Vor gut einem Jahr hatte ich anlässlich des Starts der „Jules Verne“ schon einmal ein paar Gedanken zur Frage bemannte Raumfahrt aufgeschrieben – ich selbst bin da ziemlich zwiegespalten zwischen Faszination und Nüchternheit. Mein damaliges Fazit:
Kurz gesagt: unter den derzeitigen Bedingungen und den planetaren Herausforderungen, vor denen die Menschheit steht (Klimawandel, Nachhaltigkeit, globale Gerechtigkeit usw.), scheint es mir sinnvoller zu sein, Prioritäten anders zu setzen.
Anlässlich des 40-jährigen Jubiläums der Mondlandung ist das Thema derzeit wieder in den Medien. So hat die sonntaz vom gestrigen Sonntag das Thema „bemannte Raumfahrt“ als Streit der Woche – u.a. mit einem Contra-Statement von Hettlich/Grüne. Auf der Pro-Seite steht, jetzt etwas platt zusammengefasst, vor allem das Argument, „das unsere Ingenieure was zum Spielen haben und ihre Kunstfertigkeit nicht verlieren“. Auch Christian Reinboth (CDU) nimmt die Kritik von Grünen und LINKE bei Scienceblogs auf – so richtig gute Argumente für die nicht-automatisierte Raumfahrt lese ich dort allerdings nicht. Und bei Charles Stross wird noch einmal richtig deutlich, wie aufwändig – energetisch wie administrativ – Raumfahrtprojekte sind.
Update: Sehe gerade, dass es in der ScienceBlogs-Themenwoche „40 Jahre Mondlandung“ auch noch einen deutlich stärker argumentierenden Beitrag von Florian Freistetter gibt. Letztlich läuft seine Argumentation auf „Raumfahrt ist Grundlagenforschung und muss deswegen nicht direkt was bringen“ (soweit d’accord), „nur Menschen haben Entdeckergeist“ (aber müssen die deswegen direkt daneben stehen?) und „Umsiedlung der Menschheit“ (siehe mein Zehntklassargument aus meinem älteren Blogeintrag) hinaus.
Update 2: Das Leben schreibt die besten Satiren – lange Artikel über defekte 6‑Mio-Dollar-Toiletten sind der beste Beweis dafür, dass Menschen und deren Habitat im Weltraum schlichtweg extrem teuer und aufwändig sind.
Update 3: Ganz aktuell nochmal Charles Stross – dort findet sich eine spannende Debatte über „was verdanken wir alles der Raumfahrt“ (wobei es da nicht um die bemannte Raumfahrt geht, sonder ganz allgemein …). Geht bis hin zu Powerpoint.
Update 4: (21.07.2009) Bei Telepolis wird ebenfalls gefragt: „Trotz aller Euphorie zum 40. Jubiläum der ersten Mondlandung bleibt vor allem in Zeiten der Wirtschaftskrise die Frage, warum Menschen in lebensfeindliche Wüsten fliegen sollten“.
Update 5: (22.07.2009) Noch ein von mir gern gelesener SF-Autor äußert sich zum Thema: Kim Stanley Robinson in der Washington Post. Seine Thesen: wenn überhaupt, geht’s um den Raum zwischen Mars und Venus, wir sollten den Weltraum mehr im Sinne „lebensfeindliche Wüste“ als im Sinne „zukünftiger Wohnsitz“ betrachten, und wir sollten den richtigen Zeithorizont wählen: das derzeitige Problem ist es, die Erde noch in tausend Jahren für Menschen bewohnbar zu halten; wenn (bemannte) Weltraumfahrt dazu dienen kann, dieses Problem zu lösen, dann sollten wir sie unternehmen, sonst damit warten – als Menschheit eben ein paar hundert Jahre – , bis das Problem Klimawandel etc. gelöst ist.
Ich halte es für sehr naiv und gefährlich zu glauben, dass sich die globalen Herausforderungen unserer Zeit leichter lösen lassen, indem man sich auf wie auch immer „absehbare“ Prioritäten konzentriert.
Das bisschen Windkraft oder Solar oder meinethalben Öko-Landwirtschaft, das anwendungstechnisch in Reichweite ist, wird uns nicht retten. Das ist alles Pipifaxkram, gemessen am Ausmaß des Problems. Und daran würden die paar Milliarden aus der bemannten Raumfahrt nichts ändern.
Die bemannte Raumfahrt selbst ist dagegen eine Grenzwissenschaft, ein Kunstwerk am äußersten Rande des Durchführbaren. Anstelle dich über das defekte Weltraumklo lustig zu machen, kannst du ja mal versuchen, selbst eines zu konstruieren. Kannst du nicht. Kann ich auch nicht.
Aber es gibt Leute, die sowas können, und wenn überhaupt, dann sind es solche Leute, die unsere Probleme lösen. Und nicht irgendwelche Umverteiler am Grünen Tisch. Allein das ist Grund genug, weiterhin bemannte Raumfahrt zu betreiben.
