Egal, ob Homöopathie, Mobilfunk oder aktuell die von Peter Hettlichs taz-Beitrag losgetretene Debatte um die bemannte Raumfahrt – bei scienceblogs bekomme ich immer wieder, gerade von NaturwissenschaftlerInnen, zu hören, dass Bündnis 90/Die Grünen ja eigentlich schon interessant wären, wäre da nicht die „latente Wissenschaftsfeindlichkeit“ und „Irrationalität“.
Das ließe sich jetzt ignorieren, aber gerade in meiner Rolle als Sprecher der BAG WHT* ist es mir wichtig, dem nicht auszuweichen. Ich glaube, es tut uns Grünen auch gut, in dieser Frage offen und ehrlich zu sein.
Deswegen möchte ich einfach mal hier diese provokante Frage stellen – insbesondere auch an Mit-Grüne: Ist das so? Sind wir eine wissenschaftsfeindliche Partei? Oder ist es manchmal einfach nur schwer vermittelbar, wie Rationalität und „Alternativmedizin“, Forschungsförderung und Kritik an einzelnen Großforschungsprojekten in einer Partei zusammengehen? Wo sind Grüne forschungspolitisch richtig gut aufgestellt? Wo liegen die Schwächen anderer Parteien? Und wie könnte es besser werden?
P.S.: Hier die Forschungs-Seite der grünen Bundestagsfraktion, und hier das Wahlprogramm (ab S. 109 geht’s um Forschung).
Update: Wie unten schon in einem der Kommentare geschrieben, habe ich als Nukleus für eine wie auch immer organisierte Vernetzung grüner WissenschaftlerInnen (und Debatten über Wahrheit, Modus 2 und Wissenschaft ;-)) jetzt einfach mal eine offene Facebook-Gruppe „Grüne in Hochschulen und Forschungseinrichtungen“ aufgemacht. Bin gespannt, ob was daraus wird – wer mitmachen möchte, ist herzlich dazu eingeladen, sich dort als Mitglied einzutragen und zu Wort zu melden.
schwierig.
Die GRÜNEN wurden explizit dazu gegründet, um Grenzen des Fortschritts aufzuzeigen, in dem konkreten Fall der Atomkraft. Ich glaube in der Zeit kann mensch von Technikfeindlichkeit sprechen.
Andere Themen werden/wurden ähnlich konservativ behandelt, beispielsweise die Gentechnik. Wobei ich dort zwischen der grünen, grauen und roten Unterscheiden würde.
Aber ich glaube, die Stimmung ist mittlerweile gekippt, hin zu einem Technik- und Fortschrittsoptimismus, solange er gewisse Vorteile bietet. Jetzt geht es nicht darum, gewisse Teile der Forschung zu zu stoppen, sondern in nachhaltige Bahnen zu lenken.
Dadurch, dass man das Thema Umwelt nun mal besetzt, lockt man auch viele esoterisch angehauchte Menschen an.
„Alles, was nicht natur pur ist, kann schon nicht gesund sein“ ist auch weit verbreitet usw.
Ich sehe auf der einen Seite unrationale Gründe/Ängste gegen WLAN, Nanotechnologie oder Gentech,
auf der anderen Seite unterstützen wir jedoch auch klar Innovation (in bestimmten Bereichen) und Wissenschaftsfeindlichkeit wird schnell vorgeworfen, wenn man nicht bedingungslos nur die Chancen sieht und die Risiken ignoriert…
einen generellen Vorwurf „Wissenschaftsfeindlichkeit“ mag ich mir da nicht gefallen lassen, jedoch denke ich schon, dass das Durchschnitts-Mitglied risikobetonter der Forschung gegenübersteht als die Mitglieder anderer Parteien. Das muss nicht schlimm sein, grad wenn Risiken von anderen ignoriert werden, brauch es schon einen kritischen Gegenpol.
Ganz glücklich bin ich aber nicht damit.
Ich bin übrigens schon seit fast 2 Jahren der einzige studentische Vertreter in der Kommission für Forschung an meiner Uni, da sich sonst keinE StudierendeR dafür interessiert…(berührt Studeierende in ihrem Studium eben nicht direkt)…
Ich empfinde viele Teile der Grünen als wissenschaftsfeindlich, bzw. mehr noch wissenschaftsdesinteressiert. Ich denke wie vielen Menschen ausserhalb des Wissenschaftsbetriebes ist vielen Grünen nicht klar was es heißt wissenschaftlich zu arbeiten und welche Bedeutung wissenschaftliche Erkentnisse haben und wie ihr Genauigkeitswert einzuordnen ist. Aber darin unterscheiden sich Grüne nicht von anderen Parteien.
Jedenfalls sind wir alles andere als technologiefeindlich: Die erste Partei mit Internet-Parteitagen, die einzige, die konsequent auf Zukunftstechnologien setzt, wenn es um Energie geht. Technologie entsteht nur auf Grundlage von Forschung, ergo: Grüne setzen auf Wissenschaft – wenn auch nicht auf jede.
@Paula: Die Ignoranz beruht auf Gegenseitigkeit, weil gerade in Deutschland die Kultur der Wissenschaftsvermittlung nicht mehr das ist, was sie tatsächlich einmal war (nach 1860). Die Offenheit für Wissenschaft und Forschung empfinde ich bei Grünen sogar beträchtlich, entscheidend größer als bei anderen Parteien. Lies einfach ein paar LAG und BAG-Beschlüsse.
Das ist aber ja genau das Dilemma – die Wahrnehmung dürfte bei vielen WissenschaftlerInnen dem entsprechen, was Paula hier schreibt – und der Verweis auf die Programmatik bringt dann zu Tage, dass es neben starken wissenschaftsfreundlichen BAG-Beschlüssen und Forschungskapiteln eben auch z.B. eine sehr kritische Haltung gegenüber Mobiltelefonie gibt. Fazit: gegenseitiges Unverstandenfühlen. Wie konstruktiv damit umgehen? „Green Scientists“ als neue Teilorganisation?
Ja aber genau die Dissonanz zwischen verschiedenen Gruppen ist ja so schwierig. Und ich denke nicht das eine weitere Gruppierung das Problem löst. Das ist wie bei den Netzbegrünern, die wurschteln auch vor sich hin und grünen und trotzdem stimmen 15 MdB mit Enthaltung beim Zensursula-Gesetz. Wir brauchen mehr Dialog, vielleicht in Workshops an Parteitagen so wie es auch bei der Grünen Jugend üblich ist.
