Merkels Mobiltelefon, menschliche Bedürfnisse und die Allgegenwart der Risiken

Phone

Ange­la Mer­kel, das ist doch die Kanz­le­rin, die ger­ne SMS von der Regie­rungs­bank ver­schickt. Das fällt mir jetzt wie­der ein, wo das #mer­kel­pho­ne zum Hash­tag von Rang auf­ge­stie­gen ist. 

Jetzt, nach der Bun­des­tags­wahl, nach Beginn der Koali­ti­ons­ver­hand­lun­gen und nach der Ent­las­sung (und kom­mis­sa­ri­schen Fort­füh­rung des Amtes) taucht im Licht der Öffent­lich­keit auf, dass Mer­kel eine der Staats­chefin­nen und Regie­rungs­chefs ist, die vom US-Geheim­dienst NSA abge­hört wird (wie die FAZ weiß, auf dem für Regie­rungs­din­ge genutz­tem Par­tei­han­dy). Eine wei­te­re Spät­fol­ge der Snow­den-Ent­hül­lun­gen. Viel­leicht – ich bin mir da noch nicht sicher – der Aus­lö­ser dafür, dass das The­ma Über­wa­chung neu ent­flammt und zu tat­säch­li­chen poli­ti­schen Ver­än­de­run­gen führt. Schließ­lich ist Mer­kel ja auch die Kanz­le­rin der spon­ta­nen Wen­de. Wir wer­den es sehen; aktu­ell wür­de ich aller­dings gleich gro­ße Chan­cen dafür sehen, dass das The­ma in weni­gen Tagen wie­der in der Ver­sen­kung ver­schwun­den ist, Schwamm drüber.

Neben­bei zeigt sich, etwas böse gesagt, dass die USA inzwi­schen gewis­se Ähn­lich­kei­ten mit einer über­di­men­sio­nier­ten Dritt-Welt-Macht haben. Außer Kon­trol­le gera­te­ne Geheim­diens­te, TSA-Para­noia und ein sehr zwei­fel­haf­tes Ver­ständ­nis davon, was poli­ti­sche Ver­bün­de­te eigent­lich sind. (Mal ganz abge­se­hen von einer real exis­tie­ren­den Tea Par­ty, die auch vor dem Schlit­tern Rich­tung Staats­bank­rott nicht halt macht.) Auch da bleibt abzu­war­ten, was sich dar­aus entwickelt. 

Was hat das nun mit der SMS-Kanz­le­rin zu tun? Ganz ein­fach fol­gen­des: Das Mobil­te­le­fo­ne abge­hört wer­den kön­nen, ist bekannt. Moder­ne Mobil­te­le­fo­ne sind aber so kom­for­ta­bel und haben mit ihrer Ver­hei­ßung immer­wäh­ren­der Kom­mu­ni­ka­ti­on ganz offen­sicht­lich eine Bedürf­nis gefun­den, dass all­zu­ger­ne über sol­che und ande­re Risi­ken hin­weg sehen lässt. [Nach­trag: vgl. SpOn] Was wäre der netz­wer­ken­de Poli­ti­ker, was wäre die up-to-date Jour­na­lis­tin, ohne stän­dig tele­kom­mu­ni­ka­ti­ons­fä­hig zu sein? Ist ein Zurück über­haupt noch denk­bar – oder hat sich das Mobil­te­le­fon (bzw. sei­ne smar­te Cou­si­ne) so alter­na­tiv­los gemacht, dass ein Ver­zicht nicht in Fra­ge kommt, egal, wie groß die tat­säch­li­chen oder ein­ge­bil­de­ten Risi­ken sein soll­ten? (Das betrifft dann nicht nur die Über­wa­chung, son­dern auch Din­ge wie mög­li­chen Stress durch Erreich­bar­keit oder die nach wie vor umstrit­te­nen Wir­kun­gen elek­tro­ma­gne­ti­scher Wel­len in Kopfnähe …).

