Die Zombiepartei

Whitewater III

Unlängst ver­mu­te­te ich ja noch, dass die Pira­ten es bei der Euro­pa­wahl schaf­fen wür­den, die dort gel­ten­de Drei-Pro­zent-Hür­de zu kna­cken; viel­leicht, das ent­schei­det sich Ende des Monats, kommt die Euro­pa­wahl sogar ganz ohne eine sol­che Hür­de aus. Aber zurück zu den Pira­ten: Wenn ich mir die Dis­kus­sio­nen der letz­ten Tage so anschaue, dann muss ich die­se Ein­schät­zung doch revi­die­ren. Es wirkt so, als hät­te die­se Par­tei kom­plett ihren Kom­pass ver­lo­ren. Oder, noch etwas zuge­spit­zer: als wür­den wir der Hül­le einer einst leben­di­gen Par­tei dabei zuse­hen, wie sie untot durch die Gegend stakst.

Eine etwas vor­teil­haf­te­re Deu­tung der Debat­ten, die aktu­ell rund um die oran­ge­far­be­ne Par­tei statt­fin­den, wäre die einer Rich­tungs­klä­rung. In irgend­ei­nem Tweet der letz­ten Tage wur­de der Ver­gleich zu Farb­beu­tel­wür­fen und Was­ser­pis­to­len auf grü­nen Par­tei­ta­gen gezo­gen. Das (also die inner­grü­ne Aus­ein­an­der­set­zung um Kriegs­ein­sät­ze) ist his­to­risch mei­nes Erach­tens nicht ganz die rich­ti­ge Parallele. 

Wer sich die grü­ne Par­tei­ge­schich­te anschaut, wird in den ers­ten Jah­ren nach der Grün­dung Zei­ten fin­den, in denen es in der Tat um eine Klä­rung der Fra­ge ging, was eigent­lich grün ist. Die­se ähn­lich hef­tig geführ­ten Aus­ein­an­der­set­zun­gen in den 1980er Jah­ren ende­ten mit zwei Spal­tun­gen: zunächst wan­der­ten die ganz Kon­ser­va­ti­ven in die ÖDP ab, und spä­ter dann der Flü­gel um Jut­ta Dit­furth in Rich­tung „Öko­linx“. Die bei­den Abspal­tun­gen exis­tie­ren zwar noch immer, sind aber heu­te doch weit­ge­hend bedeu­tungs­los. Mit die­sen Abwan­de­run­gen (und spä­ter noch ein­mal mit der Ver­ei­ni­gung mit Bünd­nis 90) waren letzt­lich auch Ent­schei­dun­gen über das grü­ne Selbst­ver­ständ­nis ver­bun­den – was grün ist, und was nicht grün ist, dass die Grü­nen doch eher links der Mit­te ste­hen, aber durch­aus kom­pro­miss­be­reit sind – und dass posi­ti­ve Bezü­ge auf eine natio­nal­kon­ser­va­ti­ve Blut- und Boden­ideo­lo­gie nicht grün sind. 

Mit die­ser Selbst­de­fi­ni­ti­on sind die inner­par­tei­li­chen Rich­tungs­strei­tig­kei­ten genau so wenig zum Erlie­gen gekom­men wie der Pro­zess der per­ma­nen­ten eige­nen Neu­erfin­dung hin­sicht­lich der Fra­ge, was grün ist – aktu­ell an der Wie­der­an­eig­nung des Frei­heits­be­grif­fes schön zu sehen. Aber ein grund­le­gen­der Kom­pass wur­de hier doch im Code der Par­tei ver­an­kert, und der hilft bis heu­te, grü­ne Iden­ti­tät zu leben und zu kommunizieren.

Womit wir wie­der bei der oran­ge­far­be­nen Par­tei wären. Bei der scheint mir in den letz­ten Tagen deut­lich gewor­den zu sein, dass eben nicht klar ist, wofür die­se Par­tei steht. Inner­par­tei­li­che Aus­ein­an­der­set­zun­gen wer­den vom Stil her irgend­wo zwi­schen Sand­kas­ten­streik und Resis­tance-auf-den-Bar­rikka­den geführt. Auf Twit­ter wir­ken vie­le der Akteu­re die­ser Par­tei so, als sei­en sie der­zeit in den Aus­tausch schlimms­ter per­sön­li­cher Anschul­di­gun­gen ver­wi­ckelt, mit der gan­zen damit ver­bun­de­nen Palet­te an Befindlichkeiten. 

Netz­po­li­tik scheint Pira­ten nicht mehr zu inter­es­sie­ren, auch wenn sie mit Snow­den, TTIP und der Netz­neu­tra­li­täts­de­bat­te eigent­lich mal wie­der ganz oben auf der Tages­ord­nung ste­hen müss­te, aber ande­res auch nicht. Dass in weni­ger als 100 Tagen eine Euro­pa­wahl statt­fin­det, bei­spiels­wei­se. Statt des­sen wer­den Fett­näp­fe gesucht. Die unto­te Par­tei­hül­le eig­net sich wun­der­bar, um das jeweils eige­ne Ver­sa­gen in der Aus­ein­an­der­set­zung um inner­par­tei­li­che Domi­nanz auf die ande­re Sei­te zu pro­ji­zie­ren. Bei­trä­ge wer­den nicht mehr gezahlt, es kommt zu pro­mi­nen­ten Aus­trit­ten, und selbst da, wo Pira­ten in Land­ta­gen sit­zen, kommt von dem, was sie dort tun, irgend­wo an. Übrig blei­ben rat­lo­se Beob­ach­te­rIn­nen vor der Hül­le einer Par­tei, die irgend­wie die Kur­ve nicht gekriegt hat.

