„Wir gehören in kein politisches Lager, sondern wir sind eines“ – war eine der Thesen von Daniel Mouratidis in seiner Bewerbungsrede für den Landesvorsitz. Er wurde jetzt ja nicht wiedergewählt, an der These ist trotzdem was dran. Und noch mehr drin: denn die Grünen haben auch intern eine informelle Struktur, die sich mit Strömungen, Flügeln oder Lagern ganz gut bezeichnen lässt. Mehr noch: innerhalb der Lager gibt es wiederum unterschiedliche Schwerpunkte und Bewegungen.
Historisch ist das ganze noch etwas komplexer (ich sage nur „Aufbruch“ oder eben die „Fundis“ um Jutta Ditfurth), aber aktuell gibt es wohl zwei große Strömungen – die Linken (Eigenbezeichnung: „grüne emanzipatorische Linke“ oder „grüne Linke“) und die Realos (Eigenbezeichnung: „Reformer“). Das sind aber jeweils wiederum volksparteiähnliche Veranstaltungen.
Spaltungslinien innerhalb der grünen Linken laufen im Koordinatensystem „Basisgrüne“ vs. „Regierungsgrüne“ (beide Begriffe finden durchaus Verwendung) einerseits und „sozialdemokratische Linke“ (Begriff von mir) und „emanzipatorische bzw. links-libertäre Linke“ andererseits. Obwohl Absprachen und Klärungsprozesse auch bei der Grünen Linken eher hinter verschlossenen Türen ablaufen, gibt es mit gruene-linke.de zumindest ein zentrales Infoportal.
Bei den Realos ist das, was ich sagen kann, weniger genau – vielleicht mag ja jemand ergänzen. Aus der innerparteilichen Außensicht fallen mir hier erstens ideologische Trennungslinien auf – zwischen einem wertkonservativ-katholischen Winfried Kretschmann und einer wirtschaftsliberalen Christine Scheel liegen gewisse Welten. Zum anderen habe ich den Eindruck, dass es mehrere Machtpole im Realo-Lager gibt, die seit einigen Jahren in erbitterten Kämpfen um den Führungsanspruch liegen (und deren Exponenten irgendwie alle aus Baden-Württemberg kommen). Eine dritte Trennlinie ist eher generational – so sind bei reformerplus.org eher jüngere, weniger autokratisch orientierte Realos dabei. Daneben gibt es noch mehr oder doch eher weniger freischwebende Foren wie „Realismus & Substanz“.
Zusammengefasst: das innerparteiliche Spektrum der „Partei der linken Mitte“ reicht von wertkonservativen Konservativen bis zu radikalen Linken (Doch, es gibt wirklich auch gemeinsame Werte!). Und dann kommen noch die dazu, deren liebste Koalitionsoption GRÜN+GRÜN wäre.
Warum blogge ich das? Weil Christian SöderSoeder unbedingt eine halbe Seite dazu lesen wollte. Und weil ich glaube, dass es der Transparenz über das Geschehen in Parteien durchaus gut tut, wenn deutlich wird, dass Machträume in Parteien einer gewissen Strukturierung unterliegen.
Und wenn du das ganze jetzt noch in einer Auflage von 300 stück ausdruckst und dann wieder von GoogleBooks einscannen lässt, dürfen wir es auch für die Wikipedia benutzen.
Da Du ja zutreffenderweise schon angedeutet hast, dass für Deine Einteilung die baden-württembergische Sichtweise eine starke Rolle spielt, möchte ich das gerne noch erweitern, zum Beispiel um nicht organisierte Gruppen, die in erster Linie außerhalb der großen Landesverbände stark vertreten sind.
* Ostdeutscher Nonkonformismus: Sozialpolitisch sind Ostgrüne meistens eher links der grün-internen Mitte (vergleiche die Sozialdebatte in MV am Samstag, wo nur ein linker und ein ganz linker Antrag zur Auswahl standen), die Zweitpräferenz ist aus historischen Gründen aber in aller Regel nicht die PDL, die im Osten sowieso überwiegend strukturkonservativ ist.
* Banalos: auf ein vergleichsweise schmales thematisches Spektrum konzentrierte Mitglieder, die inmitten strukturschwacher Regionen auffallen, aber für konzeptionelle Arbeit wenig beitragen.
* strategisch denkende Landeier ohne feste Lagerpräferenz: Bei unklaren Mehrheitsverhältnissen ist das immer häufiger die entscheidende Gruppe. Und das war in jüngerer Vergangenheit auch gerade in Baden-Württemberg zu beobachten, wozu indirekt natürlich Euer Landtagswahlsystem jede Menge beiträgt. Die machtorientierten Realos der alten Garde haben eine Einbindung dieser Gruppe nicht als notwendig erkannt und deswegen ein paar Personalabstimmungen verloren. Die jüngeren Reformer scheinen mir da klüger zu sein.
@kai
volle zustimmung. Deine „Banalos“ werden manchmal auch verächtlicher als „landeier“ bezeichnet.
Insgesamt würde ich noch eine weitere Ebene ergänzen, die dann vllt. dazu beiträgt den oder die einzelne im beschriebenen Spektrum noch genauer verorten zu können.
Till hat diese Ebene bereits angedeutet: Die Bereitschaft mit dem anderen Flügel zusammenzuarbeiten. Meines Erachtens gibt es unabhängig von der Einsortierung in die Lager die Unterscheidung derer, die lieber flügelintern arbeiten, andererseits diejenigen die gerne flügelübergreifend arbeiten oder dafür offen sind.
Vor allem unter den jüngeren realos (stichwort reformerplus) sehe ich einerseits eine große Bereitschaft zu eben dieser Zusammenarbeit, andererseits zur hierarchiefreien basisdemokratischen diskussion.
Ist nicht grün-grün die Lieblingskoalition von 90–100 % aller grünen Parteimitglieder? Ich denke, ich weiß, was du damit ausdrücken willst, es kann aber leicht nen falschen Eindruck erwecken.
Mir wäre es jedenfalls auch sehr recht, wir müssten keine Kompromisse mit anderen Parteien machen, um etwas umzusetzen.
@ Kay Karpinsky: Na das ist ja mal eine charmante Einordnung – im ländlichen & „strukturschwachen“ Raum wimmelt es ja scheinbar von „Banalos“ und „Landeiern“. In Städten werden „Banalos“ natürlich nie angetroffen… Täuscht mich das oder ist das städtische Arroganz…
Die „Banalos“ fallen nur da am meisten auf, wo sonst wenig andere Grüne sind.
„Landeier“ ist für mich kein negativer Begriff. Ich wollte mit dem obigen Bezug auf Baden-Württemberg auch ausdrücken, dass im ländlichen Raum andere Themen wichtig sind und die Städter das manchmal einfach ignorieren.
Unser derzeitiger Großflächen-KV trennt sich zum Jahreswechsel, weil der sich zahlenmäßig in der Minderheit befindliche ländliche Teil von uns Städtern genervt war, da wir auf Versammlungen allzusehr dazu neig(t)en, die Probleme einzelner Straßenzüge auszudiskutieren.