Nehmen wir an, du bist Journalist oder Journalistin. Da gibt es jemand, der nicht kapiert hat, dass deine hart erarbeitete! Position genau die richtige Position ist. Also, inhaltlich gesprochen. Dass das die richtige Position ist, stellst du bei deinen Recherchen immer wieder fest. Denn die bestätigen jedesmal genau das, was du dir vorher gedacht hast.
Jedenfalls gibt es da jetzt diesen öffentlichen Kritiker. Der twittert und bloggt. Hat irgendein Parteiamt. Behauptet, er kenne sich aus. Du hast einen Ruf zu verlieren. Schließlich bist du die Fachjournalistin für das Thema, der Fachjournalist. Hart erarbeitet, diese Position, wie gesagt. In-ves-ti-ga-tiv! Aber so richtig!
Also der Kritiker. Der gefährdet deine Position, haha, im doppelten Sinne, sofort erkannt. Aber: du bist schlauer.
Was also machst du? Du nimmst einen Tweet von ihm. Am besten einen emotionalen, spontanen, aus dem Ärger heraus geschriebenen, der nicht vorher durch die Scheren einer Pressestelle gelaufen ist.
Früher hättest du noch im Dreck suchen müssen, aber jetzt werden die Perlen ja einfach so geliefert. Dann rufst du ihn pro forma nochmal kurz an, den Kritiker. Wäre ja gelacht, dir zu unterstellen, dass du nicht mit journalistischer Sorgfalt arbeitest. Wie auch immer – der hat das ja getwittert, also wird das schon eine öffentlich geäußerte und journalistisch verwertbare Aussage sein. Wär ja nicht anders, wenn er’s am Stammtisch gesagt hätte.
Aber: Selbst auf 140 Zeichen ist da noch zuviel Kontext und Hintergrund. So zieht das noch nicht. Also solange drehen, bis die Kernaussage dasteht, knackig zugespitzt. So ein Drei-Wort-Satz. Am besten einer zu einem Tabuthema.
Das ist schon mal gut, für die Überschrift. Selbst bei einem Dementi bleibt da ja immer was hängen. Ein Punkt für dich.
Und dann, Schritt zwei, nimmst du das aus dem Zusammenhang gerissene Twitterzitat. Damit gehst du solange hausieren, bis du sie hast, deine Stellungnahmen. Rufst die Verbänden und ExpertInnen an, kennst die ja alle, duzt ja auch gleich jeden – solange bis da drei oder vier Zitate für deinen Text da sind. Die Gesprächspartner kennen von dem ganzen Vorgang nur das Drei-Wort-Zitat – und deine Interpretation der Vorgeschichte, wie du sie, jovial wie du bist, am Telefon halt erzählst.
Und wenn nicht direkt was kommt, fragst du halt nach. Irgendwas ist ja immer. Alte Geschichten rauskramen, ganz alte, beispielsweise. Da nochmal nachfragen. Bohren! Dann haste deinen Satz, deine Expertenstellungnahme.
Und schwupps – der Revangeartikel steht. Jetzt hast du die Drei-Wort-Überschrift, die deinen Kritiker so richtig als Vollidioten dastehen lässt. Da werden sie ihn hassen für, nicht dich. Und alles mit be-leg-ter Quelle! Und dann die Aussagen der ExpertInnen. Brillianter Schachzug: Die abgefischten Zitate scheinen für sich zu sprechen, sprechen aber für dich. Na, hast es mal wieder allen gezeigt!
(Und, nebenbei: Deine Recherche zeigt dir auch noch einmal, dass du mit deiner Position richtig liegst. Steht da ja schwarz auf weiß, also wird es schon stimmen. Noch ein Punkt für dich.)
Bonusrunde, wenn’s richtig gut läuft: Dann kommt ein anderes Medium, nimmt deinen Artikel mit der bekannten Investigativqualität als Grundlage für eine eigene Geschichte und schreibt die heißesten Stellen ab. Denn so ein Thema zieht. Bis niemand mehr nachvollziehen kann, was wirklich passiert ist, was der Hintergrund des Ganzen war. Ziel erreicht, du bist im Highscore!
