Mehr als Zufall bin ich beim Spazierengehen neulich mal wieder im Botanischen Garten gelandet. Früher war ich da sehr viel öfter, insbesondere, als ich noch in einem Studentenzimmer in der Habsburgerstraße gewohnt habe. Und dann, als Z. klein war, und der Botanische Garten ein gutes Ausflugsziel darstellte. Jetzt also nur ein spontanes „ach, wenn ich eh schon hier bin, warum nicht“ – um dann im Seerosenteich nicht nur sehr hübsche Seerosenblüten (hier nicht im Bild), sondern auch durchaus fotogene Frösche vor die Kamera zu kriegen. Demnächst muss ich mal wieder die Gewächshäuser besuchen.
Early days of a better nation
Vielleicht zuviel Pathos, aber ein kleines bisschen fühlt Mastodon sich so an. Den unter @_tillwe_ angelegten Account nutze ich inzwischen rege, etwa ein Viertel der Menschen, denen ich auf Twitter folge, habe ich im Fediverse auch schon gefunden. Und neben mastodon.social habe ich auf freiburg.social (unter tillwe) ebenfalls einen Account angelegt, der aber bisher noch brachliegt. Vielleicht ziehe ich noch von da nach dort um – eine lokale Instanz passt eigentlich besser zum Konzept hinter Mastodon als ein großer Server. Oder ich nutze das als Zweitaccount. Twitter jedenfalls brennt.
Erste Eindrücke von Mastodon: nach den ersten Tagen, in denen meine Timeline von Twitter-nach-Mastodon-Umzugdebatten etc. dominiert war, wird es nach und nach interessanter. Weniger international, weniger Politik (beides: bisher noch, ändert sich), ein bisschen mehr Nerdzeug, ein bisschen mehr linke Szene. Unterschiede in der diskursiven Praxis: die Leute versuchen, freundlicher zu sein; es gibt mehr Zeichen pro Nachricht; Contentwarnungen werden relativ intensiv genutzt, Quote-Tweets von einigen vermisst. Spannende Debatten darüber, wie weit die Mastodon-Diskussionskultur kontraproduktiv ist: führen Contentwarnungen zu Themen wie Rassismus dazu, das dieser unsichtbar gemacht wird? Und was ist mit diesen ominösen Instanzen-Blocks – einige Instanzen scheinen alles zu blocken, was zu groß ist, wo der/die Admin nicht die exakt richtige Einstellung hat, wo das falsche gesagt wird. Gefühlt: hier ruckelt sich gerade noch einiges zu recht.
Utopischer Drive beim Blick auf das Potenzial eines föderierten sozialen Netzwerks. Das gemeinsame Protokoll ActivityPub heißt, dass Mastodon-Instanzen mit allen anderen diesem Protokoll folgenden Servern kommunizieren können. Neben den gerne hochgehaltenen Fediverse-Beispielen, die Instagram (Pixelfed) und Youtube (Peertube) nachbauen sollen, ist das beispielsweise auch dieses Blog hier, das unter @tillwe alle Beiträge auch im Fediverse verfügbar hält. RSS, nur universaler und interaktiver. Oder Pleroma (ein andere Software für „Twitter“-artige Instanzen). Und weil alle auf das gleiche Protokoll zurückgreifen, ist es möglich, über unterschiedliche „Plattformen“ hinweg Menschen und Dingen zu folgen. Zudem bedeutet dieser Aufbau, das ganz unterschiedliche Apps genutzt werden können.
Spannend wird es, wenn „kommerzielle“ Instanzen dazukommen – dann dürfte es ziemlich heftige Kulturkriege dazu geben, ob diese eingebunden („föderiert“) oder geblockt werden. Im Zweifel gibt es die Möglichkeit, das soziale Netzwerk (allerdings nicht den alten Content) halbautomatisch umzuziehen oder eben Accounts auf mehreren Instanzen anzulegen.
