„Nachhaltigkeit“ und „Digitalisierung“ sind zwei der großen Themen unserer Zeit. Insofern fand und finde ich es eine großartige Idee, die Schnittmenge zwischen diesen beiden Entwicklungen genauer zu beleuchten, wie dies mit der Konferenz „Bits und Bäume“ an diesem Wochenende in Berlin umgesetzt wurde.
Ich will jetzt gar keinen Konferenzbericht im üblichen Sinne schreiben. Es gab ungefähr 130 verschiedene Veranstaltungen, rund 1300über 1700 Leute waren da, und die TU Berlin verwandelte sich für zwei Tage in ein wuseliges Öko-Tech-Camp. Wer einzelne der Vorträge nachgucken will, kann diese auf der Medienseite des CCC finden – es lohnt sich durchaus, vom 8‑Minuten-„Sporangium“ bis zu den großen Podien und Panels. Und wer ganz knapp wissen möchte, warum das mit der Digitalisierung und der Nachhaltigkeit nicht so einfach ist, sollte sich die Eröffnungsvorträge von Tilman Santarius und von Lorenz Hilty anschauen. Ich verrate schon mal: Rebound-Effekte haben einiges damit zu tun.
Vorbereitet und getragen wurde die Bits und Bäume von der TU Berlin und neun Organisationen aus der Zivilgesellschaft, finanziert unter anderem durch die Deutsche Bundesstiftung Umwelt. Ein Blick auf die Organisationen im Trägerkreis weist schon auf ein Ungleichgewicht hin, das in der Konferenz selbst meines Erachtens nach deutlich spürbar war.
Im Trägerkreis vertreten waren zum einen ökologisch orientierte Verbände – der BUND und der Deutsche Naturschutzring – sowie das Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (mit der Forschungsgruppe Nachhaltigkeit und Digitalisierung als Nukleus). Dazu kamen mit Brot für die Welt und Germanwatch zwei eher im entwicklungspolitischen Arm der Nachhaltigkeitsbewegung verankerte Organisationen. Auch das möglicherweise eher unbekannte Konzeptwerk Neue Ökonomie aus Leipzig gehörte dem Trägerkreis an; das Konzeptwerk ist eng mit der Suffizienz- und Postwachstumsidee verbunden und organisiert u.a. die Degrowth-Sommerschulen.
Wer mitgezählt hat, findet hier vier große NGOs und zwei „Thinktanks“ aus der Nachhaltigkeitsszene, also „Bäume“. (Irgendwo muss ich nochmal loswerden, dass „Baum“ auch ein Fachbegriff aus der Informatik ist, der eine bestimmte Klasse von Datenstrukturen bezeichnet. Und weil ich keinen besseren Ort dafür gefunden habe, mache ich das hier …). In der Summe also sechs Bäume.
Die „Bits“, also die Digitalisierungsseite, war im Trägerkreis durch drei Organisationen vertreten: der Chaos Computer Club (CCC) als seit den 1980er Jahren bestehende Hacker-Vereinigung, das ebenso lange schon wirkende Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF) sowie die jüngere Open Knowledge Foundation Deutschland, die sich um Informationsfreiheit und offene Daten kümmert. Halb dazugezählt werden könnte noch netzpolitik.org als Medienpartner.
Das klingt erst einmal gut: auf der einen Seite ein breites Spektrum an Nachhaltigkeitsbewegten, auf der anderen Seite die technisch interessiere Welt mit ihrem Kampf für informationelle Selbstbestimmung, Datensicherheit und für einen verantwortlichen Umgang mit Technik. Dass es dabei eine gewisse Asymmetrie zwischen den Bäumen und den Bits gab, sei’s drum. Habituell auf beiden Seiten: das linksgrünsozialdemokratische Milieu, tendenziell akademisch und/oder protestantisch, vereint für das Gute.
Hier wird nun allerdings auch schon eine erste Leerstelle deutlich: Digitalisierung, der digitale Wandel, kommt bereits durch die Auswahl der Trägerkreisorganisationen bei der Bits und Bäume mit einer ganz spezifischen Zuschreibung daher, die irgendwo zwischen dem selbst Basteln und Tüfteln technischer Geräte und Programme, dem erhobenen Zeigefinger, was mit Algorithmen, Überwachung und Datensammeln alles passieren kann und der Bewegung für offene Daten (stellvertretend auch offene Quellcodes) verortet ist. Zentrale Forderung: informationelle Selbstbestimmung, zentraler Wunsch – wie es Constanze Kurz für den CCC sinngemäß bei der Eröffnung formulierte – „von den Ökos lernen, wie eine Bewegung so aufgestellt wird, dass sie überall ankommt und effektiv etwas bewegt“.
Im Konkreten des Kongressprogramms war damit dann auch schnell klar, wie die Grenzlinie zwischen Gut und Böse gezogen werden kann: datensammelnde globale Konzerne hier, lokale Initiativen mit Raspberry-Pi-Bastelei und „Gegenöffentlichkeit“ da. Entsprechend hieß einer der Workshops mit dem größten Zuspruch dann auch „Facebook zerschlagen“.
