Science Fiction/Fantasy im Vorfrühling 2022

On blue

Ist es in die­sen Zei­ten ange­bracht, Unter­hal­tungs­li­te­ra­tur zu kon­su­mie­ren und Fil­me und Seri­en anzu­schau­en? Oder viel­leicht sogar not­wen­dig, als Aus­zeit von der mehr­fa­chen Kri­se, die sich rund um uns her­um entfaltet? 

Wie dem auch sei: ich habe in den letz­ten Wochen eini­ges gele­sen und ange­schaut, das sich zur Ablen­kung eignet. 

Bewegt­bild waren v.a. Seri­en – die neue Staf­fel von „Disen­chant­ment“ (Simpsons/Futurama meets so gut wie jedes Fan­ta­sy-Kli­schee und stellt es auf den Kopf) war über­dreht, amü­sant und stel­len­wei­se auch nach­denk­lich, dann aller­dings auch schnell vorbei.

Dann habe ich die bei­den aktu­el­len Star-Trek-Seri­en wei­ter­ge­schaut: „Star Trek: Dis­co­very“ kam in der vier­ten Staf­fel zu einem berüh­ren­den und ange­sichts der ganz gro­ßen Welt­zer­stö­rungs­prä­mis­se doch auch über­zeu­gen­den Ende, die fünf­te soll, so ist es zu hören, epi­so­discher erzählt wer­den. Viel­leicht sind die ganz gro­ßen Span­nungs­bö­gen auch ein­fach aus­er­zählt. Und viel­leicht ist die Zer­stö­rung gan­zer Pla­ne­ten etwas, das nie­mand gera­de wirk­lich ger­ne sehen mag.

Die ers­ten drei Fol­gen der zwei­ten Staf­fel von „Star Trek: Picard“ waren … inter­es­sant. Nach der ers­ten Fol­ge war ich mir nicht sicher, ob ich über­haupt wei­ter­schau­en will. Viel alt gewor­de­ne Bit­ter­keit, dann taucht Q auf, eine par­al­le­le Time­line, mal wie­der was mit Zeit­rei­sen und Par­al­lel­uni­ver­sen, lang­wei­lig … die zwei­te und drit­te Fol­ge haben mich dann aller­dings gepackt. In der zwei­ten Fol­ge sehen wir die faschis­ti­sche Par­al­lel­welt – und in der drit­ten Fol­ge lan­det die Serie dann im Jahr 2024, also qua­si über­mor­gen. Auch das ist im Star-Trek-Kos­mos nicht ganz neu, aber doch mal ein etwas ande­res Set­ting. Inso­fern bin ich gespannt, wie es hier weitergeht.

Zusam­men mit mei­nen Kin­dern habe ich schließ­lich noch den hoch­ge­lob­ten Net­flix-Film „The Adam Pro­ject“ ange­schaut – und bin etwas unent­schlos­sen, was ich davon hal­ten soll. Der Zeit­rei­se-Film ist gut gemacht und amü­sant, die Vater-Sohn-Geschich­te jedoch etwas arg ste­reo­typ, und das Bild der Mut­ter von Adam lässt Fra­gen offen. Pop­corn-Kino, bei dem man nicht zu genau hin­schau­en soll­te, aber zumin­dest sind die Super­hel­den eher tolpatschig. 

Aber eigent­lich geht’s hier ja um gedruck­te Sci­ence Fic­tion und Fantasy. 

