Vergemeinschaftung statt Expertise, oder: Wo Sascha Lobo falsch liegt

Playing pieces II

Vor­ne­weg: Die Kolum­ne von Sascha Lobo bei Spie­gel online fin­de ich ins­ge­samt sehr gelun­gen und anre­gend. Über die letz­te Aus­ga­be (Des­in­for­ma­ti­on: Im Netz der Bes­ser­wis­ser) habe ich mich jedoch geär­gert – und möch­te ver­su­chen, dem nach­zu­ge­hen. Weil es erst ein­mal ja gar nicht so klar ist, was dar­an ärger­lich ist, dass da jemand ver­sucht, für ein biss­chen mehr Auf­klä­rung zu plädieren.
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Kurz: Foren sind blöd!

Journey of waiting XXXVI: yellow phoneJörg Tauss mach­te mich in Kom­men­tar #99 zum vor­her­ge­hen­den Arti­kel gera­de dar­auf auf­merk­sam, dass die Grü­nen (kon­kre­ter übri­gens: die Bun­des­tags­frak­ti­on) ihr Forum abge­schal­tet haben. Ehr­lich gesagt: mir war gar nicht bewusst, dass wir als Par­tei noch eines betrei­ben. Es scheint tat­säch­lich von eini­gen noch genutzt wor­den sein (inso­fern haben die Pira­ten jetzt die Gele­gen­heit, dar­aus eine rie­si­ge Ele­fan­ten­mü­cke zu bas­teln und sich in ihrer Lieb­lings­ges­te zu zei­gen, die da lau­tet: „Wir hel­fen tech­nisch unter­ent­wi­ckel­ten Par­tei­en bei der Technik.“). 

Ich habe – das ist zwi­schen den Zei­len viel­leicht schon deut­lich gewor­den – aller­dings nicht den Ein­druck, dass es um die­ses Forum arg scha­de ist, und dass es einen gro­ßen Auf­schrei des­we­gen geben wird. Es gibt inzwi­schen in der Tat jede Men­ge ande­rer (elek­tro­ni­scher) Kom­mu­ni­ka­ti­ons­we­ge – von Twit­ter bis zur Kom­men­tie­rung in grü­nen Blogs, und auch die direk­te Mail ist wei­ter­hin mög­lich. Inso­fern sehe ich hier eher eine Wei­ter­ent­wick­lung als eine Abschaf­fung poli­ti­scher Kom­mu­ni­ka­ti­on. Ich könn­te das jetzt auch noch anhand der media­len Form begrün­den (Foren nei­gen zu Unüber­sicht­lich­keit, sind auf akti­ve Nach­fra­ge ange­wie­sen, statt Nut­ze­rIn­nen direkt zu errei­chen, ten­die­ren dazu, In-Groups mit eige­nen Kom­mu­ni­ka­ti­ons­codes zu unter­stüt­zen usw.). Oder ist das nur ein Bias mei­ner kom­mu­ni­ka­ti­ven Sozia­li­sa­ti­on? (BBS, Mai­ling­lis­ten, Web 2.0?).

Egal. Es gibt einen ganz ein­fa­chen Test auf die Sinn­haf­tig­keit einer poli­ti­schen Kom­mu­ni­ka­ti­ons­form im Netz. Der lau­tet: Hat die dort statt­fin­den­de Kom­mu­ni­ka­ti­on poli­tisch etwas bewirkt? Mein Ein­druck für das Forum der grü­nen Bun­des­tags­frak­ti­on: ein­deu­tig nein. Aber viel­leicht mag das ja jemand widerlegen.

In der Hardware verborgene Ratlosigkeit

Shimmering lights II

Es ist ver­mut­lich uncool*, Sascha Lobo auf SPON zu zitie­ren, aber heu­te schreibt er was ziem­lich Intel­li­gen­tes zum Gefühl der Rat­lo­sig­keit, das die (schein­ba­re) sozia­le Nähe des Net­zes gene­riert – und die sich in der blu­ti­gen und lie­ber unsicht­bar gehal­te­nen Hard­ware-Ebe­ne der Infra­struk­tur unse­rer medi­al ver­mit­tel­ten sozia­len Bezie­hun­gen noch ein­mal in ganz beson­de­rer Wei­se ver­birgt – und nur durch bewuss­tes Igno­rie­ren aus­halt­bar scheint: 

„Die digi­ta­le Rat­lo­sig­keit hat dazu noch eine Meta­ebe­ne, die in der Hard­ware ver­bor­gen liegt: Die Metal­le in der Elek­tro­nik mei­nes Han­dys befeu­ern einen Krieg im Kon­go, der seit 1998 sechs Mil­lio­nen Men­schen ihr Leben gekos­tet hat. Ich emp­feh­le an die­ser Stel­le drin­gend, nicht selbst wei­ter­zu­re­cher­chie­ren und schon gar nicht nach unzen­sier­ten Fotos die­ses Krie­ges zu suchen, die sich dank sozia­ler Medi­en fin­den las­sen. Es wird sonst deut­lich kom­pli­zier­ter, sich sei­ne Unbe­schwert­heit im Umgang mit den schöns­ten neu­en Smart­phones zu bewah­ren. Weder wei­ner­li­che Betrof­fen­heit noch akzep­tie­ren­de Cool­ness kommt mir hier wie eine rich­ti­ge Reak­ti­on vor. Ich habe auch nicht vor, des­halb kei­ne Han­dys mehr zu benut­zen. Viel­leicht gibt es so etwas wie einen auto­ma­ti­schen Zynis­mus des digi­ta­len Zeit­al­ters, fast alle Fak­ten zu allen Miss­stän­den her­aus­fin­den zu kön­nen und sie anschlie­ßend igno­rie­ren zu müssen.“