Hallo,
danke für den Beitrag. Ich bin wohl derjenige, der die „latente Wissenschaftsfeindlichkeit“ in den Raum geworfen hat. Meine Erklärungsversuche, dass es wichtig sei bei der Kritik zwischen wissenschaftlicher Methode und wirtschaftsgetriebenen Großprojekten zu unterscheiden wurde wohl eher als blauäugig und realitätsfern aufgenommen. Trotzdem seh ich eben, gerade im Bereich Gentechnik die Tendenz, eine Technik für das verantwortlich zu machen was Konzerne (Monsanto…) damit verbrechen. Gerade in diesem Zusammenhang oft gehörte Totschlagargumente wie „wir brauchen schlicht und einfach keine grüne Gentechnik“ halte ich eben für bedenklich.
Hier wurde angesprochen, dass Umweltthemen esoterisches Gedankengut anlocken. Das mag stimmen. Aber solches Gedankengut von offizieller Seite auf der einen und eine „gesunde Skepsis“ der wissenschaftlichen Methode gegenüber auf der anderen Seite halte ich einfach für inkonsequent. Ich weiß nicht, ob das eine Anbiederung an die esoterisch- umweltbewusste Fraktion ist oder ehrliche Überzeugung, aber in beiden Fällen machen solche Meinungen die hochgehaltene Skepsis unglaubwürdig.
Liebe Grüße,
Erik Ruf
@Paula: Soweit ich die Mitgliederstruktur der Grünen kenne, gibt es dort – im Vergleich zur Bevölkerung, aber auch im Vergleich zu anderen Parteien – überdurchschnittlich viele akademisch gebildete Menschen, von denen vermutlich ein gar nicht mal ganz kleiner Teil auch im Bereich Wissenschaft und Forschung arbeitet.
Jetzt gibt es zwar mit CampusGrün erfolgreiche grüne Hochschulgruppen, und mit der BAG Wissenschaft, Hochschule, Technologiepolitik und den entsprechenden LAGen – wo sie existieren – „ExpertInnenzirkel“ – was es aber nicht gibt, ist eine Vernetzung (kann ja erstmal auch was rein virtuelles sein) von WissenschaftlerInnen bei den Grünen. Normalerweise würde ich jetzt auch nicht unbedingt denken, dass jede Berufsgruppe sowas braucht – aber vielleicht wäre es gar nicht schlecht, damit Leute wie du und div. andere (vgl. Facebook-Debatte zu diesem Blogeintrag) sich nicht als „einsam in der Partei“ sehen.
Dass so eine Vernetzung nicht alles sein kann, ist mir auch klar – aber wer soll kommunikative Agebote wie Workshops am Rande von Parteitagen organisieren? Und gehen da nicht eh nur die hin, die an der Hochschule oder in der Forschung sind – wenn’s nicht gerade ein wissenschaftlicher Vortrag auf dem Parteitag ist, sowas gab’s ja auch schon?
Nicht zuletzt sehe ich die BAG WHT so ein bißchen in der Verantwortung für das Einbinden wissenschaftlicher Expertise allgemein in die Partei und frage mich, wie das am besten möglich ist.
Persönlich bin ich sehr überrascht vom Vorwurf der Wissenschaftsfeindlichkeit der Grünen. Für mich stehen die Grünen (gerade die aktuelle BAG-Position) für eine aufgeklärte und transdisziplinäre Wissenschaft. Grüne Wissenschaft ist eine „Modus‑2“-Wissenschaft, die sich zentraler gesellschaftlicher Herausforderungen annimmt, die Technik und Technologien in ihren gesellschaftlichen Kontext einbettet, die in der Wissenschaft unterschiedliche Wissensbestände auch jenseits des etablierten Forschungssystems ernst nimmt. Differenzierte Technologiekritik muss Teil eines solchen aufgeklärten Wissenschaftsprogrammes sein. Es erscheint daher sinnvoll, dass die Grünen/Bündnis 90 noch sehr viel proaktiver für solche Formen zukunftsgerichteter Wissenschaft eintreten. Sie werden dringender denn je benötigt.
@Till, danke für den Denkanstoß hier.
Ich finde, dieses Etikett sollten wir uns nicht anheften lassen. Die Diskussion besteht doch aus zwei Strängen: Einerseits die moralisch-ethische Diskussion über Wissenschaft: Gibt es Maßstäbe zur Bewertung des Erkenntnisinteresses der Wissenschaft? Heißt Freiheit der Wissenschaft, dass es keine Verantwortung der Wissenschaft geben darf? Wenn nein, wie wird diese Verantwortung implementiert? Gibt es neben dem Recht auf Wissen auch ein Recht auf Nichtwissen? Darf eine Gesellschaft, die Wissenschaft finanziert, Prioritäten setzen (siehe Raumfahrt)?
Und andererseits die Diskussion über grüne Esoteriker. Die kann man kurz machen. Solange sich Esoterik nicht aufs Programm auswirkt, kann da jeder frei nach Nase. Aber wo ist die Grenze zwischen Meinen und Wissen?
@Uwe: Beim modus 2 wird’s natürlich erst recht spannend – der wird ja von VertreterInnen harter Naturwissenschaften auch nicht unbedingt akzeptiert, sondern als eher „esoterisch“ angesehen, so jedenfalls mein Eindruck.
@Joerg: Richtig – es geht um das Verhältnis von Politik als gesellschaftlicher Gestaltungsinstanz und Wissenschaft. Zum zweiten Teil der Debatte musste ich leider lernen, dass das ganz so einfach nicht ist. Zumindest wer lange genug sucht, findet auch in unserem Programm – zum Beispiel bei der Frage Homöopathie im Gesundheitsteil – „unwissenschaftliche“ Elemente. Das kann als Ergebnis der Tatsache gesehen werden, dass Bündnis 90/Die Grünen nach wie vor eine relativ heterogene „Bündnispartei“ sind, und hingenommen werden – oder wie im verlinkten Blogbeitrag zum Aufhänger einer großen Parteienschelte gemacht werden.
Ich bin jedenfalls umgehend Mitglied einer Gruppe „Green Scientists“. Let’s go. Wer macht was?
Zum einen: Ist ja immer die Frage, was man unter Wissenschaft versteht. Für mich hat Wissenschaft sehr viel mit Skepsis zu tun – stimmt das überhaupt? kann das funktionieren? könnte es auch anders sein?
Die Grünen schlagen sich sicherlich vergleichsweise oft auf die Seite des Restzweifels, der immer noch nicht ausgeräumt ist. Das nervt natürlich den Wissenschaftler, dessen Forschung durch diese Zweifel blockiert wird. Wissenschaftsfeindlich im generellen Sinn finde ich das aber überhaupt nicht.
