Projekte und die Mitte

No. Five is alive II

Man kann sich auch auf Mast­o­don wun­der­bar in die Haa­re krie­gen. Und manch­mal ist das sogar pro­duk­tiv. Bei­spiels­wei­se ist das Ergeb­nis einer sol­chen Pos­ting-Schlacht ges­tern, dass ich seit­dem dar­über nach­den­ke, wie das mit Pro­jek­ten und der Mit­te ist, und ob der Main­stream sich umlei­ten lässt.

Ober­fläch­lich ging’s in der Debat­te um sozia­le Netz­wer­ke. Unab­hän­gig davon kann ich dazu emp­feh­len, was Dejan Miha­j­lo­vić heu­te mor­gen zu sozia­len Netz­wer­ken zwi­schen Demo­kra­tie und Dienst­leis­tung geschrie­ben hat. Das hat aller­dings nur tan­gen­ti­al mit dem zu tun, um was es mir geht. Näm­lich um die Fra­ge, wie im wei­tes­ten Sin­ne „lin­ke“ Netz­werk­pro­jek­te mit Inklu­si­on und Exklu­si­on umge­hen. Und die­se Fra­ge geht weit über sozia­le Netz­wer­ke und Open-Source-Digi­tal­pro­jek­te hinaus.

Mir scheint es hier zwei Her­an­ge­hens­wei­sen zu geben, die – zumin­dest in ihren Extre­men gedacht – nicht, zumin­dest nur schlecht mit­ein­an­der zu ver­ein­ba­ren sind. Und ich bin mir nicht sicher, ob allen immer klar ist, in wel­chem die­ser Modi sie gera­de unter­wegs sind.

Projekte

Die eine Her­an­ge­hens­wei­se ist das „Pro­jekt“. Pro­jekt meint hier eine Abkap­se­lung von der „bösen“ Welt da drau­ßen. Die Men­schen, die an einem Pro­jekt teil­neh­men, ähneln sich in bestimm­ten, zen­tra­len Kate­go­rien. Ins­be­son­de­re tei­len sie bestimm­te Wer­te, und gehen zudem oft davon aus, dass die­se Wer­te all­ge­mein­gül­tig sein soll­ten. Sie ähneln sich zudem oft sozio­de­mo­gra­fisch – haben also bei­spiels­wei­se einen ähn­li­chen Bil­dungs­hin­ter­grund, einen bestimm­ten sozia­len Sta­tus. (Para­do­xer­wei­se gilt dies ins­be­son­de­re oft auch für Pro­jek­te, die Diver­si­tät beson­ders groß schreiben …)

Nicht jedes Pro­jekt zieht die sel­be Sor­te Men­schen an, und nicht jedes zieht die sel­ben Gren­zen. Allen gemein­sam ist aber ein kla­res Bewusst­sein, dass bestimm­te Regeln zur „Iden­ti­tät“ des Pro­jek­tes dazu gehö­ren. Es gibt eine gewis­se eta­blier­te Kul­tur, und wer dabei sein will, hält sich gefäl­ligst dar­an. „Wir machen das hier so“ – und natür­lich gibt es dafür gute, ja meist sogar sehr gute Grün­de, die allen, die dabei sein wol­len, aus­führ­lich erklärt wer­den. „Wir machen das hier so“ ist ein Teil der Grenz­zie­hung. Wer es anders macht, der gehört nicht dazu – und das wird teil­wei­se impli­zit, teil­wei­se sehr expli­zit verdeutlicht.

In die­ser All­ge­mein­heit kann sowohl der, sagen wir, selbst­or­ga­ni­sier­te Umsonst­la­den, das auto­no­me Kul­tur­zen­trum oder die Bau­ge­mein­schaft als Pro­jekt bezeich­net wer­den wie auch vie­le poli­ti­sche Ver­ei­ne – über Par­tei­en rede ich jetzt mal nicht – oder eben, um den Bogen zum digi­ta­len Raum zu schla­gen – auch die von einem Ver­ein betrie­be­ne Fedi­ver­se-Instanz, der Cha­os-Com­pu­ter-Club-Able­ger oder in gewis­ser Wei­se sogar das eine oder ande­re Open-Source-Projekt.

