Seit fast einem Jahr war da noch dieser Gutschein über 25 Euro, den ich geschenkt bekommen hatte, und den ich in der großen Buchhandlung hier vor Ort einlösen konnte.
Eigentlich eine gute Sache, so ein Gutschein: Ich lese ziemlich viel; die letzten Bücher, die ich zur Unterhaltung gelesen habe, können hier besichtigt werden. Dann habe ich – darauf werde ich gleich noch zurückkommen – manchmal ziemlich spezielle Vorstellungen davon, was ich gerne lese. Insofern: Gute Idee, einen Gutschein statt ein Buch zu verschenken, das mir vielleicht letztlich doch nicht gefallen hätte.
Dass der Gutschein noch immer uneingelöst von mir hierher und dorther geschleppt wurde, hatte wohl etwas damit zu tun, dass ich seltener in die Innenstadt kam. Aber, das muss ich zugeben, die Tatsache, dass ich den ganz überwiegenden Teil meiner Bucheinkäufe seit einigen Jahren über ein großes Internetversandhandelsunternehmen abwickle – auch diese Tatsache wird dazu beigetragen haben, dass der Gutschein so lange uneingelöst blieb. Kurzum: Erst heute hatte ich die Zeit und die Muße, mich in die große Buchhandlung im Stadtzentrum zu begeben, um das Geschenk endlich aus dem Virtuellen ins Reale zu verwandeln.
Zuletzt hatte ich die Buchhandlung vor gut einem halben Jahr betreten, wenn ich mich richtig erinnere. Damals war ich in groer Eile und wollte schnell noch ein Bilderbuch kaufen. Heute jedoch hatte ich Zeit. Vielleicht ist mir manches deswegen erst so richtig aufgefallen.
Sprach ich von einer Buchhandlung? So ganz sicher bin ich mir nicht, ob Buch eigentlich noch der richtige Begriff ist. Im Eingangsbereich wird „Mitnehmware“ feilgeboten: die besten Bücher, insofern Bestenlistenplätze darüber etwas aussagen, ebenso zu verramschbare Bildbände. Es gibt dort ausgewählte DVDs, Postkarten und Dekorationselemente. Freiburg-Souveniers a la carte. Und aufgrund des Jahreswechsels ein paar Kalender. (Dummerweise hatte ich den diesjährigen Wandkalender schon bestellt – sonst wäre das ja eine Idee gewesen, was ich mit diesem Gutschein anfangen hätte können!). Der Versuch, im Untergeschoß ein Cafe zu betreiben, wurde inzwischen wieder eingestellt. Das Cafe ist nun einer Spezialabteilung für Noten, Musik – Klassik-CDs und DVDs -, Kunstbände und eben – zumindest zum Jahreswechsel – Kalender gewichen. Dort gab es auch weitere buchähnliche Gegenstände: Tagebücher, Skizzenbücher und Kritzelbücher.
Ich schlenderte also durch die Buchhandlung, und sah mir dies und das an. Vielleicht muss ich an dieser Stelle noch etwas zu meinen Lesegewohnheiten sagen. Was lese ich? In Buchform vor allem zweierlei: Auf der einen Seite stehen (umwelt-)soziologische Fachbücher und ‑zeitschriften, mit denen ich aber meist eher steinbruchartig umgehe (keine Sorge: ich lasse die materiellen Bücher ganz!). Auf der anderen Seite das, was ich zur Unterhaltung lese. Zu mindestens 90 Prozent sind das englischsprachige Science-Fiction- und Fantasy-Romane, wobei wiederum der größte Teil davon von einer Handvoll AutorInnen geschrieben wurde. AutorInnen, bei denen ich die Erfahrung gemacht habe, dass sie einen gewissen literarischen Anspruch haben und Science Fiction und Fantasy als „Ideenliteratur“ schreiben können. Klassisch ist hier sicherlich Ursula K. Le Guin, aber auch Charles Stross, Iain Banks, Ken MacLeod, C.J. Cherryh, Kim Stanley Robinson, Terry Prattchet, Neal Stephenson und Elizabeth Bear zählen – ohne jetzt eine vollständige Liste aufschreiben zu wollen – zu den AutorInnen, von denen ich sehr viel lese, zum Teil so gut wie alles gelesen habe, was diese geschrieben haben.
Und dann gibt es ab und zu noch das eine Coffee-Table-Book oder andere Belletristik. Hin und wieder lasse ich mich dazu verleiten, populärwissenschaftliche Manifeste – Zeitdiagnosen, Welterklärungen, Autobiographien etc. – zu kaufen. Die Grenzen zu den wissenschaflichen Fachbüchern sind da fließend.