Fühlt sich alles ein bisschen wie die frühen 2000er Jahre an, als das auf einem gemeinsamen offenen Protokoll aufbauende World Wide Web mit ganz unterschiedlichen Servern und Browsern anfing, für breitere Massen interessant zu werden. Ich bin gespannt, was hier noch passiert – technisch wie kulturell.
Und: die letzten Jahren waren von einem Hype um Web 3.0 und Blockchains diskursiv überlagert. Das, was die Web‑3.0‑Jünger*innen versprechen, wird zu einem Teil von dem jetzt Sichtbarkeit bekommenden Fediverse längst geliefert – mit instanzenbezogener Authentifizierung und ganz ohne Blockchain. Und an Nachrichtenaustausch statt an finanziellen Mikrotransaktionen als Modell orientiert.
Also: extrem viel Potenzial, und ich bin sehr gespannt, was daraus noch wird. Der Kauf und die Brandschatzung von Twitter durch Elon Musk als Katalysator für ein offenes, nicht kommerzielles soziales Netzwerk, das noch ein bisschen mehr kann, als nur globale Chats zu ermöglichen – wer hätte das gedacht?
Photo of the week: Mushroom log
Photo of the week: Opfinger See in October
Twitterdämmerung
Nach vierzehn Jahren, in denen Twitter mich begleitet hat – manchmal Zeit geraubt hat, manchmal schneller und näher als andere über Ereignisse informiert hat, manchmal den Tag mit interessanten Essays und Gedanken aufgewertet hat – fühlt sich Twitter jetzt sehr nach Untergang an.
Im April sah es schon einmal so aus, als die ersten Nachrichten zu Elon Musks Kaufabsichten heiß liefen – doch jetzt hat er das tatsächlich umgesetzt. Und prompt begonnen, den milliardenteuren Kauf (nicht sein Geld …) dazu zu nutzen, um im Rhythmus seiner täglichen Stimmungsschwankungen aus einer halbwegs funktionierenden Plattform (mit ihren eigenen Problemen) ein Geisterhaus zu machen: Rauswurf der Konzernspitze; Entlassungen großer Teile der Belegschaft inklusive Kommunikation, Content Monitoring, Ethik-Abteilung und so weiter, dabei zum Teil gegen das Arbeitsrecht nicht nur anderer Staaten, sondern auch einzelner US-Bundesstaaten verstoßend; halbstündlich neue Ankündigungen und öffentliche Nervenzusammenbrüche; halbgare Pläne, Verifizierungshaken jetzt zu verkaufen; Geschrei darüber, dass böse linke Aktivist*innen die Werbekunden vertreiben, die nicht neben ungefilterten Hasspostings stehen wollen, etc. etc.
Der Niedergang der Plattform geht schneller, als viele das vermutet haben. Das macht sich auch in Nutzerzahlen bemerkbar, bei großen Accounts geht die Zahl der Follower Tag für Tag um einige Prozent runter – Leute, die Twitter verlassen, weil sie auf die Musk-Plattform keine Lust haben.
Auf der anderen Seite ist es vor allem Mastodon, wo Leute hingehen, zum Teil als doppelgleisige Strategie (noch bei Twitter bleiben, aber schon mal anfangen, auf Mastodon-Instanzen ein neues Netzwerk aufzubauen). Unterstützt wird das durch Luca Hammers Fedifinder. Das ist ein kleines Tool, das automatisch durchschaut. wer von den eigenen Followern in seinem/ihren Profil oder in angehefteten Tweets Angaben zu Mastodon-Accounts gemacht hat. Die Ergebnisse werden in einer übersichtlichen, nach Mastodon-Instanzen geordneten Liste zusammengestellt und können dort einfach importiert werden. So ist es möglich, einen großen Teil der Menschen wiederzufinden, die überlegen, von Twitter zu Mastodon zu wechseln – sehr hilfreich.
