Die Debatte darum, ob Bündnis 90/Die Grünen eine linke Partei sind – was für mich lange eine Selbstverständlichkeit war – dreht mal wieder auf. In diesem Blogbeitrag will ich zunächst versuchen, die unterschiedlichen Ebenen zu sortieren, auf denen diese Frage diskutiert wird.
1. Was ist überhaupt links? Das Links-Rechts-Schema hat ja eine ziemlich alte Tradition, bis hin zu Sitzordnungen in den Parlamenten nach der französischen Revolution. Es gibt eine ganze Reihe Versuche, aus dem eindimensionalen Links-Rechts-Verlauf ein mehrdimensionales Schema zu machen. Bekannt ist der Political Compass; hier wird zwischen einer „links“ und „rechts“ gelabelten wirtschaftspolitischen und einer zwischen „libertär“ (also freiheitlich) und „autoritär“ aufgespannten zweiten Dimension unterschieden. Grüne landen dabei ziemlich konsistent im wirtschaftspolitisch-linken und gesellschaftspolitisch-libertären Quadranten.
Oben ist der Political Compass für die Bundestagswahl 2013 dargestellt; ich nehme an, dass hierzu die Parteiprogramme ausgewertet wurden.
Auffällig ist, dass der links-autoritäre Quadrant (DKP?) leer und der rechts-libertäre Quadrant fast leer ist. Die größeren deutschen Parteien lassen sich vielmehr wunderbar auf einer Perlenkette auffädeln, die als Gerade andeutet, dass die beiden Dimensionen, die der Political Compass unterscheidet, in der deutschen Parteienlandschaft korrelieren.
Dabei lässt sich über die eine oder andere Irritation trefflich streiten: beispielsweise ist „Die Linke“ hier noch etwas libertärer als wir Grüne. Und der Abstand Grüne-SPD ist fast genauso groß wie SPD-CDU.
Wer den Political Compass selbst machen will, kann dies online tun, indem er/sie eine Reihe von Fragen zu politischen und weltanschaulichen Haltungen beantwortet. Ich lande dabei immer (mit gewissen Abweichungen zwischen den Jahren) tief im linkslibertären Feld, also noch deutlich linker und deutlich libertärer als der Punkt „Grüne“ oben.
Jedenfalls wäre, diesem Tool zufolge, „linkslibertär“ als der eine Pol politischer Haltungen Politik, die misstrauisch gegenüber (großen) Konzernen ist, die Ungerechtigkeit bekämpfen will, und die sich gleichzeitig für ein großes Maß individueller Freiheiten (etwa bezüglich Sexualität, Drogengebrauch) einsetzt. Grüne und Linke sind – im Mittel – klar an diesem Pol verortet, die SPD liegt etwa in der Mitte des politischen Spektrums (steht also, je nach Deutung, für gute Kompromisse oder für Orientierungslosigkeit), und am rechten Rand fächert es sich etwas auf zwischen AFD und Union einerseits, die stärker autoritär orientiert sind, und der FDP mit etwas libertäreren Positionen.
2. Sind Grüne links? Die zweite Frage, die sich in dieser Debatte unmittelbar anschließt, ist die Frage danach, ob Grüne links sind. Von der Geschichte der Partei – mit der Abspaltung der Rechtskonservativen um Gruhl in die ÖDP – und vom Programm her scheint das klar so zu sein. Sowohl bezogen auf die wirtschaftspolitische Dimension als auch bezogen auf die gesellschaftspolitische Achse stehen Grüne als Partei klar links der Mitte. Wir wenden uns gegen die Verantwortungslosigkeit eines völlig freien Marktes und gegen die Idee, dass der Staat es schon richten wird. Das passt gut zum emanzipatorischen Menschenbild, das ich zumindest als Teil des grünen Wertekerns sehe. (Die „Neue Linke“ der 1960er Jahre lässt als Ahnfrau grüßen …)
Gleichzeitig ist auf beiden Achsen noch Raum für extremere Positionen – insofern verwundert es nicht, dass eine Seite, die Grünen den Status als linke Partei gerne abspricht, Teile der Bewegung sind, linke Abspaltungen oder eben Parteien wie die LINKE, die mit Verweis auf Hartz IV, Kriegseinsätze und eine generelle Wirtschaftsfreundlichkeit behaupten, Grüne als links zu bezeichnen sei Etikettenschwindel.
Die Frage, ob Grüne links sind, hat allerdings noch einen anderen Aspekt. Schließlich sind wir primär eine Partei der Nachhaltigkeit und der Ökologie. Da spielt – getreu dem alten, blöden Spruch „weder links noch rechts, sondern vorne“ – weder die wirtschaftspolitische noch die gesellschaftspolitische Achse eine Rolle; wer die Welt retten will, wird zu allen Mitteln greifen, die dieses Ziel befördern. Und Natur- und Umweltschutz lässt sich sowohl konservativ als auch progressiv als politisches Ziel definieren.
Ich sehe das etwas anders. Erstens sind wir keine reine Ökopartei, auch wenn Nachhaltigkeit sicherlich unsere stärkste und wichtigste Karte ist. Und zweitens sind wir, glaube ich, eher eine Nachhaltigkeits- als eine Naturschutzpartei, d.h. die Gerechtigkeitsaspekte im eigenen Land, aber auch global, aber auch zwischen den Generationen, die Nachhaltigkeit ausmachen, können nicht einfach beiseite gewischt werden.
