Aus einer Mail, die ich gerade in meiner Eigenschaft als Kreisvorstandsmitglied der hiesigen Grünen erhalten habe, nachdem der Kreisvorstand vorgeschlagen hat, einen parteiinternen Konflikt kommunikativ lösen zu wollen:
Bist Du nicht Mann’s genug, [XYZ] wegen dieser offenen, nachhaltigen und nur zum eigenen Wohl betriebenen Parteischädigung, […], den Stuhl vor die Tür zu setzen? Das wäre das angemessene Verhalten als Kreisparteivorsitzender, nicht Dein und Euer Rumgeeiere.
Ich lasse sowohl den konkreten Konflikt als auch den Absender mal anonym; wer hier vor Ort aktiv ist, weiss vermutlich, um wen es sich handelt. Interessant finde ich die allein schon aus diesen wenigen Zeilen durchschimmernde Vorstellung, dass ein „Kreisparteivorsitzender“ (den wir so gar nicht haben) vor allem Männermacht zeigen muss. Durchgreifen (auch da, wo’s nichts zum Durchgreifen gibt), basta, den Schröder geben. Nö, dafür bin ich nicht „Mann’s genug“.
Undemokratische Vorstellungen von Führung sind in Deutschland leider immer noch relativ weit verbreitet. Viele Deutsche haben noch nicht verstanden, dass Führung in einer Demokratie grundsätzlich nur anders funktionieren kann als hierarchische Führung z. B. beim Militär. Leider scheint auch manchen (Spitzen-)Politikern dieser Irrtum zu unterlaufen. Auch entspricht das klassische Bild des Bundeskanzlers vom starken Mann, der einsam die richtigen Entscheidungen fällt, diesem Bild.
Solche Vorstellungen finden sich wirklich in allen Parteien. Neulich wollte mir auch jemand erklären, warum „Führung“ als Vorsitzender so wichtig ist und warum dann gefälligst alle die Klappe halten müssen.
Ich hab dann erstmal von Mehrheitentscheiden, die der Vorsitzende tragen muss begonnen.… dann war es wieder ruhig.
Aber dein Beispiel ist echt herrlich ^^
So volles Klischee :)
Meine Güte Till, genauso hab´ ich mir das vorgestellt: weichgespülte Soziologenanalyse zur Kaschierung von persönlicher Unfähigkeit. Windelweicher Opportunismus ist halt gfühliger als überfällige Entscheidungen zu treffen, die andere Partei- und Fraktions-Mitglieder aus ihrer Bedrängnis entlassen würden.… Das ich noch mal so berühmt werde und auf Deiner Website als Projektionsfläche herhalten darf, davon hab‚ ich immer schon geträumt;-)) Bezeichnend, wie Du in Freud´scher Projektion mit drei Fingern auf Dich zurück zeigst. Über den Hintergrund dieser Auseinandersetzung schreibst Du wohlweislich gar nichts. Auch nicht, dass keine/r der Angesprochenen Interesse an Deinen Kommunikationsfertigkeiten hat. Ist ja auch so einfach, mit einem maliziösen Lächeln von der Warte des wissenschaftlichen Soziologen aus das Handeln der ach so einfältigen Akteuere und „Macher“ zu kommentieren. Ich bin halt nicht mehr an der Uni – und hatte in Deinem Alter u.a. schon einen ökologischen Unternehmerverband gegründet. Bin mal gespannt auf (Deine) weitere/n Kommentare.… Enjoy !
Ulrich Martin Drescher, drescher@umd.de , http://www.umd.de, +49 700 drescher
Muss ich dazu jetzt wirklich was sagen?
Nett, mal wieder vorgeführt zu bekommen, dass ein ausgeprägtes Bedürfnis nach „Entscheidern“ und ein aggressiver Anti-Intellektualismus (nicht nur, aber doch besonders in Deutschland) oft Hand in Hand gehen.
