Eine virtuelle Versammlung?

Circuit city III

Ein apo­kry­phes Doku­ment aus der Zukunft, das sei­nen Weg in Ana­tol Ste­fa­no­witsch Tumb­lr-Blog gefun­den halt, hält als his­to­ri­sche Lebens­leis­tung der Pira­ten die Ein­füh­rung von Werk­zeu­gen für mehr direk­te Betei­li­gung der Bür­ge­rIn­nen an der Demo­kra­tie fest. Ich bin mir sicher, dass zukünf­ti­ge His­to­ri­ke­rIn­nen hef­tig dar­über strei­ten wer­den, ob das nicht das Ver­dienst der Regie­rung Kret­sch­mann II (vor der Fusi­on mit der Schweiz) gewe­sen sein wird, aber dar­um soll es jetzt nicht gehen. 

Dass Pira­ten auf Tools statt auf Inhal­te set­zen (bzw. dar­auf, dass die Tools auch Inhal­te sind), ist jetzt nicht so neu. Umso span­nen­der fin­de ich die mög­li­che hei­ße Kar­tof­fel des nächs­ten Pira­ten­par­tei­tags, die das Kür­zel SMV trägt. Als Baden-Würt­tem­ber­ger klingt das für mich zunächst mal nach Schü­ler­mit­ver­wal­tung, und so unge­fähr das ist es wohl auch. Genau­er: eine „Stän­di­ge Mitgliederversammlung“.

„Eine vir­tu­el­le Ver­samm­lung?“ weiterlesen

Kurz: Böblingen, wir kommen

Ab mor­gen Nach­mit­tag steht dann wie­der das gro­ße grü­ne Fami­li­en­tref­fen im Land an, ande­re sagen auch „Lan­des­par­tei­tag“ dazu. Den gibt’s übli­cher­wei­se ein­mal jährlich. 

Mein Kreis­ver­band hat mich freund­li­cher­wei­se dele­giert, ich wer­de als einer von etwa 200 stimm­be­rech­tig­ten Dele­gier­ten sein (bei 8800 Mit­glie­dern im Land),  die von Frei­tag bis Sonn­tag in Böb­lin­gen zusam­men­kom­men. Der Par­tei­tag wird heu­er vor allem durch die Auf­stel­lung der baden-würt­tem­ber­gi­schen Lis­te zur Bun­des­tags­wahl bestimmt (ich hat­te ja schon dazu gebloggt). Wenn ich mir die Bewer­bungs­la­ge so anse­he, könn­ten wir gut und ger­ne jeden aus­sichts­rei­chen Platz dop­pelt beset­zen. Was wir nicht kön­nen, was aber wohl bedeu­tet, dass wir als Dele­gier­te eine gan­ze Rei­he ech­ter Wah­len haben wer­den – begin­nend mit der ers­ten bei­den Plät­zen, für die es nach heu­ti­gem Stand jeweils zwei Kan­di­da­tu­ren gibt (Syl­via Kot­ting-Uhl vs. Kers­tin And­reae bzw. Cem Özd­emir vs. Ger­hard Schick). Der Teil der Par­tei, der in Flü­geln orga­ni­siert ist, wird sich dem­entspre­chend am Frei­tag­abend noch ein­mal Mut zuspre­chen und Stra­te­gien diskutieren.

Neben der Lis­ten­auf­stel­lung gibt es eine Hand­voll Anträ­ge (u.a. zwei gegen­ein­an­der ste­hen­de Anträ­ge zur Fra­ge, wie das The­ma zivi­ler For­schung am bes­ten umsetz­bar ist – ich ste­he unter dem „wei­che­ren“, der eine lan­des­wei­te Zivil­klau­sel aus ver­fas­sungs­recht­li­chen Grün­den ablehnt, sich aber für ver­bind­li­che Vor­ga­ben für mehr Trans­pa­renz ein­setzt und an allen Hoch­schu­len Senats­aus­schüs­se für Ethik ein­rich­ten möch­te) und natür­lich – es ist der zwei­te ordent­li­che, „gro­ße“ Par­tei­tag nach grün-rotem Regie­rungs­be­ginn – eine Debat­te dazu, wo wir lan­des­po­li­tisch heu­te ste­hen. Und neben all dem eben in der Tat: Fami­li­en­tref­fen mit vie­len bekann­ten, nach dem Wachs­tum der letz­ten zwei Jah­re aber sicher auch vie­len neu­en Gesichtern.

