Egal, ob Homöopathie, Mobilfunk oder aktuell die von Peter Hettlichs taz-Beitrag losgetretene Debatte um die bemannte Raumfahrt – bei scienceblogs bekomme ich immer wieder, gerade von NaturwissenschaftlerInnen, zu hören, dass Bündnis 90/Die Grünen ja eigentlich schon interessant wären, wäre da nicht die „latente Wissenschaftsfeindlichkeit“ und „Irrationalität“.
Das ließe sich jetzt ignorieren, aber gerade in meiner Rolle als Sprecher der BAG WHT* ist es mir wichtig, dem nicht auszuweichen. Ich glaube, es tut uns Grünen auch gut, in dieser Frage offen und ehrlich zu sein.
Deswegen möchte ich einfach mal hier diese provokante Frage stellen – insbesondere auch an Mit-Grüne: Ist das so? Sind wir eine wissenschaftsfeindliche Partei? Oder ist es manchmal einfach nur schwer vermittelbar, wie Rationalität und „Alternativmedizin“, Forschungsförderung und Kritik an einzelnen Großforschungsprojekten in einer Partei zusammengehen? Wo sind Grüne forschungspolitisch richtig gut aufgestellt? Wo liegen die Schwächen anderer Parteien? Und wie könnte es besser werden?
P.S.: Hier die Forschungs-Seite der grünen Bundestagsfraktion, und hier das Wahlprogramm (ab S. 109 geht’s um Forschung).
Update: Wie unten schon in einem der Kommentare geschrieben, habe ich als Nukleus für eine wie auch immer organisierte Vernetzung grüner WissenschaftlerInnen (und Debatten über Wahrheit, Modus 2 und Wissenschaft ;-)) jetzt einfach mal eine offene Facebook-Gruppe „Grüne in Hochschulen und Forschungseinrichtungen“ aufgemacht. Bin gespannt, ob was daraus wird – wer mitmachen möchte, ist herzlich dazu eingeladen, sich dort als Mitglied einzutragen und zu Wort zu melden.
So viel Lob in einem Kommentarthread! Passt auf sonst platz ich noch vor Stolz ;)
@Patrick: Wir sind nicht dogmatischer Weise gegen Atomkraft sondern aus sehr guten Gründen, nicht zuletzt das Problem mit der Atommüllendlagerung. Natürlich ist es eine sehr etablierte Position und jemand der sie nicht vertritt hätte es sicher schwer politisch Karriere zu machen bei Grün. Andererseits wird die Diskussion mit Atomkraftbeführwortern auch immer wieder aufgemacht, z.B. am letzten Bundeskongress der Grünen Jugend in Stuttgart. Jede politische Generation bringt zu den Grünen neue Kontexte und Ansichten mit, deswegen werden die verschiedenen Aspekte und Positionen auch immer wieder neu verhandelt. Bei Genmanipulation würde ich behaupten gibt es viel mehr Wissen und differenzierte Ansichten als in der allgemeinen Bevölkerung. Klar es gibt immer DogmatikerInnen, daraus lässt sich aber nicht auf alle Grünen schließen und sicher nicht auf alle MandatsträgerInnen.
Für mich ist Atomkraft keine Zukunftstechnologie und die Nebenwirkungen der Naturverbundenheit, also Wunderheilglaube etc., nehme ich gerne in kauf um für meine Vorstellungen von sozialer und ökologischer Gerechtigkeit zu kämpfen, nicht zu letzt für Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen.
Nur mal nebenbei, ich würde Atomkraft und Grüne Gentechnik hier nicht in einen Topf werfen wollen, schon gar nicht was die Motivation hinter den jeweiligen Positionen angeht.
Man darf beim Thema Atomkraft nicht vergessen, dass die Grünen einfach im Wesentlichen von Anfang an Recht hatten. Und es ist ja nicht so, dass die Atomlobby jemals konstruktiv reagiert oder gar Missstände abgeställt hätte. In diesem Kontext finde ich die Schnauze-voll-Nulllösung, die von den Grünen propagiert wird, sehr nachvollziehbar, unabhängig davon ob man nun mit allen Contra-Argumenten einverstanden ist.
