Einer meiner SF-Lieblingsautoren, Charles Stross, bloggt gerne und ausführlich. Sein neuster Blogbeitrag dient letztlich dazu, die Frage zu stellen, wie sich die politischen Gewichte und Orientierungen in der nächsten Generation verschoben haben werden. Was vor hundert Jahren als randständige, radikale Meinung galt (z.B. das Frauenwahlrecht) ist heute Mainstream – und umgekehrt.
Ich finde das durchaus spannend, und greife deswegen Charles Stross Frage auf: Was werden in einer Generation, also z.B. im Jahr 2042, die großen Fragen sein, an denen sich die politischen Lager scheiden? Das würde ich gerne mit euch diskutieren.
Um das noch mit ein paar Daten auszuschmücken: Angela Merkel wäre dann 88 Jahre alt, Joschka Fischer 94 und Sigmar Gabriel 83. Selbst Cem Özdemir wäre bereits 77. Die deutsche Einheit ist dann über ein halbes Jahrhundert her, der Atomausstieg seit mehr als einer Dekade Realität, und die Terroranschläge vom 11. September 2011 2001 liegen für viele der 2042 politische Aktiven in einer Zeit vor ihrer Geburt. Die Piratenpartei – wenn es sie dann noch gibt – existiert seit 36 Jahren.
Woran und worin also unterscheiden sich – wenn es diese Achsen 2042 überhaupt noch gibt – dann rechts und links, liberal und konservativ? Welche heute radikalen Haltungen (spontan fällt mir das Grundeinkommen ein) sind 2042 im Mainstream angelangt, was von dem, was uns heute politisch selbstverständlich erscheint, wird dem „gesunden Menschenverstand“ in einer Generation ganz komisch erscheinen? Bühne frei!
Zu den radikalen Dingen, die hoffentlich Mainstream werden fällt mir die Überwindung der Nationalstaaten ein. Vorsichtig gesagt wären das die „Vereinigten Staaten von Europa“, besser wäre eine wirklich demokratische UN die sich um globale Angelegenheiten kümmert und Kommunen für lokale Angelegenheiten, ohne irgendwelche Zwischenstufen.
Ich denke auch das Urheberrecht wird es so lange nicht mehr machen, da die Situation, dass Menschen für Verhalten, das sie für ganz normal halten kriminalisiert werden eskalieren wird.
Spannend finde ich auch die Frage wie es mit dem Datenschutz weitergeht, ob es denn dann noch „Datenschützer“ wie wir das heute verstehen geben wird, oder ob sich die „Datenschutz ist so 80er“-Spackeria als Mainstream durchsetzt.
Eine vereinigte EU sehe ich auch, mit all den Verwerfungen die das gibt und auf dem Weg gegeben haben wird. Genau deshalb wird es aber keine vereinigte UN geben, sondern stärkere Blockbildung mit wechselnden Mehrheiten.
Eine der Fragen und Verwerfungen kann der Aufnahmeantrag der nach PeakGas geschwächten Russischen Föderation in die EU sein.
In Deutschland wird es die Piratenpartei noch geben ‑schon wegen des wachsenden Unmuts der noch Wählenden wegen der Dauerlösung grosser Koalitionen, die uns unter der Prämisse aufgeschwätzt werden, dass es grosse Lösungen bräuchte um der grossen Probleme (Klimawandel, Demographischer Wandel, Europäische Energiewende nach einem weiteren GAU) Herr zu werden.
Es wird gestärkte Grüne geben, die dabei sind, mindestens eine der altkonservativen sozialdemokratischen Parteien abzulosen. Die „Grüne Jugend Alumni“ werden schon langsam ihren 35. Geburtstag planen – und die Überschneidungen der Gruppe mit den „Grünen Alten“ werden größer ;-))
Was den Mythos des 11.September angeht werden viele tatsächlich nicht wissen ob das 2011 oder 2001 war. ;-) Andere Anschläge werden im Bewusstsein der Menschen nach vorne rücken, so wie auch wir Lockerbie weitgehend vergessen hatten bis man uns erinnert hat.
Eine der Verwerfungen in Europa wird sicher der Streit darüber sein, ob man die Rohstoffkriege formal wirklich dem BRIC vs. US Duo überlassen will und sich weiter nur im Rahmen von humanitären NATO-Missionen daran beteiligt – oder aktiver in das Schicksal ehemaliger Kolonien eingreift.