Zum anderen: Wissenschaft hat ihre Grenzen, die sich zum Beispiel auch aus der Menschenwürde ergeben. Oder im Bereich der Gentechnik aus einem christlichen Menschenbild, das ein derart fundamentales Herumspielen mit Leben nicht gutheissen kann. In einer pluralistischen Gesellschaft wie der unseren sind es nicht nur christliche Begründungen, sondern eben auch „esoterische“, die hier eine deutliche Positionierung nachsichziehen. Ob es allerdings bei Grüns mehr Menschen als in anderen Parteien gibt, die aus solchen Gründen bei manchen Technologien sehr skeptisch sind, kann ich nicht einschätzen.
@Florian: Wurzelwerk? Facebook? Oder gar „real life“ ;-)?
Es geht nicht darum, ob sich im Parteiprogramm unwissenschaftliche Teile befinden oder nicht. Es geht lediglich darum, dass man sich bei einer skeptischen Grundeinstellung, wie die Grünen sie gerne hochhalten, nicht aussuchen kann gegenüber was man skeptisch ist. Man sollte sein Maßband auch auf alle Meinungen in gleicher Weise anwenden.
@Tim: Ich bin sehr wohl damit einverstanden, der Wissenschaft ethische Grenzen zu setzen, wie jeder Wissenschaftler. Aber trotzdem frage ich mich welche Legitimation esoterische oder christliche Begründungen für diese Grenzen haben. Das ist genau das was ich mit den unterschiedlichen Maßstäben meine. Einschätzung von Risikos (als ob Wissenschaftler das nicht tun) und Skeptizismus in allen Ehren – aber dann gegenüber allen Meinungen, ob Stammzellenforschung, Handystrahlung oder Gentechnik.
Und zu den Definitonen von Wissenschaft: Es gibt faktisch nur eine und die lebt vom Zweifeln.
@Sentient6 wenn ich allem gleichermaßen skeptisch gegenüber stehe ist das genauso dumm wie wenn ich alle Heilungsansätze gleichermaßen zulasse. Es gibt wissenschaftliche Erkenntnisse denen man mehr Skepsis entgegenbringen muss als anderen. Ebenso ist nicht jede Meinung nur weil sie jemand hat gleichwertig mit allen anderen Meinungen. Ich glaube das haben wir Grüne schon erkannt, aber es fehlt noch an der Abwägung der Meinungen und das einordnen in die verschiedenen Kategorieen.
Hallo Till,
der von Dir verlinkte Beitrag macht aus meiner Sicht deutlich, dass es auch dort ums Glauben (und um Polemik) und nicht ums Wissen geht. Das zeigt sich schon bei dem Umgang mit der Akupunktur-Studie. Wenn die Methode beim Patienten besser wirkt als herkömmliche Verfahren und sei es durch einen Placeboeffekt und dieser wissenschaftlich belegt ist, dann ist es doch nicht unwissenschaftlich, darauf zu beharren, dass dieses Verfahren von der Kasse übernommen wird.
Nein Jörg, wenn der Placeboeffekt bei Akkupunktur hilft, dann sollte der Placeboeffekt von der Kasse bezahlt werden und zwar nur in dem Fall wo der Placeboeffekt hilft. Es ist falsch, da haben die Kritiker im verlinkten Beitrag recht, Akkupunktur zu fördern weil sie einen hilfreichen Placeboeffekt bei einer (relativ geringfügigen) Erkrankung hat. Sie ist trotzdem kein Heilmittel dass bei ernsthaften Erkrankungen einzusetzen ist. Das wäre wie gesagt fahrlässig. Insofern ist die Kritik an Biggis Politik richtig. Nicht alle Heilmethoden sind gleich geeignet und das ist unabhängig davon ob das die Patienten wollen oder nicht. Aber das ist eine Tangente auf die wir hier an dieser Stelle verzichten sollten. Es geht ja darum dass die Grünen als wissenschaftsfeindlich gesehen werden diese „Wenns hilft“ Mentalität ist Teil dessen was dazu beiträgt. Du lässt doch sicher einem Atomkraftbeführworter das Argument durchgehen „Wenns Strom macht“. Das der verlinkte Beitrag polemisch ist ist richtig aber das heißt nicht dass die Meinung da auf Glauben fußen. Ich habe das Gefühl dass die Esoteriker und Technologieskeptiker einfach lauter sind. Ich geh z.B. bei der Mobilfunkdebatte immer aus dem Raum um mich nicht zu ärgern.
Vielleicht ist die Grüne WissenschaftlerInnen Gruppe doch keine so schlechte Idee.
Hallo Paula,
es ist vollkommen unerheblich wer was sagt. Natürlich habe ich in der Praxis einer Idee gegenüber weniger Skepsis wenn sie ein Nobelpreisträger von sich gibt, als wenn sie von einer fachfremden Person kommt. Trotzdem, wenn die Faktenlage dünn ist, dann setzt sich eine Idee nicht durch egal von wem sie kommt. Wenn eine Person eine Behauptung aufstellt, die Wissenschaftlich untersucht werden kann, dann muss diese untersucht werden und dann muss diese Untersuchung vollkommen unabhängig davon sein, wer sie aufgestellt hat.
Insofern ist es durchaus sinnvoll jeder Idee die gleiche Chance zu geben. Was zählt sind Daten und Fakten. Ich weiß nicht was dumm daran sein soll, eine Idee an der Realität zu prüfen, anstatt sie zu glauben oder nicht, je nachdem wer sie hatte. Natürlich muss man manchen Erkenntnissen gegenüber kritischer sein als anderen. Aber nur, wenn das dahinterstehende Datenmaterial nicht ausreichend ist, oder schlecht interpretiert wurde. Nicht wenn diese Erkenntnisse nicht ins eigene Weltbild passen. Reality gives a damn about your beliefs.
Hier trifft man auch unweigerlich auf den Bereich Alternativ- bzw. Komplementärmedizin. Und hier muss ich Joerg deutlich widersprechen:
Natürlich muss eine Behandlung über den Placeboeffekt hinaus helfen. Denn wenn sie das nicht tut, dann kann ich ein beliebiges Mittel verschreiben. Das zeigt auch die Studie. Wenn es egal ist, ob ich den Patienten „korrekt“ mit Akkupunktur behandel oder ob ich einfach die Nadelstiche mit Zahnstochern simuliere, dann müssten beide Verfahren doch gleichwertig sein, oder? Sie wirken ja! Genauso macht es keinen Unterschied wenn ich jemanden mit Homöopathie fütter oder mit einer Zuckerkugel, sie wirken beide. Aber bei beiden Formen wirkt der Placeboeffekt (ok, physikalisch Gesehen SIND sie sogar das Gleiche).
Genau das ist der Grund, warum Doppelblindstudien mit Kontrollgruppe durchgeführt werden. Um den Placeboeffekt herauszufiltern. Der verlinkte Artikel interpretiert die Studie also auf die einzig sinnvolle Art. Das hat nichts mit Polemik oder Glauben zu tun.