Mitte-Orientierung

Her­an­ge­hens­wei­se Num­mer zwei habe ich mal „Mit­te“ getauft (ob das eine gute Bezeich­nung ist, dar­über lässt sich natür­lich strei­ten). Was ich damit mei­ne, ist der Ver­such, Platt­for­men, Poli­ti­ken, Räu­me so aus­zu­rich­ten, dass die Hür­den, dar­an teil­zu­neh­men, für mög­lichst alle gering sind. Nie­der­schwel­lig­keit wird als Wert beschrieben.

(Und weil das schnell zu die­ser Debat­te führt, ein Exkus dazu: die Gestal­tung von User Inter­faces ist bei gro­ßen kom­mer­zi­el­len Soft­ware­pro­duk­ten etwas, in das sehr viel Zeit und Geld gesteckt wird, bis hin zu A/B‑Tests für bestimm­te Optio­nen. Das führt im Ide­al­fall dazu, dass die Nut­zung kom­plett hür­den­los mög­lich ist. Die Nut­zer­er­fah­rung bei Apple steht da sprich­wört­lich. Und ich glau­be, ein guter Teil des Rei­zes von Blues­ky – jen­seits von FOMO und begrenz­ter Ein­la­dungs­po­li­tik – besteht in der Hoff­nung, dort auf eine sozia­le Platt­form zu sto­ßen, die im dop­pel­ten Sin­ne ein­fach benutz­bar ist: ohne gro­ße Hür­den, ohne Aus­wahl von Apps, Instan­zen, Pro­to­kol­len usw. ein­fach los­zu­le­gen, und sie bedie­nen, ohne groß dar­über nach­zu­den­ken, was da passiert.

Ich mag Mast­o­don. Aber ein­fach in die­sem Sin­ne ist Mast­o­don, ist das Fedi­ver­se nicht. Da hilft es auch nichts, haar­klein zu erklä­ren, war­um das tech­nisch gese­hen alles total ein­fach ist und war­um auch anders­wo Hür­den bestehen. Letzt­lich zählt der Ein­druck, die gemach­te Erfah­rung. Und die ist bei vie­len, die Mast­o­don mal aus­pro­bie­ren, eben nicht „ein­fach los­le­gen“, son­dern kom­pli­zier­ter. Und ich wür­de behaup­ten, dass ähn­li­ches z.B. für Linux auf dem Desk­top gilt. Alles, wo ich erst mal im Hand­buch (in der Online-Doku­men­ta­ti­on, der man-Page) nach­gu­cken muss, wie etwas geht, ist nicht hür­den­los in dem Sin­ne, um den es mir hier geht …

Und als Exkurs im Exkurs: das vie­le Geld, das bei kom­mer­zi­el­len Vor­ha­ben in User Inter­faces und die User Expe­ri­ence gesteckt wird, führt nicht in allen Fäl­len zu schwel­len­lo­sen Pro­duk­ten in die­sem Sin­ne. Und im schlimms­ten, lei­der gar nicht so sel­te­nen Fall ist ein gro­ßer Teil der Opti­mie­rung der User Expe­ri­ence eine Opti­mie­rung im Sin­ne von „mög­lichst viel Wer­bung anzei­gen“ und „Nutzer*innen dazu brin­gen, auf die fal­schen Knöp­fe zu drü­cken“ (dark pat­tern). Das fin­de ich nicht gut, gehört aber zu die­sem The­ma dazu.

Soweit der Exkurs. Zurück zur Mit­te­ori­en­tie­rung von Projekten.)

Sich dar­an zu ori­en­tie­ren, dass „alle“ dabei sein kön­nen, und eben nicht nur die, die aus dem sel­ben Milieu kom­men, oder die den sel­ben (tech­ni­schen) Hin­ter­grund haben – was das bedeu­tet, lässt sich plau­si­bler machen, wenn kon­kre­te Bei­spie­le gewählt werden.