Und es ist ja nicht nur Col­tan, son­dern es sind genau­so die Arbeits­be­din­gun­gen in den iPho­ne-Fac­to­ries in Chi­na usw. Aber die­se in der Hard­ware ver­bor­ge­ne Grau­sam­keit ans Licht zu zer­ren, erscheint fast undenk­bar. Was Sascha Lobo hier für sich selbst beschreibt – die Rat­lo­sig­keit, eine brauch­ba­re Hal­tung und Umgangs­wei­se zu die­ser Fra­ge zu fin­den, den das „Fair-Trade-Han­dy“ gibt es bis heu­te nicht, taucht auch in den von mir geführ­ten Inter­views immer wie­der auf: ein dif­fu­ses Wis­sen dar­über, dass unter der Ober­flä­che und am Ende der lan­gen Pro­duk­ti­ons­ket­ten Blut am Han­dy, am Net­book, am Smart­phone klebt, das aber nicht hand­lungs­re­le­vant wird und dem auch kaum Hand­lungs­op­tio­nen offen stehen.

War­um blog­ge ich das? Weil’s wich­tig ist.

* Uncool z.B. des­we­gen, weil der sel­be Sascha Lobo auch schon mal Wer­bung für den Mobil­te­le­fon­dienst­leis­ter Voda­fon gemacht hat …

Neun Sätze zu Guttenbergs Rücktritt

Meet the stapler II
Höchst­stap­ler, ange­schla­gen

Karl Theo­dor Maria Niko­laus Johann Jacob Phil­ipp Franz Joseph Syl­ves­ter Frei­herr von und zu Gut­ten­berg ist jetzt end­lich, end­lich als Ver­tei­di­gungs­mi­nis­ter* zurück­ge­tre­ten.

Ich hof­fe jetzt ers­tens, dass sei­ne selbst in der Rück­tritts­re­de zu fin­den­den Ver­su­che, das gan­ze als eine Art media­les Mob­bing dar­zu­stel­len, nicht auf frucht­ba­ren Boden fal­len. Gut­ten­berg hat sein Amt nicht des­we­gen ver­lo­ren, weil kon­ser­va­ti­ve und lin­ke Zei­tun­gen und ein paar ver­rück­te Wis­sen­schaft­le­rIn­nen ihm eine klei­ne stu­den­ti­sche Betrü­ge­rei übel genom­men haben, son­dern weil er sich in Lügen und den immer stär­ker zu Tage tre­ten­den Unauf­rich­tig­kei­ten in sei­nem Lebens­lauf ver­fan­gen hat. 

Und zwei­tens fin­de ich es wich­tig, fest­zu­hal­ten, dass das Netz gro­ßen Anteil an die­sem Rück­tritt hat­te. Dass die Pla­gi­ats­pro­ble­me, die vor eini­gen Wochen von Prof. Fischer-Lesca­no öffent­lich gemacht wur­den, auf die­se Reso­nanz gesto­ßen sind, und sehr schnell deut­lich wur­de, dass es um weit mehr geht als um acht „raub­ko­pier­te“ Text­stel­len ist ein Phä­no­men, dass in die­ser Wei­se nur in einer weit­ge­hend ver­netz­ten Gesell­schaft mög­lich war. Ähn­li­ches gilt für die rasant anwach­sen­de Zahl an Unter­schrif­ten unter dem „Offe­nen Brief“ an Mer­kel (ges­tern waren es schon über 33000). Und nicht zuletzt mei­ne ich, dass Twit­ter und Face­book und ein paar Blogs ein star­kes Gegen­ge­wicht zum Ver­such der BILD dar­ge­stellt haben, Gut­ten­berg zu hal­ten. Ob es auch zu die­sem Rück­tritt gekom­men wäre, wenn FAZ und NZZ nicht sicht­lich ver­är­gert gewe­sen wären, weiss ich nicht. Ohne Inter­net – und ohne eine inzwi­schen sehr poli­ti­sche Netz­sze­ne – wäre Gut­ten­berg aber, da bin ich mir sicher, wei­ter­hin Minister.

* Bzw. genau­er, das war anfangs ein biss­chen unklar: er ist von allen poli­ti­schen Ämtern zurückgetreten.

P.S.: Wer es noch nicht kennt – mein vor zwei Wochen geschrie­be­ner lan­ger Text zur Cau­sa Guttenberg.