Gepaart mit dem starken Schwerpunkt bei Suffizienz und Postwachstum auf der Nachhaltigkeitsseite – und damit einem ganz bestimmten Bild des guten Lebens, gekennzeichnet durch Genügsamkeit und Zwischenmenschlichkeit – ergab sich dann ein Programm, dessen Schnittstelle im Lob der selbstverwalteten und selbstbestimmten Nische zu finden war aka „Digitale Suffizienz“. Oder, etwas zugespitzt: endlich gibt es auch eine ökologische Begründung für Datensparsamkeit – weil jeder Datenverkehr Strom verbraucht. Was ja auch stimmt, aber trotzdem ist es mir zu wenig.
Das klingt jetzt ziemlich negativ und wird der Bits und Bäume nicht wirklich gerecht. Das Progamm war spannend, insbesondere da, wo es konkret wurde – etwa in der Vorstellung von CoWorkLand, oder bei der Frage, wie Open-Source-Soft- und Hardware für eine solidarische Landwirtschaft genutzt werden kann, oder beim ganz konkreten Blick darauf, wo eigentlich die Ressourcen- und Energieverbräuche von Software und Websites herkommen. Und eine selbstbestimmte Aneignung von Technologie zu finden – auch das ist mir sehr sympathisch; nicht zuletzt deshalb, weil ich mich biografisch in beiden Bewegungen verorten würde. Und wenn das ganze dann noch auf einer schön gestalteten Konferenz stattfindet, mit Rampenplan-Volksküche, kulturellem Beiwerk und hübschen Lichteffekten – warum dann meckern?
Trotzdem. Was mir fehlte, war die direkte, produktive Auseinandersetzung mit den Akteuren, die Digitalisierung gestalten. Das ist, egal, ob mir das gefällt oder nicht, größtenteils die Wirtschaft. Die tauchte, soweit ich es wahrgenommen habe, nur randständig auf – die DBU als Sponsor berichtet über ihr Programm nachhaltig.digital, das Fairphone und posteo waren irgendwie präsent, und als Diskursgegenstand wurde selbstverständlich dauernd über Google und Microsoft oder auch über die Telekom gesprochen. (Und in ähnlicher Weise ließe sich das auch über die institutionelle Politik sagen, die ebenfalls eher ausgeblendet wurde …)
Wenn es stimmt, dass sämtliche Effizienzgewinne in der Chipgestaltung – immer kleinere und damit ressourcenärmere, immer sparsamere Chips – von zunehmenden Softwareanforderungen und der immer schnelleren Verbreitung der IT weltweit aufgefressen werden; wenn das Smartphone zum Wegwerfprodukt wird, das dazu beiträgt, einige Rohstoffe dramatisch knapp werden zu lassen und andere unter menschenunwürdigen Bedingungen zu extrahieren, zusammengebaut in ausbeuterischen Fabriken, ohne irgendeine Form der Mitbestimmung; wenn die Visionen „smarter“ Städte und „smarter“ Haushalte und „smarter“ Verkehrssysteme letztlich zu durchkommerzialisierten Neonwelten führen – warum dann nicht mit denen reden, die ein bestimmtes Bild von Digitalisierung propagieren und damit diese Entwicklungen vorantreiben?
Vielleicht ist die Vorstellung naiv, dass so ein Dialog produktiv sein könnte. Vielleicht ist eine Verständigung zwischen hohlen Hochglanzfloskeln auf der einen Seite und einem ganz bestimmten Bild des „guten Lebens“ auf der anderen Seite nicht möglich. Andererseits glaube ich, dass es kluge Formate geben könnte, in denen ein solcher Austausch organisiert werden könnte, der nicht bei Werbeversprechen stehen bleibt. Aber das hieße, sich ein bisschen aus der Nische (auch aus der Berliner Nische) herauszuwagen. Die Grenzlinien zwischen gutem Leben und smarter Zukunftsvision wären dann nicht mehr so klar gezogen.
Vielleicht wäre dann der Forderungskatalog der Trägerorganisationen auch etwas anders ausgefallen. So jedenfalls ist er so richtig wie erwartbar: ganz viel, was nachhaltige Digitalisierung sein soll und an welchen Zielen (frieden‑, umwelt‑, entwicklungspolitische) sie ausgerichtet sein soll (durch wen? wie?). Sie soll demokratische und emanzipatorische Potenziale stärken, digitale Monopole sollen kontrolliert werden, Datenschutz, Manipulationsfreiheit und informationelle Selbstbestimmung werden groß geschrieben, en kritischer Umgang mit Technik muss gelernt werden, die Länder des Südens sollen eigene Wege der Digitalisierung gehen können, Menschenrechte und Umweltstandards müssen durch die Technologiekonzerne gewährleistet werden, und Soft- und Hardware muss sicher, offen und reparierbar sein.