Eine der politischen Verwerfungen wird 2042 auch die bis dahin ungeklärte Frage der Endlagerung hochradioaktiven Mülls sein, weil diejenigen die sich dann für eine endgültige Versiegelung der Lagerstätten aussprechen kein Konzept haben, wie von der Aussenwelt abgeschnittene Lagerorte die auch technisch nicht dauerhaft überwacht werden können, denn vor Ausseneinwirkungen und äusseren Verwerfungen auf eine Jahrmillion oder wenigstens absehbare 5000 Jahre geschützt werden.
Cem Özdemir wird den Elder Statesman geben und als Vorbild genannt von jüngeren migrantischen Spitzenpolitikern, die sich 2042 offenen ausländerfeindlichen Attentaten rechter „Einzeltäter“ ausgesetzt sehen (vgl Gabby Giffords oder meinetwegen Oscar)
US-Republikaner könnten sich bis dahin streiten, ob Präsident Paul der beste oder der schwächste Präsident war den die USA je hatten, während die Demokraten feststellen, dass sie immernoch seit FDR keinen grossen Demokraten haben Präsident werden lassen.
Als letztes: „Klimaskeptiker“ die behaupten dass es kein Klima gäbe sondern nur gutes oder schlechtes Wetter, können sich 2042 auf einem „Alternativen Wissenschaftskongress“ mit den Hohlweltlern und den „Frei-Energetikern“ zusammentun…
2011: Argh … ich hatte extra nachgeschaut, weil ich mir mit 2001 nicht 100% sicher war – und hab’s dann im Tran doch falsch gemacht. Ich korrigiere …
positive variante: ich vermute, sachen wie facebook, bzw eine weltweite social-media-plattform wird sich in öffentlicher kontrolle befinden (müssen)… vereinigte staaten von europa wird es als eine art dauerhaften friedensvertrag geben und auch als basis eines föderalen ausgleichs- und austauschsystem, ABER entscheidungstrukturen werden vernünftigerweise eine strake regionale und kleinräumliche komponente haben… und auch klar ist, dass wir in einer digitalen alltäglich stattfindenden demokratie leben werden.… wäre jedenfalls eine sinnvolle antwort auf die demokratiekrise… das parteiensystem wird sich stark verändert haben… ein großteil der politischen willensbildung findet nicht mehr in parteien statt, sondern in zweitweilig arbeitenden gruppen zu spezifischen themen… es wird in den parlamenten ein großen block parteifreier menschen geben und ggf. auch parl. gruppen die zusammenschlüsse über parteigrenzen hinweg sind… fraktionszwänge treten in den hintergrund. die grüne partei wird es vermutlich gar nicht mehr geben, sie wird in eine neue sozialliberale bewegung hineindiffundiert sein… deren teile auch die linken sein werden, wenn die soziale frage durch einen garantierten sozial- bildungsstaat gelöst worden ist…und der kapitalismus durch den aufbau gemeinwirtschaftlicher prozesse und eine adäquate fiskalpolitik in seine schranken gewiesen worden ist…
negative version: ein autoritäres system herrscht in ganz europa und wird von einer profitierenden klasse und entschprechenden sicherheitsorganen abgesichert. zustimmung sichert es sich durch eine hartes auftreteten gegenüber den schmarotzenden entwicklungsländern und china sowie durch die bereitstellung von brot und spielen auf allen medienkanälen… die grüne partei ist mehr eine grüne IHK oder ein grüner rotary-club, die CDU zu 70% teil der neine starken „Europäischen Staatspartei“ geworden, SPD und LINKE formieren sich als kleine schwache Opposition, z.T. verbunden mit Untergrundaktivitäten. Die Piraten haben sich gespalten… z.T. sind sie jetzt satuiert als Beschäftigte im Staatsapparat, z.T. frustriert in die Passivität gegangen…
usw ;-)
Als ehemals radikale Position, die selbstverständlich wird, schlage ich die Abschaffung des Copyrights vor – man wird sich wundern, wie einst eine sich Piratenpartei nennende Gruppierung das Thema zwar ansprach, aber nicht den Mut hatte, das eigentlich nur logische zu fordern, sondern lediglich eine sanfte Reform anstrebte.
(und meinen Abschnitt zu Klimawandel und Peakoil hab ich grad wieder weggelöscht, der war mir zu Doomsday-artig…)
Spannende Frage:
Die Vereinigten Staaten von Europa werden Realität, die Nationalstaaterei wird überwunden sein.