@Patrick,
du schreibst, dass die Grünen sich nicht von Erkenntnissen umstimmen lassen. Leider sind wir da genau an dem Punkt, wo Wissenschaft und Politik aufeinanderprallen. In der Politik gibt es dann aber oft kein „Richtig“ und kein „Falsch“ sondern nur eine Abwägung zwischen verschiedenen Prioritäten.
Natürlich haben GenFood und Atomkraft auch Vorteile, die man mit wissenschaftlichen Studien beweisen kann, aber sie haben auch Nachteile. Und da kommt jetzt die Aufgabe der Politiker zu sagen, wie stark man welche Vor- und Nachteile gewichtet. Wir Grünen sind da sehr „konservativ“ und sagen, alles was uns „vielleicht“ zerstören kann, ist uns zu viel Risiko. Und wenn dann die Verursacher noch nicht mal bereit sind, für die Schäden finanziell geradezustehen (s. z.B. Haftpflicht für AKWs), dann sehen wir uns in der Sorge bestätigt, dass da vielleicht (oder sogar wahrscheinlich) irgendwann riesige Kosten auf uns zukommen.
Aber da bitte ich auch wieder, ganz klar zwischen (unausgereifter) Technologie und Wissenschaft zu unterscheiden. Ein AKW ist KEINE Wissenschaft, sondern es ist eine Technologie, die fehleranfällig ist (Beweis: siehe Liste der Störfälle, z.B. Wikipedia (ich weiß, das ist keine wissenschaftliche Quelle, aber ich hab spontan keine andere)) und bei einem GAU ganz viel Schaden anrichtet.
Gentechnik ähnlich, Mon-810 auszusäen ist Anwendung einer Technologie (die fraglich ist). Wissenschaft wäre, wenn man im Labor testet, wie sich das über Jahre verhält. Natürlich ist die Aussaat auch wissenschaftlich. Nur kann da als Ergebnis herauskommen, dass ganz viel kaputt geht.
Natürlich hat Tim da recht, dass auch nicht alle Wissenschaft gut ist … wenn ethische Grenzen überschritten werden, dann ist auch Wissenschaft nicht mehr zulässig.
Ich sehe das genau anders herum. Die technologischen Fortschritte der Atomkraft, die modernen Kraftwerke, die sehr effizient arbeiten – der meiste Atommüll ist bereits produziert und wird nicht erst noch von den neuen Anlagen produziert – finden wenig Beachtung, stattdessen soll sofort Atomausstieg betrieben werden, ohne wirkliche Alternativen zu haben. Windenergie reißt es einfach nicht, und bis Solarzellen soweit sind (was ich spätestens in 20 Jahren erwarte, aber solche längeren Vorhersagen sind ja immer schwierig) halte ich AKWs eben für die bessere und auch umweltschonendere Alternative. Die Störfälle bei Wikipedia sind ja schön und gut, aber die Gefahr bei einem solchen ist i.d.R. mit Stromausfall getan.
Was Gen-Nahrung angeht, sehe ich ebenfalls keine Technologiekritik, sondern Firmenkritik. Die Gegnerschaft beruft sich entweder auf (m.E. nicht wissenschaftlich gestützte) Angst für Gen-Nahrung oder auf die Geschäftspraktiken von vor allem Monsanto. Dabei haben genmanipulierte Nahrungsmittel bereits sehr viel gegen Hungerleiden in der Welt getan und sind zudem nur die Verfeinerung dessen, was Menschen durch Kultivation schon ewig tun.
Leider sind diese beiden Punkte eben solche, die auf Wahlplakaten groß propagiert werden. Wer damit auf Stimmenfang geht, der verliert eben auch welche.
Hey Patrick, du siehst das nicht andersrum, du betonst nur andere Aspekte.
Nehmen wir einfach ein paar Beispiele:
Atommüll: Wir sehen beide, dass Atommüll eine Gefahr ist, du betonst, dass bereits viel da ist und neue Anlagen im Vergleich weniger produzieren, ich betone, dass jedes Gramm zusätzlich eine Gefahr ist. Wir beide haben recht, wir sehen nur den Schwerpunkt wo anders.