Warum blogge ich das? Weil das Katharina-Blum-Prinzip leider heute kein BILD-Spezifikum mehr ist, sondern von einigen JournalistInnen auch in eigentlich coolen und seriösen Medien angewandt wird. Es sind wirklich nur wenige – aber die gibt es leider. Blogs und Twitter helfen zwar ein bisschen dabei, solche Vorgänge publik zu machen, eine Gegenöffentlichkeit herzustellen. Aber letztlich wird einem doch klar, wie heftig eine – möglicherweise bewusst verzerrte – Darstellung in einem klassischen Medium noch immer die Meinungsbildung und das Meinungsbild beeinflussen kann. Vierte Gewalt, und das nicht umsonst.
Der Text oben ist fiktional. Ob JournalistInnen, von denen ich es vermuten würde, tatsächlich immer und überall so arbeiten, weiß ich nicht. So stelle ich mir vor, was zum Beispiel hier passiert sein könnte. Aber vielleicht war ja alles auch ganz anders.
hi till,
ich will deinen schön geschriebenen blogpost mit ein paar korrigierenden fakten versehen:
es gab eine sonderseite der taz gegen sexuelle gewalt (wegschauende gesellschaft am bsp der reformpädagogik: http://www.taz.de/Sexuelle-Gewalt-gegen-Kinder/!91210/ und rezension „im netz“ http://www.taz.de/Sexuelle-Gewalt-gegen-Kinder/!91222/) die seite war im anschluss an den mord an lena in emden. den mord durch einen pädokriminellen, der sich vorher in einem längeren prozess durch kinderpornografie antörnte, dann solche bilder selbst herstellte. das ist der ausgangspunkt der seite – und nicht etwa die verfolgung eines grünen in ba-wü. lies die seite einfach mal. alles haarklein erklärt.
diese spezialseite – auf der AN KEINER STELLE NETZSPERREN gefordert wurden, IM GEGENTEIL heißt es dort, dass man das nicht abschalten soll oder kann – , diese seite also haben mehrere grüne, darunter mandatsträger und mitarbeiter von parlamenten scharf angegriffen. Und zwar auf eine art, dass es einem den atem verschlägt. (darüber wird in jedem – grünen – einzelfall noch zu sprechen sein. vergleiche schon einmal die sehr spezielle art eines roten beamten in ba-wü postings zu gestalten: http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.facebook-spott-eines-spitzenbeamten-nils-schmid-ruegt-seinen-amtschef.6db57e09-2be0-4644-befc-ecba84052f0c.html)
ich gebe zu: es erstaunt mich nicht wenig, wie kaltschnäuzig grüne mitarbeiter und abgeordnete über den fall lena hinwegparadieren, um piratige thesen zu vertreten.
eine ganze reihe absolut seriöser und weithin anerkannter einrichtungen, die sich seit vielen jahren mit sexueller gewalt auseinandersetzen, haben dann versucht zu erklären, wieso sexualität im netz ein für ihre tägliche arbeit wichtiges thema ist – das immer wichtiger wird. (http://www.taz.de/Missbrauchsinitiativen-gegen-Gruene-Politiker/!91680/ ) erneut wird explizit keine sperridee geäußert, absolut nichts in dieser richtung. der parlamentsmitarbeiter till westermayer aber behauptet nun einfach das gegenteil. Aber du gehst noch einen schritt weiter: du greifst die wichtige arbeit dieser institutionen an – in einer konzertierten aktion mit anderen grünen, und das aus den parlamenten heraus. ehrlich gesagt, das will mir nicht in den kopf: warum kämpft ihr wie grüne krieger gegen derart wichtige einrichtungen, die kinder und jugendliche vor sexueller gewalt schützen wollen?
das ist eine wichtige frage: wie kann es angehen, dass einer ganzen reihe grüner politiker und parlamentsmitarbeiter ihre netzpolitischen sperenzchen wichtiger sind als der schutz von menschen?
Sehr geehrter Herr Füller,
es freut mich, wenn Ihnen (ich darf Sie doch siezen, oder?) mein Schreibstil gefällt.
Wie Ihnen vielleicht aufgefallen ist, geht es in meinem Text um Recherchemethoden und journalistische Sorgfalt – und um die Grenze zwischen engagiertem Journalismus und persönlichen Rachefeldzügen.
Darüber können wir gerne diskutieren – allerdings scheint es mir, dass es dafür sinnvoll wäre, einige sachliche Fehler zu korrigieren.