Sentient6, das war wohl ein Misverständniss, es klang in meinen Ohren so als wolltest du sagen ich solle etablierten gut untermauerten Theorien genauso skeptisch gegenüberstehen wie aus der Luft gegriffenen Thesen. Da sind wir uns wohl einig dass das nicht so ist. Und wer die Idee bringt und kritisiert ist natürlich völlig unerheblich.
Allerdings und das füge ich nur an um den Kommentar-Thread nicht völlig fehl zu leiten. Forschung muss sich ethischen Grenzen. Das Wohl der Menschen und aller Spezien auf unserem Planeten sollten Richtlinie sein für die Ziele die sich Forschung setzt.
Na dann hat sich das ja erledigt. :)
„Forschung muss sich ethischen Grenzen.“
Da stimme ich dir zu, habe ich ja auch oben schon geschrieben. Nur finde ich es falsch, diese Grenzen aus Esoterik oder dem christlichen Glauben abzuleiten.
„Das Wohl der Menschen und aller Spezien auf unserem Planeten sollten Richtlinie sein für die Ziele die sich Forschung setzt.“
Auch da stimme ich dir zu. Aber trotzdem muss nebenbei noch genug Platz für die Grundlagenforschung ohne konkretes Ziel sein. Diese hat als Hauptantrieb die Neugier, die Suche nach dem „was unsere Welt im Innersten zusammenhält“. Denn man weiß nie, wo die Erkenntnisse schlummern, die wir zur Rettung unseres Planeten brauchen. Insofern ist die zielgerichtete Forschung nicht immer möglich. Was nicht heißt, dass sie nicht zusätzlich zur Grundlagenforschung betrieben werden sollte, klar.
Als Nukleus für eine wie auch immer organisierte Vernetzung grüner WissenschaftlerInnen (und Debatten über Wahrheit, Modus 2 und Wissenschaft ;-)) habe ich jetzt einfach mal eine offene Facebook-Gruppe „Grüne in Hochschulen und Forschungseinrichtungen“ aufgemacht. Bin gespannt, ob was draus wird …
Hallo Paula, hallo Till,
mir will kein vernünftiger Grund einfallen, warum Ihr „Wenns hilft“ und „Wenns Strom macht“ in einen Topf werft. Welche Ethik sollte dagegen sprechen, die Forschung über die Evidenz von Methoden wie der Akupunktur zu fördern?
Jörg, es gab Forschung zur Wirksamkeit von Akkupunktur die gezeigt haben, dass es ausschließlich ein Placeboeffekt ist der wirkt. Warum soll ich tausendmal die gleiche Frage stellen nur weil mir die Antwort nicht gefällt?
Richtig, wenn die Frage geklärt ist, kann man sich das sparen. Aber es ging ja nicht nur um diese Frage, sondern um weitere. Was ist eigentlich Evidenz? Wie kann man sie messen? Ist es zulässig, von den Effekten bei einem Individuum auf eine ganze Gruppe zu schließen usw.
Um das nochmal klarzustellen: Ich kann mit Komplementärmedizin nichts anfangen. Aber ich wehre mich dagegen, dass die Förderung der Erkenntnisse über solche Methoden als unwissenschaftlich dargestellt wird. Es schadet doch nichts, mehr darüber zu wissen. Welche Büchse der Pandora wird dadurch aufgemacht?
@Joerg: bin da selbst eher unentschieden (einerseits pro Aufklärung, andererseits genügend Sozialkonstruktivist, um zu wissen, dass auch wissenschaftliches Wissen weniger fest ist es als gerne scheint), hatte den Link und das Thema Homöopathie/Alternativmedizin eher als typisches Beispiel dafür aufgeführt, wo grüne Programmatik und „harte“ Wissenschaftlichkeit – wie sie hier Paula vertritt – aufeinanderprallen. Und wo es in der Debatte in beide Richtungen (mit überzeugten Homöopathie-Gläubigen ebenso wie mit überzeugten Wissenschaftsgläubigen) dann richtig heiß hergeht, und ein „offen für alles“ argumentativ nicht mehr gut geht.
Öhm. Die wissenschaftliche Methode legt ziemlich genau fest, dass die Effekte bei einem Individuum nicht als zulässige Evidenz gelten für eine Gruppe. Und messen kann man sie an den Doppelblindstandards die es in der medizinischen Forschung gibt. Diese Fragen hier aufzuwerfen verschleiert das eigentliche Problem und halte ich für fatal im Diskurs darum wie wir Wissenschaftspolitik betreiben. Wie man gesicherte Erkentnisse über medizinische Methoden gewinnt ist klar, die Forderung ist nun, dass sich bisher nur durch Traditionen oder esoterische Gruppierungen verbreitete Methoden diesen Untersuchungen stellen. Sollte sich widererwarten ergeben dass sie funktionieren. Prima! Sollte sich herausstellen, dass sie besser funktioniern als bisher etablierte Methoden, oder sollten sie sonst Vorteile haben dann bin ich dafür dass sie ihren festen Platz an vorderster Front der Behandlung haben. Dann gehen sie aber auch in den Kanon der klassischen Medizin über.
Bisher wird aber gefordert dass „alternative“ Medizin/Behandlung von Krankenkassen übernommen wird ohne Hinweise dass es mehr als Placeboeffekt ist, bzw. mit eindeutigen Gegenbeweisen. Dass da der Vorwurf wir seien wissenschaftsfeindlich nicht weit ist, ist verständlich. Und die Idee, dass man das bezahlen müße weil viele Menschen in der BEvölkerung das wollen ist so als würde man die Kosten für die Bildzeitungen übernehmen weil viele Menschen das lesen.
Ich glaube ja nicht, das Wissenschaftskritik keinen Platz in der Gesellschaft hat, immerhin können wir Ergebnisse nur aus unserer eigenen Erfahrung heraus beurteilen, aber nur weil das so ist muss ich nicht alle Wissenschaft anzweifeln, so wie es manche Esoteriker tun.
Um mal zum ursprünglichen Thema zurückzukommen, ich glaube nicht, dass „Die Grünen“ per se Wissenschaftsfeindlich sind. Das Problem ist vielmehr, dass es einzelne oder Gruppen gibt, die systematisch antiwissenschaftliche und pseudowissenschaftliche Ideen lautstark vertreten, ohne dass im Ernstfall aus den eigenen Reihen Widerspruch kommt.
Da entsteht halt der Eindruck, dass schlicht ein großer Teil der schweigenden Mehrheit beifällig nickt. Es sind eben nicht irgendwelche Programme und Beschlüsse, die das Bild einer Partei prägen.
Ich bin auf jeden Fall gespannt, ob solche Initiativen zukünftig einen sichtbaren Effekt haben.