Was du mit „Windenergie reißt es einfach nicht“ meinst kann ich jetzt gerade nicht beurteilen, immerhin sind es 6,3%.
Ob Windenergie das optimale ist, da kann man sich drüber streiten, aber das zeigt, dass die Grünen eher für Innovationen und Forschung stehen, als die anderen Parteien, die am Status Quo festhalten wollen.
Ähnliches gilt hier:
„Bis Solarzellen soweit sind“ … was ist soweit? Billig? Das sind sie „bald“.
Aber auch hier sehe ich bei den Grünen die meisten, die sagen, wir müssen in „modernen“ Bereichen forschen und die Wissenschaft unterstützen. Das ist unsere Zukunft. Ich habe bei dir rausgehört, dass du das im Grunde ähnlich siehst. Du schätzt auf 20 Jahre, ich hoffe (und hab ja auch Indizien genannt) dass es schneller geht. Aber einig sind wir uns, dass wir hier die Wissenschaft unterstützen wollen, dass die Solarzellen (und andere erneuerbare Energien) uns „demnächst“ sauberen Strom liefern.
Die „Gefahr“ bei Ausfällen hat sich bisher offiziell in Deutschland auf Stromausfälle beschränkt, aber z.B. dieser Teil von Wikipedia zeigt, dass da vielleicht die Wissenschaft gerade bei Atomkraftwerken eher abgehalten wird.
Die Gen-Technik-Kritik ist schon auch Technologie-Kritik. Es gibt bei der Gentechnik Methoden, wo sehr viel dem Zufall überlassen wird. Soweit ich weiss, sind die Funktionen der Gene noch lange nicht vollständig erforscht. Also kann eine Änderung in den Genen auch ganz ungewollte Änderungen nach sich ziehen. Vielleicht nicht direkt, vielleicht erst nach einer Auskreuzung, aber wer garantiert mir, dass nicht demnächst ein Superresistenter giftiger Mais sich aussät, weil hat eine wilde Maissorte und der Genveränderte Mais sich gekreuzt haben. Klar, das könnte auch bei konventioneller Kreuzung passieren, aber da sind keine Gensequenzen drin, die gar nichts mit dem Mais zu tun haben, im Gen-Mais schon. Oder ein ganz einfaches Beispiel: Durch Genpflanzen kommen auch ganz andere Gefahren
Zu dem Hunger-Aspekt, hast du dazu Quellen? Ich habe schon öfter gehört, dass der Hunger quasi gar nicht bekämpft werden würde.
Zu der Verfeinerung: Natürlich wurde schon immer gekreuzt, aber dabei hatte man im Grunde gewisse Grenzen (die Eigenschaften der Elternpflanzen) über die es nie weit hinausging. Durch die Gentechnik gibt es diese Grenzen quasi nicht mehr und das schlimme ist, man weiss nicht genau, in welche Richtung es sich bewegt.
Und aus diesen Gründen, plakatieren wir es. Wir haben Angst. Eine Angst vor Risiken, die hoffentlich nie eintreten. Aber wenn sie eintreten, dann ist der ganze Nutzen der dadurch entstand bei weitem geringer als der Schaden. Und um hier mal wieder den Bogen zu „Wissenschaft“ zu schlagen: Viele Grünen fordern z.B. die Haftpflichtversicherung für AKWs in voller Höhe eines möglichen Schadens. Um die Kosten für so eine Versicherungspolice auszurechnen, müsste man sich auf wissenschaftliche Grundlagen begeben und die Gefahr ausrechnen. Wenn eine Versicherung sagen würde, nach wissenschaftlichem Stand der Dinge ist die erwartete Gefahr pro Kilowattstunde mit 2 Cent anzusiedeln, dann wäre es ja kein Problem, AKWs voll Haftpflicht zu versichern. Und in Versicherungen sitzen bestimmt nicht nur grüne Ideologen, sondern die holen sich schon die Wissenschaftler und Experten, die Ahnung haben. Allein dieses Indiz, dass AKWs sich mit allen Mitteln dagegen wehren, lässt mich zweifeln, dass die AKWs sicher sind.
