nicht gel­ten gelas­sen, son­dern bei­sei­te gescho­ben, und manch­mal auch schlicht die Unwahr­heit erzählt. Das Impuls­pa­pier, das Minis­ter­prä­si­dent Kret­sch­mann in Rich­tung MPK am Mitt­woch ver­fasst hat? Die CDU-Spit­zen­kan­di­da­tin behaup­te­te, es nicht zu ken­nen (oder, wie ein Twit­ter-Nut­zer schrieb: so müs­sen sich die Lehrer:innen füh­len, wenn sie Ankün­di­gun­gen der Kul­tus­mi­nis­te­rin aus der Pres­se erfah­ren) – nur, dass es letz­ten Don­ners­tag auch an ihren Büro­lei­ter geschickt wur­de. Reden die nicht mit­ein­an­der? Der indus­trie­po­li­ti­sche Stra­te­gie­dia­log wird als „blo­ßes Geschwätz“ ver­ächt­lich gemacht. Im grü­nen Wahl­pro­gramm ste­hen ein paar Wor­te davon, wie moder­ne Städ­te aus­se­hen kön­nen, und dass das Modell der gleich­för­mi­gen Vor­ort-Sied­lung und der ver­öden­den Dorf­ker­ne nicht unse­res ist – bei der CDU-Kan­di­da­tin wird dar­aus sofort ein Eigen­heim­ver­bot, wie es auch Toni Hof­rei­ter nicht gefor­dert hat. Als Kret­sch­mann das erläu­tert, wird er qua­si aus­ge­lacht. Über­haupt, was ich von die­sem Duell mit­neh­me, ist ein Hang der CDU zur, sagen wir mal, Unhöflichkeit. 

Dass ernst­haf­te Aus­ein­an­der­set­zun­gen um poli­ti­sche The­men auch anders aus­se­hen kön­nen, dafür gibt es vie­le Bei­spie­le. Die­ses Duell war jeden­falls kei­nes. Und es lässt mich in Sor­gen zurück – über einen SWR, der Rich­tung Bou­le­vard schielt, tech­nisch alles ande­re als eine per­fek­te Sen­dung abge­lie­fert hat, und das mit der Aus­ge­wo­gen­heit noch ein­mal üben muss – und über einen poten­zi­el­len Koali­ti­ons­part­ner im demo­kra­ti­schen Spek­trum, der den Wer­te­kom­pass ver­lo­ren hat. Das ist bedauerlich. 

Zwei digitale Parteitage

Screenshot CDU-Parteitag

Ich habe heu­te neben dem Abwa­schen und Auf­räu­men den Stream des CDU-Lan­des­par­tei­tags lau­fen gehabt – schließ­lich war ich doch ein wenig neu­gie­rig, wie sich unser Koali­ti­ons­part­ner und poli­ti­scher Mit­be­wer­ber so schlägt. Wie auch unser Lan­des­pro­gramm­par­tei­tag (Mit­te Dezem­ber) fand der CDU-Par­tei­tag digi­tal statt. 

Neben­bei: dass eini­ge Men­schen in der CDU immer noch glau­ben, sie hät­ten digi­ta­le Par­tei­ta­ge erfun­den, und den ers­ten ech­ten digi­ta­len Par­tei­tag mit dem CDU-Bun­des­par­tei­tag her­ge­zau­bert, zeugt aus mei­ner Sicht vor allem von einer gewis­sen Tel­ler­rand­blind­heit. Da drau­ßen pas­sie­ren span­nen­de Din­ge, und nicht immer ist die CDU vor­ne dabei …

