Links, zwei, drei

2014 pol compass

Die Debat­te dar­um, ob Bünd­nis 90/Die Grü­nen eine lin­ke Par­tei sind – was für mich lan­ge eine Selbst­ver­ständ­lich­keit war – dreht mal wie­der auf. In die­sem Blog­bei­trag will ich zunächst ver­su­chen, die unter­schied­li­chen Ebe­nen zu sor­tie­ren, auf denen die­se Fra­ge dis­ku­tiert wird.

1. Was ist über­haupt links? Das Links-Rechts-Sche­ma hat ja eine ziem­lich alte Tra­di­ti­on, bis hin zu Sitz­ord­nun­gen in den Par­la­men­ten nach der fran­zö­si­schen Revo­lu­ti­on. Es gibt eine gan­ze Rei­he Ver­su­che, aus dem ein­di­men­sio­na­len Links-Rechts-Ver­lauf ein mehr­di­men­sio­na­les Sche­ma zu machen. Bekannt ist der Poli­ti­cal Com­pass; hier wird zwi­schen einer „links“ und „rechts“ gela­bel­ten wirt­schafts­po­li­ti­schen und einer zwi­schen „liber­tär“ (also frei­heit­lich) und „auto­ri­tär“ auf­ge­spann­ten zwei­ten Dimen­si­on unter­schie­den. Grü­ne lan­den dabei ziem­lich kon­sis­tent im wirt­schafts­po­li­tisch-lin­ken und gesell­schafts­po­li­tisch-liber­tä­ren Quadranten. 

Oben ist der Poli­ti­cal Com­pass für die Bun­des­tags­wahl 2013 dar­ge­stellt; ich neh­me an, dass hier­zu die Par­tei­pro­gram­me aus­ge­wer­tet wurden. 

Auf­fäl­lig ist, dass der links-auto­ri­tä­re Qua­drant (DKP?) leer und der rechts-liber­tä­re Qua­drant fast leer ist. Die grö­ße­ren deut­schen Par­tei­en las­sen sich viel­mehr wun­der­bar auf einer Per­len­ket­te auf­fä­deln, die als Gera­de andeu­tet, dass die bei­den Dimen­sio­nen, die der Poli­ti­cal Com­pass unter­schei­det, in der deut­schen Par­tei­en­land­schaft korrelieren. 

Dabei lässt sich über die eine oder ande­re Irri­ta­ti­on treff­lich strei­ten: bei­spiels­wei­se ist „Die Lin­ke“ hier noch etwas liber­tä­rer als wir Grü­ne. Und der Abstand Grü­ne-SPD ist fast genau­so groß wie SPD-CDU. 

Wer den Poli­ti­cal Com­pass selbst machen will, kann dies online tun, indem er/sie eine Rei­he von Fra­gen zu poli­ti­schen und welt­an­schau­li­chen Hal­tun­gen beant­wor­tet. Ich lan­de dabei immer (mit gewis­sen Abwei­chun­gen zwi­schen den Jah­ren) tief im links­li­ber­tä­ren Feld, also noch deut­lich lin­ker und deut­lich liber­tä­rer als der Punkt „Grü­ne“ oben. 

Jeden­falls wäre, die­sem Tool zufol­ge, „links­li­ber­tär“ als der eine Pol poli­ti­scher Hal­tun­gen Poli­tik, die miss­trau­isch gegen­über (gro­ßen) Kon­zer­nen ist, die Unge­rech­tig­keit bekämp­fen will, und die sich gleich­zei­tig für ein gro­ßes Maß indi­vi­du­el­ler Frei­hei­ten (etwa bezüg­lich Sexua­li­tät, Dro­gen­ge­brauch) ein­setzt. Grü­ne und Lin­ke sind – im Mit­tel – klar an die­sem Pol ver­or­tet, die SPD liegt etwa in der Mit­te des poli­ti­schen Spek­trums (steht also, je nach Deu­tung, für gute Kom­pro­mis­se oder für Ori­en­tie­rungs­lo­sig­keit), und am rech­ten Rand fächert es sich etwas auf zwi­schen AFD und Uni­on einer­seits, die stär­ker auto­ri­tär ori­en­tiert sind, und der FDP mit etwas liber­tä­re­ren Positionen.

2. Sind Grü­ne links? Die zwei­te Fra­ge, die sich in die­ser Debat­te unmit­tel­bar anschließt, ist die Fra­ge danach, ob Grü­ne links sind. Von der Geschich­te der Par­tei – mit der Abspal­tung der Rechts­kon­ser­va­ti­ven um Gruhl in die ÖDP – und vom Pro­gramm her scheint das klar so zu sein. Sowohl bezo­gen auf die wirt­schafts­po­li­ti­sche Dimen­si­on als auch bezo­gen auf die gesell­schafts­po­li­ti­sche Ach­se ste­hen Grü­ne als Par­tei klar links der Mit­te. Wir wen­den uns gegen die Ver­ant­wor­tungs­lo­sig­keit eines völ­lig frei­en Mark­tes und gegen die Idee, dass der Staat es schon rich­ten wird. Das passt gut zum eman­zi­pa­to­ri­schen Men­schen­bild, das ich zumin­dest als Teil des grü­nen Wer­te­kerns sehe. (Die „Neue Lin­ke“ der 1960er Jah­re lässt als Ahn­frau grüßen …)

