Mit der Politik ist das ja so eine Sache. Nicht immer sind Argumente dafür entscheidend, was richtig und was falsch ist. Es geht ja auch um Interessen, jedenfalls meistens. Aber kluge politische Handlungen lassen sich zumeist doch als solche identifizieren.
Noch lieber als Klugheit ist mir allerdings Mut als politische Kategorie. Was jetzt nicht missverstanden werden darf: Nicht jedes mutig angegangene oder mutig umgesetzte politische Vorhaben ist richtig. Und es gibt natürlich neben der Kategorie des alltäglichen Mutes in der Politik, um den es mir hier geht, noch den außeralltäglichen Mut, der mit existenziellen Risiken verbunden ist. Der Mut, in Diktaturen für seine oder ihre Meinung einzustehen, sowas in die Richtung. Oder den Mut, mit einem Haufen Geheimdienstdokumenten ins Exil zu gehen.
Was aber ist Mut als politische Kategorie in einer stinknormalen Demokratie? Was macht ein politisches Vorhaben zu einem mutigen Vorhaben? Die Frage ist nicht so trivial, wie sie zunächst scheinen mag, weil ein Vorhaben als solches eigentlich überhaupt nicht über Mutigkeit als Eigenschaft verfügen kann. Trotzdem ergibt das Adjektiv Sinn und wird auch verwendet. So halbwegs systematisch nachgedacht, gehören zu Mut in der Politik drei Dinge. Erstens eine klare, authentische Haltung (also das, was der Ministerpräsident gerne als politischen Kompass bezeichnet). Eine klare Haltung alleine ist aber noch nicht mutig. Das trifft erst dann zu, wenn diese Haltung von relevanten und für den Politiker oder die Politikerin wichtigen Gruppen nicht geteilt wird. Als Grüne ist es zunächst einmal nicht mutig, gegen Gentechnik zu sein – als Biologieprofessor schon. Oder andersherum.
Die Haltung muss also mit dem Risiko verbunden sein, Interessengruppen gegen sich aufzubringen, potenzielle WählerInnen abzuschrecken, Bündnispartner zu verlieren. Als drittes würde ich sagen, gehört zu einer mutigen politischen Handlung ein Moment des Neuen. Ein Schritt in unbekanntes Terrain, ein Unternehmen, das bisher nicht ausprobiert wurde, ein Tritt gegen die Wand des „so und nicht anders wird das schon immer gemacht“.
Eine klare Haltung, erwartbare Widerstände und Risiken, und ein Moment des Neuen – das beschreibt für mich ganz gut, wann politische Vorhaben mutig sind. Und dann müssen sie, viertens, natürlich auch umgesetzt werden. Auch dann, wenn der Gegenwind härter wird, und wohlmeinende Strateginnen und Strategen davon abraten, weiterzugehen.
Gleichzeitig heißt das auch, das Mut vom Kontext abhängt. Ob eine politische Handlung mutig ist, hat auch damit zu tun, wer sie ausführt. Nixon in China, auf eine politische Formel gebracht. Wobei da natürlich, andererseits, auch mitschwingt, dass es einfacher ist, mutig zu sein, wenn mit der mutigen politischen Handlung keine vorhandenen Vorurteile bestärkt werden. Zum Mut gehört auch der Bruch mit den Erwartungen; vielleicht ist ein solches Vorhaben nur dann „stehbar“.
Jetzt konkreter zu werden, wäre gefährlich. So mutig bin ich nicht. Aber mir fallen spontan eine ganze Reihe politischer Entscheidungen in den letzten Monaten an, die gut hinsichtlich der Frage diskutiert werden könnten, ob sie mutig waren oder nicht.
Mehr Mut in der Politik? Ich fordere das gerne, aber klar ist auch, dass es nicht geht, immer mutig zu sein. Auch hier kommt noch einmal die handelnde Person ins Spiel. Wer immerzu alle gegen sich aufbringt, wird letztlich weniger erreichen als jemand, der oder die es schafft, Vertrauen herzustellen – und dann, auf der Grundlage dieses Vertrauens, mutig voranzugehen.
Warum blogge ich das? Als selbstkritische Auseinandersetzung mit meiner Begriffsverwendung.
P.S.: „Man wird doch wohl noch sagen dürfen“ ist übrigens in den seltensten Fällen mutig – sondern meist nur ein Rückgriff auf die Lufthoheit der Stammtische.