Ist es in diesen Zeiten angebracht, Unterhaltungsliteratur zu konsumieren und Filme und Serien anzuschauen? Oder vielleicht sogar notwendig, als Auszeit von der mehrfachen Krise, die sich rund um uns herum entfaltet?
Wie dem auch sei: ich habe in den letzten Wochen einiges gelesen und angeschaut, das sich zur Ablenkung eignet.
Bewegtbild waren v.a. Serien – die neue Staffel von „Disenchantment“ (Simpsons/Futurama meets so gut wie jedes Fantasy-Klischee und stellt es auf den Kopf) war überdreht, amüsant und stellenweise auch nachdenklich, dann allerdings auch schnell vorbei.
Dann habe ich die beiden aktuellen Star-Trek-Serien weitergeschaut: „Star Trek: Discovery“ kam in der vierten Staffel zu einem berührenden und angesichts der ganz großen Weltzerstörungsprämisse doch auch überzeugenden Ende, die fünfte soll, so ist es zu hören, episodischer erzählt werden. Vielleicht sind die ganz großen Spannungsbögen auch einfach auserzählt. Und vielleicht ist die Zerstörung ganzer Planeten etwas, das niemand gerade wirklich gerne sehen mag.
Die ersten drei Folgen der zweiten Staffel von „Star Trek: Picard“ waren … interessant. Nach der ersten Folge war ich mir nicht sicher, ob ich überhaupt weiterschauen will. Viel alt gewordene Bitterkeit, dann taucht Q auf, eine parallele Timeline, mal wieder was mit Zeitreisen und Paralleluniversen, langweilig … die zweite und dritte Folge haben mich dann allerdings gepackt. In der zweiten Folge sehen wir die faschistische Parallelwelt – und in der dritten Folge landet die Serie dann im Jahr 2024, also quasi übermorgen. Auch das ist im Star-Trek-Kosmos nicht ganz neu, aber doch mal ein etwas anderes Setting. Insofern bin ich gespannt, wie es hier weitergeht.
Zusammen mit meinen Kindern habe ich schließlich noch den hochgelobten Netflix-Film „The Adam Project“ angeschaut – und bin etwas unentschlossen, was ich davon halten soll. Der Zeitreise-Film ist gut gemacht und amüsant, die Vater-Sohn-Geschichte jedoch etwas arg stereotyp, und das Bild der Mutter von Adam lässt Fragen offen. Popcorn-Kino, bei dem man nicht zu genau hinschauen sollte, aber zumindest sind die Superhelden eher tolpatschig.
Aber eigentlich geht’s hier ja um gedruckte Science Fiction und Fantasy.
Da starte ich dann mit – positiv gemeint – Popcornliteratur. The Kaiju Preservation Society (2022) von John Scalzi ist schnell gelesen und sympathisch erzählt. Ein ganz kleines bisschen hat mich die Prämisse (Nuklearreaktoren und ‑explosionen lassen die Wände zwischen den Welten dünner werden, so dass es zu Übertritten kommen kann) an Stross erinnert; aber Scalzi bleibt insgesamt freundlicher und wandert trotz der titelgebenden Kaiju (Gozilla etc.) nie ins Horror-Genre. Was das Buch neben dem eigentlichen Plot interessant macht, ist die Tatsache, dass es in der Gegenwart spielt, d.h. die Corona-Pandemie ist allgegenwärtig, zumindest auf unserer Version der Erde. Damit dürfte das der erste SF-Roman sein, der die Pandemie direkt verarbeitet. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch das Nachwort, in dem Scalzi erklärt, warum er dieses Buch geschrieben hat, und nicht den tiefgründigen und vielschichtigen Roman, den er eigentlich schreiben wollte.
Der erwähnte Charles Stross hat mit Escape from Yokai Land (2022) eine Novelle aus der Laundry-Serie veröffentlicht. Auch hier geht es um japanische Monster – die manchmal ganz schön cute sein können, und dann umso grässlicher werden. Hello Kitty lässt Bob schön grüßen.