Gleich­zei­tig ist auf bei­den Ach­sen noch Raum für extre­me­re Posi­tio­nen – inso­fern ver­wun­dert es nicht, dass eine Sei­te, die Grü­nen den Sta­tus als lin­ke Par­tei ger­ne abspricht, Tei­le der Bewe­gung sind, lin­ke Abspal­tun­gen oder eben Par­tei­en wie die LINKE, die mit Ver­weis auf Hartz IV, Kriegs­ein­sät­ze und eine gene­rel­le Wirt­schafts­freund­lich­keit behaup­ten, Grü­ne als links zu bezeich­nen sei Etikettenschwindel.

Die Fra­ge, ob Grü­ne links sind, hat aller­dings noch einen ande­ren Aspekt. Schließ­lich sind wir pri­mär eine Par­tei der Nach­hal­tig­keit und der Öko­lo­gie. Da spielt – getreu dem alten, blö­den Spruch „weder links noch rechts, son­dern vor­ne“ – weder die wirt­schafts­po­li­ti­sche noch die gesell­schafts­po­li­ti­sche Ach­se eine Rol­le; wer die Welt ret­ten will, wird zu allen Mit­teln grei­fen, die die­ses Ziel beför­dern. Und Natur- und Umwelt­schutz lässt sich sowohl kon­ser­va­tiv als auch pro­gres­siv als poli­ti­sches Ziel definieren.

Ich sehe das etwas anders. Ers­tens sind wir kei­ne rei­ne Öko­par­tei, auch wenn Nach­hal­tig­keit sicher­lich unse­re stärks­te und wich­tigs­te Kar­te ist. Und zwei­tens sind wir, glau­be ich, eher eine Nach­hal­tig­keits- als eine Natur­schutz­par­tei, d.h. die Gerech­tig­keits­aspek­te im eige­nen Land, aber auch glo­bal, aber auch zwi­schen den Gene­ra­tio­nen, die Nach­hal­tig­keit aus­ma­chen, kön­nen nicht ein­fach bei­sei­te gewischt werden.

Das waren jetzt Aus­sa­gen über die Par­tei ins­ge­samt. Trotz diver­ses Abspal­tun­gen sind wir – man­che spre­chen von „klei­ner Volks­par­tei“ – intern eine rela­tiv hete­ro­ge­ne Par­tei, in der durch­aus wider­sprüch­li­che Hal­tun­gen gedul­det wer­den. Nicht nur die Struk­tu­rie­rung in zwei Flü­gel ist ein Zei­chen hier­für, auch ein­zel­ne, z.T. durch­aus pro­mi­nen­te, Per­so­nen ste­hen klar für Posi­tio­nen, die eher am Rand der „Mei­nungs­wol­ke“ der Par­tei lie­gen. Dies betrifft ins­be­son­de­re die klas­si­sche wirt­schafts­po­li­ti­sche Achse.

3. Machen Grü­ne lin­ke Poli­tik? Das ist die im Ver­gleich zur vor­he­ri­gen Fra­ge deut­lich kniff­li­ge­re Fra­ge. Es scheint mir eine gan­ze Rei­he von typisch grü­nen Poli­tik­fel­dern auf kom­mu­na­ler und auf Lan­des­ebe­ne zu geben, bei denen links oder rechts nicht wirk­lich eine Rol­le spielt. Bebau­ungs­plä­ne, Rad­we­ge, Stutt­gart 21, … – was genau hier die lin­ke oder die rech­te Posi­ti­on aus­macht, ist gar nicht so ein­fach zu sagen. Ein dif­fu­ses „für die Klei­nen“ und „Gerech­tig­keit“ kann auch bei sol­chen The­men eine Rol­le spie­len – Wohn­raum, Miet­preis­ent­wick­lung, wer kann sich wel­ches Ver­kehrs­mit­tel leis­ten – aber letzt­lich wird hier nicht nach links oder rechts entschieden. 

Ent­spre­chend wenig aus­ge­prägt – und das gilt wohl ins­be­son­de­re für Baden-Würt­tem­berg – ist bei vie­len Kom­mu­nal- und Lan­des­po­li­ti­ke­rIn­nen der Wunsch, sich als links oder als rechts darzustellen. 

Oder, um ein Bun­des­the­ma zu neh­men, die Ener­gie­wen­de: Es ist nicht links, Bran­den­burg abzu­bag­gern (DIE LINKE), es ist nicht links, die Arbeits­plät­ze in der Ener­gie­bran­che nach vor­ne zu schie­ben (SPD), und es ist auch nicht links, eher auf klei­ne, von unten wach­sen­de Bür­ger­kraft­wer­ke zu set­zen als auf gro­ße Kon­zer­ne (Grü­ne). Oder?

