Gestern nachmittag war Twitter einige Stunden lang ausgefallen bzw. nur sehr schlecht zu erreichen. Auch Facebook lahmte merklich; immer wieder funktionierten Aktualisierungen nicht und konnten Seiten nicht geladen werden. Gestern abend schon wurde dann klar, dass es sich nicht um einen technischen Fehler handelte, sondern um eine distributed Denial-of-Service-Attacke. Nur – wer steckte dahinter?
Bei Claudia Sommer konnte die Spekulation gelesen werden, dass das Motiv die Unterdrückung von Gegenöffentlichkeit zum Thema Iran sein könnte. Inzwischen ist die übereinstimmende Deutung wohl die, dass die Angriffe auf Twitter, Facebook und Livejournal einem einzigem Blogger galten, dem Georgier „Cyxymu“ (d.h. „Suchumi“), der auf diese Weise zum Schweigen gebracht werden sollte.
Unabhängig davon, ob der Hintergrund eher politisch oder kriminell ist – oder ob sich beides gar nicht so einfach trennen lässt – zeigt die Attacke zweierlei. Zum einen sind wir wieder ein Stück weiter in der Zukunft angekommen (wer Gibson, Sterling, Stross – oder wie ich gerade – Richard K. Morgans ‚Altered Carbon‘ liest, wird einiges finden, was ihm oder ihr sehr bekannt vorkommt). Zum anderen wird noch einmal deutlich, wie anfällig zentral organisierte Web‑2.0‑Dienste für derartige Angriffe, aber auch für Zensurmaßnahmen, Wechsel in der Geschäftspolitik etc. sind – und wie abhängig moderne Kommunikation inzwischen vom Funktionieren dieser Infrastrukturnetze ist.
Dem CNet-Artikel zufolge war Google wohl nicht (oder weniger) betroffen – YouTube hakte bei mir auch – weil die dahinterliegende Hardware und Netzwerkarchitektur robuster war. Trotzdem bleibt auch hier das Problem letztlich privatwirtschaftlicher Infrastrukturoligopole. Dass es (theoretisch) auch anders geht, zeigt Identi.ca – ein Mikroblogging-Dienst, der auf verteilte und offene Strukturen ausgelegt ist.
Warum blogge ich das? Nicht nur wegen der doch gruseligen Feststellung, dass manche SF-Weltentwürfe näher sind, als das einem lieb ist (Charles Stross musste gerade zum zweiten Mal den Plot eines seiner nächsten Romane umstellen, weil die Wirklichkeit ihn überholt hat), sondern auch, weil ich die Beobachtung spannend finde, wie kommunikationstechnische Pfade sich schließen bzw. öffnen, und wie dies mit Einzelereignissen und Kontingenzen zusammenhängt.
Update: (8.8.2009) Techcrunch weist darauf hin, dass die Attacken auf Twitter weitergehen und sich noch verstärkt haben.
Das ist halt echt das Problem der Walled Gardens (auch wenn Twitter recht offen ist) – bricht etwas weg, fällt die ganze schöne Kommunikationswelt zusammen wie ein Kartenhaus. Ein Teil der Probleme von FB könnte bspw. auch daher stammen, das Twitteruser switchten und damit die Last auf FB vergrößert wurde.
Lustigerweise hat identi.ca als einzige Reaktion die Twitterbrigde eingestellt :)
Deine Bedenken sind zwar prinzipiell alle richtig, aber letztlich war die ganze Aktion doch ein Schuss ins Knie, oder?
So groß wie jetzt wäre die mediale Aufmerksamkeit für den „Jahrestag“ des Kaukasis-Konflikts sonst wohl nicht gewesen – zumindest mal in der Web‑2.0‑Welt, aber die nimmt man dort ja offenbar ernst genug.
Ich frag mich, wie weit die da nachgedacht haben. Um eine Person vorrübergehend mundtot zu machen gleich mehrere sehr beliebte Webdienste stundenlang plattmachen? Was haben die sich da erhofft?
@Henning: es gibt ja auch noch die Variante (seltsam, dass „fefe“ dazu noch nichts geschrieben hat), dass der Sinn der Aktion darin bestand, mediale Aufmerksamkeit für „Cyxymu“ bzw. die politische Situation in Georgien zu erzeugen.
Als SF-Plot wäre das jedenfalls durchaus nachvollziehbar …