Wenn ich davon spre­che, die Zivil­ge­sell­schaft zu betei­li­gen, den­ke ich an ehren­amt­lich Enga­gier­te, an die Flücht­lings­hil­fe oder die Tafel­lä­den. Ich den­ke da nicht zuerst an den Sport­ver­ein, das tech­ni­sche Hilfs­werk oder den Jagd­ver­band. Mei­ne Aus­sa­gen zur Zivil­ge­sell­schaft soll­ten aller­dings auch dann noch pas­sen, wenn ich letz­te­re einsetze.

Als Test für zum Bei­spiel sozia­le Netz­wer­ke (oder Umsonst­lä­den und Haus­pro­jek­te), wenn die Ori­en­tie­rung an Nie­der­schwel­lig­keit da ist: gehört zu „alle“ auch der*die typi­sche CDU-Wähler*in? Kon­ser­va­ti­ves Wer­te­mus­ter, eher älter, mitt­le­re Bil­dung, Ein­fa­mi­li­en­häus­chen im Grü­nen mit gepfleg­tem Rasen, zwei Autos in der Gara­ge und Affi­ni­tät zum Dialekt? 

Wie muss eine Soft­ware, ein sozia­les Enga­ge­ment, eine Poli­tik gestal­tet sein, die sich an „alle“ rich­tet, die auch für die­sen Per­so­nen­kreis nie­der­schwel­lig akzep­tier- und nutz­bar ist? Wel­che Kom­pro­mis­se kön­nen gemacht wer­den – und wo clasht eine Ori­en­tie­rung an der Mit­te, an allen mit eige­nen Wertvorstellungen?

Ein typi­sches Bei­spiel für einen sol­chen Clash könn­te bei Mast­o­don die Kul­tur sein, rela­tiv oft und weit­rei­chend „Con­tent War­nings“ zu ver­wen­den (über Pro­no­men, Gen­der-Stern­chen und ähn­li­ches will ich gar nicht reden). Oder die abfäl­li­gen Bemer­kun­gen über „Schmun­zelt­wit­ter“. Wie sieht’s mit Fleisch­kon­sum aus – und wie vehe­ment wird der bekämpft?

Um das deut­lich zu sagen: mir geht es hier nicht dar­um, zum Bei­spiel All­tags­ras­sis­men zu akzep­tie­ren. Und mir geht es auch nicht dar­um, in vor­aus­ei­len­dem Gehor­sam eine Platt­form, ein sozia­les Enga­ge­ment oder eine Poli­tik an den ima­gi­nier­ten Wer­ten und Vor­stel­lun­gen einer „Mit­te“ aus­zu­rich­ten. Vor allem des­we­gen nicht, weil die­se oft viel wei­ter ist, als „wir“ uns das vor­stel­len. Die deut­sche Nor­ma­li­tät ist nicht mehr in den 1980er Jah­ren zu finden.

(Da lie­ße sich jetzt ein zwei­ter Exkurs zum The­ma Main­stream anschlie­ßen: die Rech­ten jam­mern über die „links-grü­ne Hege­mo­nie“. Aus links­grü­ner Sicht ist es nicht weit her mit die­ser. Trotz­dem wird deut­lich, dass die media­le Her­stel­lung von Öffent­lich­keit und das als „nor­mal“ akzep­tier­te Wer­te- und Erfah­rungs­mus­ter etwas sind, das beweg­lich und flui­de ist. Über Rauch­ver­bo­te in Züge und Knei­pen wur­de erbit­tert gestrit­ten. Heu­te sind sie nor­mal. Mög­li­cher­wei­se sind auto­freie Wohn­ge­bie­te oder vege­ta­ri­sche Stan­dard­op­tio­nen – Ikea macht’s vor – bald eben­so nor­mal. Der Main­stream fließt zwar trä­ge, aber er fließt, und er lässt sich ver­schie­ben und umleiten.)

Projekte und Mitte-Orientierung doch zusammendenken?