Ah! Also ich bin ja zum harten Wissenschafts„glauben“ erzogen worden und es war quasi eine Offenbahrung als ich vor 2 Jahren verstanden habe das und wie Wissen konstruiert wird. Es hat eine Lücke in meinem System gefüllt die da war aber die ich nicht beschreiben konnte.
Wenn in einem Programm die Sätze „man habe noch keine Wissen darüber ob Strahlung von Sendemasten gefährlich sei“ und „aber man kümmere sich auch um Strahlungssensible Mitbürger“ nebeneinander stehen, dann stinkt das nach Humbug, auch wenn es als „offen für alles“ gemeint ist.
Insgesamt sind so viele Grüne WissenschaftlerInnen oder als solche gebildet, dass ich nicht glaube, dass die Gefahr besteht von irrealen Glaubenswelten überwältigt zu werden, aber ich denke es ist gut das immer wieder zu thematisieren.
An dieser Stelle möchte ich einmal danke sagen, Paula, für ihre klasse Diskussionsbeiträge.
Hallo Paula, keine Angst, ich will mich nicht an Dir abarbeiten. Auch mir stinkt es, wenn man sich bei bestimmten esoterischen Grüppchen anbiedert. Aber eine kleine Spitze sei mir noch erlaubt: Du kritisierst Aussagen, dass man noch nicht wisse, ob Mobilfunkstrahlung gefährlich sei. Was ist daran auszusetzen? Natürlich weiß man das noch nicht. Man weiß nur von auffälligen Zellaktivitäten. Ob das auf längere Sicht gefährlich oder harmlos ist weiß bislang kein Mensch.
Ich hab mir auch mal paar Gedanken gemacht. Die Langform auf meinem neuen Blog, die Kurzform hier:
Ich und die Grünen sehen den Einsatz diverser Technologien sehr kritisch, insbesondere wenn davon ein großes Risiko ausgeht. Echte Wissenschaft (im Labor) die quasi der Bevölkerung nicht schadet, ist ganz anders einzuschätzen.
@christian
labore sind ebenso unsicher wie akws. der menschliche faktor. insofern bin ich durchaus dafür manche dinge nicht einmal im labor zu machen.
@paula
„Wie man gesicherte Erkentnisse über medizinische Methoden gewinnt ist klar, die Forderung ist nun, dass sich bisher nur durch Traditionen oder esoterische Gruppierungen verbreitete Methoden diesen Untersuchungen stellen.“
ich habe aus prinzipiellen gründen probleme mit der zur zeit angewandten methode, angeblich gesicherte erkenntnisse über medizinische methoden zu bekommen. oder genauer formuliert: ich finde es schwierig, hier von gesicherten erkenntnissen zu sprechen. meines erachtens bleiben viel zu wenig variablen berücksichtigt, die angewandten modelle sind in der regel nicht komplex genug, um wirklichkeit auch nur annähernd abzubilden. comorbiditäten, soziale parameter, biographische parameter bleiben in aller regel ausgeblendet, wenn doppelblindstudien gemacht werden.
das ändert nichts daran, dass ich einen großteil von alternativmedizinischen methoden für humbug halte und doppelblindstudien immer noch besser sind als garnichts. die schulmedizin hat aber der alternativmedizin voraus, dass sie plausibel ist. eine – für mich als chemiker – nachvollziehbaren wirkmechanismus für bachblüten oder homöopathische mittelchen ist mir jedenfalls bislang noch nicht untergekommen.
@Sentient6 Danke.
@Jörg ich kritisier nicht diese Aussage, sondern dass im nächsten Satz die Gruppe „Strahlungssensibler Menschen“ beschwichtigt wird. Wenn man sagt man weiß nicht ob Schäden entstehen, dann kann man nicht sagen es gibt strahlungssensible Menschen. Das wollte ich kritisieren, war aber schon spät ;)
@Tim seh ich auch so. Aber besser Mittelmäßige Methoden zum testen als nur Glauben.
Guten Morgen übrigens :)
@Tim, ja ich gebe dir recht, aber ich wollte da die Trennung zwischen Wissenschaft und dem Einsatz von halbausgereiften Technologien betonen. Klar, es gibt Sachen, die unethisch oder auch im Labor sehr gefährlich sind. Die sehe ich auch kritisch.
Aber zum Beispiel im Bereich Gentechnik sind Laborarbeiten ganz anders zu bewerten als Freilandversuche und Anbau von Gen-Mais. Beim Anbau dient dann quasi die Weltbevölkerung als Versuchskaninchen.
Klar kann man sich auch über die Laborversuche streiten, aber man muss auch mal sehen, was wirklich wie gefährlich ist. Die typische Kosten-Nutzen-Abwägung halt ;-)
Um noch eimal auf die Ausgangsfrage zurückzukommen:
Wenn ich mir die Anfänge der Grünen ansehe, dann herrschte dort eine massive Technologiekritik: angefangen bei der Atomkraft, der Gerätemedizin und der industrialisierten Landwirtschaft bis hin zum PC (vgl. Bundesprogramm 1980). In der Kritik dominierte zumeist ein Bild, es wäre besser, wenn diese technologischen Entwicklungen wieder zurückgedreht werden würden – im Sinne von: es ging doch auch ohne.
Was aber schon für 1980 nicht gilt, ist die Annahme, die Grünen seien pauschal wissenschaftskritisch. Denn die Kritik z.B. an der Atomkraft stützten sich auch 1980 schon auf wissenschaftliche Expertise und kritische WissenschaftlerInnen.
Geändert hat sich m.E. seitdem – zumindest in den größten Teilen der grünen Anhängerschaft – das Verhältnis zu Technologie und zur technologischen Entwicklung. Denn neue Technologien werden nicht mehr nur als Problem, sondern auch als (sicher kritisch zu diskutierende) Chance zur Problemlösung angesehen. Bestes Beispiel sind wohl die erneuerbaren Energien, die Windkraft, die Solartechnik. Dieses neue Verhältnis zu Technologie zeigt sich auch an der grünen Offenheit insbesondere für Kommunikationstechnologien. Auch hier werden stärker die Chancen des Wandels betont (zur Vernetzung, zur demokratischen Willensbildung etc.) als die Sorge um den Verlust gewohnter Umgangsweisen.
Und noch ein letzter Gedanke: Jede Partei hat ihre Prioritäten in der technologischen Entwicklung, das zeigt schon alleine die Verteilung des Forschungsbudgets. Aber auch z.B. der Ausbau der Straßen statt der Eisenbahn kommt einer gesellschaftlichen Steuerung der Forschungskapazitäten gleich. Die Freiheit der Forschung ist nicht einfach da, wenn der Staat sich möglichst gar nicht einmischt. Auch die Freiheit der Forschung muss aktiv hergestellt werden.
