Zitate fischen

Vivarium II

Neh­men wir an, du bist Jour­na­list oder Jour­na­lis­tin. Da gibt es jemand, der nicht kapiert hat, dass dei­ne hart erar­bei­te­te! Posi­ti­on genau die rich­ti­ge Posi­ti­on ist. Also, inhalt­lich gespro­chen. Dass das die rich­ti­ge Posi­ti­on ist, stellst du bei dei­nen Recher­chen immer wie­der fest. Denn die bestä­ti­gen jedes­mal genau das, was du dir vor­her gedacht hast.

Jeden­falls gibt es da jetzt die­sen öffent­li­chen Kri­ti­ker. Der twit­tert und bloggt. Hat irgend­ein Par­tei­amt. Behaup­tet, er ken­ne sich aus. Du hast einen Ruf zu ver­lie­ren. Schließ­lich bist du die Fach­jour­na­lis­tin für das The­ma, der Fach­jour­na­list. Hart erar­bei­tet, die­se Posi­ti­on, wie gesagt. In-ves-ti-ga-tiv! Aber so richtig! 

Also der Kri­ti­ker. Der gefähr­det dei­ne Posi­ti­on, haha, im dop­pel­ten Sin­ne, sofort erkannt. Aber: du bist schlauer.

Was also machst du? Du nimmst einen Tweet von ihm. Am bes­ten einen emo­tio­na­len, spon­ta­nen, aus dem Ärger her­aus geschrie­be­nen, der nicht vor­her durch die Sche­ren einer Pres­se­stel­le gelau­fen ist. 

Frü­her hät­test du noch im Dreck suchen müs­sen, aber jetzt wer­den die Per­len ja ein­fach so gelie­fert. Dann rufst du ihn pro for­ma noch­mal kurz an, den Kri­ti­ker. Wäre ja gelacht, dir zu unter­stel­len, dass du nicht mit jour­na­lis­ti­scher Sorg­falt arbei­test. Wie auch immer – der hat das ja get­wit­tert, also wird das schon eine öffent­lich geäu­ßer­te und jour­na­lis­tisch ver­wert­ba­re Aus­sa­ge sein. Wär ja nicht anders, wenn er’s am Stamm­tisch gesagt hätte. 

Aber: Selbst auf 140 Zei­chen ist da noch zuviel Kon­text und Hin­ter­grund. So zieht das noch nicht. Also solan­ge dre­hen, bis die Kern­aus­sa­ge dasteht, kna­ckig zuge­spitzt. So ein Drei-Wort-Satz. Am bes­ten einer zu einem Tabuthema. 

Das ist schon mal gut, für die Über­schrift. Selbst bei einem Demen­ti bleibt da ja immer was hän­gen. Ein Punkt für dich.

Vivarium VI

Und dann, Schritt zwei, nimmst du das aus dem Zusam­men­hang geris­se­ne Twit­ter­zi­tat. Damit gehst du solan­ge hau­sie­ren, bis du sie hast, dei­ne Stel­lung­nah­men. Rufst die Ver­bän­den und Exper­tIn­nen an, kennst die ja alle, duzt ja auch gleich jeden – solan­ge bis da drei oder vier Zita­te für dei­nen Text da sind. Die Gesprächs­part­ner ken­nen von dem gan­zen Vor­gang nur das Drei-Wort-Zitat – und dei­ne Inter­pre­ta­ti­on der Vor­ge­schich­te, wie du sie, jovi­al wie du bist, am Tele­fon halt erzählst. 

Und wenn nicht direkt was kommt, fragst du halt nach. Irgend­was ist ja immer. Alte Geschich­ten raus­kra­men, ganz alte, bei­spiels­wei­se. Da noch­mal nach­fra­gen. Boh­ren! Dann has­te dei­nen Satz, dei­ne Expertenstellungnahme.

Und schwupps – der Revan­ge­ar­ti­kel steht. Jetzt hast du die Drei-Wort-Über­schrift, die dei­nen Kri­ti­ker so rich­tig als Voll­idio­ten daste­hen lässt. Da wer­den sie ihn has­sen für, nicht dich. Und alles mit be-leg-ter Quel­le! Und dann die Aus­sa­gen der Exper­tIn­nen. Bril­li­an­ter Schach­zug: Die abge­fisch­ten Zita­te schei­nen für sich zu spre­chen, spre­chen aber für dich. Na, hast es mal wie­der allen gezeigt!