Und dies ist ganz ähnlich mit einer Grünen Forderung an die Wissenschaft. Die Vor- und Nachteile müssen unabhängig und sachlich bewertet werden. Es muss geforscht werden und gleichzeitig auf einer Metaebene geforscht werden, was die eigentliche Forschung für Auswirkungen hat. Für diese „Metaforschung“ sehe ich halt 2 Wege: Jemand „privates“ muss ein Interesse haben, das möglichst sachlich zu bewerten (z.B. Versicherungen), oder das Interesse des Staats ist so hoch, dass er selber diese Forschung zahlt.
Hallo Christian,
nicht schlecht argumentiert. Unsere Bierdosen – und Instant-Neugier-Gesellschaft will aber einfache lösungen.
Atomkraft hat noch keinen Meiler in Deutschland explodieren lassen – also ist sie doch gut. ( Muss
eigentlich jeder einsehen – vor allem wenn er/sie sich eh´nicht mit Politik befassen will, weil nicht cool und im Übrigen fremd ist).
Das mit der Gentechnik: Mein Bruder kann kaum noch was mit Schokolade essen, weil er nicht weiss, was drin ist und ob man nicht die ihm schadenden Nussgene wo ‚mitverpüackte´.…
Und das mit Hunger: Schon vor 35 Jahren war man sich einig ( d´accord ! ) , dass es ein Verteilungsproblem sei. In den letzten Jahren durch Billigprodukte der westlichen Welt , eingeführt in die ‚armen Länder´ , unterlaufen: Die Bauern dort produzieren nun mal oft teurer. Also erwirtschaften sie kein geld. Kein geld im ersten jahr, keine Ernte im zweiten. Also im Dritten der ´Bittgang´ zu Monsanto & Co…
Leider.
Und wir jubeln weiter denen unsere Exporte zu…
Auch hier sehe ich anstelle rationaler Argumente gegen z.B. Kernenergienutzung (oder kindisch „Atomstrom“), Gentechnik usw. nur Angstargumente. Angst bestimmt die Argumentation der Grünen. Also Gefühle. Es ist die Partei der in der Höhle hockenden. Jedes Geräusch von draußen macht Angst. Keiner geht mehr zur Jagd. Wir werden alle Vegetarier. Wir erfahren nichts Neues mehr. Wir kochen im eigenen Saft, den wir aber absolut verfeinern können. Wir verblöden, wissen über uns und unsere Höhle aber alles. Das bezeichnen wir als Wissenschaft und Forschung. Die Beeren gegen die hungrigen Tiere und Kinder zu verteidigen wird zur Ingenieurskunst.
Ich bin schon alt, mir solls Recht sein. Aber meine Kinder und Enkel tun mir leid.
Hallo Heinz, nachdem was dieses Jahr passiert ist, ist Deine Argumentation fast schon zynisch. Dein Argument Angst probiert zu implizieren, dass unsere Befürchtungen irrational seien. Aber nach den Ereignissen in Japan mussten wir leider feststellten, dass unsere Befürchtungen und Analysen die tatsächliche Gefahr besser beschrieben haben als die Propaganda von angeblichen Experten.
Darf ich dich an dieser Stelle vielleicht auch noch daran erinnern, dass Tiefsee-Bohrungen nach Öl doch nicht so gut kontrollierbar sind, wie immer Versprochen? Deep Horizon.
Der Witz ist ja, dass wir entgegen Deiner Behauptung sehr wohl aus der Höhle herausgehen, aber wir schützen unsere Höhle.Wenn jemand an dem Balken sägt, der die Decke über unseren Kindern stützt, dann sagen wir Stopp, dann gehen wir raus und suchen neues Material, das unsere Kinder nicht gefährdet.
Ja, wir haben Angst. Aber unser Ängste sind immer begründet.Manchmal – leider viel zu selten – stellt sich heraus, dass wir uns trotz ausführlicher Analyse geirrt haben. Aber fast immer stellt sich früher oder später heraus, dass wir Recht haben. Finanzkreise: Angela Merkel behauptet, dass hätte ja kein Mensch vorhersehen können. Es gab aber Grüne, die genau davor gewarnt haben.
Angst vor gut analysierten Gefahren finde ich schlauer und wissenschaftlicher als blind und dumm alles mitzumachen und ins Verderben zu rennen.