Ganz überwiegend lese ich diese Bücher noch auf Papier; inzwischen habe ich ein paar eBooks erworben und ein paar andere gefunden. Ich habe kein grundsätzliches Missfallen daran, finde es aber manchmal praktischer, sich ohne Gedanken an Akkuladestand und Stromverbrauch mit einem Buch irgendwo hinsetzen oder hinlegen zu können. Und dann mag ich meine Bücher durchaus gerne um mich haben – vielleicht auch als Statement der Selbstdefinition.
Ich könnte jetzt noch etwas über Filme und über Musik schreiben. Da ist es – insbesondere bei Filmen – inzwischen ähnlich, dass ich vieles nicht so gerne mag. (Und außerdem gibt es vieles, was ich lieber lese, als es mir anzuhören/anzuschauen – gerade bei „Sachthemen“ mag das etwas damit zu tun haben, dass mir das lineare Format von Audio- und Video oft zu anstrengend ist; selbst bei Podcasts oder nicht inszenierten YouTube-Videos habe ich da so meine Schwierigkeiten).
Aber zurück zu mir, wie ich durch die Buchhandlung mit all ihren buchartigen Dingen schlendere. Was es zusätzlich zu meinen Lesebedingungen erschwert, meinen Gutschein einzulösen, ist das „Es soll ja ein Geschenk sein“-Gefühl. Also, eines für mich selbst. Und dann kann es ja nichts sein, was ich mir eh kaufen würde. Nachvollziehbar?
Länger bleibe ich bei den Kunst- und Designbüchern stehen. Da sind einige dabei, die mich interessieren würden. Vielleicht ein Kompendium des Alltagsdesigns der letzten 150 Jahre? Oder ein Bildband mit Fotografien? Die meisten davon haben aber – ganz typisch für Kunst- und Designbücher jenseits der Ramschkategorie – eher museale Preise, die sich nicht mit meinem Gutschein vertragen wollen.
Ich entschließe mich, zunächst weiter durch die Buchhandlung zu schlendern. Das Erdgeschoß ist zweigeteilt. Der eine Teil ist als modernes Kuriositätenkabinett gestaltet. Über die Bestenlisten und aufwändig präsentieren Neuheiten – es gibt übrigens viel zu viele Bücher (im Jahr erscheinen fast 100.000 neue Bücher allein in Deutschland) – geht es in die Belletristikabteilung. Dort gibt es Hörbücher, Esoterik, Buchzubehör, Geschenkbücher, Romane, historische Romane, klassische Romane und Bestseller.
Eigentlich wollte ich ja was anderes kaufen als sonst, trotzdem schaue ich mal nach Science Fiction. Das deutschsprachige Angebot mag mich wie schon seit Jahren nicht überzeugen. Es gibt drei Regale: Science Fiction, Fantasy und „Romantic Fantasy“. Science Fiction besteht aus einigen Klassikern (Lem/Bardbury/Dick), schlechten Übersetzungen von Romanen, die ich auf Englisch längst gelesen habe, textlichem Zubehör zu Computerspielen und Serienuniversen sowie einigen wenigen deutschsprachigen Orignalen, die mich aber allein schon von der Gestaltung her eher abschrecken (oder bei denen ich mir ziemlich genau vorstellen kann, welches Werk der Autor oder die Autorin zuletzt gelesen und als Anregung verwendet hat).
Bei Fantasy ist es ähnlich, neben Übersetzungen gibt es reihenweise Tolkienklone. Und dann neuerdings ein ganzes Regal voller in unglückliche Teenager verliebter Vampire. Auch nicht meines.
Zwei weitere Regale – nicht SF, sondern insgesamt! – werden von englischsprachigen Texten ausgefüllt. Auch hier überwiegen langjährige Bestseller, wie sie in jeder etwas besser sortierten Bahnhofsbuchhandlung zu finden sind. Und außerdem wollte ich ja mal was anderes lesen.
Mein Gesamteindruck aus der Belletristik-Abteilung: Da steht vieles, was vielem, was schon da ist, ähnelt – bis hin zur Ikonographie der Einbandgestaltung. Die eigentlich durchgängig wenig bibliophil ist, schade eigentlich.