Jetzt also der digi­ta­le Lan­des­par­tei­tag. Was mir sehr bekannt vor­kam, war das Set­ting: es gab neben dem Par­tei­tags­prä­si­di­um (hier v.a. aus dem Gene­ral­se­kre­tär Manu­el Hagel bestehend) ein zwei­köp­fi­ges Mode­ra­ti­ons­team, das in einem nach­ge­bil­de­ten Sofa (OBI-Schick in den CDU-Far­ben oran­ge und grau mit dun­kel­blau­en Akzen­ten) Aus­zähl­pau­sen über­brück­te und Reden durch Fra­gen­stel­len etc. auf­lo­cker­te. Das habe ich schon mal woan­ders gese­hen – beim grü­nen Bun­des­par­tei­tag im Novem­ber 2020 näm­lich, damals mach­te sich die FAZ über die Sofa­ecke lus­tig, und das Wohn­zim­mer tauch­te auch wie­der bei unse­rem Lan­des­par­tei­tag auf. Ist ja auch eine schö­ne Sache. Eben­so scheint sich das Set­ting, den Par­tei­tag mit einem Rumpf­team aus Par­tei­spit­ze plus tech­ni­schem Sup­port aus einer Hal­le her­aus zu über­tra­gen, und Reden vom Pult mit Zuschal­tun­gen und Video­bei­trä­gen zu mischen, als Stan­dard­mus­ter für digi­ta­le Par­tei­ta­ge eta­bliert zu haben. 

Neben dem Farb­kon­zept (knall­oran­ge) gab es aber natür­lich auch wei­te­re Unter­schie­de. In den Inhal­ten, obwohl ich an der einen oder ande­ren Stel­le den Ein­druck hat­te, die CDU wür­de sich da durch­aus bei Grüns bedie­nen, und beim Verfahren.

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Zu Thüringen

Wie geht es nach dem gest­ri­gen Damm­bruch in Thü­rin­gen jetzt – jen­seits der not­wen­di­gen und rich­ti­gen Empö­rung – weiter?

Herr Kem­me­rich ist for­mal als Minis­ter­prä­si­dent gewählt.

Wenn ich die Thü­rin­ger Lan­des­ver­fas­sung rich­tig lese, heißt das „tech­nisch“, dass er jetzt nach Belie­ben Minister*innen ernen­nen kann. Eine Bestä­ti­gung durch den Land­tag ist nicht not­wen­dig. Zudem kann er regie­ren – im Rah­men des bereits beschlos­se­nen Dop­pel­haus­halts, und nur, inso­fern kei­ne Geset­ze geän­dert wer­den; es sei denn, auch dafür fin­det sich eine AfD-CDU-FDP-Mehr­heit. Das klingt nach wenig Spiel­räu­men; fak­tisch pas­siert der Löwen­an­teil der Regie­rungs­ar­beit unter­halb der Gesetz­ge­bung. Das reicht von Ver­ord­nun­gen über den Schul­un­ter­richt bis zu Bundesratsinitiativen.

Der Land­tag hat zwei Hebel in der Hand. Er kann ein kon­struk­ti­ves Miss­trau­ens­vo­tum durch­füh­ren (d.h., jemand ande­res tritt gegen den amtie­ren­den MP an, das Quo­rum für die Wahl ist hier „mit der Mehr­heit sei­ner Mit­glie­der“). Er kann auch vor­ge­zo­ge­ne Neu­wah­len beschlie­ßen. Dafür ist eine Mehr­heit von zwei Drit­teln der Mit­glie­der des Land­tags not­wen­dig. Im Erfolgs­fall blie­be Kem­me­rich bis zur Wahl eines neu­en MPs nach neu­en Land­tags­wah­len im Amt.

Zudem kann auf Antrag eines Vier­tels der Mit­glie­der ein Unter­su­chungs­aus­schuss ein­ge­setzt werden.

Im Thü­rin­ger Land­tag haben FDP und Grü­ne je fünf Man­da­te, die SPD acht, die CDU 21, die AfD 22 und die Lin­ke 29. Die „Mehr­heit der Mit­glie­der“ liegt damit bei 46 Man­da­ten, die Zwei­drit­tel­mehr­heit bei 60 Mandaten.

Grü­ne, SPD, CDU und Lin­ke hät­ten gemein­sam die Zwei­drit­tel­mehr­heit, um vor­ge­zo­ge­ne Neu­wah­len zu beschlie­ßen. (Theo­re­tisch hät­te eine gemein­sa­me Kan­di­da­tin von CDU und Lin­ke die not­wen­di­ge Mehr­heit, um in einem kon­struk­ti­ven Miss­trau­ens­vo­tum zur Minis­ter­prä­si­den­tin gewählt zu wer­den – prak­tisch sehe ich der­zeit nicht, dass die­ser Weg beschrit­ten wer­den könnte …).

