Bundestag XXS

Wenn dann tat­säch­lich am 23. Febru­ar 2025 gewählt wird, wird dies die ers­te Bun­des­tags­wahl nach dem von der Ampel refor­mier­ten Bun­des­tags­wahl­recht sein. Eck­punk­te die­ses refor­mier­ten Wahl­rechts sind: die Sitz­zahl wird auf 630 fest­ge­legt. Es gibt eine 5%-Hürde (nur Par­tei­en, die bun­des­weit min­des­tens fünf Pro­zent der Zweit­stim­men errei­chen, wer­den berück­sich­tigt) und nach Inter­ven­ti­on des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts eine Grund­man­dats­klau­sel (die 5%-Hürde gilt nur dann, wenn eine Par­tei weni­ger als drei Direkt­man­da­te errun­gen hat). Es gibt 299 Direkt­wahl­krei­se. Die Ober­ver­tei­lung fin­det nach dem bun­des­wei­ten Zweit­stim­men­wahl­er­geb­nis nach Sain­te-Lague statt. Inner­halb einer Par­tei erfolgt eine Unter­ver­tei­lung wie­der­um nach Sain­te-Lague auf die Lan­des­lis­ten je nach Zahl der auf die­se ent­fal­len­den Zweitstimmen.

Neu ist nun das Ver­hält­nis von Direkt­man­da­ten und Zweit­stim­men­sit­zen. Galt bis­her, dass jedes über die Erst­stim­me errun­ge­ne Direkt­man­dat in den Bun­des­tag führt – was auf­grund des (par­ti­el­len) Aus­gleichs der so ent­ste­hen­den Über­hang­man­da­te zur deut­li­chen Ver­grö­ße­rung des Bun­des­tags in den letz­ten Legis­la­tur­pe­ri­oden geführt hat – gilt dies nun nur bis zu der laut Ober- und Unter­ver­tei­lung gege­be­nen Sitz­zahl der Par­tei im jewei­li­gen Bun­des­land. Dies erfolgt nach dem Anteil der Erst­stim­me im Wahl­kreis (die stärks­ten Wahl­krei­se einer Par­tei zie­hen also zuerst ein). Rest­li­che Sit­ze wer­den dann gemäß der Rei­hung auf der Lan­des­lis­te verteilt.

Zudem gibt es Son­der­re­geln: zie­hen Einzelbewerber*innen ein, ver­rin­gert sich die Zahl der nach die­sem Sys­tem zu ver­ge­ben­den Sit­ze ent­spre­chend. Und erringt eine Par­tei die abso­lu­te Mehr­heit der Zweit­stim­men, aber nicht die abso­lu­te Mehr­heit der Sit­ze, erhält die­se zusätz­li­che Sit­ze, bis die Mehr­heit auch der Sit­ze her­ge­stellt ist.

Hat eine Par­tei weni­ger Direktmandate/Listenplätze auf­ge­stellt als ihr nach dem Ergeb­nis zuste­hen, ver­klei­nert sich der Bun­des­tag. Mehr als 630 Sit­ze sind nur mög­lich, wenn der gera­de beschrie­be­ne Fall ein­tritt, dass eine Par­tei die abso­lu­te Mehr­heit der Stim­men erreicht. Damit soll­te die­ses Sys­tem also zu einer effek­ti­ven Kap­pung füh­ren. Das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt hat die aus­ge­setz­te Grund­man­dats­klau­sel wie­der ein­ge­setzt (als Zwi­schen­lö­sung bis zu einer Ände­rung der 5%-Hürde), abge­se­hen davon die Ver­fas­sungs­mä­ßig­keit bestätigt. 

Was sind nun die kon­kre­ten Fol­gen des neu­en Wahl­rechts? Dazu las­sen sich ver­schie­de­ne Modell­rech­nun­gen durch­füh­ren. Zunächst ein­mal neh­me ich dazu das Ergeb­nis der Bun­des­tags­wahl 2021 (ohne Berück­sich­ti­gung der Ände­run­gen durch die Wie­der­ho­lungs­wahl in Berlin).

Bun­des­tags­wahl 2021 nach neu­em Wahlrecht
Par­tei Zweit­stim­men 2021 Sitz­an­spruch Direkt­man­da­te (Wahl­kreis­sie­ger) Sit­ze direkt (mit Kappung) Sit­ze per Liste Dif­fe­renz zu Sit­zen 2021 real Dif­fe­renz Antei­le zu 2021 real
CDU 18,9 130 98 98 32 -22 -0,0002
CSU 5,2 36 45 36 0 -9 -0,0040
SPD 25,7 181 121 121 60 -25 0,0074
AfD 10,3 73 16 16 57 -10 0,0031
FDP 11,5 80 0 0 80 -12 0,0020
LINKE 4,9 29 3 3 26 -10 -0,0070
GRÜNE 14,8 101 16 16 85 -17 0,0000
SSW 0,1 0 0 0 0 -1 -0,0014
Sons­ti­ge 8,6 0 0 0 0 0 0,0000
Sum­me 100 630 299 290 331 -106 0,0000
Anmer­kun­gen: LINKE via Grund­man­dats­klau­sel; SSW hier regu­lär mit ver­teilt ohne Prü­fung, ob sich aus dem Min­der­hei­ten­sta­tus ein Sitz­an­spruch ergibt.