Vielleicht ein politisches Buch? Guttenberg, Sarrazin, Wulff und Epigonen – muss das verkauft und vermarktet werden? Wirklich? Und überhaupt: Gesellschaftsdiagnosen jedweder Art gibt es wie Sand am Meer. Die lese ich dann doch lieber in pointierten Blogbeiträgen, in Zeitungen und Zeitschriften, aber bitte nicht als auf Buchlänge ausgewälzten Talkshow-Erguß. Diskursmüll.
Wer kein Manifest schreibt, und keine große Diagnose abgeben will, nimmt das Ratgeberformat, das ebenso beliebt ist. Wer kauft das eigentlich? Und was machen die, die das kaufen, damit?
Bei der Gelegenheit konnte ich, nebenbei gesagt, einmal einen Blick in das GRÜNEN-Buch aus der ZEIT werfen. Und habe festgestellt, dass das, was als Magazin gut funktioniert hat, nämlich eine mal witzige, mal geistreiche, mal politische Auseinandersetzung mit der grünen Partei, ihren AkteurInnen und ihrer Geschichte, ein fast 30 Euro teures Buch nicht wirklich trägt. Muss nicht sein.
Eine Treppe höher gibt es Reiseführer, Computerbücher, Digitalfotografierbücher, Lexika, Kinderbücher, Spielzeug, Hörbücher, eBook-Reader, eBook-Reader-Zubehör, Software, Computerspiele und DVDs. Ach ja – und der zweite Teil der Manifeste. Ein ganzer Tisch ist Steve Jobs gewidmet. Die Idee, über „ein halbes Jahr ohne Handy“ zu schreiben, hatten auch gleich mehrere. Die digitale Zukunft wird – seit mehr als einem Jahrzehnt – ausgewalzt, kritisiert, definiert und dezidiert befürwortet und/oder abgelehnt; dieses Jahr mit den Akzenten Postprivacy, Urheberrecht, Arbeit und Technologie. Nicht dumm, aber ebenfalls etwas, das ich lieber online lese, als dafür noch ein Buch zu kaufen (ein paar solche aus den letzten Jahren stehen schon hier).
Ein Stockwerk weiter oben stehen dann Fachbücher. Aber da habe ich grade auch keinen Bedarf für. Letztlich bleibe ich bei den DVDs stehen. Viele Filme kenne ich – einige der „Klassiker des deutschen Films“ habe ich also tatsächlich im Kino gesehen. Andere würde ich mir eher mal auf YouTube anschauen, gerade mit dem Smartphone funktioniert das ganz gut.
Der Gang durch die Buchhandlung lässt mich mit einem etwas seltsamen Gefühl zurück. Dass eine Buchhandlung auch DVDs, Computerspiele und Merchandising verkauft, kann ich ökonomisch nachvollziehen. Ebenso wie die Tatsache, dass extrem viel Fläche dafür verbraucht wird, die immergleichen Inkarnationen der Manifeste und Bestsellertophits zu präsentieren. Mich schreckt das eher ab, aber vermutlich bin ich da die Ausnahme, und nicht der ökonomische Normalfall.
Die Idee, in einer Buchhandlung spannende Bücher entdecken zu können, also vorgefilterte Zufallsbegegnungen zu ermöglichen – die hat diese große Buchhandlung im Zentrum der Stadt für mich nicht erfüllt. Zugegeben: Ich habe auch nicht gefragt. Ich hatte aber auch nicht das Gefühl, dass mir geholfen hätte werden können. Vielleicht, weil meine Ansprüche zu speziell sind. Vielleicht, weil das Angebot neben den Bestsellertophits und deren Klonen zu klein oder dann in anderer Hinsicht speziell ist (Reiseführer, Ratgeber, Romantisches – alles Spezialisierungen, die mich nicht interessieren). Vielleicht gibt es zu viele Bücher, um in einer großen Buchhandlung alles, was potenzielle KundInnen ansprechen könnte, vorzuhalten. Vielleicht bin ich aber auch einfach nur verwöhnt davon, dass das Stöbern in den auf meinen bisherigen Käufen beruhenden Empfehlungen des Internetversandhandels gewöhnlich eher Bücher, die ich ebenfalls gerne lesen will, zu Tage fördert – das ist dann mehr vom Gleichen, aber dafür ein Mehr, von dem ich weiß, dass es mich unterhalten wird, oder dass es meine Neugierde anstacheln wird.
Wie komme ich zu neuen Büchern? Inzwischen entweder über diese Empfehlungen, darüber, dass ich schaue, ob die AutorInnen, die ich gerne lese, etwas neues geschrieben haben – oder darüber, dass in Blogkommentaren oder auf Twitter auf Bücher hingewiesen wird, die für mich interessant klingen. Das sammelt sich dann auf meinem Wunschzettel.