(Und, neben­bei: Dei­ne Recher­che zeigt dir auch noch ein­mal, dass du mit dei­ner Posi­ti­on rich­tig liegst. Steht da ja schwarz auf weiß, also wird es schon stim­men. Noch ein Punkt für dich.)

Bonus­run­de, wenn’s rich­tig gut läuft: Dann kommt ein ande­res Medi­um, nimmt dei­nen Arti­kel mit der bekann­ten Inves­ti­ga­tiv­qua­li­tät als Grund­la­ge für eine eige­ne Geschich­te und schreibt die hei­ßes­ten Stel­len ab. Denn so ein The­ma zieht. Bis nie­mand mehr nach­voll­zie­hen kann, was wirk­lich pas­siert ist, was der Hin­ter­grund des Gan­zen war. Ziel erreicht, du bist im Highscore!

War­um blog­ge ich das? Weil das Katha­ri­na-Blum-Prin­zip lei­der heu­te kein BILD-Spe­zi­fi­kum mehr ist, son­dern von eini­gen Jour­na­lis­tIn­nen auch in eigent­lich coo­len und seriö­sen Medi­en ange­wandt wird. Es sind wirk­lich nur weni­ge – aber die gibt es lei­der. Blogs und Twit­ter hel­fen zwar ein biss­chen dabei, sol­che Vor­gän­ge publik zu machen, eine Gegen­öf­fent­lich­keit her­zu­stel­len. Aber letzt­lich wird einem doch klar, wie hef­tig eine – mög­li­cher­wei­se bewusst ver­zerr­te – Dar­stel­lung in einem klas­si­schen Medi­um noch immer die Mei­nungs­bil­dung und das Mei­nungs­bild beein­flus­sen kann. Vier­te Gewalt, und das nicht umsonst.

Der Text oben ist fik­tio­nal. Ob Jour­na­lis­tIn­nen, von denen ich es ver­mu­ten wür­de, tat­säch­lich immer und über­all so arbei­ten, weiß ich nicht. So stel­le ich mir vor, was zum Bei­spiel hier pas­siert sein könn­te. Aber viel­leicht war ja alles auch ganz anders.

4 Antworten auf „Zitate fischen“

  1. hi till,

    ich will dei­nen schön geschrie­be­nen blog­post mit ein paar kor­ri­gie­ren­den fak­ten versehen: 

    es gab eine son­der­sei­te der taz gegen sexu­el­le gewalt (weg­schau­en­de gesell­schaft am bsp der reform­päd­ago­gik: http://www.taz.de/Sexuelle-Gewalt-gegen-Kinder/!91210/ und rezen­si­on „im netz“ http://www.taz.de/Sexuelle-Gewalt-gegen-Kinder/!91222/) die sei­te war im anschluss an den mord an lena in emden. den mord durch einen pädo­kri­mi­nel­len, der sich vor­her in einem län­ge­ren pro­zess durch kin­der­por­no­gra­fie antörn­te, dann sol­che bil­der selbst her­stell­te. das ist der aus­gangs­punkt der sei­te – und nicht etwa die ver­fol­gung eines grü­nen in ba-wü. lies die sei­te ein­fach mal. alles haar­klein erklärt. 

    die­se spe­zi­al­sei­te – auf der AN KEINER STELLE NETZSPERREN gefor­dert wur­den, IM GEGENTEIL heißt es dort, dass man das nicht abschal­ten soll oder kann – , die­se sei­te also haben meh­re­re grü­ne, dar­un­ter man­dats­trä­ger und mit­ar­bei­ter von par­la­men­ten scharf ange­grif­fen. Und zwar auf eine art, dass es einem den atem ver­schlägt. (dar­über wird in jedem – grü­nen – ein­zel­fall noch zu spre­chen sein. ver­glei­che schon ein­mal die sehr spe­zi­el­le art eines roten beam­ten in ba-wü pos­tings zu gestal­ten: http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.facebook-spott-eines-spitzenbeamten-nils-schmid-ruegt-seinen-amtschef.6db57e09-2be0-4644-befc-ecba84052f0c.html)

    ich gebe zu: es erstaunt mich nicht wenig, wie kalt­schnäu­zig grü­ne mit­ar­bei­ter und abge­ord­ne­te über den fall lena hin­weg­pa­ra­die­ren, um pira­ti­ge the­sen zu vertreten. 