Da star­te ich dann mit – posi­tiv gemeint – Pop­corn­li­te­ra­tur. The Kai­ju Pre­ser­va­ti­on Socie­ty (2022) von John Scal­zi ist schnell gele­sen und sym­pa­thisch erzählt. Ein ganz klei­nes biss­chen hat mich die Prä­mis­se (Nukle­ar­re­ak­to­ren und ‑explo­sio­nen las­sen die Wän­de zwi­schen den Wel­ten dün­ner wer­den, so dass es zu Über­trit­ten kom­men kann) an Stross erin­nert; aber Scal­zi bleibt ins­ge­samt freund­li­cher und wan­dert trotz der titel­ge­ben­den Kai­ju (Gozil­la etc.) nie ins Hor­ror-Gen­re. Was das Buch neben dem eigent­li­chen Plot inter­es­sant macht, ist die Tat­sa­che, dass es in der Gegen­wart spielt, d.h. die Coro­na-Pan­de­mie ist all­ge­gen­wär­tig, zumin­dest auf unse­rer Ver­si­on der Erde. Damit dürf­te das der ers­te SF-Roman sein, der die Pan­de­mie direkt ver­ar­bei­tet. Inter­es­sant ist in die­sem Zusam­men­hang auch das Nach­wort, in dem Scal­zi erklärt, war­um er die­ses Buch geschrie­ben hat, und nicht den tief­grün­di­gen und viel­schich­ti­gen Roman, den er eigent­lich schrei­ben wollte. 

Der erwähn­te Charles Stross hat mit Escape from Yokai Land (2022) eine Novel­le aus der Laun­dry-Serie ver­öf­fent­licht. Auch hier geht es um japa­ni­sche Mons­ter – die manch­mal ganz schön cute sein kön­nen, und dann umso gräss­li­cher wer­den. Hel­lo Kit­ty lässt Bob schön grüßen.

The Para­dox Hotel (2022) von Rob Hart ist ein Zeit­rei­se­ro­man ohne Zeit­rei­sen – statt­des­sen sind wir mit den Geis­tern ver­schie­de­ner aus den Fugen gera­te­ner Zeit­ebe­nen kon­fron­tiert, die das gro­ße Luxus­ho­tel am Zeitreise-„Flughafen“ in Unru­he ver­set­zen. Genau, Luxus­ho­tel – denn Zeit­rei­sen sind hier eher eine Ange­le­gen­heit rei­cher Tourist*innen, natür­lich unter behörd­li­cher Auf­sicht. Jetzt sol­len sie ganz pri­va­ti­siert wer­den – und ver­schie­de­ne Super­rei­che rin­gen um den Zuschlag dafür, nicht immer mit lau­te­ren Mit­teln. Das gan­ze beob­ach­ten wir durch die Augen von Janu­ary Cole, die für die Hotel-Secu­ri­ty zustän­dig ist – und mit trau­ma­ti­sie­ren­den Erfah­run­gen kämpft. Die Hin­ter­büh­ne der Hotel­or­ga­ni­sa­ti­on erweist sich als rich­ti­ger Ort, um Mor­de unter super­ka­pi­ta­lis­ti­schen Zeit­rei­sen­den auf­zu­klä­ren. Der Autor kommt nicht aus dem Gen­re, das tut die­sem Buch jedoch gut, denn das bringt eine fri­sche Per­spek­ti­ve rein.

Klas­si­sche und gut gemach­te Space-Ope­ra dage­gen Cata­lyst Gate (2022) von Megan E. O’Kee­fe, der drit­te und abschlie­ßen­de Band ihrer Pro­tek­to­rat-Rei­he. Es dau­er­te einen Moment, bis mir die Ereig­nis­se der ers­ten zwei Bän­de wie­der ein­ge­fal­len sind. Im Mit­tel­punkt ste­hen wei­ter­hin die Geschwis­ter San­da und Biran Gree­ve, die mit Hil­fe einer AI und diver­sen Cha­rak­te­ren ver­su­chen, die Wunderwaffe/künstliche Intel­li­genz einer außer­ir­di­schen Zivi­li­sa­ti­on zu besie­gen, die das mensch­li­che Impe­ri­um zer­stö­ren möch­te. Es kom­men Klo­ne vor – und das Geheim­nis der Fir­men­grün­de­rin von Prime Inven­ti­ons, der Keim­zel­le des Impe­ri­ums, kommt ans Licht. Ein gelun­ge­ner Abschluss der Rei­he (und in gewis­ser Wei­se eine Aus­for­mu­lie­rung des Schiff-von-Theseus-Paradoxon). 