Ich bin kein Grüner, aber Öko. Die Frage ist aber meiner Meinung nach einfach falsch rum gestellt. Wie kommt es, dass Wissenschaftler glauben die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben?
Grüne/Ökos sind nicht wissenschaftsfeindlich, aber sie haben erkannt, dass „die Wissenschaft“ einfach enorm viele Lücken aufweist. Deswegen darf man sie nicht zu ernst nehmen. Es genügt einfach mal 10 Jahre zu warten und man darf ungestraft jeden Forscher auslachen, was er heute für einen Blödsinn erzählt. Oder man guckt einfach mal, was vor einigen Jahren als „wissenschaftlicher Stand“ galt. Das ist vielfach überholt.
Wären Forscher ehrlich, und würden öfter mal sagen, dass sie schlicht keine Ahnung haben, dann könnte man ihnen mehr glauben. So wundert es mich nicht, wenn selbst denkende Menschen erst mal skeptisch sind.
Ich blogge ständig über neue Forschungsergebnisse aus dem Bereich Ernährung. Dabei widersprechen sich die Wissenschaftler ständig selbst. Bin ich wissenschaftsfeindlich wenn ich das trotzdem blogge?
@Horst: Ich finde deinen Beitrag doof. Du scheinst die Kommentare vor deinem nicht gelesen zu haben, sonst wüsstest du, dass hier keiner pauschal Wissenschaftler als Götter oder Halbgötter positioniert. Deine Polemik ist… naja… polemisch. Die meisten hier haben sich bemüht eben das zu vermeiden. Ich wünsche mir dass du es ebenso hältst.
WissenschaftlerInnen sind Menschen mit einem begrenzeten Kontext der sich aus ihren Erfahrungen zusammensetzt. Wissenschaft hingegen ist eine Methode um Wissen zu erforschen und rigoros zu prüfen. Als solche ist diese Methode anfällig für Fehler durch den Nutzer. Allerdings ist eine Methode die ab und zu Fehler macht besser als gar keine Methode sondern purer Glaube.
Ich möchte ebenso vehement widersprechen dass sich die Forschung alle zehn Jahre selber überholt. Gravitation wird heute immer noch so erklärt wie es einst Newton tat, Aspirin wird seit eh und je nach der gleichen Methode synthetisiert und so gibt es viele weitere Beispiele. Darüber hinaus gibt es auch Theorien die nach einiger Zeit überworfen wurden weil ein anderes Modell die Funde und Ergebnisse der Untersuchungen besser erklärt, so war es zum Beispiel mit dem geozentrischen und dem heliozentrischen Weltbild. Nichtsdestotrotz geht die Sonne jeden Morgen im Osten auf.
Wissenschaft, es ist eine Methode, weißt keine Lücken auf, sondern unser Wissen und deshalb forschen wir weiter um diese Lücken zu schließen. Dass alles was heute erzählt wird in zehn Jahren überholt ist ist Unfug, schlicht und ergreifend. Meine Reaktionen die ich erforsche werden in zehn Jahren immer noch so ablaufen, vielleicht habe ich aber dann eine andere Begründung warum.
Das Forscher nicht ständig sagen dass sie nicht genau wissen wie das zusammen hängt, sondern versuchen ihre Ergebnisse möglichst spektakulär klingen zu lassen hängt viel damit zusammen wie Forschungsgelder verteilt werden. Das zu änderen ist Aufgabe der Wissenschaftspolitik. Dazu kommt das Universitätspressemitteilungen die Ergebnisse nochmal verschleiern und Medien die diese aufgreifen sie noch einmal misrepräsentieren.
Gerade im Bereich Ernährung wird in der Tat viel Humbug kolportiert, allerdings kann man daraus nicht Wissenschaft im allgemeinen schließen. Zudem lohnt es immer die original Literatur zu lesen und zu schauen wer die Forschung finanziert hat. Wie gesagt: Wissenschaftler sind auch nur Menschen, das stellt aber die Wissenschaft an sich nicht in Frage.
Eben solche Äußerungen bringen Grüne und Ökos in veruf Wissenschaftsfeinde zu sein. Das ist schade und ich bitte dich deine Äußerungen zu überdenken und etwas zu differenzieren.
Erwischt. Die Kommentare oben habe ich nicht gelesen. Aber diverse Verballhornungen alternativer Ansichten in den Scienceblogs. Leider finde ich gerade nicht die Stellen. Zumindest im letzten Podcast erzählt Thomas Wannhof davon, dass man „Unkraut“ statt Genpflanzen ausreisen sollte. Sorry, aber da darf man sich doch aufregen.
Wobei ich gegen Thomas nichts habe und auch seinen WWWW-Podcast immer höre. Ist ja nicht so, dass ich Vorurteile gegen Wissenschaft hätte. Ich informiere mich da ja auch ziemlich stark. Nur finde ich Wissenschaftler, die sich einbilden, nur sie hätten Recht, einfach furchtbar. Selbstverständlich gibt es Ausnahmen.
Was ich sagen wollte, ist ja auch nicht „Wissenschaftler sind böse“, sondern „Wissenschaftler haben oft ein Problem mit alternativen Ansichten“. Das kommt meiner Ansicht öfter vor, als die Frage im Titel dieses Blogposts.
Und natürlich gibt es auch unter Ökos Spinner. Ich will ja nicht mal ausschließen, dass ich einer bin. 8-)
Ich würde er sagen die WissenschaftlerInnen die sich einbilden nur sie hätten Recht sind die Ausnahme. Im allgemeinen ist das Wissenschaftsgeschäft sehr ernüchternd und wenn man nicht mit einem gewissen Maß an Demut da ran geht zerschellt man ziemlich schnell an den Fehlschlägen. Öffentlich präsente WissenschaftlerInnen sind da eine ganz anders zusammen gesetzte Gruppe, da mag es viel Überheblichkeit geben. Da Wissenschaft von alternativen Ansichten lebt würde ich deine Behauptung so umformulieren, dass „Wissenschaftler oft ein Problem mit alternativen Ansichten haben die nicht durch Indizien belegt sind oder durch sie eine gewisse Wahrscheinlichkeit erhalten.“
Ps. Wir sind hier nicht bei Scienceblogs ;)
Danke an Paula für die Differenzierungen und die klaren Aussagen zu den ‚Anreizen‘ im Wissenschaftssystem, möglichst spektakulär zu sein. Überhaupt, Till, danke für diese Debatte!
