Morgen und übermorgen findet in Rostock der grüne Bundesparteitag („BDK“) statt. Ich habe mich entschlossen, diesmal nicht hinzufahren, obwohl es durchaus spannende Themen gibt. Eines davon ist die Frage der grünen Positionierung in den nächsten Jahren. Eine Teildebatte davon dreht sich um Jamaika bzw. um Lager, Flügel, Öffnungen und das Bürgertum. Ich gehe davon aus, dass auch viele Bundes-Jamaika-Fans (bzw. Nicht-AusschließerInnen einer solchen Koalition) dies vor allem aus strategischen Erwägungen heraus tun, nicht aus dem Gefühl großer inhaltlicher Übereinstimmung.
Dieses Gefühl würde ich jedoch gerne auf die Probe stellen. Kurz vor der BDK und der Debatte und Entscheidung über grüne Eigenständigkeit, Koalitionsoptionen und dergleichen mehr verdichtet sich ja dankenswerterweise immer mehr die geplante Kabinettszusammensetzung und der Koalitionsvertrag von Union und FDP. Ob jetzt mit oder ohne Schattenhaushalt – das aus meiner Sicht recht gruselige Programm zeichnet sich einigermaßen klar ab.
Jetzt das Gedankenexperiment: angenommen, wir Grüne wären mit am Verhandlungstisch gesessen. Am Beispiel der FDP und der CSU sehen wir, was Parteien im Bereich von 7–14% bewegen können. Auch die grüne Verhandlungsmacht dürfte – wenn nicht mit großen Vetomöglichkeiten ausgestattet – nicht ganz anders aussehen. Insofern stellt sich mir die Frage: Was wäre anders an Koalitionsvertrag und Kabinett, wenn Grüne – in der jetzigen, aktuellen Situation – mitverhandelt hätten? Oder heißt Jamaika auf Bundesebene (in den Ländern sind Personal, Politikfelder und auch Verhandlungspositionen noch einmal eine ganz andere Frage) letztlich Schwarz-gelb, wie wir es kennen, plus grüner Umweltministerin?
Um die Diskussion ein bißchen ins Laufen zu bringen – eine der Twitter-Reaktionen auf diese Frage war „Gegenfrage: glaubst du ernsthaft, er sähe dann auch nur ähnlich aus?“. Ich befürchte ja. Oder sieht das jemand anders?
In der jetzigen Situation, also mit genügend großer Mehrheit für Schwarz-Gelb, könnten die Grünen natürlich nichts reißen.
Aber wenn Schwarz-Gelb auf die Grünen angewiesen wäre mit einer realistischen Rot-Rot-Grün-Alternative – warum sollten die Grünen dann nicht einiges bewegen können?
Gerade bei der Atomkraft müßte Schwarz-Gelb ein Zugeständnis machen, da das wohl Conditio sine qua non für eine grüne Beteiligung ist. (Außer, ihr entwickelt suizidale SPD-Tendenzen.) Mit Teilen der Union könnte man in der Biopolitik Ziele erreichen, mit der FDP im bürgerrechtlichen Bereich.
Und weil Jamaika nicht die »natürlich« Koalitionsoption ist, gerade dann, wenn Rot-Rot-Grün realistisch möglich ist, wären die Grünen in einer sehr komfortablen Verhandlungslage.
@Felix: das meine ich mit Vetomöglichkeiten.
Aber trotzdem: würde zum Beispiel ein Atomausstieg auf der einen Seite heißen, auf der anderen Seite wachsweiche Kompromisse bei den Bürgerrechten, Sozialabbau im Gesundheitswesen und (um auch mal andere Teile der Partei zu bedienen) einen alles andere als nachhaltigen Haushalt akzeptieren zu müssen?
Vielleicht hilft’s, das ganze andersrum zu betrachten: Was wäre denn mit Rot-Rot-Grün zu erreichen? Ein nachhaltiger Haushalt? Ein nicht nur »gerechtes«, sondern auch nachhaltig finanziertes Gesundheits- und Sozialsystem? Bürgerrechte dürften dort einfacher zu verwirklichen sein. (Bleibt zu hoffen, daß die Grünen aus Rot-Grün und dem Otto-Katalog gelernt haben.) Was heißt Rot-Rot-Grün aber für Kohlekraftwerke? Wollen Linke und SPD einen Ausstieg aus dem Bergbauausstieg?
Weiss nicht. Momentan überwiegt bei mir der Eindruck: selbst schwarz-gelb hätte mehr herausholen können.
(Und mit dem Kohlebergbau sprichst du einen der wenigen Punkte an, die ich bei der Jamaika-Entscheidung im Saarland rational nachvollziehen kann.)
Genauso wie die SPD in der großen Koalition in manchen Bereichen das Allerschlimmste verhinderte (z.B. statt Kopfpauschale „nur“ ein vermurkster Gesundheitsfonds, statt Bahnprivatisierung „nur“ ein jahrelanges Hin und Her), würden wir dem Sozialkahlschlag und Marktradikalismus die gröbsten Schärfen nehmen, plus einige grüne Duftmarken setzen.
Mit der realen Gefahr, unser Profil zu verwässern.
Auch wenn’s nicht ganz zum Beitrag passt – immerhin geht es ja auch um die Bedeutung sogenannter „Machtoptionen“: Wenn ich den Bogen zu Deinem Wikipedia-Artikel spannen möchte, könnte ich das tun, indem ich die Jamaikafans zu den Wikipedia-Blockwarten ins Boot setze.
Denn wer keine Machtoption hat, ist irrelevant.
Die Frage hätte nicht sein müssen, ob wir an Jamaika teilhaben wollen, sondern dass wir Schwarz-Gelb verhindern, indem wir stärker als die FDP werden. Mit dieser FDP ist auf Bundesebene in der Tat kein Staat zu machen.
Grüne Eigenständigkeit hat nichts mit Liebe zu Jamaika zu tun. Kenne so gut wie keine Grüne, auch nicht Realos, die Jamaika für ein erstrebenswertes Projekt erachten.
Im übrigen glaube ich, dass der schwarz-gelbe Koalitionsvertrag beträchtliche Risiken für die Koalitionäre enthält, da er zwar vieles (gerade aus Sicht der FDP) Wünschbares enthält, aber wenig gesellschaftlich wie finanziell machbares.
Auf gehts mit der grünen Opposition!