Noch ein brand­neu­es Buch: The Atlas Six von Oli­vie Bla­ke ist eben­falls gera­de erst erschie­nen. Gen­re: die Zau­be­rei­schu­le. Falls das inzwi­schen ein eigen­stän­di­ges Gen­re ist. Wobei hier die Bezü­ge eher in Rich­tung von Lev Gross­manns The Magi­ci­ans gehen. Die Zau­ber­lehr­lin­ge sind sechs jun­ge, nerdi­ge Erwach­se­ne, die aus­ge­wählt wur­den, einer magi­schen Geheim­or­ga­ni­sa­ti­on bei­zu­tre­ten, die auf den Wur­zeln der Biblio­thek von Alex­an­dria auf­ge­baut wur­de, und bis in die Jetzt­zeit exis­tiert. Fünf haben die Chan­ce, Mit­glied die­ser Grup­pe zu wer­den. Inso­fern ent­span­nen sich schnell Intri­gen, die Suche nach Bündnispartner*innen, die eine oder ande­re (bise­xu­el­le) Roman­ze … und in dem etwas hals­bre­che­ri­schen Schluss stellt sich her­aus, dass doch alles ganz anders ist, dunk­le Geheim­nis­se inklu­si­ve. Der Schluss ließ mich dann etwas unzu­frie­den zurück, hier fehlt der Fol­ge­band (erscheint im Okto­ber), um ein Urteil abge­ben zu kön­nen. Und ver­filmt wer­den soll das gan­ze auch. Das wie­der­um kann ich mir gut vor­stel­len, aber viel­leicht liegt genau dar­in auch das Pro­blem die­ser Geschichte. 

Gele­sen habe ich – weil ich in einem Arti­kel über anders funk­tio­nie­ren­de Son­nen­sys­te­me dar­auf gesto­ßen bin – auch Jean­nette Ngs Under the Pen­dulum Sun (2017). Die namens­ge­ben­de Pen­dels­on­ne beleuch­tet hier das Feen­rei­chen, bzw. taucht es ins Dunk­le. Das Buch spielt in einer vik­to­ria­ni­schen Zeit, in der eben die­ses Feen­reich als mög­li­che neue Kolo­nie des bri­ti­schen König­reichs ent­deckt wur­de. Im Mit­tel­punkt steht die Schwes­ter eines Mis­sio­nars, der in die­ses Reich gereist ist. Ins­ge­samt sehr düs­te­re Fan­ta­sy, die Feen­we­sen sind alles ande­re als freund­lich, und es bleibt oft unklar, was wahr und was nur Phan­tas­ma ist. Da es sich um Missionar*innen han­delt, dreht sich ein gro­ßer Teil des Buchs um theo­lo­gi­sche Fra­gen (haben Feen­we­sen eine See­le?), was einer­seits authen­tisch ist, mich aber ande­rer­seits eher abschreck­te. Viel­leicht feh­len mir da auch schlicht die kul­tu­rel­len Bezüge.