The Paradox Hotel (2022) von Rob Hart ist ein Zeitreiseroman ohne Zeitreisen – stattdessen sind wir mit den Geistern verschiedener aus den Fugen geratener Zeitebenen konfrontiert, die das große Luxushotel am Zeitreise-„Flughafen“ in Unruhe versetzen. Genau, Luxushotel – denn Zeitreisen sind hier eher eine Angelegenheit reicher Tourist*innen, natürlich unter behördlicher Aufsicht. Jetzt sollen sie ganz privatisiert werden – und verschiedene Superreiche ringen um den Zuschlag dafür, nicht immer mit lauteren Mitteln. Das ganze beobachten wir durch die Augen von January Cole, die für die Hotel-Security zuständig ist – und mit traumatisierenden Erfahrungen kämpft. Die Hinterbühne der Hotelorganisation erweist sich als richtiger Ort, um Morde unter superkapitalistischen Zeitreisenden aufzuklären. Der Autor kommt nicht aus dem Genre, das tut diesem Buch jedoch gut, denn das bringt eine frische Perspektive rein.
Klassische und gut gemachte Space-Opera dagegen Catalyst Gate (2022) von Megan E. O’Keefe, der dritte und abschließende Band ihrer Protektorat-Reihe. Es dauerte einen Moment, bis mir die Ereignisse der ersten zwei Bände wieder eingefallen sind. Im Mittelpunkt stehen weiterhin die Geschwister Sanda und Biran Greeve, die mit Hilfe einer AI und diversen Charakteren versuchen, die Wunderwaffe/künstliche Intelligenz einer außerirdischen Zivilisation zu besiegen, die das menschliche Imperium zerstören möchte. Es kommen Klone vor – und das Geheimnis der Firmengründerin von Prime Inventions, der Keimzelle des Imperiums, kommt ans Licht. Ein gelungener Abschluss der Reihe (und in gewisser Weise eine Ausformulierung des Schiff-von-Theseus-Paradoxon).
Noch ein brandneues Buch: The Atlas Six von Olivie Blake ist ebenfalls gerade erst erschienen. Genre: die Zaubereischule. Falls das inzwischen ein eigenständiges Genre ist. Wobei hier die Bezüge eher in Richtung von Lev Grossmanns The Magicians gehen. Die Zauberlehrlinge sind sechs junge, nerdige Erwachsene, die ausgewählt wurden, einer magischen Geheimorganisation beizutreten, die auf den Wurzeln der Bibliothek von Alexandria aufgebaut wurde, und bis in die Jetztzeit existiert. Fünf haben die Chance, Mitglied dieser Gruppe zu werden. Insofern entspannen sich schnell Intrigen, die Suche nach Bündnispartner*innen, die eine oder andere (bisexuelle) Romanze … und in dem etwas halsbrecherischen Schluss stellt sich heraus, dass doch alles ganz anders ist, dunkle Geheimnisse inklusive. Der Schluss ließ mich dann etwas unzufrieden zurück, hier fehlt der Folgeband (erscheint im Oktober), um ein Urteil abgeben zu können. Und verfilmt werden soll das ganze auch. Das wiederum kann ich mir gut vorstellen, aber vielleicht liegt genau darin auch das Problem dieser Geschichte.
Gelesen habe ich – weil ich in einem Artikel über anders funktionierende Sonnensysteme darauf gestoßen bin – auch Jeannette Ngs Under the Pendulum Sun (2017). Die namensgebende Pendelsonne beleuchtet hier das Feenreichen, bzw. taucht es ins Dunkle. Das Buch spielt in einer viktorianischen Zeit, in der eben dieses Feenreich als mögliche neue Kolonie des britischen Königreichs entdeckt wurde. Im Mittelpunkt steht die Schwester eines Missionars, der in dieses Reich gereist ist. Insgesamt sehr düstere Fantasy, die Feenwesen sind alles andere als freundlich, und es bleibt oft unklar, was wahr und was nur Phantasma ist. Da es sich um Missionar*innen handelt, dreht sich ein großer Teil des Buchs um theologische Fragen (haben Feenwesen eine Seele?), was einerseits authentisch ist, mich aber andererseits eher abschreckte. Vielleicht fehlen mir da auch schlicht die kulturellen Bezüge.