Herr Kem­me­rich hat ange­kün­digt, nicht mit der AfD zusam­men­zu­ar­bei­ten. Das wirkt nach sei­ner Wahl heuch­le­risch, aber neh­men wir an, es bleibt dabei, dass die AfD kei­ne Minister*innen stellt, und dass es kein mit der AfD ange­spro­che­nes Regie­rungs­pro­gramm geben wird.

Mit der Lin­ken will Herr Kem­me­rich nicht zusammenarbeiten.

SPD und Grü­ne haben bereits klar fest­ge­legt, dass es kei­ne Zusam­men­ar­beit in Form von Minis­ter­pos­ten o.ä. geben wird.

Bleibt die CDU. Hier klingt die Thü­rin­ger CDU anders als die im Bund. Es wäre also denk­bar, dass die­se Minister*innen in einer Regie­rung Kem­me­rich stellt. Die hät­te damit zwar immer noch kei­ne parl. Mehr­heit, wäre aber kurz­fris­tig handlungsfähig.

Alter­na­tiv wäre eine Regie­rung rein aus FDP-Mit­glie­dern und par­tei­lo­sen Wage­mu­ti­gen denkbar.

Damit erge­ben sich fol­gen­de Sze­na­ri­en, wie es in Thü­rin­gen wei­ter­ge­hen kann:

  • Vari­an­te 1: der bun­des­wei­te Druck auf FDP und CDU wird so stark, dass Herr Kem­me­rich sich zum Rück­tritt genö­tigt sieht. Danach kommt es ver­mut­lich zu Neu­wah­len, ganz even­tu­ell zur Wahl einer Caret­a­ker-Regie­rung nach öster­rei­chi­schem Vor­bild bis zu Neu­wah­len. Der Wahl­aus­gang ist unvor­her­seh­bar, mög­li­cher­wei­se sieht es danach nicht bes­ser aus als heu­te (z.B. könn­ten AfD, CDU und Lin­ke jeweils gleich stark wer­den, die SPD knapp rein­kom­men und Grü­ne und FDP raus­flie­gen – dann gäbe es wei­ter­hin kei­ne sta­bi­le Mehrheit).
  • Vari­an­te 2a: Herr Kem­me­rich tritt nicht zurück. Er bil­det eine Regie­rung mit der CDU Thü­rin­gen. Es gibt kei­ne par­la­men­ta­ri­sche Mehr­heit für Neu­wah­len. In Ein­zel­fäl­len stützt sich die­se Regie­rung auf die AfD. Beson­ders sta­bil ist das Kon­strukt nicht – bes­ser schlecht regie­ren als gar nicht. Die bun­des­po­li­ti­schen Aus­wir­kun­gen sind immens, ggf. kommt es zu Spal­tun­gen in der CDU, Aus­trit­ten der letz­ten Libe­ra­len aus der FDP und Ver­wer­fun­gen in der Gro­ko. Nach eini­ger Zeit und dem einen oder ande­ren „Erfolg“ nor­ma­li­siert sich die­ses Modell, ande­re Län­der im Osten (insb. Sach­sen-Anhalt, Wahl 2021) kom­men zu ähn­li­chen Regie­run­gen unter Dul­dung der froh­lo­cken­den AfD. Die nach rechts gerück­te FDP sieht sich im Aufwind.
  • Vari­an­te 2b: Herr Kem­me­rich tritt nicht zurück. Auf Druck der Bun­des-CDU betei­ligt sich die CDU Thü­rin­gen nicht an der Regie­rung. Die Regie­rung aus FDP und Par­tei­lo­sen gerät im Land­tag unter Druck. Nach eini­gen Wochen oder Mona­ten kommt es zum Neu­wahl­an­trag im Land­tag, der eine Mehr­heit fin­det, mög­li­cher­wei­se auch von der AfD unter­stützt wird. Bis zur Wahl eines neu­en Land­tags und einer neu­en Regie­rung bleibt das Kabi­nett Kem­me­rich geschäfts­füh­rend im Amt – chao­ti­sche Ver­hält­nis­se über Mona­te. Auch nach der Neu­wahl bleibt die Situa­ti­on schwierig.