Ohne eine Diskussion über Alternativen – ob bei der Formulierung von Untersuchungsfragen oder der Interpretation von Daten – kann Wissenschaft nicht funktionieren. Wissenschaft, oder das, was wir für Erkenntnis halten als Ergebnis von Wissenschaft, ist diskursiv konstruiert. Mir sind bislang wenig WissenschaftlerInnen begegnet, die ein Problem mit kritischem Nachfragen und ggfs. dem Benennen von Alternativen hätten. Probleme der exkludierenden Schulenbildung und von wissenschaftlichen Seilschaften sowie das Problem, dass innerwissenschaftliche Hierarchien nicht nur Leute über- und unterordnen, sondern auch ihre Ideen, lasse ich jetzt mal hier weg…
@ Horst: Natürlich weist unser Wissen Lücken auf – sonst wären wir ja fertig mit dem Forschen an und für sich. Das wäre 1. langweilig und 2. Stagnation des Denkens und Diskutierens. Keine besonders sympathische Vorstellung.
Aber das jetzt einmal bei Seite lassend und zur Ausgangsfrage zurück – und eine Frage dazu: Was genau ist Wissenschaftsfeindlichkeit? Und neigen GRÜNE besonders dazu? Ich finde Frieders Beitrag dazu erst einmal richtig: Eine (über-?)kritische Position zu Technologien ist nicht per se wissenschaftsfeindlich. Wissenschaft ist mehr als nur technologieorientiert. Was wir (sage ich jetzt mal ganz frech) jedoch ablehnen, ist das vielerorts verbreitete Postulat von der Wertfreiheit der Wissenschaft(en). Das mag eine typisch GRÜNE Eigenschaft sein, Belege jenseits eines Bauchgefühles kann ich dazu allerdings nicht beibringen.
Im Gegenteil erlebe ich übrigens oft ein gnadenlos unkritisches Verhältnis zu Wissenschaft, gepaart mit naiven Vorstellungen über ihre Arbeits- und Produktionsrealitäten in der Partei, wenn „Stadt des Wissens“ so in etwa der höchste Ehrentitel ist, den man für sich in Anspruch nehmen möchte, alles nur noch nach der magischen Kraft der Wissens- und Wissenschaftsgesellschaft schielt, die uns einen Ausweg ermöglicht, und insbesondere Universitäten für einen Ort gehalten werden, die, wenn man sie und ihre Insassen von der HochschullehrerIn bis zur StudentIn nur richtig dazu ermuntert/anreizt, mindestens das Klima retten können und den Weltfrieden schaffen.
Bei GRÜNs treffen so eine Grundhaltung der Vorsicht und der Zuweisung von Verantwortung an jedeN einzelneN WissenschaftlerIn wie das Gesamtsystem einerseits, und eine naive Sehnsucht nach der positiven, fast schon magischen Kraft von ‚Innovation‘ und ‚Wissenschaft‘ aufeinander. GRÜNE Wissenschaftspolitik muss sich mit beidem auseinander setzen – denn auch das in meinen Augen wichtige und positive Zuweisen von Verantwortung und Ablehnen der fixen Idee einer Wertfreiheit kann genauso ins extreme kippen und zu unsinnigen Auswüchsen fühen, wie ich das für die Innovations-LiebhaberInnen oben überspitzt dargestellt habe. Wie weit kann man für eine neue Technologie oder Anwendung im Vorhinein im wissenschaftliche Sinne ‚beweisen‘, dass sie unschädlich ist (und was ist ‚unschädlich in diesem Fall)? Da sind wir dann bei den Auseinandersetzungen um Handystrahlung und Freilandversuche mit gentechnisch verändertem Mais. Diese Auseinandersetzungen führen, und hier eine klare Position finden, halten und ggfs. weiterentwickeln, wenn es sinnvoll ist, ist der einzige Weg, weg zu kommen von dem Bauchgefühl-Vorwirtf der latenten Wissenschaftsfeindlichkeit (ich begegne übrigens auch oft Leuten, die glauben, dass bei den GRÜNEN alle Männer Socken stricken, auch so ein Bauchgefühl-Vorurteil, das sich hält).
Wir haben viele WissenschaftlerInnen in unseren Reihen. Deren Expertise einbinden und nutzen, wäre sinnvoll, geschieht ja auch durchaus. GRÜNE Wissenschaftspolitik und die BAG Wissenschaft, Hochschule, Technologie sind in meinen Augen allerdings nicht das innerparteiliche Erklär-Bär-Modul zum besseren Durchdringen von gesellschaftlichen Problemlagen. Die BAG kann und muss immer wieder – gerne auch exemplarisch an aktuellen heißen Themen – die Frage aufgreifen, was Verantwortung in der Wissenschaft heißt. Denn daraus leitet sich direkt ab, nach welchen Regeln Wissenschaft funktionieren soll, wie Wissenschaft und ihre Institutionen gesteuert werden und sich selbst steuern sollen. Das ist dann eine Aufgabe für Wissenschaftspolitik.
Der Vorstellung, wir seien wissenschaftsfeindlich, kann eigentlich nur durch Kompetenz und klare Argumentation entgegengetreten werden. Die Einbindung von wissenschaftlicher Expertise in unsere Positionsfindungen ist eine dieser heiß geliebten „Querschnittsaufgaben“, das müsste eigentlich überall geschehen…
Was ich ein interessantes Thema allerdings in diesem Zusammenhang auch für die BAG fände, wäre die Auseinandersetzung mit der öffentlichen Darstellung und Vermittlung von Wissenschaft und ihren Ergebnissen – auch aus den oben von Paula genannten Gründen. Denn was in der breiten Öffentlichkeit ankommt, hat oft nicht mehr viel mit der sehr differenzierten Arbeit der WissenschaftlerInnen und ihren Projekten zu tun, und schürt sowohl naive Sehnsüchte als auch Bauchgefühl-gespeiste Abwehr gegenüber nicht verstandenem (auch eine ganz gesunde Regung manchmal).
Anja Schillhaneck
Wissenschaftspolitikerin, Wissenschaftlerin, Tills Co-Sprecherin in der BAG
Hallo,
herzlich willkommen auf dem Weg zur Wirklichkeit. Der Weg ist steinig, aber der LAK HFT in Bayern hat versucht, ihn zu gehen ( ist schon einige Jahre her). Das ‚Forschungspolitische Papier´ dürfte für manche interessant sein ( siehe Webseite ) , welche Theaterwissenschaften, Gentechnologie und Parapsychologie in einen Topf werfen ( vielleicht noch Steuerrechtswissenschaftliche Basisdiskussionsgrundlagen etc. dazu)…
Die CDU als Partei hat sicherlich weit weniger Kenntnisse, als allgemein angenommen. Aber die im Mittel hochgebildeten Grünen zerfleischen sich bzgl. 110% Aussagen und der Erkenntnis, daß man nicht alles wissen kann.…
Also: Cool down – und startet die Hundertste Vernetzung – bis in 10 Jahren wieder gefragt werden wird: Warum sind die Grünen so technikfeinlich .….