Wenn du’s konkreter willst: Es gibt eine ganze Reihe wichtiger Experimente auf der ISS, die sich nicht automatisieren lassen. Zum Beispiel sowas hier.
@Fischer: Geht’s etwas weniger aufgeregt – nur weil ich mich über die Komplexität bemannter Raumfahrt ein klein bißchen lustig mache? Jenseits des Glaubens an die Unfehlbarkeit perfekter WissenschaftlerInnen stehen letztlich sowohl erkenntnistheoretische wie eben auch forschungspolitische Fragen. Die werden hier aber nur mit einem Verweis auf die „Frontier“ der Wissenschaft beantwortet – das halte ich für fatal.
Etwas weniger abgehoben: inwiefern hilft die Konstruktion von orbitalen Abwasserrecyclingsystemen bei den ominösen „globalen Herausforderungen unserer Zeit“ (Klimawandel?) – und wie müssen die forschungspolitischen Weichen deiner Meinung nach dafür richtig gestellt werden?
Wo du hier „Aufregung“, „Glaube“ und „Unfehlbarkeit“ herzauberst ist mir nicht so ganz klar, aber OK.
Für den „etwas weniger abgehobenen“ Teil hab ich extra nen Link mitgegeben. Just damit es nicht bloß beim Frontier-Verweis bleibt. Übersehen?
Ich persönlich glaub zwar nicht an den baldigen Erfolg der Kernfusion, aber es gibt genug Leute, die das anders sehen. Auf der ISS findet relevante Forschung statt. Alles abschaffen?
Sicherlich nicht. Die implizite Behauptung, dass die Leute auf der ISS die ganze Zeit für wahnsinnig viel Geld Däumchen drehen und einfach durch Roboter ersetzt werden könnten ist schlicht falsch und sie wird durch dauernde Wiederholung nicht wahrer.
Abgesehen davon bin ich der Meinung, dass du den Frontier-Aspekt massiv unterschätzt. Für solche Prestigeprojekte ist nämlich auch mal Geld da, das sonst still und heimlich weggekürzt würde, zumal in Zeiten der Krise. Wissenschaft braucht die große Vision als Zugpferd.
Und, um full circle zu kommen und deine Frage zu beantworten: Das Zugpferd braucht ein Klo.
Den Hinweis dass man generell bei Forschung vorher nicht sagen kann, was nachher dabei rauskommt, kann ich mir hoffentlich sparen. Das gilt auch für orbitale Toiletten. Das Abwassersystem der ISS enthält übrigens ausgefeilte Entsorgungs- und Recycling-Technik, und Entsorgung und Recycling…
Das scheint mir generell ein bisschen unter das sicht unwichtige Thema „mit begrenzten Ressourcen sorgsam umgehen“ zu fallen. Aber das weißt du wahrscheinlich besser als ich. Bist ja der Grüne von uns beiden. ;)
Das nur mal so.
Vielleicht wird das oben nicht so ganz deutlich: meine ISS-Kritik (von vor einem Jahr) bezog sich auf die Entwicklung der „Jules Verne“. Im Blick auf bemannte Raumfahrt insgesamt nimmt aktuell meine Zustimmung mit der Entfernung zur Erde steil ab:
Aber ich gebe zu, dass ich oben und in meinen ScienceBlog-Kommentaren eher klargemacht habe, warum ich es nachvollziehbar finde, dass ein grüner Politiker bemannte Raumfahrt kritisch sieht, als das so abgestuft und differenziert darzustellen. Und beim Fazit, dass unter der Bedingung knapper Gelder gerade im Blick auf globale Probleme letztlich Forschungsprioritäten anderes liegen müssen, bleibe ich.
Den Link habe ich nicht übersehen.
Ich bin auch bei der Mars-Mission anderer Meinung, aber die Einwände sind sicher gerechtfertigt. Ich habe auch nicht das Gefühl, dass du hier gedankenlos argumentierst oder so, ich hoffe du nimmst meine Kritik jetzt nicht persönlich. Du hast dich bei SB einfach für jemanden in die Bresche geworfen der es (meiner Meinung nach) nicht verdient.
Die Sache mit den Prioritäten ist halt schwierig. Mein Problem ist, dass die Diskussion oft ein bisschen holzschnittartig geführt wird, so nach dem Motto: „Entweder für viel Geld durch’s Weltall gondeln oder halt mit alternativen Energien die Welt retten.“
Ich bin da skeptisch. Einerseits glaube ich eben, dass wir deutlich weniger Geld für Forschung hätten, wenn es die bemannte Raumfahrt nicht gäbe (was ich aber nicht belegen kann). Zum anderen sehe ich ein grundlegendes Problem bei der ganzen Idee: Es gibt jetzt schon aus der Industrie einen massiven Druck zu angewandter Forschung, die möglichst bald Geld bringen soll.
Wir gehen mit so einer Argumentation einfach das Risiko ein, dass wir bestimmte Forschung bald nicht mehr betreiben können, weil es ja „nichts bringt“. Und das wäre wirklich fatal, denn die meisten wichtigen Entdeckungen kommen aus unerwarteten Ecken.