Wissenschaft in der wirklichen Welt

Zwi­schen OB-Wahl­kampf in Frei­burg und dem Besuch der re:publica in Ber­lin will ich doch noch die Gele­gen­heit nut­zen, ein paar Ein­drü­cke vom Real­la­bor-Sym­po­si­um zusam­men­zu­fas­sen, das letz­ten Frei­tag in Karls­ru­he stattfand.

Real­la­bo­re sind zumin­dest in bestimm­ten wis­sen­schafts­po­li­ti­schen Fel­dern und in der Nach­hal­tig­keits­for­schung ein fes­ter Begriff. Auf­bau­end auf Lehr-Lern-Pro­jek­ten etwa an der ETH Zürich fand das Kon­zept „Real­la­bor“ Ein­gang in die Emp­feh­lun­gen der von Wis­sen­schafts­mi­nis­te­rin The­re­sia Bau­er ein­ge­setz­ten Exper­ten­kom­mis­si­on „Wis­sen­schaft für Nach­hal­tig­keit“ – und wur­de dann auch prompt umge­setzt. Wenn ich mein Ver­ständ­nis von Real­la­bo­ren (oder, im inter­na­tio­na­len Dis­kurs: „real world labo­ra­to­ries“) zusam­men­fas­se, dann geht es dabei um For­schungs­pro­jek­te, in denen kon­kre­te (zumeist loka­li­sier­ba­re) Pro­ble­me gelöst wer­den, indem Wis­sen­schaft und Pra­xis – idea­ler­wei­se auf Augen­hö­he – die­se zusam­men defi­nie­ren (Ko-Design), Lösungs­an­sät­ze erpro­ben (Real­ex­pe­ri­men­te) und dar­aus ent­ste­hen­des Wis­sen wie­der in den wis­sen­schaft­li­chen Dis­kurs einspeisen.

Eine ers­te Kohor­te von sie­ben baden-würt­tem­ber­gi­schen Real­la­bo­ren star­te­te 2015, eine zwei­te folg­te 2016 („Real­la­bor Stadt“). Die Vor­ha­ben wer­den durch zwei Begleit­for­schungs­grup­pen unter­stützt (eine eher mit dem Fokus, über­grei­fen­de Erkennt­nis­se zusam­men­zu­fas­sen, eine eher aktiv invol­viert mit Schu­lun­gen, Sta­tus­work­shops und Bera­tung) und, da die ers­te För­der­pe­ri­ode von drei Jah­ren jetzt aus­ge­lau­fen ist, eva­lu­iert. Auch das u.a. durch das Sci­en­ti­fic Theat­re Frei­burg schön gestal­te­te und gut besuch­te Real­la­bor-Sym­po­si­um ist Teil die­ser Begleitung. 

Ich wer­de jetzt nicht auf die ein­zel­nen Vor­trä­ge und Impul­se (u.a. von Lucia Reisch, Uwe Schnei­de­wind, The­re­sia Bau­er) ein­ge­hen und auch nicht die viel­fäl­ti­gen, sich in einer Mes­se prä­sen­tie­ren­den Real­la­bo­re vor­stel­len. Viel­mehr möch­te ich auf­schrei­ben, was ich an über­grei­fen­den Erkennt­nis­sen und Fra­gen zu die­sem neu­ar­ti­gen For­schungs­for­mat mit­ge­nom­men habe.

Das betrifft ers­tens die Ver­or­tung von Real­la­bo­ren als Metho­de und For­schungs­for­mat. Wie erwähnt, sind sie aus den Emp­feh­lun­gen der Exper­ten­kom­mis­si­on „Wis­sen­schaft für Nach­hal­tig­keit“ her­aus ent­stan­den und ent­spre­chend an Nach­hal­tig­keits­for­schung gekop­pelt. Sie sind also – für Wis­sen­schaft zunächst ein­mal unüb­lich – expli­zit nor­ma­tiv unter­füt­tert, inso­fern es hier um Pro­blem­lö­sung im Sin­ne nach­hal­ti­ger Ent­wick­lung geht. Eine Debat­te auf dem Sym­po­si­um dreh­te sich um die Fra­ge, ob und in wie weit die­se Metho­de ver­all­ge­mei­ner­bar ist. Las­sen sich damit auch Pro­ble­me ange­hen, die nichts mit Nach­hal­tig­keit zu tun haben, solan­ge es um Gemein­wohl und eine bes­se­re Zukunft geht? Bedarf es der nor­ma­ti­ven Unter­füt­te­rung als Leit­stern, droht sonst Belie­big­keit? Oder ist sogar die Ori­en­tie­rung an Nach­hal­tig­keit gera­de eine Beson­der­heit der Real­la­bo­re, die sie von ver­gleich­ba­ren For­ma­ten der Kon­sum­for­schung oder der Sozio­lo­gie (etwa Akti­ons­for­schung) unterscheidet?

