Marcus Hammerschmitt: Wind / Der zweite Versuch

Zwei kur­ze, sprach­ge­wal­ti­ge, deutsch­spra­chi­ge Sci­ence­fic­tion-Roma­ne, die in einer eini­ger­ma­ßen rea­lis­tisch gezeich­ne­ten nicht ganz fer­nen deut­schen Zukunft spielen.

Wind: Eddie (men­schen­scheu etc.) bewacht einen Teil einer Off­shore-Wind­an­la­ge eines sehr, sehr gro­ßen Kon­zerns. Er erhält eine für das Wind­mo­no­pol poten­zi­ell gefähr­li­che Blau­pau­se einer Gezei­ten­ma­schi­ne – und eine Odys­see quer durch die Repu­blik (auf einem 200 kmh schnel­len Rad) und eini­ge Bolos (auto­no­me Gebie­te) beginnt.

Der zwei­te Ver­such: unter ande­rem von einer christ­li­chen Gen­tech-Sek­te tat­kräf­tig unter­stützt ver­su­chen die USA in einer Par­al­lel­welt, den Schmach der miss­glück­ten Apol­lo-Mond­mis­si­on eini­ge Deka­den spä­ter wie­der wett zu machen.

Ham­mer­schmitt, Mar­cus (1997): Wind. Der zwei­te Ver­such. Zwei Roma­ne. Frank­furt am Main: Suhrkamp.
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Marcus Hammerschmitt: PolyPlay

Ein Buch, zu dem sich lei­der nicht all­zu­viel sagen lässt. Nicht, weil es nicht von Inter­es­se wäre, son­dern weil es zuviel vor­weg­neh­men wür­de. Auf den ers­ten Blick ist das Buch harm­los – so harm­los, dass die Fra­ge auf­kommt, ob es nicht etwas unter dem Niveau von Ham­mer­schmitt ange­sie­delt ist. Eine Alter­na­tiv­welt­ge­schich­te, in der im Set­ting »DDR hat die BRD nach der Wen­de über­nom­men« Kom­mis­sar – nein, Ober­leut­nant – Kra­mer in einem Mord­fall ermit­telt, bei dem Jugend­sze­nen und Auto­ma­ten­spiel­ge­rä­te plötz­lich in Ver­bin­dung mit einer Sta­si-Ver­schwö­rung geraten.

Die Alter­na­tiv­welt-DDR sieht plau­si­bel aus, fast schon put­zig, und auch die ab und zu hin­ein­schnei­en­den Lehr­stun­den über die Geschich­te (im Schul­un­ter­richt, beim Zap­pen durchs Fern­seh­pro­gramm) wir­ken erst ein­mal so, als wür­de es hier dar­um gehen, sich vor­zu­stel­len, wie es denn hät­te gewe­sen sein kön­nen, wenn im Jahr 2000 in einer grö­ße­ren und für die Welt wirt­schaft­lich und poli­tisch extrem wich­ti­gen DDR statt­ge­fun­den hät­te. Ob da Rekla­me hängt, wie die Wes­sis sich auf­füh­ren, etc. War­um soll­te es so gewe­sen sein? Ham­mer­schmitts Erklä­rung erweckt den Anschein, plau­si­bel zu sein: wirt­schaft­li­che Pro­ble­me im Wes­ten, eine Abschot­tungs­po­li­tik in Ost­asi­en, inter­ne Strei­tig­kei­ten in den USA, und die – hand­ge­we­del­te – Ent­de­ckung einer omi­nö­sen neu­en Tech­no­lo­gie (der »Mül­ler-Loh­mann-Pro­zess«), die die DDR bald füh­rend auf dem Gebiet der Mikro­elek­tro­nik macht: Flach­bild­schir­me, Mobil­funk­te­le­fo­ne (»Mobis«), und wirt­schaft­li­cher Erfolg. Das Leben im plu­ra­lis­ti­schen Sozia­lis­mus sieht gar nicht mal so übel aus – und auch die klei­nen Fies­hei­ten (Josch­ka Fischer als Außen­mi­nis­ter der DDR und Kron­prinz des Staats­rats­vor­sit­zen­den, auch die Tages­zei­tung gibt’s wei­ter­hin) tra­gen eigent­lich nur dazu bei, dass Bild abzu­run­den. Dane­ben dann noch ein zwei­ter Hand­lungs­strang auf einer See­fes­tung, hat auch irgend­was mit Daten und Com­pu­ter­kri­mi­na­li­tät zu tun.

Soweit, so gut. Aber irgend­wann wird dann deut­lich, dass Ham­mer­schmitt den Leser oder die Lese­rin über etwas ganz ande­res beleh­ren möch­te: über die Unmög­lich­keit, in Sci­ence Fic­tion nicht nur plau­si­ble, son­dern tat­säch­lich funk­ti­ons­fä­hi­ge Alter­na­tiv­wel­ten durch­zu­spie­len, über die Fähig­keit des Men­schen, über­all Mus­ter und Gestal­ten zu erken­nen, und Wider­sprü­che hin­zu­neh­men. Das Ende ist über­ra­schend, und wer zu lan­ge mit­spielt, mag es auch scho­ckie­rend emp­fin­den. Denn das Ziel des Expe­ri­ments stellt sich als ein ganz ande­res her­aus – über das mehr zu sagen das Lesen des Romans doch beein­träch­ti­gen wür­de. Und damit ist schon fast zuviel verraten.