@Anja: danke für den ausführlichen Kommentar – lass uns in den nächsten Tagen mal überlegen, ob wir was davon auf die nächste BAG-Sitzung packen können.
@Reinhold: Ich habe ehrlich gesagt gewisse Interpretationsschwierigkeiten bei deinem Kommentar. Das mag daran liegen, dass mein Browser Ironietags manchmal nicht anzeigt. Dürfen wir vernetzen, oder liegt der Stein der Weisen eh längst in Bayern begraben?
Interessante Debatte. Mein Kompliment, dieser Blog und speziell dieser Beitrag trägt dazu bei, die Grünen, (die ich übrigens mein Leben lang gewählt habe) wieder etwas positiver zu sehen (Zum ersten Mal zweifle ich dieses Jahr daran, ob sie meine Stimme bei dieser Bundestagswahl bekommen)
Auch so etwas gibt es: Ich bin ökologisch orientiert, wissenschaftlich und esoterisch sehr interessiert, elektrosensibel, arbeite aber als Verlagsinhaber dennoch täglich und gern im Netz.
Die Entwicklung des Internet ist für mich ein qualitativer Sprung für die Menschheit, es ist, als wüchse dem Planeten in den letzten 2 Jahrzehnten ein Nervensystem. Ich sehe in der neuen Möglichkeit einer weltweiten Kommunikation ein riesiges Potential, den ökologischen Herausforderungen, die wie die Klimakatastrophe planetares Ausmaß haben, auch endlich menschheitsweit zu begegnen. Es geht schließlich um nichts weniger als um die absolute Notwendigkeit eines transnationalen Bewusstseinswandels, und dabei kann das Netz durch Gegenöffentlichkeit, durch Vernetzung Gleichgesinnter und dem praktischen Teilen von Wissen (Stichwort Open Source) sehr hilfreich sein.
Die Grünen erscheinen mir auf diesem Gebiet sehr bräsig bis skeptisch. Ich selbst spüre nach 50 Lebensjahren und dem praktischen Durchleben und Ausprobieren sehr vieler gesellschaftlicher und technischer Alternativen eindeutig, dass es niemals eine ökologische Lösung gegen die Technik geben wird.
Ein nachhaltig bewirtschafteter Planet kann nur durch Menschen geschaffen werden, die Technik bis ins Detail verstehen, ihr so weder in blindem Glauben anhängen noch sie instinktiv ablehnen, sondern sie kompetent und zielgerichtet als Werkzeug einsetzen können und dabei auf der Basis klarer Werte reflektieren, ab wo Technik-Einsatz eher Teil des Problems statt eines Fortschrittes ist.
Also: Danke für die Diskussion und die Ermutigung durch eine Diskussion wie dieser hier. Geht aktiver ins Netz! Und bedenkt, dass eure peinlichen Entscheidungen wie bei der Leyen-Debatte vielleicht bei mehr eurer Wähler Konsequenzen haben, als ihr denkt.
Martin Garms aus Lenzkirch im Schwarzwald
@Martin: danke für das Kompliment; ich finde die von dir dargestellte Position zu Technik ganz spannend als Ausgangspunkt fürs weitere Nachdenken.
Zum letzten Absatz: Die grünen Enthaltungen bei der Zensur-Abstimmung wurden hier im Blog eifrig diskutiert und kommentiert.
Ein paar Hinweise auf weitere (Blog-)Reaktionen zum Thema „Grüne & Linke vs. bemannte Raumfahrt“.
Hier ein ScienceBlogger, der die grüne Position (Geld hin zur unbemannten Raumfahrt) verteidigt:
http://www.scienceblogs.de/kritisch-gedacht/2009/07/entmannte-raumfahrt.php
Hier ein Blogger, der die Grünen wegen ihrer Opposition in Sachen Raumfahrt und Gentechnik künftig nicht mehr wählen will:
http://p‑pricken.de/2009/07/da-geht-sie-hin-meine-stimme/
Und am Ende noch der Verweis auf den SB-Podcast der Woche, diesmal natürlich zur Frage, ob sich die bemannte Raumfahrt lohnt, sowie zu den Positionen von Grünen und Linken:
http://www.scienceblogs.de/wissenschaft-zum-mitnehmen/2009/07/scienceblogs-podcast-die-sendung-mit-der-raumfahrt.php
Ansonsten eine interessante und wichtige Debatte. Spannend auch zu sehen, wie intensiv bei den Grünen darüber diskutiert wird – eine ähnlich Diskussion hätte der Union zum Thema Netzsperren gut getan, die kam aber leider erst so richtig in Schwung, als das Kind schon in den Brunnen gefallen war… Wobei ja auch die intensiven Diskussionen bei den Grünen die 15 Enthaltungen und 3 Ausfälle am Ende nicht verhindern konnten.
@Christian: danke für die Hinweise – und wir diskutieren alles so intensiv ;-)
Ha, gerade erst verlinkt, schon bin ich hier.
Mein Problem mit den Grünen ist nicht einmal wirklich, dass sie gegen Atomkraft sind oder gegen Gen-Food – auch wenn das für mich schwer wiegt. Vielmehr aber sind die Grünen (verständlicherweise) per se gegen Atomkraft und Gen-Food. Ich habe den Eindruck, dass dies eben dogmatische, aus der Parteigeschichte erklärbare Forderungen sind, die nicht wirklich hinterfragt werden. Damals war Tschernobyl, die Castoren fahren immer noch, und so wird es dann wohl auch immer sein. Das verstärkt mein Problem, da ich eben nicht glaube, dass sich die Grünen von Argumenten oder Erkenntnissen umstimmen lassen.
Dazu kommen dann Sachen wie bspw. die Alternativmedizin-Diskussion bei Hart aber Fair, bei der typischerweise eine Grünen-Abgeordnete von ihrem Wunderheiler erzählt. Die Naturverbundenheitspartei zieht solche Leute eben an (auch wenn es sie in jeder Partei gibt); die Sache mit der bemannten Raumfahrt kann ich da noch am ehesten verstehen.
Es gibt viele Dinge, die mir bei den Grünen auch sehr sympathisch sind: Gleichberechtigung, Frauenförderung und andere progressive Themen decken sie für mich sehr gut ab. Ich will aber nicht zwischen Gleichberechtigung und Gen- sowie Atomtechnik entscheiden müssen, also quasi zwischen Gegenwartsgestaltung und Zukunftstauglichkeit.
Nachtrag: nachdem ich jetzt auch die Kommentare gelesen habe… Paula hat Recht, zumindest soweit sich das heute sagen lässt ;) Ich bewundere, dass sie die Diskussion so lange durchgehalten hat und sogar mit dafür gesorgt hat, dass sie nicht in das klassische Schema abgleitet.