Kriege werden in Afrika und an anderen Plätzen der Welt um Wasserrechte geführt. Die Auseinandersetzung mit Waffen um Ressourcen wird leider zur Realität.
Der Pazifische Raum hat die wirtschaftliche Vorherrschaft übernommen. Europa und die USA haben Ihre Position verloren.
Die UN wird reformiert und in Ihrer Position gestärkt sein.
Der Nahe Osten lebt in Frieden
Ob es in Deutschland die jetzigen Parteien noch gibt, bleibt für mich fraglich, ich sag mal eher Nein.
Das heb ich mir auf. Im Jahre 2042 wär ich dann, wenn ichs überleb, 87 … mal sehen :-)
Um mal über die reine Extrapolation heutiger Themen hinauszukommen: Ich denke, die Raumfahrt wird eine ganze Reihe von Problemen mit sich bringen, über die man heute nur spekulieren kann.
Wenn die Regierungen nicht schon vorher beginnen, die privatwirtschaftliche Raumfahrt totzuregulieren, dann können wir vielleicht bis 2042 die ersten Projekte haben, die über bloßen Weltraumtourismus hinausgehen. Vielleicht gibt es Firmen, die dann schon ernsthaft Asteroidenbergbau betreiben.
Irgendwann, vermutlich auch schon in den 2040ern, werden im Zuge dieser Entwicklung die ersten Menschen die Erde dauerhaft verlassen. Irgendwann später werden Millionen Menschen auf dem Mond, dem Mars oder auf/in Asteroiden leben. Und irgendwann werden die ersten dann auch wieder zurückkommen wollen – und sei es nur als Touristen. Während die Auswanderung zu heißen, aber letztlich folgenlosen Debatten gegen die Ludditen von der Wir-müssen-unsere-Probleme-auf-der-Erde-lösen-Fraktion führen wird, wird die Remigrationsfrage eine ganz neue Form von Fremdenfeindlichkeit nach sich ziehen. Andererseits wird die Erde, als das eine, einzige Paradies des Sonnensystems ihre Anziehungskraft auf die Ausgewanderten nie verlieren. Da tut sich dann die erhebliche Konfliktlinie auf, ob der Planet der ganzen Menschheit gehört oder nur seinen Bewohnern.
2042 ist das sicher noch kein aktuelles, aber ein absehbares Problem, das aber die noch im 20. Jahrhundert geborenen Gerontokraten wie immer ignorieren werden. Man wird Interviews mit Cem oder dem steinalten Joschka lesen, in denen sie die ganze Raumfahrt als Mumpitz ohne Bedeutung abtun, während es für viele junge, gut ausgebildete Leute ohne große Perspektive im irdischen Arbeitsmarkt eine ernsthafte Lebensentscheidung sein wird, ob sie am Raumfahrt-Boom teilhaben wollen, auch wenn es riskant ist und womöglich bedeutet, nie wieder echte Schwerkraft unter den Füßen zu spüren.
(Jedenfalls hoffe ich, dass es so kommt. Vielleicht dauert es aber auch noch ein bisschen länger, bis wir so ein richtiges Science-Fiction-Problem bekommen. :) )
Mir ist das angesichts des Energieaufwands, um größere Massen ins All zu bringen, doch zu unrealistisch. Abgesehen davon meinte ich in der Tat sowas: Was sind die politischen Attraktoren, an denen sich die Gesellschaft scheidet?
Die Vorstellung, ins All zu kommen sei schwer, speist sich fast ausschließlich aus der Tatsache, dass es bisher nur von ineffizienten Regierungsbehörden gemacht worden ist. Das ändert sich aber gerade.
Das Problem ist eher, dass man nicht so recht weiß, was man da oben soll. Wenn wir lernen, vernünftig mit unseren Ressourcen umzugehen, das Bevölkerungswachstum zu beschränken und friedlich zusammenzuleben, dann kann es nochmal tausend Jahre dauern, bis das Space Age wirklich beginnt. Aber „glücklicherweise“ sieht es danach nicht aus…
Ich meine das hier tatsächlich physikalisch.
Ich weiß. Ich verstehe auch den Gedanken. Die Physik ist aber nicht wirklich das Problem, sondern die Ökonomie. Der erwartete Gewinn muss eben sehr hoch sein, um in ein Weltraumprojekt zu investieren. Und bisher scheint halt nicht viel zu holen zu sein.