Kei­nes die­ser Sze­na­ri­en ist erfreu­lich – kurz­fris­tig nicht, in der mit­tel­fris­ti­gen Per­spek­ti­ve erst recht nicht, solan­ge es bei Neu­wah­len kei­ne kla­re Mehr­heit gibt. Am schlimms­ten erscheint mir die Vari­an­te 2a – dann wür­de der 5.2.2020 tat­säch­lich als Beginn eines Zei­ten­bruchs in die Geschichts­bü­cher eingehen.

Nach­trag (16:15 Uhr) – 180°-Wende der FDP, bun­des­weit ein­heit­li­che Sprach­re­ge­lung, plötz­lich war’s ein Feh­ler. Herr Kem­me­rich kün­digt an, dass er des­we­gen jetzt die Auf­lö­sung des Land­tags und Neu­wah­len anstrebt. Unklar, ob dss ein Rück­tritt ist oder nicht.

Und aus dem „ver­mut­lich“ in Vari­an­te 1 bezo­gen auf Neu­wah­len wird eine neue Situa­ti­on – ich sehe bis­her jeden­falls nicht, wo die Zwei­drit­tel­mehr­heit für eine Neu­wahl her­kom­men soll. Die FDP allei­ne reicht nicht, Lin­ke und auch Grü­ne klin­gen so, als soll­te es einen Rück­tritt und dann einen zwei­ten Ver­such geben, Herrn Rame­low zu wäh­len, die AfD wür­de „eher nicht“ zustim­men, und die CDU ist unklar (Bund: Neu­wah­len, bis auf Ein­zel­stim­men wie Kris­ti­na Schrö­der, im Land: trot­zi­ges Fest­hal­ten) – mein Ein­druck ist, dass es da immer noch den Plan gibt, einen CDU-Kan­di­da­ten wäh­len zu las­sen. Kla­re Ver­hält­nis­se sehen anders aus.

Nach­trag (7.2.2020, 9:55 Uhr) – inzwi­schen hat die Thü­rin­ger CDU auch von AKK grü­nes Licht bekom­men, sich gegen Neu­wah­len aus­zu­spre­chen. Samt bun­des­po­li­ti­schem Kol­la­te­ral­scha­den. Lin­ke, SPD und Grü­ne haben gemein­sam Herrn Kem­me­rich auf­ge­for­dert, bis Sonn­tag tat­säch­lich zurück­zu­tre­ten bzw. die Ver­trau­ens­fra­ge zu stel­len und so den Raum zu eröff­nen für eine neue MP-Wahl, in der dann Rame­low gewählt wer­den könnte. 

Nach­trag (11:30 Uhr) – Wenn ich das rich­tig zusam­men­fas­se, wäre der stra­te­gisch bes­te Schritt für die CDU (!) in Thü­rin­gen jetzt, Bodo Rame­low in einem kon­struk­ti­ven Miss­trau­ens­vo­tum mit­zu­wäh­len. Inter­es­sant, wo die sich hin­ma­nö­vriert haben. (Jens Spahn emp­fiehlt dage­gen wei­ter eine „Regie­rung der Mit­te“ unter einem/einer par­tei­lo­sen MP).

Kurz: Merz statt Merkel?

Die Fra­ge, wie ein mög­li­cher Kanz­ler­kan­di­dat Merz zu bewer­ten sei, führ­te auf mei­nem Face­book-Account zu einer regen Debat­te. Ins Auge ste­chen, auch nach der Pres­se­kon­fe­renz heu­te, vor allem zwei Aspek­te. Par­tei­po­li­tisch wür­de Merz die CDU kla­rer auf der kon­ser­va­ti­ven Sei­te des poli­ti­schen Spek­trums posi­tio­nie­ren. Das könn­te dazu füh­ren, dass die CDU Wähler*innen von der AfD zurück­ge­winnt, es könn­te aber auch dazu füh­ren, dass Men­schen, die eine unter Mer­kel etwas libe­ra­ler und „mit­ti­ger“ gewor­de­ne CDU wähl­bar fan­den, sich dau­er­haft wie­der davon abkeh­ren. Das könn­te den in Bay­ern und Hes­sen zu beob­ach­ten­den Trend einer Wäh­ler­wan­de­rung von der CDU zu Bünd­nis 90/Die Grü­nen stär­ken. Auch im Sin­ne einer kla­ren Unter­scheid­bar­keit poli­ti­scher Ange­bo­te wäre eine Merz-CDU mög­li­cher­wei­se gar nicht so blöd. Ein Neben­ef­fekt könn­te dann der sein, dass Grün dau­er­haft zur zwei­ten Kraft in Deutsch­land wird.

