Der 1. ordentliche Länderrat 2007 ist vor ein paar Stunden zu Ende gegangen, ich sitze jetzt im ICE-Flagship von Köln nach Mannheim; mehr noch als in den älteren ICEs fühlt sich Zugfahren hier (zumal mit untergehender Sonne und der richtigen Musik) so ein bißchen an, als wäre es irgendwas aus einem Science-Fiction-Roman. Außerdem gibt es Steckdosen am Platz; auf das Experiment mobiles Internet habe ich mich jedoch bisher nicht eingelassen. Was gibt es also vom Länderrat zu berichten?
Ich war ja anfangs etwas skeptisch, ob das Tagen im Fußballstadion so sinnvoll ist, hat sich aber als ganz guter Ort erwiesen; genauer gesagt haben wir in einer der Logen getagt – das Fußballstadion ist nur durch den etwas seltsamen Blick aus den Fenstern auf der einen Seite (samt Polstersitzreihen davor) und die häßlich-plüschigen Vorhänge an den Fenstern auf der anderen Seite in Erscheinung getreten. Und bis auf den Umstand, das der überteuerte Catering-Service gewisse Probleme damit hatte, mittags hundert Leute auf einmal zu versorgen, und die etwas enge Sitzanordnung war das Ambiente okay.
Jetzt aber zu den Inhalten: Es gab tatsächlich einige lebhafte Debatten und eine große Zahl an Änderungsanträgen. Bei den Änderungsanträgen kam allerdings eine Unsitte zum Tragen, die ich in letzter Zeit bei grünen Veranstaltungen häufiger beobachten konnte: im Bestreben, möglichst einstimmige Abstimmungsergebnisse zu erreichen, werden Änderungsanträge normalerweise nicht mehr abgestimmt, sondern entweder unverändert übernommen, verändert – oft im Rahmen eines Formelkompromisses – übernommen oder nach gutem Zureden zurückgezogen. Das reduziert zwar die Zahl der Abstimmungen und erhöht den Harmoniefaktor, führt aber auch dazu, dass es z.B. bei der Klimapolitik nach einer ausführlichen und lebendigen Debatte gerade zwei Abstimmungen gab: die Endabstimmung über den modizifierten Gesamtantrag, und die Frage, ob ein Tempolimit von 120 oder von 130 kmh gefordert werden soll – eine im Gesamtbild eher unbedeutende, taktisch motivierte Frage. Aus Sicht der AntragstellerInnen haben Übernahmen den Vorteil, dass die eigenen Vorschläge nicht dem Risiko ausgesetzt sind, Abstimmungsniederlagen zu erleiden. Aus der Sicht des Präsidiums vereinfachen und beschleunigen sie das Verfahren. Letztlich reduziert sich damit innerparteiliche Partizipation – das gilt umso mehr da, wo einzelne Punkte eines Antrags unterschiedlich sinnvoll sind, was sich dann u.a. in entsprechenden Einzelabstimmungen zeigen könnte (hätte ich mir beim Punkt Afghanistan gewünscht, aber dazu unten mehr).
Eröffnete wurde der Länderrat von Claudia Roth mit einem politischen Rundumschlag, u.a. ging sie auch nochmal ziemlich differenziert auf die Kritik an der Friedensbewegung ein, die für sie nur ein Teil einer – letztlich immer noch aus der Perspektive der Solidarität geführten – Debatte über die richtigen Wege der Konfliktlösung sei.
