Ein Element der Digitalisierungsstrategie der (alten) Landesregierung war der Prozess „ShareBW“, bei dem Pionier*innen des digitalen Wandels im Mittelpunkt standen.
Wissenschaftsministerium und CyberForum Karlsruhe hatten dazu im letzten Jahr einen hochdotierten Wettbewerb veranstaltet, bei dem fünf Startups/Projeke ausgewählt und dann begleitet wurden. Heute fand unter dem Motto „Die Share Economy im digitalen Wandel“ dann der Abschlusskongress dazu statt, der Sharing Economy im Schnittpunkt von Digitalisierung und Nachhaltigkeit unter die Lupe nahm.
Leider musste Wissenschaftsministerin Theresia Bauer kurzfristig absagen, was ein weitgehend männerdominiertes Panel zurückließ. Der Kongress – im wunderbaren ZKM, eröffnet mit wie immer denk-würdigen Worten des Hausherren, Peter Weibel, zum Zusammenhang von Teilen und Kommunikation, Teilnehmern und Teilhabern, Kunst und (neuer) Ökonomie – war gut besucht und erfrischend moderiert (Markus Brock, SWR, 3sat, Arte). Der Ablauf war dagegen wenig innovativ – Grußworte, Vorstellung der Projekte, Keynote, Pause, drei parallele Panels nach dem Motto Vortrag, drei Fragen, Vortrag, drei Fragen, Vortrag, huch, unsere Zeit ist zu Ende, Pause, Vorstellung der Panelergebnisse, Keynote, Abschlussdiskussion (die ich mir geschenkt habe). Hier wäre m.E. mehr drin gewesen. Ich könnte mir vorstellen, dass beispielsweise Barcamp-Elemente noch stärker dazu beigetragen hätten, Startups aus dem IT-Bereich und die Nachhaltigkeitszene miteinander in Kontakt zu bringen.
Schade auch, dass es offensichtlich wenig Abstimmung zwischen den Vortragenden gab – Definitionsversuche, was denn nun Sharing Economy ist, allgemeine Schlagzeilen und Zahlen dazu wiederholte sich dann leider doch einige Male.
Spannend fand ich zum einen die Vorstellung der Gewinnerprojekte, zum anderen die Keynote von Jaron Lanier. Auch aus dem Rest des Programms habe ich den einen oder anderen Gedanken mitgenommen, so richtige Aha-Erlebnisse waren da allerdings nicht dabei.
Die fünf ausgewählten und begleiteten Projekte wurden in kurzen Videos vorgestellt – einmal im Herbst 2015, direkt nach dem Gewinn des Wettbewerbs, dann noch einmal im Frühjahr 2016, und live auf der Bühne schließlich im Talk zum heutigen Stand. Die Bandbreite der zum Teil aus studentischen Arbeiten heraus entwickelten Projekte reicht dabei vom ehrenamtlichen Verein („Sharewood Forest“ – Vermittlung von Zeltplätzen bei Waldeigentümer*innen, haben de Wettbewerbsgewinn dazu genutzt, ein Rechtsgutachten zum Zelten im Wald für alle 16 Bundesländer erstellen zu lassen) bis hin zum durchdesignten Mitfahr-Startup für Pendler*innen, das „Plätze“ bei „unseren Fahrern“ anmietet und vermittelt („Matchrider“) mit klarem Geschäftsmodell (und dem Ziel, Staus in der Region Stuttgart abzubauen. Auch „Store2Be“, ein B2B-Start-up, das leerstehende Teilflächen in Läden zur temporären Nutzung für die Präsentation neuer Produkte etc. vermittelt, ist klar auf der kommerziellen Seite der Sharing Economy angesiedelt. Irgendwo zwischen diesen Polen liegen „thangs“ (eine App zum Verleih von Gegenständen im Freundeskreis) und „Gartenpaten“ (kostenfreie Vermittlung zwischen Gartennutzer*innen und Gärten, die ihren Besitzer*innen über den Kopf wachsen, finanziert durch Dienstleistungen und Pakete „drumrum“).