Ich komme gleich zu den Büchern, mit denen ich mehr anfangen konnte. Vorher aber noch ein kurzer Blick auf Claudie Arseneault und Brenda J. Piersons Solarpunk-Anthologie Wings of Renewal (2015). Diese Kurzgeschichtensammlung fand ich durchwachsen. Gemeinsames Leitmotiv der Geschichten ist zum einen eine Solarpunk-Ästhetik, zum anderen die Tatsache, dass in irgendeiner Form Drachen vorkommen, teils als mythische Wesen, teils als Außerirdische, teils als halbe Maschinen oder biologische Raumschiffe. Solarpunk und Drachen passen nicht immer gut zusammen, manchmal sind die Bezüge arg aufgesetzt und wenig organisch. Da, wo sich die Drachen harmonisch in die Solarpunk-Ästhetik einfügen – als Teil biologischer Kreisläufe beispielsweise – , oder da, wo im Mittelpunkt eigentlich Beziehungen und der solarpunk-typische Blick auf kleine Welten stehen, finden sich hier die besseren Geschichten; da, wo Drachen spirituell aufgeladene bessere Wesenheiten sind, tat ich mich eher schwer. Oder, wie es in einer Kritik auf Goodreads heißt: bei manchen Geschichten gab es das Gefühl, dass eine Checkliste abgearbeitet wurde. Das kann ich teilen.
Gut gefallen hat mir S.B. Divyas Machinehood (2021). Das Buch spielt in den 2090er Jahren, Gig Economy und smarte Materie durchziehen den Alltag, ebenso werden überall Nahezu-AIs eingesetzt, die intelligent genug sind, den Turing-Test zu bestehen, aber kein echtes Bewusstsein zeigen. Die Medizin ist weit fortgeschritten – Krankheiten und Verletzungen lassen sich heilen. Und mit Hilfe von Pillen lassen sich körperliche Fähigkeiten, Intelligenz, Fokussiertheit etc. on the fly verbessern. Kehrseite: wer keine Pillen nimmt, kann im harten Wettbewerb nicht mithalten. Das ganze spielt vor dem Hintergrund einer von Klimawandel etc. arg mitgenommenen Welt. Im Mittelpunkt stehen Welga – die als (Show-)Bodyguard arbeitet und beim Militär war – und ihre Schwägerin Nithya, eine Entwicklerin. Diese mühsam zusammengehaltene Welt gerät aus den Fugen, als die titelgebende „Machinehood“ auftaucht und gleiche Rechte für Roboter sowie das Verbot von Pillen und AIs fordert. Oder steckt jemand anderes dahinter, das Kalifat beispielsweise? Ein dicht gepackter Thriller, dem vielleicht manchmal die Tiefe fehlt.
Dann noch zwei deutschsprachige Bücher: von Tom Hillenbrand habe ich Montecrypto (2021) gelesen. Wer sich an einer Vielzahl von Infodumps nicht stört – das Buch handelt von Nerds verschiedenster Art, insofern passt das – findet hier eine nette Mischung aus Geldtheorie, Thriller und Versatzstücken des Einsamer-Detektiv-Genres. Gut gemacht, und danach ist dann auch klar, was Bitcoins, Shitcoins und Tether sind. Und weil ich schon bei Hillenbrand war, habe ich auch gleich noch den ersten Band seiner Kulinarik-Krimi-Reihe rund um den luxemburgischen Koch Xavier Kieffer gelesen, Teufelsfrucht (2011). Jetzt würde ich gerne Luxemburg besuchen und fand, obwohl ich als Vegetarier damit gar nicht so viel anfangen kann, die eine oder andere Kochkunstbeschreibung in diesem Krimi dann doch sehr … lecker und lehrreich.