Eine zwei­te Debat­te, auf die im Sym­po­si­um immer wie­der Bezug genom­men wur­de, ist die Dop­pel- oder sogar Drei­fach­er­war­tung an die Real­la­bo­re. Sie sol­len Trans­for­ma­ti­ons­for­schung betrei­ben, sie sol­len trans­for­ma­ti­ve For­schung betrei­ben, und sie sol­len zu Wis­sen­schaft im Sinn von dis­zi­pli­nä­rer For­schung und Leh­re – Ver­öf­fent­li­chun­gen, Pro­mo­ti­ons­vor­ha­ben, Lehr­ver­an­stal­tun­gen – bei­tra­gen. Die Unter­schei­dung zwi­schen Trans­for­ma­ti­ons­for­schung und trans­for­ma­ti­ver For­schung habe ich dabei so ver­stan­den, dass „Trans­for­ma­ti­ons­for­schung“ For­schung dar­über ist, wie die gesell­schaft­li­che Trans­for­ma­ti­on im Sin­ne nach­hal­ti­ger Ent­wick­lung von stat­ten gehen kann, wäh­rend „trans­for­ma­ti­ve For­schung“ For­schung ist, die durch die For­schung selbst zu die­ser Trans­for­ma­ti­on beiträgt.

Die­se Mehr­fach­er­war­tung an Real­la­bo­re führt selbst­ver­ständ­lich zu Span­nun­gen. Ko-Design, offe­ne For­schungs­fra­gen und schei­tern­de Expe­ri­men­te kön­nen pro­ble­ma­tisch sein, wenn her­kömm­li­che Maß­stä­be von Wis­sen­schaft ange­legt wer­den. Akteu­re in Real­la­bo­ren sind gleich­zei­tig Expert*innen in der Sache und Aktivist*innen. Die­se Rol­len aus­ein­an­der zu hal­ten und zu sor­tie­ren, und mit den unter­schied­li­chen Anfor­de­run­gen, die dar­an gestellt wer­den, klar zu kom­men, ist, das wur­de deut­lich, nicht immer ein­fach. Die unter­schied­li­chen Real­la­bo­re schei­nen mir damit unter­schied­lich umge­gan­gen zu sein – eini­ge haben sich stär­ker in Rich­tung trans­for­ma­ti­ver Akti­vi­tä­ten geneigt, ande­re eher den (inter-)disziplinären Cha­rak­ter ihrer Arbeit her­vor­ge­ho­ben. Nahe­lie­gend, aber im Kon­flikt zu den Selbst­ver­ständ­lich­kei­ten des Wis­sen­schafts­sys­tems ste­hend, wäre eine inter­ne Rol­len­tei­lung zwi­schen aktivistischer/moderierenderen Rol­len einer­seits und wis­sen­schafts­nä­he­ren Rol­len andererseits. 

Drit­tens war – vor dem nor­ma­ti­ven Hin­ter­grund und vor den gera­de beschrie­be­nen Span­nun­gen – die Erwar­tung an die trans­for­ma­ti­ve Wir­kung der Real­la­bo­re ein The­ma. Das For­mat, Akteu­re aus der Pra­xis – inklu­si­ve der „Zivil­ge­sell­schaft“ – und Wis­sen­schaft gemein­sam auf die Lösung von Pro­ble­men los zu las­sen, scheint mir bei rela­tiv klar umris­se­nen, ört­lich begrenz­ten Pro­blem­stel­lun­gen gut zu funk­tio­nie­ren, wenn es etwa um Stadt­teil­ent­wick­lung geht, um loka­le Wirtschafts‑, Ener­gie- oder Ernäh­rungs­sys­te­me oder wie im Real­la­bor Nord­schwarz­wald um die Ent­wick­lung einer Regi­on. Noch nicht wirk­lich abseh­bar scheint mir hin­ge­gen, ob das hier pro­du­zier­te Wis­sen über den loka­len Fall hin­aus ska­lier­bar und anwend­bar ist. Real­la­bo­re eröff­nen – sys­te­ma­tisch beob­ach­te­te – Erfah­rungs- und Uto­pie­räu­me, und könn­ten dies auch noch stär­ker tun, auch das wur­de in der Ver­an­stal­tung gefor­dert. Ob und wie gut Real­la­bo­re funk­tio­nie­ren, wenn das Feld grö­ßer und abs­trak­ter wird, sagen wir: ein Real­la­bor „Grund­ein­kom­men“, scheint mir eine offe­ne Fra­ge zu sein. 