1. Ich bin kein Mitarbeiter des Landtags von Baden-Württemberg, sondern ein Mitarbeiter der Fraktion GRÜNE. Herr Rousta, der gerade – wie ich finde, zurecht – über seine Facebookpöbeleien gestolpert ist, war als Amtschef des Finanzministeriums ein Beamter des Landes, der u.a. auch unter dem Landeswappen gepostet hat. Nur, damit Sie keine falschen Schlüsse ziehen.
2. Dieses hier von mir seit 2002 betriebene Blog ist weder ein Sprachrohr von Bündnis 90/Die Grünen noch der Fraktion GRÜNE, sondern wird von mir in eigener Verantwortung und auf eigene Rechnung betrieben.
3. Eine von Ihnen offensichtlich vermutete konzertierte Aktion grüner NetzpolitikerInnen kann ich nicht erkennen – was ich sehe, nennt sich Selbstorganisation. VerschwörungstheoretikerInnen mögen das bedauern, aber das Netz und soziale Medien haben eine Tendenz dazu, Meinungsäußerungen ohne zentrale Steuerung und ohne Zentrum zu katalysieren (vgl. „Shitstorm“).
4. Meine Kritik richtet sich in erster Linie gegen ein als unjournalistisch empfundenes Vorgehen. Die von Jörg Rupp gegen den ersten Artikel (bzw. genauer: gegen die unreflektierte Darstellung von Innocence in Danger in diesem Artikel) vorgebrachten inhaltlichen (!) Kritikpunkte erscheinen mir größtenteils nachvollziehbar. Der zweite Artikel greift nicht auf grüne Programmatik oder auf das politische Handeln der jeweiligen FachpolitikerInnen z.B. in Parlamenten zurück, sondern auf eine einzelne, emotionale Äußerung auf Twitter – und versucht ausgehend davon eine völlig verzerrte Schimäre aufzubauen – so jedenfalls mein Eindruck. Dass es hier eine (halbherzige) Entschuldigung gab, ist aus meiner Sicht das mindeste.
Mit freundlichen Grüßen
Till Westermayer
Es geht darum, Herr Füller, dass Sie Ihre Position als Journalist bei der TAZ dazu genutzt haben, um fernab des Themas einen Kritiker anzugreifen. Genau das ist meiner Meinung nach auch Thema des Blog-Eintrages. Dieses Verhalten von Ihnen wurde konkret kritisiert. Das steht im Raum, unabhängig von Ihren Beweggründen.
Die weitere Kritik an Innocence in Danger von allen anderen Seiten etwa hat mit zahlreichen Verfehlungen des Vereins zu tun. Dabei ging es nicht nur darum, dass Frau zu Guttenberg in den Medien für Kinderpornosperren eintrat und Frau von Weiler sogar auf EU-Ebene, ohne sich hierzu fachlich zu informieren – das war allerdings die erste Gelegenheit, bei dem IiD als verantwortungslos auffiel und trotz Hinweisen das Verhalten nicht änderte. Es geht zum Beispiel auch darum, dass massive Fehler bei der von Ihnen erwähnten Sendung „Tatort Internet“ gemacht wurden. Hier wurden die Behörden nicht vor der Ausstrahlung in Kenntnis gesetzt, weil man ein Ausstrahlungsverbot durch die Staatsanwaltschaft fürchtete. Dieser Fehler ist zwar primär dem Sender und der Produktionsfirma anzulasten, aber Innocence in Danger hätte dagegen sofort protestieren müssen. Weil das unterblieb, lagen teilweise „Monate“ zwischen dem Dreh mit versteckter Kamera und dem Einschalten der Behörden, in denen manche der in Tatort Internet gezeigten Personen durchaus hätten weitere Straftaten vorbereiten oder durchführen können. Das war ebenfalls vollkommen verantwortungslos, auch hier erfolgte keine wirkliche Aufarbeitung im Verein. Sie finden im Internet bei entsprechender Suche Informationen zu diesen Dingen.
Ich erwarte von jemandem, der sich ernsthaft mit dem Kinderschutz befasst, dass er seine persönlichen Befindlichkeiten grundsätzlich hinten anstellt und sich eingehend mit der Thematik befasst. Dazu gehört auch, dass man im Zuge der Verantwortung Fehler korrigiert und nicht einfach anderen Leuten das Blaue vom Himmel unterstellt. Sie wurden vornehmlich bei Ihrer Werbung für Innocence in Danger darauf hingewiesen, dass Sie insgesamt zu wenig Recherche betrieben haben.