Andererseits hat man die höchsten physikalischen Hürden auch schon überwunden, wenn man den niedrigen Erdorbit erreicht hat. Falls also z.B. die Weltraumhotels von http://www.bigelowaerospace.com/ jemals (gewinnbringend) funktionieren, dann kann von da an alles andere sehr schnell gehen.
Übrigens, ganz abgesehen davon, ich weiß nicht ob Deine Frage Sinn ergibt, wenn Du sie von technologischen Voraussagen trennen willst. (Obwohl die meisten hier das ja versuchen.)
Die Zuschreibungen „rechts“ oder „links“ halte ich langfristig für ziemlich beliebig. Es kommt allein auf das Umfeld an.
Wenn wir eine hochautomatisierte Gesellschaft bekommen, in der es keine Arbeit für alle gibt, wird ein Grundeinkommen vielleicht zur konservativen Position. Ebenso wird direkte Demokratie und Partizipation etwas werden, was irgendwann von „rechten“ Parteien vertreten wird, falls das Netz nicht zum gesteuerten Propagandainstrument verkommt. Linke Parteien könnten dann evtl. Anarchisten sein, aber vielleicht auch ganz schlimme Ökofschisten, die dafür eintreten, die Leute endlich mehr unter Kontrolle zu halten.
Völlig austauschbare Label also, aber die Inhalte werden durch Technologie bestimmt. Ich würde sogar meinen, dass das auch in der Vergangenheit schon galt. Ohne Waschmaschine keine Frauenbewegung. :)
Nachdem Björn nicht ganz zu unrecht die Raumfahrt anbrachte wollte ich ‑weil „echte Science Fiction“ keine Raumfahrt braucht sondern manchmal nur eine blaue Telefonzelle- doch den Querverweis auf die andere Richtung bringen: „SeaQuest DSV“ hat als Serie (mit auf dem wunderbaren AMIGA generierten CGIs) plausibel dargelegt, dass der unterseeische Raum unbekannter und potentiell ertragreicher wäre. Angelegt ist die Serie auf „2032“, erstellt in den 90er Jahren sind ex-jugoslawische Altkriegsverbrecher schon Thema… ebenso die Bodenschätze etwa der Pole. Sie ist also 15–20 Jahre älter, greift dafür 10 Jahre näher und bietet einen beachtenswerten Blick auf die untergegangen Inselstaaten, die Zukunft der UN und die der Grosskonzerne die in den USA Menschenrechte (corporate personhood), international aber nationale Rechte wollen.
Die Unterscheidung rechts und links, liberal und konservativ gibt es schon heute nicht, gab es strenggenommen noch nie. Politik ist mehrdimensional, was spätestens seit dem Wahl-O-Maten jedem bewusst sein müsste.
Einfachstes Beispiel, um zu zeigen wie absurd die Fragestellung ist, ergibt sich daraus, ob die Grünen „für“ oder „gegen“ die Umgehungsstraße sind. Tatsächlich gibt es Ratsfraktionen, die sich mal so, mal anders entschieden haben. Soll nun der Ortskern ruhiger werden oder schafft so eine „Stadtautobahn“ zusätzlichen Verkehr.
Was heißt „liberal“ ? In den USA ist das einfach die Linke. Bei uns kann es national-liberal, wirtschafts-liberal oder sozial-liberal bedeuten. Damit wäre bereits das gesamte politische Spektrum abgebildet.
Eben so klar ist Sozialismus definiert. In dem berühmten Fernsehfilm von der Wende, darf Erich Honecker sagen:„Was Sozialismus ist, definieren wir.“ Das musste er sagen, denn die Mehrheit der SED wollte einen ganz anderen Sozialismus. Doch der war etwas völlig anderes, als sich die Sozialistische Internationale der Sozialdemokratie vorstellte. Je nach politischer Couleur unterscheidet sich Sozialismus von Sozialismus mehr, als vom Liberalismus oder dem Nationalismus oder Konservatismus.
Aber genau deswegen stelle ich die Frage ja: Wir haben heute (bei allen Undefiniertheiten und Mehrdimensionalitäten) landläufig das Gefühl, so ungefähr zu wissen, was links und was rechts ist, was eine progressive und was eine konservative Position ist. Vor fünfzig oder vor hundert Jahren gab es die selben Label, aber sie waren anders hinterfüttert als heute. Mich interessiert, welche Überzeugungsbündel in 30 Jahren.mit links bzw. rechts verbunden sein werden – und welche Lagerbildungen.wuer dazu wahrscheinlich sind.