(Span­nend dürf­ten hier die Ergeb­nis­se des Real­la­bors „Stadt-Raum-Bil­dung“ sein, das in ver­schie­de­nen Städ­ten Schul­ar­chi­tek­tur als Grund­la­ge indi­vi­dua­li­sier­ten und koope­ra­ti­ven Ler­nens erforscht – Ein­zel­fall­op­ti­mie­rung oder über­trag­ba­re Ergebnisse?)

Damit ver­bun­den ist für mich die über­grei­fen­de Fra­ge, wel­chen Bei­trag Real­la­bo­re über­haupt zu sozi­al-öko­lo­gi­schen Trans­for­ma­ti­on bei­tra­gen kön­nen, d.h.: Wie viel Ver­än­de­rung fin­det auf Mikro- und Meso­ebe­ne statt, und wo wären öko­no­mi­sche oder poli­tisch-regu­lie­ren­de Ein­grif­fe auf der Makro­ebe­ne not­wen­dig, um Wirt­schaft und Gesell­schaft in Rich­tung der sozi­al-öko­lo­gi­schen Trans­for­ma­ti­on zu len­ken? Real­la­bo­re als Räu­me reflek­tier­tet loka­ler Erfah­rung lie­fern hier sicher einen wich­ti­gen Bei­trag, wenn es dar­um geht, Stell­schrau­ben zu iden­ti­fi­zie­ren und mög­li­che Lösun­gen im „Real­ex­pe­ri­ment“ aus­zu­tes­ten. Nach­hal­tig wirk­sam wer­den sie, befürch­te ich, jedoch erst, wenn über­ge­ord­net ein­ge­grif­fen wird.

Ein vier­tes The­ma des Sym­po­si­ums schließ­lich waren die Erfah­run­gen der Real­la­bor-Akteu­re mit den kon­kre­ten Bedin­gun­gen der baden-würt­tem­ber­gi­schen För­der- und Aus­schrei­bungs­be­din­gun­gen. Das über­schnei­det sich zum Teil mit den oben dar­ge­stell­ten in Span­nung zuein­an­der ste­hen­den Erwar­tun­gen. Dane­ben habe ich drei The­men­kom­ple­xe wahr­ge­nom­men: die För­der­dau­er bis hin zu einer mög­li­chen Ver­ste­ti­gung, die Fra­ge, wer und was über­haupt geför­dert wird, und die metho­do­lo­gi­sche Unterstützung. 

Die auf drei Jah­re ange­leg­te För­de­rung wur­de von vie­len Sei­ten als zu kurz ange­se­hen; auch wenn jetzt eini­ge weni­ge Real­la­bo­re eine Ver­län­ge­rung um wei­te­re zwei Jah­re erhal­ten, bleibt dies deut­lich hin­ter den 5+3 oder 4+4 Jah­ren, die im Sym­po­si­um im Raum stan­den. For­de­run­gen gin­gen dabei bis hin zu fünf­zig (!) Jah­ren oder gar einer dau­er­haf­ten Ver­ste­ti­gung der Real­la­bo­re. Hier wären dann aus mei­ner Sicht aller­dings die Gren­zen der Pro­jekt­för­de­rung erreicht, und die Insti­tu­tio­nen – am KIT scheint das zu gelin­gen – gefragt, an denen die Real­la­bo­re ange­sie­delt sind. Wäh­rend eine län­ge­re För­de­rung mit Blick auf die Pro­zes­se und Abläu­fe nach­voll­zieh­bar wirkt – eini­ge Zeit muss ja bei­spiels­wei­se für die Erar­bei­tung der For­schungs­fra­gen gemein­sam mit Pra­xis­ak­teu­ren auf­ge­wen­det wer­den, die Umset­zung und Eva­lu­ie­rung der Wir­kung von kon­kre­ten Ver­än­de­run­gen bracht Zeit – in ich skep­tisch, ob der Cha­rak­ter Real­la­bor zu einer Dau­er­för­de­rung passt. Wäre das noch ein Lang­zeit­ex­pe­ri­ment, wäre es ein insti­tu­tio­nel­ler Hafen für unter­schied­li­che Real­la­bor­pro­jek­te, oder doch eher so etwas wie wis­sen­schaft­lich unter­stütz­te Quartiersarbeit?