Das waren jetzt Aussagen über die Partei insgesamt. Trotz diverses Abspaltungen sind wir – manche sprechen von „kleiner Volkspartei“ – intern eine relativ heterogene Partei, in der durchaus widersprüchliche Haltungen geduldet werden. Nicht nur die Strukturierung in zwei Flügel ist ein Zeichen hierfür, auch einzelne, z.T. durchaus prominente, Personen stehen klar für Positionen, die eher am Rand der „Meinungswolke“ der Partei liegen. Dies betrifft insbesondere die klassische wirtschaftspolitische Achse.
3. Machen Grüne linke Politik? Das ist die im Vergleich zur vorherigen Frage deutlich kniffligere Frage. Es scheint mir eine ganze Reihe von typisch grünen Politikfeldern auf kommunaler und auf Landesebene zu geben, bei denen links oder rechts nicht wirklich eine Rolle spielt. Bebauungspläne, Radwege, Stuttgart 21, … – was genau hier die linke oder die rechte Position ausmacht, ist gar nicht so einfach zu sagen. Ein diffuses „für die Kleinen“ und „Gerechtigkeit“ kann auch bei solchen Themen eine Rolle spielen – Wohnraum, Mietpreisentwicklung, wer kann sich welches Verkehrsmittel leisten – aber letztlich wird hier nicht nach links oder rechts entschieden.
Entsprechend wenig ausgeprägt – und das gilt wohl insbesondere für Baden-Württemberg – ist bei vielen Kommunal- und LandespolitikerInnen der Wunsch, sich als links oder als rechts darzustellen.
Oder, um ein Bundesthema zu nehmen, die Energiewende: Es ist nicht links, Brandenburg abzubaggern (DIE LINKE), es ist nicht links, die Arbeitsplätze in der Energiebranche nach vorne zu schieben (SPD), und es ist auch nicht links, eher auf kleine, von unten wachsende Bürgerkraftwerke zu setzen als auf große Konzerne (Grüne). Oder?
Deutlich wird hier jedenfalls, dass die insgesamt realpolitischer eingefärbte Partei – was ich jetzt nicht als Orientierung an einer Strömung meine, sondern als Aussage zum Verhältnis zum Konkreten und zur Utopie – zumindest zu einem Teil in Feldern agiert, die mit links und rechts zunächst einmal wenig zu tun haben, und die auch nicht durch die gesellschaftspolitische Achse erfasst werden. Für viele machen aber gerade diese Felder grüne Politik aus.
4. Sollte grüne Politik links sein? Alle paar Jahre – 2009, 2011, 2014, … – wird diskutiert, ob wir uns nicht mehr der Mitte zuwenden sollen. Oder, anders gesagt: einzelne Realos und Realas – und hier dann als Flügel gemeint – plädieren öffentlich dafür, dass wir doch konservativer werden müssten. Oder wirtschaftsfreundlicher. Um neue Wählerschichten zu erreichen.
Ich finde diese Frage gar nicht so einfach zu beantworten. Auf der einen Seite bin ich sehr fest davon überzeugt, dass wir uns an der richtigen Stelle im politischen Spektrum befinden, und dass es, wenn überhaupt, nicht darum gehen kann, rechts WählerInnen zu gewinnen, die uns dann links verloren gehen, sondern nur um eine Ausweitung. Auch persönlich gibt es eine ganze Reihe von Positionen, die ich auf keinen Fall aufgeben möchte, und die – etwa im Bereich individueller Freiheiten – vielen als links gelten. Angesprochen sei hier etwa die Debatte um Alkoholverbote auf öffentlichen Plätzen.
Auf der anderen Seite sehe ich durchaus, dass ein Teil der baden-württembergischen Erfolge etwas damit zu tun hat, dass hier ein Kurs gefunden wurde, der nah an den Menschen ist, der Wirtschaft zunächst einmal positiv bewertet, und der nicht vor ungewöhnlichen Bündnissen zurückscheut, um grüne Ziele zu erreichen. Wir sind hier, um es mal so auszudrücken, deutlich weniger sozialdemokratisch als Grüne in einigen anderen Bundesländern. Und das scheint in der Summe durchaus erfolgsversprechend zu sein.
Beide Positionen beschreiben ein Spannungsfeld, dass wir in der Partei immer wieder aushandeln müssen. Einzelne Zeitungsartikel einzelner Oberbürgermeister sind da nicht wirklich hilfreich; idealerweise sollte der Ort für diese Aushandlung in der Partei und nicht in den Medien liegen.
Damit komme ich zur letzten Frage:
5. Sollen wir uns als linke Partei darstellen? Programmatisch sind wir eine linkslibertäre Partei, auch wenn viele typische grüne Handlungsfelder nicht durch die beiden Achsen links/rechts und libertär/autoritär bemessen werden können. Zugleich weckt ein Labeling als „links“ jedoch Erwartungen, die wir nicht erfüllen, weil ein geerdeter grüner Politikansatz vom Hier und Jetzt ausgeht, und schaut, was unter den gegebenen Rahmenbedingungen (ich sage nur Haushalt …) möglich ist, statt diese Rahmenbedingungen in Frage zu stellen. Zudem ist offen, was eigentlich für Assoziationen mit dem Etikett „links“ verbunden werden. Ich kann damit leben, wenn wir inhaltlich eine linke und libertäre Partei bleiben, das aber im Marketing und in der Außenwirkung nicht herausstellen. Auch dazu ist es allerdings wenig hilfreich, alle paar Jahre öffentliche Debatten um diese Frage zu führen.
Warum blogge ich das? Weil ich – im zweiten Anlauf und nach intensiver Facebook-Diskussion – dann doch mal versuchen wollte, diese Debatte für mich zu ordnen.
Eine Antwort auf „Links, zwei, drei“