Klimapolitik: mehr oder weniger einstimmige Annahme des Antrags. Interessante Punkte in der Debatten waren u.a. Reinhard Bütikofers These, dass Grüne jetzt die Meinungsführerschaft in der Klimadebatte übernehmen müssen, und dass es nicht darum gehen kann, sich auf alten Lorbeeren auszuruhen und den anderen nachzuweisen, dass Grüne die Ideen zuerst hatten, die jetzt vorgetragen werden. Außerdem wurde von einigen dafür plädiert, neue Bündnisse einzugehen (bzw. eine „Bürgerbewegung für Klimaschutz“ zu iniitieren, als ob das so einfach wäre). Ralf Fücks betonte dabei vor allem die Unternehmen und schlug ansonsten vor, die umfangreichen Maßnahmenkataloge in drei Punkten zu bündeln: 1. lokale/regionale Klimabündnisse, 2. ökologische Innovation als Marktfaktor und 3. „Europäische Union für Energieeffizienz und erneuerbare Energien“ ((ziemlich viele EEs)). Ich selbst habe mich auch an der Debatte eingebracht: mit der Forderung, Klimaschutzpolitik nicht auf energietechnische Details zu reduzieren, die Coolness ökologischer Lebensstile zu verkaufen und dazu auch ganz neue Bündnisse einzugehen (wobei ich da weniger an Unternehmen und mehr an die „Modernen Performer“ gedacht habe) und vor allem jetzt an politischen Konzepten im Bereich „Klimafolgen und Anpassung“ zu arbeiten – hier und global – und dieses Thema nicht anderen (z.B. der Industrie) zu überlassen.
Kinderpolitik: zeigte sich eher als Fachdebatte, relativ hoher Pegel an Unaufmerksamkeit, Übernahmen und wiederum mehr oder weniger einstimmige Zustimmung.
Rechtsextremismus: ein bißchen Streit darum, wie Demokratie und Zivilgesellschaft am besten gestärkt werden kann, ansonsten aber große Einigkeit. Omid Nouripour betonte, dass das beste Mittel zur Stärkung gegen rechtsextreme Tendenzen das ist, jeden Menschen und vor allem jedes Kind ernst zu nehmen. Klingt sinnvoll, etwas schräg erschien mir das Beispiel aus seiner Kindheit im Iran – Schulklasse macht Ausflug an die Front und fühlt sich ernst genommen, toll. Etwas schief deswegen, weil demnach dann ein Konkurrenzangebot zu Wehrsportgruppen ein gutes Mittel gegen Rechts wäre? Einige RednerInnen gingen dann auch noch auf Oettinger / Filbinger ein; neben der Resolution zum Kampf gegen Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit wurde dazu auch noch eine Resolution verabschiedet, in der Oettinger aufgefordert wird, sich klar von den Äußerungen in seiner Rede zu distanzieren. Ungefähr zeitgleich kam die Meldung über den Ticker, dass Oettinger sich missverstanden fühlt; denn beiden neben mir sitzenden Landesvorsitzenden reichte das aber nicht: es geht nicht um missverständliche Passagen, sondern um eine bewusste Provokation. Die Rücktrittsforderung der Grünen Jugend wollten die beiden sich aber lieber nicht zu eigen machen.
Afghanistan: trotz Transparent („Nein zu Tornado“) am Anfang über weite Strecken eine sehr ernsthaft und engagierte Debatte, in der das Für und Wieder militärischer Mittel – und die damit verbundenen Erfolgsaussichten – in der Afghanistanpolitik ausführlich und mit großer Emphatie erörtert wurde. Der Antrag wurde noch ein Stück weit weiter in die Mitte der Partei gerückt, als auch hierzu fast alle Änderungsanträge (modifiziert) übernommen wurden, insbesondere auch ein Passus, der die unterschiedliche Haltung zum Tornado-Einsatz deutlich macht. Am Schluss wurde die interessierte Aufmerksamkeit dann gebrochen: Rüdiger Sagel trug (relativ zurückhaltend) seine Interpretation des Antrags vor und begründete, warum er darin einen weiteren, abzulehnenden Schritt hin zur Militarisierung der Außenpolitik sieht. Bütikofer hatte dann das Schlusswort in der Debatte – und nutzte es zu einer aufgewühlten Entgegnung und emotionalen Rechtfertigung seiner Positionierung. Die Abstimmung war dann wieder Ja oder Nein – hier habe ich sehr lange gezögert. Am liebsten hätte ich teilen des Antrags zugestimmt, anderen nicht (oder ihm nicht mit 1,0, sondern nur mit 0,6 zugestimmt, oder so). Vieles im Antrag ist sehr richtig, und durch die Übernahmen ist er besser geworden. Allerdings ist es eben kein Antrag, der alleine die Stärkung ziviler Maßnahmen betont, sondern dann doch auch immer wieder das begrenzte militärische Engagement rechtfertigt. Und das scheint mir ein nur begrenzt gangbarer Weg zu sein; umso mehr, als es eben nicht um polizeiartige Sicherungsaufgaben geht, sondern um Kriegsführung. Und der traue ich eigentlich nicht zu, für Demokratie und Menschenrechte zu sorgen – andere offensichtlich schon. Letztlich habe ich als einer von wenigen (wie ein paar aus NRW und Berlin) gegen den Antrag gestimmt. Der Länderrat ist nicht die Partei, und ich bin mir ziemlich sicher, dass das Thema uns auch weiterhin begleiten wird.