Machtblindheit, oder: ist Law Code?

Petrikirche interior I

I. Deutungshoheit und die Wirkung von Texten

Das eine ist die unglaub­li­che Nai­vi­tät, mit der man­che Men­schen an Posi­ti­ons­pa­pie­re, Sat­zun­gen und Geset­ze her­an­tre­ten. Viel­leicht schlägt da bei mir der Sozio­lo­ge durch, aber wer glaubt, dass ein Text, nur weil in die­sem Text etwas steht, allei­ne Wir­kung ent­fal­tet, lei­det aus mei­ner Sicht an einer Wahr­neh­mungs­stö­rung. Eine Wahr­neh­mungs­stö­rung, die sich viel­leicht am tref­fends­ten als „Macht­blind­heit“ bezeich­nen lässt.

Macht­blind­heit meint hier nicht, blind vor Macht zu sein, son­dern nicht zu sehen, dass jeder Text deu­tungs- und inter­pre­ta­ti­ons­of­fen ist. Dass jeder zu einem Werk­zeug in einem Akteurs­netz­werk gemacht wer­den kann, um bestimm­te Zie­le zu errei­chen und ande­re Zie­le zu verhindern. 

Die Deu­tungs­mög­lich­kei­ten sind dabei nicht belie­big, aber sie sind sehr viel grö­ßer, als vie­le sich das vor­stel­len. Wer sich letzt­lich mit sei­ner Deu­tung durch­setzt, hat etwas mit dis­kur­si­ver Hege­mo­nie zu tun, aber eben auch damit, wer am sprich­wört­li­chen län­ge­ren Hebel sitzt.

„Macht­blind­heit, oder: ist Law Code?“ weiterlesen

Der Fluss ohne Form. Eine Kritik der Liquid Culture Declaration

River art I

Jörg Blum­tritt, Bene­dikt Köh­ler und Sab­ria David haben vor eini­gen Wochen eine Erklä­rung abge­ge­ben – die Decla­ra­ti­on of Liquid Cul­tu­re.

Dem Spiel mit dem Adjek­tiv liquid (flüs­sig, auch: liqui­de, zah­lungs­fä­hig; viel­leicht auch sowas wie das neue open) ent­spre­chend neh­men die AutorIn­nen als ihr Leit­mo­tiv das Bild des Flus­ses der Geschich­te, der jetzt – an den Marsch­lan­den der Post­mo­der­ne vor­bei – in die kon­tu­ren­lo­se offe­ne See der Gegen­wart fließt. Ori­en­tie­rung auf die­sem Meer – im Zusam­men­hang mit dem Inter­net kein neu­es Bild (Bickenbach/Maye 1997) – geben nur noch die Sterne.
„Der Fluss ohne Form. Eine Kri­tik der Liquid Cul­tu­re Decla­ra­ti­on“ weiterlesen

Kurz: Parteigewordene Bürokratie

Wel­che Par­tei hat einen Beam­ten als Vorsitzenden?

Wel­che Par­tei legt bekann­ter­ma­ßen mehr Wert auf Ver­fah­ren als auf Inhalte?

Wel­che Par­tei hat für in einem For­mu­lar fest­ge­hal­te­ne Vor­stands­be­schlüs­se „Umset­zungs­ver­ant­wort­li­che“?

Vie­les spricht dafür: die Pira­ten sind die ers­te par­tei­ge­wor­de­ne digi­ta­le Büro­kra­tie. Was mich, aber das wäre eine ande­re Geschich­te, an die Wiki­pe­dia erin­nert. Oder: der deut­sche Nerd und die ord­nungs­ge­mä­ße Durch­füh­rung von Verwaltungsvorschriften …