Und eines wei­ter­ge­dacht: Ganz ähn­lich lässt sich auch zu Face­book und dem teil­wei­sen Ver­zicht auf Pri­vat­sphä­re argu­men­tie­ren. Wenn bestimm­te Daten­ri­si­ken unaus­weich­li­che Neben­fol­ge davon sind, die Uto­pie der stän­di­gen ver­netz­ten Kom­mu­ni­ka­ti­on zu erfül­len, und wenn die­se wie­der­um star­ke Reso­nanz in der Ska­la mensch­li­cher Bedürf­nis­se fin­den, und damit sehr vie­len Men­schen als extrem wün­schens­wert erschei­nen – wenn also die im 21. Jahr­hun­dert vor­herr­schen­de Form der Kom­mu­ni­ka­ti­on eine inhä­rent weit­ge­hend unsi­che­re ist, was heißt das dann?

Und es betrifft ja nicht nur die Kanz­le­rin und ande­re Poli­ti­ke­rIn­nen, die auf SMS, Face­book und stän­di­ge Anruf­bar­keit nicht ver­zich­ten wol­len. Es betrifft genau­so poli­ti­sche Insti­tu­tio­nen, deren inter­nen kom­mu­ni­ka­ti­ven Abläu­fe lang­sam von Papier Rich­tung E‑Mail wan­dern. Aus mei­ner Arbeit im Land­tag lie­ße sich da das eine oder ande­re Bei­spiel nennen. 

Nicht nur, dass Kom­mu­ni­ka­ti­on damit infor­mel­ler wird. Jen­seits aller Trans­pa­renz­de­bat­ten taucht hier wie da nun die Fra­ge auf, ob stän­di­ge Über­wa­chung (egal, ob es dabei um Geheim­diens­te und poli­ti­sche Stra­te­gien geht oder um die sozia­le Kon­trol­le, die Netz­werk­me­di­en ermög­li­chen) eines Tages nicht mehr als Pro­blem, son­dern als Nor­mal­zu­stand wahr­ge­nom­men wird. 

Ein Effekt könn­te die Her­aus­bil­dung sub­ver­si­ver Ver­hal­tens­wei­sen sein – das lau­fen­de Was­ser beim Gespräch, wenn die Wän­de Ohren bekom­men. Ich bin mir nicht sicher, hal­te es aber für mög­lich, dass etwas ande­res pas­sie­ren wird: Eine Gewöh­nung dar­an, sich stän­dig in der (wie auch immer defi­nier­ten) Öffent­lich­keit zu befin­den. Sche­ren im Kopf inklu­si­ve, aber eben auch eine gewis­se Lais­sez-Fair-Hal­tung, eine Hal­tung des Egal­seins, die stra­te­gi­sches Han­deln im Offe­nen mög­lich macht.

Ein wich­ti­ger Punkt ist dabei aller­dings zu beach­ten: Die Fra­ge der Asym­me­trie – han­delt es sich beim Zustand der per­ma­nen­ten Über­wa­chung um ein Macht­ver­hält­nis (NSA gegen den Rest der Welt) – oder um Tech­no­lo­gie, die irgend­wann so all­ge­mein ver­brei­tet ist, dass im Prin­zip jede ihr eige­nes Über­wa­chungs­pro­gramm star­ten kann?

War­um blog­ge ich das? Weil ich es span­nend zu beob­ach­ten fin­de, wie jetzt reagiert wird, und wie hier eine neue Tech­nik – exem­pla­risch das digi­ta­le Mobil­te­le­fon – zu qua­li­ta­ti­ven Ver­än­de­run­gen führt. Und weil ich nicht immer nur über die inner­grü­ne Neu­auf­stel­lung blog­gen kann.

2 Antworten auf „Merkels Mobiltelefon, menschliche Bedürfnisse und die Allgegenwart der Risiken“

  1. Hal­lo Till,
    in Dei­nen Betrach­tun­gen über die poli­ti­sche Rezep­ti­on der Risi­ken der moder­nen Kom­mu­ni­ka­ti­ons­über­wa­chung ver­gisst Du m.E. noch einen Punkt: es ist nicht nur so, dass aus­ge­rech­net die USA ein aus der Kon­trol­le gera­te­nes Über­wa­chungs­in­stru­men­ta­ri­um auf­baut und (aus irgend­wel­chen Grün­den) das in Deutsch­land nicht, oder jetzt dank dem Mut­ti­phon doch, auf­ge­ar­bei­tet wür­de. Die Ver­un­si­che­rung ist wech­sel­sei­tig: die poten­zier­ten Kom­mu­ni­ka­ti­ons­mög­lich­kei­ten ver­un­si­chern eben­so die „Regie­ren­den“ (poli­tisch und wirt­schaft­lich) wie die digi­tal poten­zier­te Kon­trol­le der Kom­mu­ni­ka­ti­on die Regier­ten „ver­un­si­chert“.