In die­ser Modell­rech­nung wird deut­lich, dass es zwar über alle Par­tei­en hin­weg zu erheb­li­chen Sitz­ver­lus­ten kom­men wür­de, dass aber das rela­ti­ve Ver­hält­nis der Par­tei­en im Bun­des­tag nur mini­mal beein­flusst wird. Nicht rea­li­sier­ba­re Direkt­man­da­te erge­ben sich nur für die CSU. Real hat­te die­se 2021 alle bis auf einen (Mün­che­ner) Wahl­kreis in Bay­ern direkt gewon­nen. Von die­sen blie­ben nun die neun mit dem pro­zen­tu­al schwächs­ten CSU-Ergeb­nis ohne CSU-Direktmandat.

Für 2025 inter­es­sant ist nun, dass es gleich bei vier Par­tei­en (LINKE, BSW, FDP und mög­li­cher­wei­se auch FW) unklar ist, ob die­se ein­zie­hen oder nicht. 

Wenn wir als Aus­gangs­ba­sis das heu­ti­ge agg­re­gier­te Umfra­ge­er­geb­nis neh­men (z.B. hier bei Pol­ly­tix), erge­ben sich unter ande­rem fol­gen­de Mög­lich­kei­ten (in Klam­mern jeweils die Dif­fe­renz zum tat­säch­li­chen Ergeb­nis 2021 vor Wie­der­ho­lungs­wahl nach altem Wahl­recht, LINKE/BSW mit 28/10 berücksichtigt):

Bun­des­tags­wahl 2025 nach neu­em Wahl­recht – ver­schie­de­ne Szenarien
Par­tei Pol­ly­tix 13.12.2024 Sitz­an­spruch I Sitz­an­spruch II Sitz­an­spruch III Sitz­an­spruch IV
CDU* 26,3 (+7,4) 197 (+45) 190 (+38) 180 (+28) 213 (+61)
CSU* 5,5 (+0,3) 38 (-7) 37 (-8) 35 (-10) 41 (-4)
SPD 16,2 (-9,5) 121 (-85) 117 (-89) 111 (-95) 131 (-75)
AfD 18,3 (+8,0) 137 (+54) 132 (+49) 124 (+41) 147 (+64)
FDP 4,0 (-7,5) 0 (-92) 0 (-92) 28 (-64) 0 (-92)
LINKE 3,2 (-1,7) 0 (-28) 22 (-6) 21 (-7) 0 (-28)
BSW 6,1 (+6,1) 46 (+36) 44 (+34) 41 (+31) 0 (-10)
GRÜNE 12,7 (-2,1) 91 (-27) 88 (-30) 83 (-35) 98 (-20)
FW 1,8 (-0,6) 0 (-) 0 (-) 7 (+7) 0 (-)
* CDU/CSU bei Pol­ly­tix gemein­sam aus­ge­wie­sen, hier gegrif­fen CSU bei 5,5% – dies ist ins­be­son­de­re beim Ver­gleich mit 2021 zu berücksichtigen!

Sze­na­ri­en: I. LINKE und FDP nicht im Bun­des­tag, II. LINKE via Direkt­man­da­te ver­tre­ten, FDP nicht, III. LINKE, FDP und FW via Direkt­man­da­te ver­tre­ten, IV. BSW bei 4,9, nicht im Bun­des­tag, LINKE, FDP und FW nicht im Bundestag

Trotz neu­em Wahl­recht und unbe­setz­ter Wahl­krei­se in Bay­ern wür­de es also für die Uni­on net­to zu einem deut­li­chen Sitz­zu­ge­winn kom­men. Auch AfD und – sofern im Bun­des­tag ver­tre­ten – wür­den beim aktu­el­len Umfra­ge­er­geb­nis gegen­über dem jet­zi­gen Stand an Sit­zen dazu­ge­win­nen. SPD und Grü­ne wür­den dage­gen deut­lich an Sit­zen ver­lie­ren und – je nach Sze­na­rio – nur noch auf Frak­ti­ons­grö­ßen zwi­schen 111 und 131 (SPD) bzw. 83 und 98 (Grü­ne) Abge­ord­ne­ten kommen. 