    eine gan­ze rei­he abso­lut seriö­ser und weit­hin aner­kann­ter ein­rich­tun­gen, die sich seit vie­len jah­ren mit sexu­el­ler gewalt aus­ein­an­der­set­zen, haben dann ver­sucht zu erklä­ren, wie­so sexua­li­tät im netz ein für ihre täg­li­che arbeit wich­ti­ges the­ma ist – das immer wich­ti­ger wird. (http://www.taz.de/Missbrauchsinitiativen-gegen-Gruene-Politiker/!91680/ ) erneut wird expli­zit kei­ne sperr­idee geäu­ßert, abso­lut nichts in die­ser rich­tung. der par­la­ments­mit­ar­bei­ter till wes­ter­may­er aber behaup­tet nun ein­fach das gegen­teil. Aber du gehst noch einen schritt wei­ter: du greifst die wich­ti­ge arbeit die­ser insti­tu­tio­nen an – in einer kon­zer­tier­ten akti­on mit ande­ren grü­nen, und das aus den par­la­men­ten her­aus. ehr­lich gesagt, das will mir nicht in den kopf: war­um kämpft ihr wie grü­ne krie­ger gegen der­art wich­ti­ge ein­rich­tun­gen, die kin­der und jugend­li­che vor sexu­el­ler gewalt schüt­zen wollen?

    das ist eine wich­ti­ge fra­ge: wie kann es ange­hen, dass einer gan­zen rei­he grü­ner poli­ti­ker und par­la­ments­mit­ar­bei­ter ihre netz­po­li­ti­schen spe­renz­chen wich­ti­ger sind als der schutz von menschen?

    1. Sehr geehr­ter Herr Füller,

      es freut mich, wenn Ihnen (ich darf Sie doch sie­zen, oder?) mein Schreib­stil gefällt.

      Wie Ihnen viel­leicht auf­ge­fal­len ist, geht es in mei­nem Text um Recher­che­me­tho­den und jour­na­lis­ti­sche Sorg­falt – und um die Gren­ze zwi­schen enga­gier­tem Jour­na­lis­mus und per­sön­li­chen Rachefeldzügen.

      Dar­über kön­nen wir ger­ne dis­ku­tie­ren – aller­dings scheint es mir, dass es dafür sinn­voll wäre, eini­ge sach­li­che Feh­ler zu korrigieren.

      1. Ich bin kein Mit­ar­bei­ter des Land­tags von Baden-Würt­tem­berg, son­dern ein Mit­ar­bei­ter der Frak­ti­on GRÜNE. Herr Rous­ta, der gera­de – wie ich fin­de, zurecht – über sei­ne Face­book­pö­be­lei­en gestol­pert ist, war als Amts­chef des Finanz­mi­nis­te­ri­ums ein Beam­ter des Lan­des, der u.a. auch unter dem Lan­des­wap­pen gepos­tet hat. Nur, damit Sie kei­ne fal­schen Schlüs­se ziehen.

      2. Die­ses hier von mir seit 2002 betrie­be­ne Blog ist weder ein Sprach­rohr von Bünd­nis 90/Die Grü­nen noch der Frak­ti­on GRÜNE, son­dern wird von mir in eige­ner Ver­ant­wor­tung und auf eige­ne Rech­nung betrieben.

      3. Eine von Ihnen offen­sicht­lich ver­mu­te­te kon­zer­tier­te Akti­on grü­ner Netz­po­li­ti­ke­rIn­nen kann ich nicht erken­nen – was ich sehe, nennt sich Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on. Ver­schwö­rungs­theo­re­ti­ke­rIn­nen mögen das bedau­ern, aber das Netz und sozia­le Medi­en haben eine Ten­denz dazu, Mei­nungs­äu­ße­run­gen ohne zen­tra­le Steue­rung und ohne Zen­trum zu kata­ly­sie­ren (vgl. „Shit­s­torm“).