Ach ja, und ganz beson­ders reiz­voll ist ja – da haben Men­schen aus der Pira­ten­par­tei selbst schon genug zu gesagt – der „Orga­streik“. Eine Par­tei, die sich dafür rühmt, moder­ne netz­ba­sier­te Tools für ihre Kom­mu­ni­ka­ti­on ein­zu­set­zen, die auch ger­ne mal dafür wirbt, dass ande­re ihre tol­le Infra­struk­tur nut­zen sol­len – und die dann von den eige­nen (ehren­amt­li­chen?) Admins bestreikt wird, ist schon eine lus­ti­ge Sache. Irgendwie. 

Mein Job ist es jetzt nicht, der Pira­ten­par­tei Rat­schlä­ge zu geben. Bei eini­gen Men­schen aus die­ser Par­tei den­ke ich mir, dass sie auch in ande­ren Par­tei­en gut auf­ge­ho­ben wären. Dahin­lo­cken las­sen sie sich aber wohl nicht. Ande­re wür­de ich bei uns lie­ber nicht sehen wollen.

Viel­leicht rap­peln sich die Pira­ten wie­der auf. Viel­leicht ist das, was wir gera­de sehen, eine durch die Dyna­mik sozia­ler Medi­en kata­ly­sier­te, beschleu­nig­te und ver­mehr­fach­te Vari­an­te der Selbst­fin­dungs­pha­sen, die ande­re Par­tei­en auch schon durch­ge­macht haben. Ob am Schluss eine moder­ne Grund­rechts­par­tei, eine sozi­al­li­be­ra­le Par­tei oder ein loses Bünd­nis von Pro­test­ak­teu­ren her­aus­kommt, bleibt abzu­war­ten. Wenn ich mir anschaue, dass eini­ge doch erheb­lich Enga­ge­ment in die­se oran­ge­far­be­ne Par­tei gesteckt haben, wäre den Pira­ten eine Renais­sance nach die­ser Pha­se durch­aus zu wün­schen – auch wenn sie aus klas­si­scher par­tei­po­li­ti­scher Sicht natür­lich zunächst ein­mal eine Kon­kur­renz dar­stel­len. Aber die belebt bekannt­lich das Geschäft.

War­um blog­ge ich das? Weil mich der mas­si­ve Nie­der­gang der Pira­ten, der sich – aus mei­ner exter­nen Sicht – in den letz­ten Tagen noch ein­mal deut­lich beschleu­nigt hat, doch etwas wundert.

5 Antworten auf „Die Zombiepartei“

  1. die the­se mit der beschleu­nig­ten und ver­mehr­fach­ten selbst­fin­dungs­pha­se fin­de ich inter­es­sant. zen­tra­les pro­blem scheint mir die Ort­lo­sig­keit der Pira­ten zu sein. es feh­len orte, an denen man sich außer­halb von Par­tei­ta­gen trifft und Gemein­sam­keit erfährt (die akw-bau­plät­ze, die frie­dens­de­mos…). es feh­len orte, an denen man Poli­tik machen kann (die zu ver­hin­dern­de Umge­hungs­stra­ße, der zu erhal­ten­de Park, das besetz­te Haus…), an denen sich eine kom­mu­nal­po­li­ti­sche Agen­da aus­bil­den kann. Das führt dazu, dass neben den Par­tei­ta­gen der vir­tu­el­le Raum der mai­ling­lis­ten, mum­bles, wikis und der gan­zen tol­len pira­ten­tools (und natür­lich twit­ter) der ein­zi­ge genu­in poli­ti­sche Ort die­ser Par­tei ist, an dem sich alles ballt (ver­mehr­fa­chung 1) aber auch neben­ein­an­der her­läuft, ohne das Posi­tio­nen abge­gli­chen wer­den kön­nen (ver­mehr­fa­chung 2).

  2. Du hast eigent­lich alles gesagt, was ich auch den­ke – ich hab grad gar kei­ne Zeit zum blog­gen zwi­schen Hei­zungs­kauf, Fami­lie und Leben organisieren.
    Was den Pira­ten fehlt, ist eine oder meh­re­re Per­so­nen mit Stahl­kraft, die sie führt, die ihnen klar machen kann, was geht und was nicht geht. Der Nie­der­gang kam mit Mari­na Weis­bands Weg­gang – sie, die sie zusam­men­ge­hal­ten hat und die Flü­gel besänf­tigt hat­te. Die­se Lücke konn­te nie­mand schlie­ßen. Und ich sehe nie­man­den, der das tun würde.
    So ärger­lich das für mich ist, als Basis­de­mo­krat: es geht nicht ohne Köp­fe. Und die feh­len den Pira­ten. Vor allem die­je­ni­gen, die einen, von denen, die tren­nen und pola­ri­sie­ren, haben sie genü­gend. Und das merkt man nun. Scha­de um ein wirk­lich tol­les Parteiprojekt

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