Unter dem Punkt Verschiedenes wurde dann u.a. das Verfahren zum Logo behandelt. Hier gab es einen Antrag, im Herbst 2007 auf einem Parteitag ersteinmal darüber abzustimmen zu lassen, ob überhaupt ein neues Logo gewünscht wird, bevor dann gegebenenfalls der entsprechende Prozess gestartet wird. Dieser Änderungsantrag war nicht erfolgreich, der eigentliche Antrag wurde angenommen. Damit wird es im Herbst eine Auswahl an Logos (samt der Variante „altes Logo“) geben, aus denen dann der Parteitag auswählen darf – vorbereitet durch eine Kommission.
Außerdem unter Verschiedenes wurde die auch von mir mit eingebrachte Resolution gegen den zunehmenden Ausbau des Überwachungsstaates verabschiedet – ein wichtiges Signal, das Grüne sich nicht von angeblichen Sicherheitsgründen einlullen lassen und in dem Feld neue Medien, Bürgerrechte und informationelle Selbstbestimmung weiterhin führend bleiben.
> Offizielle Berichterstattung auf gruene.de
Warum blogge ich das? Als Einblick in meine Tätigkeit als Länderratsdelegierter, aber auch, um sichtbar zu machen, was auf so einem „kleinen Parteitag“ geschieht – nicht erwähnt ist die informelle Seite des Ganzen; ein großer Teil Länderratsgeschehen besteht darin, dass „man sich sieht“ und beim Kaffee neben den offiziellen Verhandlungen über dies und das spricht. Ach ja: Bilder später (jetzt online).
Filbinger war sowohl Nazi als vor allem auch Karrierist. Karrierist war er aber wohl noch mehr als Nazi. Diese Eigenschaft, die eigene Ideologie immer an den zeitgeistigen Autoritäten zu orientieren, ist typisch für den deutschen Untertanengeist. Heute drückt sich dieser in einem ziemlich inhaltslosen, aber dafür schon fast zur Religion erhobenen Kampf gegen rechts aus.Wer heute Widerstand gegen die Irrungen der Zeit, nämlich Extremkapitalismus und multikulturelle Egalisierungsideologie, leisten will, kommt um die Wahl der NPD kaum herum. Die heutigen Karrieristen laufen den Verirrungen der heutigen Zeit genauso gleichgeschaltet nach wie seinerzeit Filbinger dem Nationalsozialismus.
Nun verfolge ich schon einige Tage die Debatte um Filbingers Begräbnis. Wie der Spiegel berichtet, dem man jedoch nicht blind vertrauen sollte, war die Rede keine Panne, sondern ein kalkulierter Versuche Oettingers, sich des konservativen Teils der CDU zu versichern. Mit diesen Methoden in Verbindung mit der Nazizeit abscheulicher, als es ohnehin in der Parteipolitik zugeht. Was haben die Baden-Würtemberger verbrochen, dass sie von so einem mann regiert werden? Doch mir geht es mehr um die ebenfalls sehr interessante Medienberichterstattung zu diesem Thema in der SZ – oder um die journalistische Arbeitsweise der SZ.
BTW: Wie mit bekennenden NPD-WählerInnen und deren Kommentaren umgehen (sprich dem ersten oben) – fiel mir erst jetzt beim nochmaligen Lesen auf, dass da jemand rhetorisch ziemlich trickreich, inhaltlich mau „NPD-wählen“ und „Widerstand im Dritten Reich“ gleichsetzt. Löschen? Stehenlassen? Kommentieren? Ignorieren?