Ich bin damit ein­ge­stie­gen, dass ich „Pro­jekt“ und eine Ori­en­tie­rung an der „Mit­te“ als zwei gegen­sätz­li­che Pole dar­ge­stellt habe. Das stimmt, und es stimmt nicht so ganz. Viel­leicht ist es klü­ger, sich das als ein Kon­ti­nu­um vor­zu­stel­len. Auf der einen Sei­te ste­hen sehr indi­vi­dua­lis­ti­sche Pro­jek­te, die aus weni­gen Per­so­nen bestehen. Viel­leicht sogar sowas wie eine Bezie­hung, eine Fami­lie. Hier ist sehr klar, wer dazu­ge­hört und wer nicht, und es gibt über­haupt kei­nen Anspruch, offen für alle zu sein. 

Auf der ande­ren Sei­te ste­hen Orga­ni­sa­tio­nen und Sys­te­me, die z.B. qua Grund­ge­setz für alle nutz­bar sein müs­sen, und denen dem­entspre­chend dar­an gele­gen sein muss, so gestal­tet zu sein, dass alle mit­ma­chen kön­nen, egal, wel­ches Milieu und wel­che Wer­te gelebt wer­den. Groß gedacht gehö­ren Ver­wal­tun­gen ganz klar auf die­sen Pol, und auch Poli­zei und Feu­er­wehr (wobei die­se bei­den mög­li­cher­wei­se in Wirk­lich­keit eher in der Mit­te des Kon­ti­nu­ums ste­hen …). Und kom­mer­zi­el­le Sys­te­me, die den Wunsch haben, ihre Nutzer*innen-Zahl zu maxi­mie­ren, lan­den eben­falls auf die­ser Sei­te des Kontinuums.

Alles ande­re liegt irgend­wo dazwi­schen. Und soll­te sich halt klar dar­über sein, wo. Zu wel­chem Grad eine Offen­heit für „alle“ da ist, und wo dann doch Gren­zen gezo­gen wer­den. Wel­che kul­tu­rel­len, tech­ni­schen, prak­ti­schen Hür­den und Grenz­zie­hun­gen exis­tie­ren, und wel­che davon zu Iden­ti­täts­bil­dung ver­wen­det werden. 

Klar ist aller­dings auch: je mehr sich etwas auf der Sei­te „Mit­te-Ori­en­tie­rung“ (oder „nie­der­schwel­li­ge Nutz­bar­keit für alle“) ver­or­tet, des­to wich­ti­ger wird die Fra­ge, wie Kon­flik­te gelöst wer­den, wer auf was für einer Grund­la­ge Ent­schei­dun­gen trifft – und dass zum Selbst­ver­ständ­nis eben auch gehö­ren muss, auf­ein­an­der­pral­len­de unter­schied­li­che Wel­ten aus­zu­hal­ten und dis­kur­siv damit umzugehen. 

4 Antworten auf „Projekte und die Mitte“

  1. Hier Nach­richt aus der „fee­ling emp­ty group“. Ich habe nach län­ge­rer Anfangs­frus­tra­ti­on mei­nen monu­men­ta­len Vogel­mann „Wirk­sam­keit des Wis­sens“ – Lek­tü­reth­read (auf Xit­ter sind das inzwi­schen nach 8 Kapi­teln ca. 50 Tweets seit August) auf Mast­o­don gepos­tet, das ver­hallt reso­nanz­los. Bestä­tigt für mich den Ein­druck, da falsch zu sein.

    1. Ver­mut­lich fol­gen inter­es­san­te Time­lines auch einem Power-Law (vgl. László-Bar­a­bá­si). Soll hei­ßen: die Inter­ak­ti­on mit eini­gen weni­gen Leu­ten ist ent­schei­dend – und wenn genau die feh­len, sieht es mau aus.

    2. Kommt halt, wie immer, auch auf die Ver­net­zung an. Ich habe ein Nischen­the­ma (alte Com­pu­ter) auf Twit­ter seit 2009 bis letz­tes Jahr gepflegt, etwa 250 Fol­lower gesam­melt, rein organisch.

      Seit 1 Jahr auf Mast­o­don, pos­te zu den sel­ben The­ma, 500 Fol­lower, mit Inter­ak­tio­nen auf fast jeden Post hin. Top, would buy again, ^W^W^W^WMacht Spaß so.

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