Ham­mer­schmitt, Mar­cus (2002): Poly­Play. Ham­burg / Ber­lin: Argu­ment. 187 Sei­ten, 12 Euro.
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Iain M. Banks: Use of Weapons

Eine teil­wei­se haar­sträu­bend mili­tär­tak­ti­sche, aber durch­aus poe­ti­sche SF-Geschich­te, die im Uni­ver­sum der Cul­tu­re spielt – einer hoch­ent­wi­ckel­ten Gesell­schaft, deren Ster­nen­schif­fe rie­sig, intel­li­gent und ver­spielt sind, die kein Geld und kei­ne Arbeit mehr kennt – und die eini­ge Spe­zi­al­agen­ten wie z.B. Cher­a­de­ni­ne Zakal­we beschäf­tigt, deren Auf­ga­be es ist, in die Macht­spie­le zwi­schen ande­ren Gesell­schaf­ten auf ande­ren Pla­ne­ten einzugreifen.

Banks, Iain M. (1992): Use of Wea­pons. Lon­don: Orbit. (Orig. 1990).
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Hintergründe: A Few Notes on the Culture

One of the few rules the Cul­tu­re adhe­res to with any exacti­tu­de at all is that a person’s access to power should be in inver­se pro­por­ti­on to their desi­re for it.

„A Few Notes on the Cul­tu­re“, von Iain M. Banks 1994 ver­öf­fent­licht, ist eine umfang­rei­che Hin­ter­grund­be­schrei­bung zu Banks Cul­tu­re-Roma­nen; hier wird das uto­pi­sche Poten­zi­al der Cul­tu­re als einer Art raum­fah­ren­den Kom­mu­nis­mus / Anar­chis­mus / wha­te­ver ziem­lich gut beschrie­ben und phi­lo­so­phisch begrün­det. Und ein paar Anmer­kun­gen zur Tech­nik gibt’s auch.

Die gesetz­lo­se, von Sit­ten und Refe­ren­de gelei­te­ten Habi­ta­te der Cul­tu­re funk­tio­nie­ren, weil (a) der Welt­raum genü­gend Raum und Res­sour­cen bie­tet, (b) eine Koexis­tenz mit bewuss­ten Maschi­nen (und teil­wei­se sehr viel intel­li­gen­te­ren Maschi­nen) eine Art funk­tio­nie­ren­de Plan­wirt­schaft mög­lich macht, © damit eine Art mora­lisch fun­dier­te Anar­chie mög­lich wird, in der kein sen­ti­ent being aus­ge­beu­tet wird (sprich lei­den muss) (non-sen­ti­ent machi­nes wer­den aus­ge­beu­tet, das spielt aber kei­ne Rol­le …), und (d) der Link zwi­schen Gehirn und Genen es mög­lich macht, durch blo­ßen inten­si­ven Wunsch sein Geschlecht zu wech­seln (und Dro­gen zu pro­du­zie­ren, und …), und so Gleich­be­rech­ti­gung kein Pro­blem mehr darstellt.

Wer jetzt nach­le­sen will, was Banks sich noch so gedacht hat, als er sich die Cul­tu­re aus­ge­dacht hat, kann das z.B. hier tun.

Iain M. Banks: Inversions

Aus zwei Per­spek­ti­ven (über einen Leib­wäch­ter und aus der Sicht eines Assis­ten­ten einer Ärz­tin) wird die Geschich­te einer frem­den Welt erzählt. Das gan­ze ist ein Cul­tu­re-Roman, in dem die Cul­tu­re so gut wie nicht auf­taucht, bzw. auf­taucht, aber nur ein klein wenig auf­fällt, weil alles aus der Sicht von Non-Cul­tu­re-Per­so­nen geschrie­ben ist – die noch nicht ein­mal wis­sen, dass sie es mit Außer­ir­di­schen zu tun haben … Hin­wei­se auf die Cul­tu­re geben eini­ge Sub­tex­te sowie »the Woman Vos­ill, a Roy­al Phy­si­can during the Reign of King Qui­ence […] but who was, wit­hout Argu­ment, from a dif­fe­rent Cul­tu­re …« (die oben erwähn­te Ärz­tin, S. 1), sowie »… the Doc­tor had been invi­ted to dine with the vessel’s capi­tain that evening, but had sent a note decli­ning the invi­ta­ti­on, citing an indis­po­si­ti­on due to spe­cial cir­cum­s­tances …« (S. 341).

Eine for­mal sehr span­nend ange­leg­te Geschich­te, die durch­aus les­bar ist und über die tief in sie ver­pack­te Fra­ge, ob Ein­mi­schung in ande­re Kul­tu­ren erlaubt oder ver­bo­ten ist, durch­aus auch anre­gen­de Fra­ge­stel­lun­gen bie­tet – die aller­dings die Erwar­tun­gen, die per se erst­mal an einen Cul­tu­re-Roman von Banks gestellt wer­den, nicht erfüllt.

Banks, Iain M. (1998): Inver­si­ons. Lon­don: Orbit.
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