Aber es gibt ja nicht nur eine par­tei­po­li­ti­sche Per­spek­ti­ve. Für das Land wäre ein mög­li­cher Kanz­ler Merz ein deut­li­cher Rück­schritt. Kaum jün­ger als Mer­kel, dafür deut­lich kon­ser­va­ti­ver und „schnit­ti­ger“, ein Mann, eng mit der „Groß­in­dus­trie“, wie das frü­her ein­mal hieß, ver­bun­den. Eher so 1998 als 2018. Und eine Koali­ti­on, womög­lich gar eine Jamai­ka-Koali­ti­on, mit einer rechts­kon­ser­va­ti­ven CDU und einer wirt­schaft­li­be­ra­len FDP – auch das ist schwie­ri­ger vor­stell­bar als in der aktu­el­len Konstellation.

Aber viel­leicht ist es ja die Syn­the­se bei­der Argu­men­te, die wei­ter­hilft: ein Kanz­ler­kan­di­dat Merz – mög­li­cher­wei­se wäre das die Pro­jek­ti­ons­flä­che, um in einer Bun­des­tags­wahl von der bür­ger­lich-libe­ra­len Mit­te bis nach links zu mobi­li­sie­ren und dann eine Mehr­heit jen­seits der CDU/CSU zu fin­den. Oder, wie es Bernd Ulrich von der ZEIT auf Twit­ter ges­tern auf den Punkt brachte: 

„Nur damit hin­ter­her nie­mand sagt, ich hät­te es vor­her sagen sol­len: Wenn #Merz Vor­sit­zen­der wird, wird #Habeck Kanz­ler. #Grü­ne “.

Letzt­lich muss die CDU ent­schei­den, wie sie nach Mer­kels vor­züg­lich in Sze­ne gesetz­tem Aus­stieg wei­ter­ma­chen möchte.

Historische Tage? Doch nur groß inszeniertes bayerisches Singspiel

Vor ein paar Tagen blogg­te ich kurz etwas, dass das der­zeit viel­leicht his­to­ri­sche Tage sein könn­ten. Heu­te kommt der Schwank dann zu sei­ner vor­läu­fi­gen Auf­lö­sung: nach Ulti­ma­ten, Dro­hun­gen, Ver­hand­lun­gen, Erpres­sun­gen, Fin­ten, einem ange­droh­ten Rück­tritt, Güte­ge­sprä­chen, dem Rück­tritt vom Rück­tritt und einem gehei­men Mas­ter­plan, der zugleich von der CSU und von Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­um stammt – also nach all den Ele­men­ten, die eher auf eine Büh­ne als in die Poli­tik pas­sen soll­ten – bleibt alles beim alten. Jeden­falls dann, wenn die SPD mit­macht. Gegen­stim­men dazu habe ich noch kei­ne gehört.

Im End­ef­fekt, mate­ri­ell, geht es in dem jetzt vor­lie­gen­den „Kom­pro­miss“ – über den zwei der drei Regie­rungs­par­tei­en ver­han­delt haben – dar­um, dass See­ho­fer an der Gren­ze zwi­schen Bay­ern und Öster­reich, Asylbewerber*innen zurück­wei­sen kann, die aus Dritt­staa­ten wie Öster­reich ein­rei­sen. Dazu sol­len „Tran­sit­zen­tren“ an der öster­rei­chi­schen Gren­ze errich­tet wer­den, das ist etwa das, was die USA an der Gren­ze zu Mexi­ko hat. Die SPD lehn­te das bis­her ab. Das gan­ze soll auf der Grund­la­ge von Abkom­men mit den Erst­ein­rei­se­län­dern der Asyl­su­chen­den gesche­hen, wenn die­se Abkom­men – das wäre Mer­kels euro­päi­sche Kom­po­nen­te – nicht zustan­de kom­men, wer­den die Asylbewerber*innen eben nach Öster­reich geschickt, auf der Grund­la­ge einer noch zu ver­han­deln­den Ver­ein­ba­rung mit der schwarz-blau­en Regie­rung dort. (Anders gesagt: See­ho­fer geht und ging es wohl immer dar­um, in Bay­ern den star­ken Mann mar­kie­ren zu können.)

