Vielleicht verzerrt mein persönlicher Erfahrungshintergrund (Akademiker, bisher an der Uni und in der Politik tätig) hier meine Wahrnehmung, aber ich finde die Forderung der Arbeitgeber, vom Achtstundentag abzurücken, zumindest in Teilen nachvollziehbar.
Die Forderung taucht ja im Kontext der Digitalisierungsdebatte auf, aber eigentlich ist Digitalisierung hier nur ein Bestandteil eines größeren und schon seit einigen Jahrzehnten laufenden Trends, der unter der Überschrift „Flexibilisierung der Arbeit“ steht. (Und auch die Debatte um den „Arbeitskraftunternehmer“ passt hier hervorragend …). Letztlich geht es um eine Veränderung dessen, was als „Arbeitskraft“ auf dem Arbeitsmarkt gehandelt wird: Weg vom Zurverfügungstellen physischer und psychischer Arbeitskraft für definierte Zeiträume – da machen gesetzliche Regulierungen der Arbeitszeit viel Sinn – hin zur weitgehend eigenverantwortlichen Erbringung bestimmter Ergebnisse mit weiten Spielräumen hinsichtlich Arbeitszeit, Arbeitsort und verwendeter Methoden und Kompetenzen. Formal zumindest weiterhin angestellt, aber mit einem Charakter von Arbeit, der einige Gemeinsamkeiten mit Alleinselbstständigen aufweist.
Digitale Werkzeuge erleichtern diese Entkopplung – und tragen dazu bei, dass die Nachfrage nach der zweiten Art von Arbeitskraft steigt, und dass bestehende Berufsbilder transformiert werden. Dieser Prozess ist durchaus ambivalent – steigende Autonomie und steigende Freiräume auf der einen Seite, unfreiwillige Verantwortungsübernahme und die Gefahr der räumlichen und zeitlichen Entgrenzung von Arbeit auf der anderen Seite. Auch hier bleibt politische Regulation notwendig – an die Stelle des starren Achtstundentages treten für diese Berufe und Branchen jetzt Monats- und Jahresarbeitszeitkonten, Kernzeitdefinitionen und Regeln zur Begrenzung der Erreichbarkeit, um gern in Kauf genommene Selbstausbeutung zu verhindern.
Ich unterschreibe diese Forderung sofort. Auch als Arbeitnehmer wollte ich teilweise gerne länger als zehn Stunden arbeiten und an anderen Tagen dann entsprechend weniger. Dazu kommt, dass es teilweise beruflich sogar notwendig (oder zumindest sehr sinnvoll) ist.
In der Gastronomie muss man dann nicht zwangsläufig die Gäste nach einer Zehn-Stunden-Schicht rausschmeißen, sondern kann – wenn man sich fit genug fühlt – auch noch 1–2 Stunden ranhängen und ein anderes Mal dann kürzer arbeiten. Für eine Stunde noch jemand anderen kommen zu lassen, macht ja keinen Sinn.
Ich hab auch ein bisschen auf Facebook darüber diskutiert (unter einem ZEIT-Artikel, glaub ich). Dort hat leider so gut wie niemand der Gegner wirklich über dieses Thema (Flexibilisierung) diskutiert. Es kamen immer nur Argumente gegen eine Ausweitung der maximalen Arbeitszeit insgesamt (also mehr pro Woche oder Monat). Aber darum geht es doch in der Debatte gar nicht. Finde ich traurig, wenn so diskutiert wird.
Apropos: Ich habe mich sehr über die intensive und bei aller gegenseitigen Kritik konstruktive Debatte auf Facebook zu diesem kurzen Diskussionsaufschlag gefreut – schade nur, dass das hinter Facebooks Wänden stattfindet …