Was geför­dert wird, ist eben­falls eine span­nen­de Debat­te. Als For­schungs­för­de­rung waren die Aus­schrei­bun­gen des MWK Baden-Würt­tem­berg so auf­ge­setzt, dass eine Hoch­schu­le Haupt­an­trag­stel­le­rin war, die dann freie For­schungs­ein­rich­tun­gen, Kom­mu­nen und Pra­xis­part­ner mit ins Boot geholt hat. Geld­flüs­se direkt an Pra­xis­part­ner sind dage­gen bis­her nicht vor­ge­se­hen und wür­den der Logik der For­schungs­för­de­rung wider­spre­chen. Ande­rer­seits könn­te es aber durch­aus ziel­füh­rend sein, Gel­der direkt an die Pra­xis zu geben, die sich dafür dann „Wis­sen­schaft“ ein­kauft. Aber auch jen­seits die­ser grund­sätz­li­chen Fra­ge scheint es Pro­ble­me dahin­ge­hend gege­ben zu haben, wel­che Akti­vi­tä­ten inner­halb der Real­la­bo­re finan­ziert wer­den konn­ten und wel­che nicht.

Ein Ergeb­nis der Begleit­for­schung sind zwei Metho­den­hand­bü­cher für Real­la­bo­re. Auch hier­mit ver­bin­den sich m.E. wich­ti­ge Fra­gen. Im Sym­po­si­um ange­spro­chen wur­de die Not­wen­dig­keit, Wei­ter­bil­dun­gen für Real­la­bor-Akteu­re anzu­bie­ten. Zum Teil war dies wohl Bestand­teil der Begleit­for­schung; eine sys­te­ma­ti­sche Ver­an­ke­rung von Real­la­bor-Metho­den (und des theo­re­ti­schen Hin­ter­grunds der Real­la­bo­re) scheint es jedoch bis­her nicht zu geben. Dies könn­te dazu füh­ren, dass jedes neue För­der­vor­ha­ben „Real­la­bor“ sich die damit ver­bun­de­nen Abläu­fe und Metho­den immer wie­der neu aneig­nen und die­se aus­han­deln muss. Wäh­rend ein sol­cher Aus­hand­lungs- und Such­pro­zess sicher auch Vor­tei­le hat, könn­te ich mir vor­stel­len, dass eine – orga­ni­sa­to­risch ganz unter­schied­lich denk­ba­re – Insti­tu­tio­na­li­sie­rung von „Theo­rie und Metho­de des Real­la­bors“ in der Hoch­schul­land­schaft hilf­reich sein könn­te, um zum einen dezi­dier­te Real­la­bor-For­schungs­pro­jek­te zu unter­stüt­zen und um zum ande­ren die die­sem For­schungs­for­mat zugrun­de­lie­gen­den Ideen in den „nor­ma­len“ Wis­sen­schafts­be­trieb ein­flie­ßen zu las­sen, ohne in die Plas­tik­wort­fal­le belie­bi­ger Dehn- und Deut­bar­keit zu laufen.

Ins­ge­samt neh­me ich mit, dass der Impuls Real­la­bor als Wis­sen­schafts­in­no­va­ti­on Wur­zeln und Trie­be geschla­gen hat und eine Viel­falt an Früch­ten trägt. Wich­tig wäre aus mei­ner Sicht jetzt eine Wei­ter­ent­wick­lung und Ver­an­ke­rung die­ses For­mats im Sin­ne der eben skiz­zier­ten Über­le­gun­gen. Wich­tig wäre es aber auch, Wis­sen­schaft für Nach­hal­tig­keit nicht auf die­ses For­mat zu ver­kür­zen, son­dern zu über­le­gen, wel­che wei­te­ren Impul­se not­wen­dig sind. Die Emp­feh­lun­gen der Exper­ten­kom­mis­si­on – auch dar­auf wur­de im Sym­po­si­um ver­wie­sen – ent­hal­ten hier durch­aus noch wei­te­ren Stoff, den sich noch ein­mal anzu­gu­cken loh­nen könnte.

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