Mastodon selbst ist in der einen oder anderen Hinsicht gewöhnungsbedürftig. Kleiner, nerdiger, teilweise umständlicher – und vom Prinzip dezentral kommunizierender Instanzen, also so wie bei E‑Mail, anders und vermutlich zukunftssicherer aufgebaut. Gleichzeitig nimmt damit die Macht der Instanzen-Admins zu – wer eine Instanz betreibt, kann nicht nur mitlesen, was da kommuniziert wird (das ist bei Musk und Twitter-DMs nicht anders), sondern auch von heute auf morgen entscheiden, diese zu zu machen.
Eigentlich würde ich erwarten, dass Medienunternehmen die Gunst der Stunde nutzen und sich als Betreiber interoperabler Plattformen auf Mastodon/Fediverse-Basis profilieren. Bisher macht das allerdings nur Jan Böhmermann, der det.social hochgezogen hat. Wo bleiben die entsprechenden Angebote von WELT bzw. BILD (igitt, aber müsste aus Springer-Sicht eigentlich logisch sein …), ZEIT, SZ, SPIEGEL usw.?
Ich selbst habe mir auf der großen Plattform mastodon.social unter https://mastodon.social/@_tillwe_ einen Account angelegt, der bisher vor allem noch Beiträge aus meinem Twitter-Account spiegelt, sich aber nach und nach mit eigenem Leben füllt. Statt der 4000 Leute, die mir auf Twitter folgen, sind’s hier erst rund 200, ähnlich sieht es bei den Zahlen derjenigen aus, denen ich folge. Trotzdem passiert einiges – und es gibt deutlich spürbare Wachstumsschmerzen. Technischer Art: Immer mal wieder ist der Server offline, oder es dauert, bis Bilder geladen werden, aber auch kultureller Art: für diejenigen, die immer schon Mastodon als gegenkulturelle Alternative genutzt haben, beginnt mit dem zunehmenden Wechsel von Twitter-Nutzer*innen, die ihre eigene Kultur und ire eigenen Praktiken mitbringen, eine Art „ewiger September“.
Wo das hinführt – bleibt abzuwarten. Auch mit Blick auf die Frage der Betreiberkosten. Twitter hat es ja geschafft, eine in den letzten Jahren technisch nahezu reibungslose Kommunikationsplattform mit globaler Reichweite zu betreiben. Das geht nicht mal eben so, und das ist nicht billig. Twitter hat sich dabei vor allem über Werbung finanziert, allerdings nicht immer erfolgreich. Und die Folgen einer werbefinanzierungszentrierten Sicht auf z.B. die Einführung neuer Features oder das Pochen auf eine algorithmisch gerankte Timeline waren durchaus nicht nur positiv.
Ob Mastodon-Instanzen über Spenden oder Abo-Modelle finanzierbar sind, oder – wie oben von mir vermutet – zu einem Teil der Community-Strategien von Medienkonzernen werden, die ja technisch problemlos eigene Instanzen aufsetzen könnten, bleibt abzuwarten.
Bis dahin wird Social-Media-Town mehr und mehr zur Geisterstadt. Facebook ist zu großen Teilen nur noch als Geburtstagskalender nutzbar. Xing schaue ich mir einmal im Quartal an – eigentlich könnte ich meinen Account da auch löschen. Flickr ist als persönliches Fotoarchiv besser als als Community. Und dazu kommt jetzt das Geisterhaus Twitter, in dem es spukt, in dem Zombies rumlaufen, das ganz zu verlassen aber auch nicht geht. You’ll never leave …
P.S.: Vermutlich hätte ich, wenn ich mehr darüber nachgedacht hätte, doch lieber einen Account bei gruene.social oder freiburg.social angelegt als bei der Großinstanz mastodon.social. Theoretisch lässt sich das auch umziehen, praktisch ist’s mir grade zu viel Aufwand.