Wie gesagt – größtenteils sich das Forderungen, denen ich mich sofort anschließen kann. Anders als bei beispielsweise der Energiewende sind die globalen Abhängigkeiten und Vernetzungen hier aber größer, der Wandel auch der technologischen Basis schneller – AI, anyone? – die Gestaltungsspielräume durch Verbraucherentscheidungen kleiner. Deswegen vermute ich, dass der Rückfall auf die erprobten Handlungsmuster der neuen sozialen Bewegungen (Forderungskatalog, Kampagne, Boykott, Bewusstseinsbildung, Demonstration) hier nur begrenzt erfolgreich sein wird.
Digitalisierung so mit zu gestalten, dass die darin enthaltenen Potenziale für Mensch und Umwelt sich entfalten können, dass sie nicht zum nächsten großen festgefahrenen technologischen Lock-in wird, der in zwanzig Jahren dann mühsam „gewendet“ werden muss, heißt: jetzt Weichen zu stellen. Die werden in den, um den Begriff aufzunehmen, Technologiekonzernen, gestellt – und durch neue wirtschaftliche Akteure. Wo bleiben die Öko- und Sozial-start-ups?
Diese Weichen werden aber auch politisch gestellt. Im kleinen Maßstab geschieht das landes- und bundespolitisch, übrigens in sämtlichen Politikfeldern. Da geht es beispielsweise um Beschaffungsverordnungen und Ausführungsbestimmungen für Forschungsförderprogramme. Klingt furchtbar, kann aber etwas bewegen. Die eigentliche Arena ist hier jedoch die Europäische Union; schlicht deswegen, weil eine nationale Regulierung in vielen Fällen ins Leere greift. Im Mai 2019 finden die Europawahlen statt. Auch diese werden mit darüber entscheiden, ob der digitale Wandel nachhaltig und menschenfreundlich gestaltet werden kann oder nicht. Vielleicht ein Ansatzpunkt?
Dazu müsste es aber, als wirkmächtiges Gegenbild – und um diesen heißen Brei ist die Bits und Bäume ebenfalls eher herumgeschlichen – auch so etwas wie eine optimistische, positive Vision eines durch digitale Technik ermöglichten „guten Lebens“ geben – Entlastung von mühseliger Arbeit, Ermächtigung, Bereitstellung von angepasstem Wissen oder auch die Herstellung persönlicher Nähe über Entfernungen wären einige Stichworte, die mir dazu einfallen (nein, Linux und die lokale Bastellösung sind es nicht.) Konkret ließe sich das dann herunterbrechen: wie sieht das ökosmarte Energienetz aus, wie die digital gestützte Verkehrswende? Auch darüber wurde für meinen Geschmack viel zu wenig nachgedacht.
Warum blogge ich das? Weil ich länger überlegt habe, warum ich trotz zweier großer Themen, die mich schon lange umtreiben, bei der Bits und Bäume das Gefühl eines großen blinden Flecks hatte.
Hm, spannend. Ich hatte drueben drueber berichtet und mir taugte es recht gut – ich hab mit der klassischen Umweltbewegung bisher immer nur am Rande zu tun gehabt, und naeherte mich der Konferenz nach einem Jahr intensivem Kontakt im Abwehr-des-schlimmsten-Unsinn-Modus mit diversen Wirtschaftsleuten. Vielleicht ist das einfach notwendigerweise die Ausgangslage eines Prozesses fuer das Zusammenwachsen und Durchmischen der Bubbles?
Kann sein. Vom FIfF kam eine ähnliche Rückmeldung zu meinem Text – vielleicht bin ich schlicht zu ungeduldig ;-)
Danke für Deine Betrachtung der Bits und Bäume. Ja, ich glaube Du bist zu schnell mit Deinen Gedanken. Das war jetzt die erste Veranstaltung dieser Art. Wichtig, dass Menschen sich finden und nun vielleicht in beide Richtungen Denken. Die Schnittmengen bei der Entwicklung und beim Denken größer werden. Deine Gedanken sind wichtig für künftige Veranstaltungen.
Danke für die ausführliche Betrachtung! Sehr hilfreich für die Weiterentwicklung von Projekten an der Schnittstelle Digitalisierung/ Nachhaltigkeit.
Ich teile Deine Einschätzung, dass auch die Wirtschaft und Start-ups – auch und gerade die aus dem Feld KI, digitale Anwendungen – viel stärker in den Dialog einbezogen werden sollten. Die Chancen von Digitalisierung für die #mobilitaetswende (offene API Schnittstellen, Sharing-Dienstleistungen usw.) hat UnternehmensGrün gerade auf der Jahrestagung diskutiert. Wir stehen also auch gern als Sparringspartner zur Verfügung.
Danke Till für den differenzierten Bericht und besonders deine Gedanken zum aktuellen Gestaltungspotential vs. dem müheseligen Wenden in der Zukunft. Ich arbeite jetzt bei der Heinrich-Böll-Stiftung Schleswig-Holstein, die sich auch spezifisch mit den Fragen der Digitalisierung beschäftigt u.a. in Form des Projektes Coworkland. Komme bald direkt auf dich zurück :)