Es war durchaus interessant zu sehen, wie die fünf Projekte sich entwickelt haben, wie sie sich präsentierten, und welche Aspekte aus dem weiten Feld der Sharing Economy sie jeweils darstellten. Allen gemeinsam ist – trotz Unterstützung durch das Preisgeld, Mentoring durch das CyberForum und eine gewisse mediale Aufmerksamkeit – dass die Projekte bisher noch recht klein sind. Stolz wurden Meilensteine wie die ersten hundert App-Abrufe, ein paar dutzend zu Stande gekommene Vermittlunge etc. präsentiert. Angesichts des Zeithorizonts des Wettbewerbs nicht verwunderlich, aber doch wieder einmal ein Hinweis darauf, dass (und hier geht es ja auch um den ökologischen Impact, um die Nachhaltigkeit) große Effekte nur mühsam zu erreichen sind.
Aus den Panel-Vorträgen (u.a. von Harald Heinrichs, Leuphana) habe ich unter anderem mitgenommen, dass bei allem Hype um Uber und AirBnB die Anteile an den jeweiligen Branchen doch noch recht gering sind. Insofern stimmt es wohl, dass Sharing Economy, auch wenn es das Konzept jetzt schon einige Jahre gibt, bisher – in den ganz unterschiedliche Ausformungen – bezogen auf ein Mehr an Nachhaltigkeit eher als Potenzial denn als fertige Lösung für ein Mehr an Nachhaltigkeit zu sehen ist. Dies wird auch deutlich, wenn auf empirische Studien zu den Nutzergruppen und möglichen Hemmnissen und Risiken zurückgegriffen wird. Entsprechend lässt sich auch der von Heinrichs gemachte Punkt verstehen, dass noch eine ganze Menge an Forschungsfragen – über die mögliche Ressourceneffizienz bis hin zu Fragen nach dem Sozialkapital und der Wettbewerbssituation – offen sind, und dass auch die Politik von der städtischen bis zur EU-Ebene gefragt ist, wenn es darum geht, eher im ehrenamtlichen und sozialen Spektrum der Sharing Economy befindliche Projekte zu unterstützen bzw. zu ermöglichen. Dies kann beispielsweise über eine Auflistung von Gemeinschaftsprojekten auf einer städtischen Website der Fall sein. Bezogen auf kommerziell ausgerichtete Projekte stellt sich dagegen die Frage nach den faktischen Unterschieden zu ältere Geschäftsmodellen (sei es der kommerzielle Landmaschinenverleih, sei es die Vermietung von Ferienwohnungen) und nach einem möglichen neuen Regulierungsbedarf.
Festhalten möchte ich auch eine im Panel I geäußerte (dort aber nicht weiter diskutierte) Frage: Gerade im gemeinnützigen Bereich muss geschaut werden, ob es wirklich um dezidierte Apps und Websites mit dem dahinter stehenden Aufwand an Gestaltung, Benutzerführung und dann letztlich doch wieder einem Geschäftsmodell geht, oder ob nicht bestehende Plattformen mit großen Nutzerzahlen – als Beispiel wurde eine Verschenk-Facebook-Gruppe in Heidelberg genannt, genauso gut könnten aber auch Freecycling-Mailinglisten herangezogen werden – nicht letztlich einen viel größeren Effekt haben.
Nicht zuletzt stellt sich die Frage, wann es um direkt messbare Effekte hinsichtlich der Ressourceneffizienz geht, und wann es eher darum geht, Raum für neue Erfahrungen zu öffnen. Thomas Wagner (Wuppertal) schlug dazu in seinem Vortrag vor, soziale Milieus (aus der UBA-Umweltbewusstseinsstudie) mit jeweils anschlussfähigen sozialen Innovationen (UBA-Leitfaden) zu verbinden.
Die Betonung der Erfahrungen, um nachhaltige Lebensstile anschlussfähig zu machen, scheint mir ein wichtiger Aspekt zu sein. Jenny Lay-Kumar und ich kommen in unserem Paper zu Urban Gardening und ähnlichen Praxisformen zu ähnlichen Schlussfolgerungen.
Womit wir bei den Experimenten und damit bei Jaron Lanier waren. Denn das – die Aufforderung, mit unterschiedlichen Lebenssituationen zu experimentieren, Dinge auszuprobieren (auch VR und Social Media), aber sich auch auf Abenteuer einzulassen (auch die Zeit ohne Smartphone und Facebook oder Snapchat), stand am Schluss von Laniers Keynote.