Ich kom­me gleich zu den Büchern, mit denen ich mehr anfan­gen konn­te. Vor­her aber noch ein kur­zer Blick auf Clau­die Arsene­ault und Bren­da J. Pier­sons Solar­punk-Antho­lo­gie Wings of Rene­wal (2015). Die­se Kurz­ge­schich­ten­samm­lung fand ich durch­wach­sen. Gemein­sa­mes Leit­mo­tiv der Geschich­ten ist zum einen eine Solar­punk-Ästhe­tik, zum ande­ren die Tat­sa­che, dass in irgend­ei­ner Form Dra­chen vor­kom­men, teils als mythi­sche Wesen, teils als Außer­ir­di­sche, teils als hal­be Maschi­nen oder bio­lo­gi­sche Raum­schif­fe. Solar­punk und Dra­chen pas­sen nicht immer gut zusam­men, manch­mal sind die Bezü­ge arg auf­ge­setzt und wenig orga­nisch. Da, wo sich die Dra­chen har­mo­nisch in die Solar­punk-Ästhe­tik ein­fü­gen – als Teil bio­lo­gi­scher Kreis­läu­fe bei­spiels­wei­se – , oder da, wo im Mit­tel­punkt eigent­lich Bezie­hun­gen und der solar­punk-typi­sche Blick auf klei­ne Wel­ten ste­hen, fin­den sich hier die bes­se­ren Geschich­ten; da, wo Dra­chen spi­ri­tu­ell auf­ge­la­de­ne bes­se­re Wesen­hei­ten sind, tat ich mich eher schwer. Oder, wie es in einer Kri­tik auf Good­reads heißt: bei man­chen Geschich­ten gab es das Gefühl, dass eine Check­lis­te abge­ar­bei­tet wur­de. Das kann ich teilen.

Gut gefal­len hat mir S.B. Divyas Machi­ne­hood (2021). Das Buch spielt in den 2090er Jah­ren, Gig Eco­no­my und smar­te Mate­rie durch­zie­hen den All­tag, eben­so wer­den über­all Nahe­zu-AIs ein­ge­setzt, die intel­li­gent genug sind, den Turing-Test zu bestehen, aber kein ech­tes Bewusst­sein zei­gen. Die Medi­zin ist weit fort­ge­schrit­ten – Krank­hei­ten und Ver­let­zun­gen las­sen sich hei­len. Und mit Hil­fe von Pil­len las­sen sich kör­per­li­che Fähig­kei­ten, Intel­li­genz, Fokus­siert­heit etc. on the fly ver­bes­sern. Kehr­sei­te: wer kei­ne Pil­len nimmt, kann im har­ten Wett­be­werb nicht mit­hal­ten. Das gan­ze spielt vor dem Hin­ter­grund einer von Kli­ma­wan­del etc. arg mit­ge­nom­me­nen Welt. Im Mit­tel­punkt ste­hen Wel­ga – die als (Show-)Bodyguard arbei­tet und beim Mili­tär war – und ihre Schwä­ge­rin Nithya, eine Ent­wick­le­rin. Die­se müh­sam zusam­men­ge­hal­te­ne Welt gerät aus den Fugen, als die titel­ge­ben­de „Machi­ne­hood“ auf­taucht und glei­che Rech­te für Robo­ter sowie das Ver­bot von Pil­len und AIs for­dert. Oder steckt jemand ande­res dahin­ter, das Kali­fat bei­spiels­wei­se? Ein dicht gepack­ter Thril­ler, dem viel­leicht manch­mal die Tie­fe fehlt.

Dann noch zwei deutsch­spra­chi­ge Bücher: von Tom Hil­len­brand habe ich Mon­te­cryp­to (2021) gele­sen. Wer sich an einer Viel­zahl von Info­dumps nicht stört – das Buch han­delt von Nerds ver­schie­dens­ter Art, inso­fern passt das – fin­det hier eine net­te Mischung aus Geld­theo­rie, Thril­ler und Ver­satz­stü­cken des Ein­sa­mer-Detek­tiv-Gen­res. Gut gemacht, und danach ist dann auch klar, was Bit­co­ins, Shit­co­ins und Tether sind. Und weil ich schon bei Hil­len­brand war, habe ich auch gleich noch den ers­ten Band sei­ner Kuli­na­rik-Kri­mi-Rei­he rund um den luxem­bur­gi­schen Koch Xavier Kief­fer gele­sen, Teu­fels­frucht (2011). Jetzt wür­de ich ger­ne Luxem­burg besu­chen und fand, obwohl ich als Vege­ta­ri­er damit gar nicht so viel anfan­gen kann, die eine oder ande­re Koch­kunst­be­schrei­bung in die­sem Kri­mi dann doch sehr … lecker und lehrreich. 

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