    Wei­ter­hin bin ich (ohne das bewei­sen zu kön­nen!) der fes­ten Über­zeu­gung, dass die spär­li­che Auf­ar­bei­tung der NSA Ent­hül­lun­gen in Deutsch­land in ers­ter Linie damit zusam­men­hängt, dass die Regie­ren­den des Hoch­tech­no­lo­gie­lands BRD das NSA Vor­ge­hen zu wei­ten Tei­len alter­na­tiv­los anse­hen und mit gro­ßer Wahr­schein­lich­keit nicht nur die Sicher­heits­tech­no­lo­gien des gro­ßen Bru­ders „test­wei­se“ mit­be­nut­zen, son­dern auch selbst am ent­wi­ckeln und imple­men­tie­ren sind.

    Kom­mu­ni­ka­ti­ons­über­wa­chung hat eine lan­ge Geschich­te (Pro­mib­ei­spiel [1]) und die smar­ten Cou­si­nen der Mobil­te­le­fo­ne könn­ten (von der Rechen­leis­tung her) wohl ohne gro­ße Pro­ble­me siche­re­re Kom­mu­ni­ka­ti­ons­ka­nä­le als GSM benut­zen (damit mei­ne ich bei­spiels­wei­se public-key cryp­to für Sprach­da­ten) – das ist aber nicht gewünscht bzw. nicht kom­pa­ti­bel mit den recht­li­chen Anfor­de­run­gen zur Über­wa­chungs­mög­lich­keit. Was wir aller­or­ten bekom­men sind pro­prie­tä­re „siche­re“ Kom­mu­ni­ka­ti­ons­ka­nä­le, wie Sky­pe, DE-Mail oder noch schlan­gen­ö­li­ger: „Email made in Ger­ma­ny“. War­um soll­te Mer­kels neu­es siche­res Mobil­te­le­fon ein Pre­mi­um­ding für Poli­ti­ker sein? (Und war­um soll­ten deut­sche Poli­ti­ker der Fir­ma Black­ber­ry ver­trau­en? Ich hab kei­ne Ahn­nung von der Imple­men­tie­rung, aber ich wür­de mich schwer wun­dern, wenn das ver­kauf­te Set­up nicht auch irgend­ei­nen Side­chan­nel zur Ver­fü­gung stellt…)

    Zurück zu Dei­nem Text ver­ste­he ich das so: die Fra­ge lau­tet nicht, was das bedeu­tet, dass die im 21. Jahr­hun­dert vor­herr­schen­de Kom­mu­ni­ka­ti­ons­mög­lich­keit eine inhä­rent unsi­che­re ist, son­dern warum? 

    Mei­ne adhoc The­se ist die­se: die Idee von Mut­ti- (oder gro­ßer Bruder-)Regierung (wie­der: poli­tisch wie wirt­schaft­lich) ist den meis­ten Betei­lig­ten doch noch die liebs­te, da es Ver­ant­wort­lich­kei­ten gibt und ein Gefühl von Kon­trol­le: Die Regie­rung ist schuld, die NSA ist schuld, Ame­ri­ka ist schuld, Goog­le ist schuld, die feh­len­den Kame­ras sind schuld – fühlt sich immer bes­ser an, als sagen zu müs­sen: das ein­zi­ge was sicher ist, ist der Tod.

    tldr; Mer­kels Tele­phon wird wenig an der Dis­kus­si­on ändern. 

    Das ist ein wir­rer Text gewor­den, naja, ich muss jetzt los :) Gruß,
    nill

    [1] http://www.zeit.de/1980/14/operation-grosses-ohr/komplettansicht

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