Lanier, bodenlange Dreads, geht nicht zum Redepult am Rand der Bühne, sondern spontan zum Tischchen in der Bühnenminute, mitten im Scheinwerferlicht, nimmt das dort liegende Mikro und beginnt, in sich ruhend, zu plaudern. Entschuldigt sich dafür, dass er manchmal komplizierte Wörter verwendet, fragt, ob wir sein Englisch verstehen und erzählt dann – sehr verständlich, freundlich und mit einem Schuss Selbstironie – davon, wem die Zukunft gehört. Von seiner Zeit als VR-Pionier, als das noch niemand machte. Dass er persönlich Technik immer noch faszinierend finde, dass er nichts gegen Google habe – viele da kenne, auch seine Firma an Google verkauft habe – aber dass er sich doch Sorgen mache, dass das mit dem offenen Netz ein Fehler gewesen sei.
Mir hat das gefallen, auch weil ich – angesichts der Lanier-Rezeption in Deutschland – eher Kronzeugentum und beißende Fundamentalkritik erwartet hatte. Laniers Problembeschreibung ist radikal, geht an die Fundamente des Netzes, ist aber nicht bissig, sondern weise und pragmatisch. Im Kern geht es ihm darum, dass ein offenes Netz und ungleich verteilte Rechenkapazitäten einen Mechanismus in Gang setzen, bei dem diejenigen mit den größten Rechenzentren nach und nach immer mehr an Macht gewinnen. Es bildet sich eine Zentrum-Peripherie-Struktur mit allen damit verbundenen Abhängigkeiten und Problemen. Gleichzeitig baut die Stärke der Plattformen des Kerns – etwa Google – auf „content“ und Daten auf, die andere ins Netz stellen – unbezahlte Arbeit.
Auch wer diese Analyse nicht zu 100% teilt, wird doch sehen müssen, dass sie nicht ganz falsch ist. Was also tun? In seiner Keynote ging Lanier einige Ideen dazu durch. Ein bedingungsloses Grundeinkommen klingt erstmal gut, aber – da schlägt die kalifornische Ideologie durch – wird es nicht zu Korruption bei den Behörden führen, die es vergeben? Zudem würden Firmen es schlicht in ihre Kalkulationen einpreisen, der Markt sich an einer neuen, jetzt höheren Nulllinie ausrichten.
Idee zwei: Google und Co. verstaatlichen – klappt auch nicht so richtig, letztlich würde das Machtproblem nur von Firmen auf Behörden verschoben.
Bleibt Laniers eigener Vorschlag: unsere Daten mit Preisen versehen (teils selbstbestimmt, teils nach einem recht kompliziert anmutenden algorithmischen Modell), und damit eine direkte Beteiligung am Mehrwert erzielen, den der rechenstarke Kern daraus erzielt.
Ganz überzeugt hat mich dieser Lösungsansatz nicht. Privacy als Markt klingt interessant, faktisch würde so etwas dann aber eher auf ein umfassendes Leistungsschutzrecht hinauslaufen, mit dem Intermediäre ihre Position erhalten wollen, ohne Empowerment von datengenerierenden Nutzer*innen. Trotzdem ist – um zum Thema Sharing Economy zurückzukommen – der Hinweis auf Akkumulations- und Monopolbildungseffekte wichtig. Oder anders gesagt: auf die Notwendigkeit von rechtlicher Regulierung da, wo Sharing in einem unebenen Feld marktförmig organisiert ist. Offenheit erzeugt nicht automatisch gleiche Chancen, sondern kann unterschiedliche Voraussetzungen – und damit Machtpositionen – auch verdecken.
Insofern war ShareBW, trotz aller Kritikpunkte im Detail, ein wichtiges Forum. Gut, dass das Land hier aktiv geworden ist – und hoffentlich ein Thema, dass in der Digitalisierungsstrategie weiter bearbeitet wird.
Warum blogge ich das? Um einige Beobachtungen mal festzuhalten und zu schauen, was weiter damit geschieht.