Den folgenden Text habe ich für den SPUNK – Zeitschrift der Grünen Jugend – geschrieben:
Im Ländle angekommen
Der Wahlsieg in Baden-Württemberg fand auch in den Kleinstädten und Dörfern statt
Lange galt der Grundsatz, dass Grüne in den Städten siegen und auf dem Land kein Bein auf den Boden bekommen. Ganz so einfach ist es nicht mehr. Erst recht nicht in Baden-Württemberg. Von den fast elf Millionen EinwohnerInnen (Ew.) lebt nur ein knappes Drittel in großen Städten: Stuttgart ist mit etwa 600.000 Ew. die einzige Metropole. Danach folgen Mannheim und Karlsruhe (je 300.000 Ew.) und Freiburg (220.000 Ew.) sowie 18 weitere Städte zwischen 50.000 und 150.000 Ew. – neben den Universitätsstädten sind das bundesweit eher unbekannte Städte wie Pforzheim, Aalen oder Esslingen. Mehr als zwei Drittel der Bevölkerung leben dagegen in kleineren Städten und Gemeinden – und im ländlichen Raum.
Wahlergebnisse von CDU, Grünen, SPD und FDP bei den Landtagswahlen 2006 und 2011 nach Einwohnerzahl der jeweiligen Gemeinde (Anklicken zum Vergrößern)
Noch einmal kleiner ist der Anteil der 22 größten Städten an den WählerInnen – ein Effekt des fehlenden Wahlrechts für MigrantInnen und der Altersstruktur. Nur ein Viertel aller Stimmen bei der Landtagswahl kommt aus diesen Städten, dagegen wurde hier jede dritte „grüne“ Stimme abgegeben (das heißt auch, dass zwei Drittel der Stimmen für Grüne aus kleineren Gemeinden kamen!). Das grüne Landtagswahlergebnis 2011 lag bei 24,2%. Hätte die Wahl nur in den größten Städten stattgefunden, hätten wir 30,1% erhalten; ohne diese wären es „nur“ 21,8% gewesen. Grüne sind in den Städten also überproportional erfolgreich; ein Zusammenhang, der auch statistisch belegbar ist. Je kleiner die Gemeinde, desto besser fällt das Ergebnis für die CDU aus; je größer, desto eher werden Grüne, SPD und LINKE gewählt.
Auch bei den Zuwächsen im Vergleich zu 2006 waren die 22 größeren Städten durchschnittlich besonders gut – allerdings mit starken Schwankungen zwischen einem schwachen Plus von 7,3 Prozentpunkten in Ulm bis zu starken 17,8 Prozentpunkten in Stuttgart. Auch in den linksliberalen Universitätsstädten Freiburg, Tübingen, Heidelberg und Konstanz gab es ebenfalls überproportionale Zuwächse um die 15 Prozentpunkte auf bis zu 43,0%.
Wie wurde dieses Ergebnis, wie der Regierungswechsel möglich? In der Landeshauptstadt und der Region Stuttgart war es „Stuttgart 21“, das bereits bei der Kommunalwahl zu enormen grünen Stimmengewinnen geführt hat. In den genannten Universitätsstädten sind Grüne schon länger kulturell dominierende Kraft. So sind Grüne in Freiburg, Konstanz und Tübingen die Oberbürgermeister. Das grün angehauchte städtische Bürgertum hat in der Landtagswahl die Chance gesehen, die eigenen Vorstellungen landesweit zu etablieren. Dabei ist ein „Ausstrahlungseffekt“ auf den stadtnahen ländlichen Raum zu berücksichtigen, wo einzelne kleinere Gemeinden ebenfalls sehr gut abschnitten. Ein Beispiel ist Merzhausen (knapp 5000 Ew.) an der Stadtgrenze zu Freiburg, wo 41% (+16,4) grün gewählt haben.
Aber auch da, wo Grüne weder den Stuttgart-21-Bonus noch kulturelle Vorherrschaft geltend machen konnten, wurde diese Wahl gewonnen (ob wegen Kretschmann, wegen Mappus oder wegen Fukushima, sei dahingestellt). In 629 der 1101 baden-württembergischen Gemeinden wurden 20% oder mehr erreicht. Einzig Bad Schussenried (Heimatort von Oswald Metzger!) fällt durch starke Verluste aus dem Rahmen. Und nur noch eine kleine Minderheit aller Baden-WürttembergInnen lebt in Orten, wie sie im ländlichen Raum früher üblich waren: Grüne erreichen mit Not die 5%, die CDU liegt nach jahrzehntelange Absolutherrschaft bei 60, 70 oder gar 82%. Denn auch der ländliche Raum hat sich verändert.
1989 erschien ein Buch über die ersten Jahre der Partei im „Ländle“ mit dem Titel „Grüner Weg durch schwarzes Land“. Heute erscheint „grün“ überall im Land als wählbare Alternative; vielleicht gerade deswegen, weil „grün“ habituell nicht mehr die „Alternativen“ verkörpert – wohl aber auch, weil kommunal über Jahrzehnte hinweg hartnäckig dicke Bretter gebohrt wurden. Diese Entwicklung hat nicht zuletzt die Partei selbst verändert. In den Städten – in den Hochburgen der neuen Bürgerlichkeit, aber auch in „Zwischenstädten“ und Mittelzentren – sind Grüne seit Jahren ein Normalfall. Mit der Landtagswahl 2011 ist die Denkmöglichkeit, grün zu wählen, nun endgültig im ländlichen Raum angekommen. Dazu gehört eine Politik, die nicht mehr nach dem grünen Weg durch das fremde Land sucht, sondern grüne Wege für das eigene Land finden will, die sich dezidiert als Politik für Baden-Württemberg versteht.
Plakat „Volle Kanne Heimat.“ aus dem Landtagswahlkamp 2011
Im Ergebnis stößt eine Partei, die in den Städten arriviert ist, und damit nicht mehr per se für unwählbar gehalten wird, auf einen ländlichen Raum, der im Angesicht vielfältiger Modernisierungsherausforderungen längst angegrünt ist. In dem nicht mehr nur Laptop und Lederhose, sondern eben längst auch Solaranlage und Schützenverein, Kinderkrippe und Kirchenchor aufeinander treffen. Keine Idylle – beileibe nicht – aber doch eine Situation, in der es möglich wird, grün zu wählen, und mit der Tradition zu brechen, für eine Partei zu stimmen, die aufs Dumpf-Konservative setzt und es nicht mehr schafft, Antworten auf diese Herausforderungen zu geben.
schöne grafik, macht das ganz sehr anschaulich :)