Damit ist es der Uni­on gelun­gen, die thea­tra­li­sche Spal­tung zu ver­hin­dern und die hei­ße Kar­tof­fel bei der SPD abzu­la­den. Ent­we­der ver­wei­gert sie sich mit Ver­weis auf den Koali­ti­ons­ver­trag dem „Kom­pro­miss“ – dann ist es nicht mehr die CSU, son­dern plötz­lich die SPD, die schuld dar­an ist, wenn die Regie­rung Mer­kel schei­tert, oder wenn es wochen­lan­ge Aus­ein­an­der­set­zun­gen gibt. Oder sie stimmt zu, dann rutscht das Glaub­wür­dig­keits­kon­to der SPD wei­ter ins Nega­ti­ve. Bei­des eher unschön, und auch ins­ge­samt macht das gan­ze Hin und Her eher wütend. Mit einer huma­nen Flücht­lings­po­li­tik hat es jeden­falls nichts mehr zu tun.

Für die Zukunft der gro­ßen Koali­ti­on stimmt mich das auch nicht gera­de posi­tiv. Ver­kürzt gesagt, hat See­ho­fer sich gera­de damit durch­ge­setzt, „irgend­was für Bay­ern“ zu for­dern, ohne Rück­sicht auf den Koali­ti­ons­ver­trag und die Koali­ti­ons­part­ner. Das wirk­te lan­ge so, als wür­de es mit ihm heim­ge­hen – im End­ef­fekt hat er sich aber hin­sicht­lich sei­nes Kern­an­lie­gens durch­ge­setzt. Und das zählt am Schluss. Neben­bei ist er damit durch­ge­kom­men, Mer­kel bloß zu stel­len (mit die­ser Frau kön­ne er nicht zusam­men­ar­bei­ten) und ihre Richt­li­ni­en­kom­pe­tenz in Fra­ge zu stel­len („Ich las­se mich nicht von einer Kanz­le­rin ent­las­sen, die nur wegen mir Kanz­le­rin ist.“). Mer­kel wie­der­um bleibt Kanz­le­rin. Soll­te das gan­ze ein ver­such­ter Putsch gewe­sen sein, ist die­ser gescheitert.

Aller­dings ist jetzt auch klar: wer Maxi­mal­kra­wall macht, thea­tra­lisch damit droht, zu gehen, ja, wirk­lich, zu gehen, bitt­schön!, der kann in die­ser Regie­rung im End­ef­fekt durch­set­zen, was er will. Jeden­falls, wenn er zugleich Minis­ter und Par­tei­chef einer der Koali­ti­ons­par­tei­en ist. Die SPD wird ver­su­chen, das auch hin­zu­krie­gen, und damit auf die Nase fal­len. Die CSU, und ins­be­son­de­re See­ho­fer, wird nach­le­gen – anschei­nend hat er auch als Gesund­heits­mi­nis­ter in der Regie­rung Kohl schon ähn­lich „ver­han­delt“.

Ich hat­te ja von Anfang an den Ver­dacht, dass es hier eigent­lich um die baye­ri­schen Land­tag­wah­len im Okto­ber ging. Ob sich das Sing­spiel da aus­zahlt, bleibt abzu­war­ten. Bis­her sind die Wer­te für die CSU hin­un­ter gegan­gen. Aber der baye­ri­sche Wäh­ler und die baye­ri­sche Wäh­le­rin gou­tiert viel­leicht kei­nen Streit; wenn sich einer, mit wel­chen bau­ern­schlau­en Tricks und Dick­köp­fig­kei­ten auch immer, durch­setzt, dann sieht’s („A Hund!) schon wie­der anders aus.

Ein an der Sache ori­en­tier­ter, ratio­na­ler Poli­tik­stil sieht anders aus. Und die­ses Thea­ter trägt defi­ni­tiv nicht dazu bei, dass das Ver­trau­en in die Poli­tik steigt.