Derlei Halbanonymes (und damit zu Spekulationen anregendes) hat meines Erachtens nichts im Netz zu suchen. Oder ist zumindest schlechter Stil. Wenn man so etwas veröffentlicht, sollte man schon Manns genug sein, auch Ross und Reiter zu nennen. Womit ich zum inhaltlichen kommen: Es handelt sich um eine dämliche Redewendung, die man vielleicht in einem emotionalaufgeladenen Konflikt nicht auf die Goldwaage legen sollte. Indem das gemacht wird und in Gegenstellung zu einem kommunikativen Prozeß gebracht wird, hat man fast den Eindruck, dass Till hier einem Essentialismus das Wort redet, dass da kommunikativ-konsensuales positiv-weiblich konnotiert und entscheidend-durchgreifendes eher negativ-männlich. Ich dachte, gerade bei SoziologInnen wird anders gedacht.
Im Übrigen bin ich der Ansicht, dass manche Konflikte in der Tat auch eher durchgreifend-entscheidend als kommunikative-konsensual entschieden werden sollten,insbesondere solche für die z.B. Parteisatzungen eine eindeutige Verfahrensweise vorsehen.
Hallo Tim, ehrlich gesagt verstehe ich deinen Kommentar in beiden Punkten nicht. Meine Zielsetzung beim Anonymisieren war es, einen parteiinternen Konflikt nicht in die Öffentlichkeit zu tragen, aber trotzdem – anhand, nicht jedoch aufgrund – eines markanten Zitates eine Debatte über politische Stile zu eröffnen.
Zur Geschlechterkomponente: nein, natürlich ist das nicht essentialistisch gemeint. Vielmehr spiele ich auf tradierte Geschlechterrollenerwartungen an – und sage letztlich, dass ich in diesem Fall „Durchgreifen“ für die falsche Handlungsmöglichkeit halte (durchaus satzungskonform übrigens), und dass es lachhaft ist, wenn z.B. der Herr Drescher meint, mit Verweisen auf tradierte Männlichkeitsbilder (oder auch, siehe seinen Kommentar, mit Infragestellung meiner Kompetenz) andere Verhaltensweisen erzwingen zu können. Da spiele ich nicht mit.
Ums verständlicher zu machen: Hinter dem „Mann’s genug“ gleich Verweise auf tradierte Männlichkeitsbilder zu sehen, halte ich für etwas hochgegriffen – anders ausgedrückt: Die Geschlechterkomponente wird mE erst durch deinen Beitrag konstruiert – und das in einer Art und Weise, die ich für nicht sonderlich sinnvoll halte und über das „Mann’s genug“ weit hinausgeht.
Und zum Anonymen: Wenn man den parteiinternen Konflikt nicht in der Öffentlichkeit haben möchte, dann schreibt man besser garnichts, auch anonymisiewrt bringt man ihn in die Öffentlichkeit und verliert damit jegliche Kontrolle darüber, ob es sich entanonymisiert… was es ja durch das Mail von Herrn Drescher schon getan hat (Und der Neugierige weiß nun garnicht, wie er das ganze bewerten soll, weil er die Hintergründe nicht kennt).
@Tim: mit dem Fehlschlagen der Anonymisierungsstrategie hast du vermutlich recht.
Zu „Mann’s genug“ – wenn’s nur einmal dieser Ausdruck wäre, würde ich es nicht schreiben – aber es ist einfach ein prägnanter Ausschnitt einer von inzwischen drei oder vier Mails und etlicher anderer Kommunikationen in ähnlichem Stil. Also, keine qualitative Textanalyse, sondern ein illustrierendes Beispiel für einen umfassender rekonstruierten Typus.
Naja, Till, das kann ich ja nicht ahnen. Oben wars ja noch „die allein schon aus diesen wenigen Zeilen durchschimmernde Vorstellung, dass ein »Kreisparteivorsitzender« (den wir so gar nicht haben) vor allem Männermacht zeigen muss“.
Dass es sich nun nur um ein illustrierendes beispiel aus einer größeren Konversation handelt, geht jedenfallsaus dem ersten Post nicht hervor.