Deut­lich wird hier jeden­falls, dass die ins­ge­samt real­po­li­ti­scher ein­ge­färb­te Par­tei – was ich jetzt nicht als Ori­en­tie­rung an einer Strö­mung mei­ne, son­dern als Aus­sa­ge zum Ver­hält­nis zum Kon­kre­ten und zur Uto­pie – zumin­dest zu einem Teil in Fel­dern agiert, die mit links und rechts zunächst ein­mal wenig zu tun haben, und die auch nicht durch die gesell­schafts­po­li­ti­sche Ach­se erfasst wer­den. Für vie­le machen aber gera­de die­se Fel­der grü­ne Poli­tik aus.

4. Soll­te grü­ne Poli­tik links sein? Alle paar Jah­re – 2009, 2011, 2014, … – wird dis­ku­tiert, ob wir uns nicht mehr der Mit­te zuwen­den sol­len. Oder, anders gesagt: ein­zel­ne Rea­los und Rea­las – und hier dann als Flü­gel gemeint – plä­die­ren öffent­lich dafür, dass wir doch kon­ser­va­ti­ver wer­den müss­ten. Oder wirt­schafts­freund­li­cher. Um neue Wäh­ler­schich­ten zu erreichen.

Ich fin­de die­se Fra­ge gar nicht so ein­fach zu beant­wor­ten. Auf der einen Sei­te bin ich sehr fest davon über­zeugt, dass wir uns an der rich­ti­gen Stel­le im poli­ti­schen Spek­trum befin­den, und dass es, wenn über­haupt, nicht dar­um gehen kann, rechts Wäh­le­rIn­nen zu gewin­nen, die uns dann links ver­lo­ren gehen, son­dern nur um eine Aus­wei­tung. Auch per­sön­lich gibt es eine gan­ze Rei­he von Posi­tio­nen, die ich auf kei­nen Fall auf­ge­ben möch­te, und die – etwa im Bereich indi­vi­du­el­ler Frei­hei­ten – vie­len als links gel­ten. Ange­spro­chen sei hier etwa die Debat­te um Alko­hol­ver­bo­te auf öffent­li­chen Plätzen.

Auf der ande­ren Sei­te sehe ich durch­aus, dass ein Teil der baden-würt­tem­ber­gi­schen Erfol­ge etwas damit zu tun hat, dass hier ein Kurs gefun­den wur­de, der nah an den Men­schen ist, der Wirt­schaft zunächst ein­mal posi­tiv bewer­tet, und der nicht vor unge­wöhn­li­chen Bünd­nis­sen zurück­scheut, um grü­ne Zie­le zu errei­chen. Wir sind hier, um es mal so aus­zu­drü­cken, deut­lich weni­ger sozi­al­de­mo­kra­tisch als Grü­ne in eini­gen ande­ren Bun­des­län­dern. Und das scheint in der Sum­me durch­aus erfolgs­ver­spre­chend zu sein.

Bei­de Posi­tio­nen beschrei­ben ein Span­nungs­feld, dass wir in der Par­tei immer wie­der aus­han­deln müs­sen. Ein­zel­ne Zei­tungs­ar­ti­kel ein­zel­ner Ober­bür­ger­meis­ter sind da nicht wirk­lich hilf­reich; idea­ler­wei­se soll­te der Ort für die­se Aus­hand­lung in der Par­tei und nicht in den Medi­en liegen.

Damit kom­me ich zur letz­ten Frage: 

5. Sol­len wir uns als lin­ke Par­tei dar­stel­len? Pro­gram­ma­tisch sind wir eine links­li­ber­tä­re Par­tei, auch wenn vie­le typi­sche grü­ne Hand­lungs­fel­der nicht durch die bei­den Ach­sen links/rechts und libertär/autoritär bemes­sen wer­den kön­nen. Zugleich weckt ein Labe­l­ing als „links“ jedoch Erwar­tun­gen, die wir nicht erfül­len, weil ein geer­de­ter grü­ner Poli­tik­an­satz vom Hier und Jetzt aus­geht, und schaut, was unter den gege­be­nen Rah­men­be­din­gun­gen (ich sage nur Haus­halt …) mög­lich ist, statt die­se Rah­men­be­din­gun­gen in Fra­ge zu stel­len. Zudem ist offen, was eigent­lich für Asso­zia­tio­nen mit dem Eti­kett „links“ ver­bun­den wer­den. Ich kann damit leben, wenn wir inhalt­lich eine lin­ke und liber­tä­re Par­tei blei­ben, das aber im Mar­ke­ting und in der Außen­wir­kung nicht her­aus­stel­len. Auch dazu ist es aller­dings wenig hilf­reich, alle paar Jah­re öffent­li­che Debat­ten um die­se Fra­ge zu führen.

War­um blog­ge ich das? Weil ich – im zwei­ten Anlauf und nach inten­si­ver Face­book-Dis­kus­si­on – dann doch mal ver­su­chen woll­te, die­se Debat­te für mich zu ordnen.

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