Die große Buchhandlung kann das nicht. Das ist ein Effekt der Internetversandhandelslogistik, der dortigen Algorithmen, aber vielleicht auch ein Effekt einer aus dem Takt laufenden gesellschaftlichen Synchronisierung: Die großen Diskurstexte muss niemand mehr gelesen haben, um darüber mitreden zu können. Und die Diskursereignisse der Teilöffentlichkeiten driften auseinander und suchen ihre spezialisierten Nischen.
Ich befürchte, dass der große Veränderungsprozess der Buchhandlungen erst begonnen hat. Bestseller vorhalten kann auch die Buchabteilung im Kaufhaus. Bücher bestellen kann inzwischen jede und jeder genauso schnell und einfach wie die Buchhandlung mit ihrem vormaligen Libri/KNO-Monopolzugriff. Buchhandlungen als Event-Orte im Einkaufserlebnis, wie Bäckereicafes das heute schon sein wollen? Oder hochspezialisierte Nischenbuchhandlungen für bestimmte social communities? Hätte ich vielleicht im Laden mein Smartphone zücken müssen, um aus der großen Buchhandlung die personalisierte Buchhandlung zu machen? Oder doch ein Ende mit Schrecken und ein Neuanfang im Netz?
Übrigens: Geschenkt habe ich mir letztlich eine seltsame Mischung – die DVD zu Avatar, weil ich den Film mal sehen will, und Baudolino von Umberto Eco, also so etwas wie Literatur von dem vor kurzen 80 Jahre alt gewordenen Professor; letzteres, weil ich einige Romane Ecos gelesen habe, ich dieses Buch noch nicht kannte und die ersten paar Seiten vielversprechend aussahen.
Warum blogge ich das? Um herauszufinden, warum mir die große Buchhandlung so seltsam fremd vorkam.
Mir geht es in Buchhandlungen ähnlich und leider hier in Stuttgart auch in der neuen Bücherei. Zufallsbekannschaften mit Büchern, das Entdecken von Neuem beim Herumschlendern findet kaum mehr statt. Dabei stehe ich auch nicht auf Mainstream, mich findet man in der Ecke der historischen Romane.
Der Eco ist übrigens gut, zwar nicht vergleichbar mit dem “ Foucaultschen Pendel“ aber trotzdem lesenswert. Der ganz neue Roman von ihm “ der Friedhof in Prag“ soll auch gut sein, da warte ich noch, das mein Vater ihn ausgelesen hat. Bücher werden bei uns auch gerne weitergegeben.
Fehlt dir die Buchhandlung am Schwarzen Kloster auch so?
Tatsächlich gehe ich nur noch in Buchhandlungen, wenn ich einen Lustkauf tätigen will statt gezielt einen Titel zu bestellen. Und dann sind es nicht die großen Händler, auf die deine Beschreibung passt, in denen ich fündig werde, sondern die verbliebenen kleinen, bewusst bestückten, gefilterteten mit im Zweifelsfall persönlicher Beratung. Wo die Buchhändler treffsicher Geschmackstipps aus dem Hut zaubern (dabei besser treffen als jeder Algorithmus) statt zu fragen, wie man „Simenon“ buchstabiert.
PS zu deinem Wunschzettel: «Babylon 5» gibt es komplett in der Bibliothek des Carl-Schurz-Hauses. DVD-Ausleihe gegen einen symbolischen Jahresbeitrag kostenlos.
Danke für den Hinweis auf die Carl-Schurz-Bibliothek!
Zum Schwarzen Kloster eine ehrliche Antwort – in den letzten Jahren nicht wirklich. Was damit zu tun hat, dass mein Bedarf an Empfehlungen eher gering ist/war, und das Bestellen konkreter englischsprachiger Titel über das Netz mit sehr viel weniger Aufwand verbunden ist und war – und häufig auch noch günstiger ist.
„Glaub nicht, du wärst der einzige Geschichtenverfasser in dieser Welt. Früher oder später wird sie jemand erzählen, der noch verlogener ist als Baudolino.” ;-)
Ich bin gespannt, Baudolino muss aber noch ein bisschen warten, bis die – hmm, fünf – Bücher vorher auf dem Lesestapel gelesen sind. Februar, denke ich.
Als Fantasy Fan solltest du dringends mal einen Blick auf „Robin Hobb“ werfen. Für mich die aktuell beste Fantasy Autorin der Neuzeit. Unglaublich spannend, faszinierend und auch sprachlich auf hohem (nicht zu hohem) Niveau.