Erst in einem gegrif­fe­nen Sze­na­rio, in dem von nur fünf Par­tei­en (CDU, CSU, SPD, Grü­ne, AfD) und einem deut­li­chen grü­nen Zuge­winn gegen­über 2021 aus­ge­gan­gen wird, kommt es zu mehr Sit­zen ggü. 2021 bei den Grünen:

Gegrif­fe­nes Sze­na­rio: Bun­des­tags­wahl 2025 nach neu­em Wahl­recht, fünf Parteien
Par­tei Stimm­an­teil Sitz­an­spruch Vgl. zu 2021
CDU 25,0 169 +17
CSU 5,0 34 -11
SPD 26,0 176 -30
GRÜNE 20,0 136 +18
AfD 17,0 115 +32

Auch die­ses „best-case“-Szenario wür­de aller­dings knapp kei­ne rot-grü­ne Mehr­heit ermög­li­chen. Die wäre hier erst bei rd. 48 Pro­zent der Stim­men für SPD und Grü­ne gemein­sam erreicht.

Eine aus par­tei­in­ter­ner Sicht inter­es­san­te Fra­ge ist die nach der Ver­tei­lung auf die Bun­des­län­der. Der aktu­el­le Stand lässt sich der Wiki­pe­dia ent­neh­men. Aller­dings gab es 2021 im Saar­land kei­ne grü­ne Lis­te. Für eine Ver­tei­lung nach Sain­te-Lague auf die Bun­des­län­der zäh­len die Zweit­stim­men. Die­se las­sen sich für 2021 bei der Bun­des­wahl­lei­te­rin abru­fen. Dar­aus erge­ben sich fol­gen­de Szenarien:

Zweit­ver­tei­lung GRÜNE (bei Annah­me einer gleich­blei­ben­den Ver­tei­lung zwi­schen den Ländern)
Bun­des­land Zweit­stim­men 2021 real 2021 mit Saarland Anteil an allen grü­nen Stimmen SL (83 Sitze) SL (100 Sitze) SL (117 Sitze)
Baden-Würt­tem­berg 1022226 1022226 14,79% 12 15 18
Bay­ern 1067830 1067830 15,45% 13 15 18
Ber­lin 408533 408533 5,91% 5 6 7
Bran­den­burg 137472 137472 1,99% 2 2 2
Bre­men 68427 68427 0,99% 1 1 1
Ham­burg 250532 250532 3,63% 3 4 4
Hes­sen 521411 521411 7,55% 6 8 9
Meck­len­burg-Vor­pom­mern 71956 71956 1,04% 1 1 1
Nie­der­sach­sen 726613 726613 10,52% 9 10 12
Nord­rhein-West­fa­len 1587067 1587067 22,97% 19 23 27
Rhein­land-Pfalz 293135 293135 4,24% 3 4 5
Saar­land 58000 0,84% 1 1 1
Sach­sen 212320 212320 3,07% 2 3 4
Sach­sen-Anhalt 78701 78701 1,14% 1 1 1
Schles­wig-Hol­stein 322763 322763 4,67% 4 5 6
Thü­rin­gen 83220 83220 1,20% 1 1 1
Sum­me 6852206 6910206 100,00% 83 100 117

Dar­ge­stellt sind hier drei Sze­na­ri­en. Im ers­ten Sze­na­ri­en ent­fal­len auf Grü­ne 83 Sit­ze – bei einem Stimm­an­teil um 12–13 Pro­zent und/oder vie­len Par­tei­en im Bun­des­tag. Das opti­mis­ti­sche­re Sze­na­rio sieht 100 Sit­ze vor, das wäre bei einem etwas bes­se­ren Abschnei­den als 2021 bzw. einem nur aus weni­gen Par­tei­en bestehen­den Bun­des­tags mög­lich. Der Voll­stän­dig­keit hal­ber ist noch eine Berech­nung mit 117 Sit­zen ein­ge­fügt, also der jet­zi­gen Grö­ße der Frak­ti­on. Um die­se zu errei­chen, bräuch­te es – je nach Zahl der Par­tei­en im Bun­des­tag – dann schon 16–18 Prozent.

Auch hier ist zu berück­sich­ti­gen, dass nach dem neu­en Wahl­recht – bis zu der pro Land ange­ge­be­nen Zahl – zuerst ein­mal etwa­ige grü­ne Direkt­man­da­te zum Zug kom­men, bevor Lis­ten­plät­ze ziehen. 

Bei allen Sze­na­ri­en gilt es im Kopf zu behal­ten, dass die Ver­tei­lung zwi­schen den Län­dern aus dem Jahr 2021 zugrun­de gelegt wur­de. Wenn es hier – z.B. durch einen „Habeck-Effekt“ in Schles­wig-Hol­stein oder durch ein deut­lich schlech­te­res Abschnei­den im Osten – zu Ver­än­de­run­gen kommt, kann sich auch die Ver­tei­lung der Sit­ze auf die Län­der verändern. 

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