      4. Mei­ne Kri­tik rich­tet sich in ers­ter Linie gegen ein als unjour­na­lis­tisch emp­fun­de­nes Vor­ge­hen. Die von Jörg Rupp gegen den ers­ten Arti­kel (bzw. genau­er: gegen die unre­flek­tier­te Dar­stel­lung von Inno­cence in Dan­ger in die­sem Arti­kel) vor­ge­brach­ten inhalt­li­chen (!) Kri­tik­punk­te erschei­nen mir größ­ten­teils nach­voll­zieh­bar. Der zwei­te Arti­kel greift nicht auf grü­ne Pro­gram­ma­tik oder auf das poli­ti­sche Han­deln der jewei­li­gen Fach­po­li­ti­ke­rIn­nen z.B. in Par­la­men­ten zurück, son­dern auf eine ein­zel­ne, emo­tio­na­le Äuße­rung auf Twit­ter – und ver­sucht aus­ge­hend davon eine völ­lig ver­zerr­te Schi­mä­re auf­zu­bau­en – so jeden­falls mein Ein­druck. Dass es hier eine (halb­her­zi­ge) Ent­schul­di­gung gab, ist aus mei­ner Sicht das mindeste.

      Mit freund­li­chen Grüßen

      Till Wes­ter­may­er

  2. Es geht dar­um, Herr Fül­ler, dass Sie Ihre Posi­ti­on als Jour­na­list bei der TAZ dazu genutzt haben, um fern­ab des The­mas einen Kri­ti­ker anzu­grei­fen. Genau das ist mei­ner Mei­nung nach auch The­ma des Blog-Ein­tra­ges. Die­ses Ver­hal­ten von Ihnen wur­de kon­kret kri­ti­siert. Das steht im Raum, unab­hän­gig von Ihren Beweggründen.

    Die wei­te­re Kri­tik an Inno­cence in Dan­ger von allen ande­ren Sei­ten etwa hat mit zahl­rei­chen Ver­feh­lun­gen des Ver­eins zu tun. Dabei ging es nicht nur dar­um, dass Frau zu Gut­ten­berg in den Medi­en für Kin­der­por­no­sper­ren ein­trat und Frau von Wei­ler sogar auf EU-Ebe­ne, ohne sich hier­zu fach­lich zu infor­mie­ren – das war aller­dings die ers­te Gele­gen­heit, bei dem IiD als ver­ant­wor­tungs­los auf­fiel und trotz Hin­wei­sen das Ver­hal­ten nicht änder­te. Es geht zum Bei­spiel auch dar­um, dass mas­si­ve Feh­ler bei der von Ihnen erwähn­ten Sen­dung „Tat­ort Inter­net“ gemacht wur­den. Hier wur­den die Behör­den nicht vor der Aus­strah­lung in Kennt­nis gesetzt, weil man ein Aus­strah­lungs­ver­bot durch die Staats­an­walt­schaft fürch­te­te. Die­ser Feh­ler ist zwar pri­mär dem Sen­der und der Pro­duk­ti­ons­fir­ma anzu­las­ten, aber Inno­cence in Dan­ger hät­te dage­gen sofort pro­tes­tie­ren müs­sen. Weil das unter­blieb, lagen teil­wei­se „Mona­te“ zwi­schen dem Dreh mit ver­steck­ter Kame­ra und dem Ein­schal­ten der Behör­den, in denen man­che der in Tat­ort Inter­net gezeig­ten Per­so­nen durch­aus hät­ten wei­te­re Straf­ta­ten vor­be­rei­ten oder durch­füh­ren kön­nen. Das war eben­falls voll­kom­men ver­ant­wor­tungs­los, auch hier erfolg­te kei­ne wirk­li­che Auf­ar­bei­tung im Ver­ein. Sie fin­den im Inter­net bei ent­spre­chen­der Suche Infor­ma­tio­nen zu die­sen Dingen.

    Ich erwar­te von jeman­dem, der sich ernst­haft mit dem Kin­der­schutz befasst, dass er sei­ne per­sön­li­chen Befind­lich­kei­ten grund­sätz­lich hin­ten anstellt und sich ein­ge­hend mit der The­ma­tik befasst. Dazu gehört auch, dass man im Zuge der Ver­ant­wor­tung Feh­ler kor­ri­giert und nicht ein­fach ande­ren Leu­ten das Blaue vom Him­mel unter­stellt. Sie wur­den vor­nehm­lich bei Ihrer Wer­bung für Inno­cence in Dan­ger dar­auf hin­ge­wie­sen, dass Sie ins­ge­samt zu wenig Recher­che betrie­ben haben.

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