Pure Transparenz wird niemals siegen

Water texture

Heu­te tagt die grü­ne BAG Medi­en & Netz­po­li­tik in Ber­lin. Da ich ande­re Ter­mi­ne hat­te und nicht tei­neh­men konn­te, hat­te ich heu­te mor­gen – mehr scherz­haft – danach gefragt, ob die BAG-Sit­zung denn gestreamt wird. Wird sie erwar­tungs­ge­mäß nicht, und, an die eige­ne Nase gefasst, auch „mei­ne“ BAG Wis­sen­schaft, Hoch­schu­le, Tech­no­lo­gie­po­li­tik nächs­tes Wochen­en­de wird vor­aus­sicht­lich ohne Stream aus­kom­men. Ja, schlim­mer noch: Wenn ich drü­ber nach­den­ke, fin­de ich es ganz gut, wenn Par­tei­ar­beits­grup­pen zwar mit­glie­der­öf­fent­lich, aber eben doch in einem eini­ger­ma­ßen geschütz­ten Raum tagen. 

Ähn­lich wie bei der Video­über­wa­chung öffent­li­cher Plät­ze ist es ver­mut­lich allein schon die Ankün­di­gung, dass gestreamt wird, die mehr oder weni­ger sub­til das Ver­hal­ten Ein­zel­ner beein­flusst. Kurz: Ich glau­be, dass unter Aus­schluss der vir­tu­el­len Öffent­lich­keit offe­ner gere­det wird, dass über noch „gehei­me“ Din­ge infor­miert wird, die z.B. aus Sicht der Bun­des­tags­frak­ti­on ande­re Frak­tio­nen noch nicht mit­be­kom­men sol­len, dass in den Län­der­be­rich­ten nicht nur Erfolgs­mel­dun­gen auf­tau­chen, son­dern auch Selbst­kri­tik. Und ich glau­be, dass all das anders wäre, wenn die brei­te Netz­öf­fent­lich­keit dabei wäre, sich viel­leicht sogar ein­mi­schen könnte.

Wich­tig ist mir, dass die­ses Argu­ment kein gene­rel­les Argu­ment gegen die (gestream­te) Öffent­lich­keit von Sit­zun­gen ist. Ich fin­de es gut, dass unse­re Par­tei­ta­ge offen für alle sind und im Netz über­tra­gen wer­den. Glei­ches gilt für die Land­tags­sit­zun­gen oder für Gemein­de­rats­sit­zun­gen (der­zeit in Baden-Würt­tem­berg ein hei­ßes The­ma, weil der Daten­schutz­be­auf­trag­te das Live­strea­ming ver­bo­ten hat, solan­ge es dafür kei­ne expli­zi­te Geset­zes­grund­la­ge gibt). 

Bei Aus­schuss­sit­zun­gen bin ich ambi­va­lent. Die sind in Baden-Würt­tem­berg der­zeit gene­rell nicht-öffent­lich und wer­den nur in Aus­nah­me­fäl­len (etwa bei Anhö­run­gen) geöff­net. Da hier gewähl­te Volks­ver­tre­te­rIn­nen stell­ver­tre­tend für alle debat­tie­ren, wäre ich prin­zi­pi­ell dafür, sie öffent­lich zu machen. Aller­dings befürch­te ich, dass das in der Tat Ver­än­de­run­gen der Dis­kus­si­ons­kul­tur hin zu noch mehr Schau­fens­ter und noch weni­ger Sach­ar­gu­men­ta­ti­on mit sich bringt.

Damit wird auch deut­lich, dass das Pro­blem tie­fer liegt: Par­la­ments­sit­zun­gen sind zwar öffent­lich, die eigent­li­chen Ent­schei­dun­gen fal­len aber anders­wo. Die dort vor­ge­tra­ge­nen Argu­men­te rich­ten sich damit weni­ger an die ande­ren Abge­ord­ne­ten als viel­mehr an die Öffent­lich­keit. Sie die­nen der Selbst­po­si­tio­nie­rung, sie die­nen dazu, Geset­ze und The­men mit zuge­spitz­ten Bot­schaf­ten zu ver­knüp­fen. Wie abge­stimmt wird, ent­schei­det sich in den Arbeits­krei­sen der Frak­ti­on, even­tu­ell in der Frak­ti­ons­sit­zung – bei­des geschlos­se­ne Orte. Und wie die Regie­rungs­frak­tio­nen han­deln, hat auch etwas damit zu tun, was im Kabi­nett ent­schie­den wird (und anders­her­um) – wie­der­um ein Ort höchs­ter Verschwiegenheit.

Um zurück zu den Sit­zun­gen grü­ner Bun­des­ar­beits­ge­mein­schaf­ten zu kom­men: Wenn die rele­vant für die Wei­ter­ent­wick­lung der inner­par­tei­li­chen Mei­nun­gen sind, dann funk­tio­nie­ren sie nur, wenn Abge­ord­ne­te dort offen reden kön­nen. Die wie­der­um sind – von Land zu Land unter­schied­lich, m.E. in den Län­dern mit Regie­rungs­be­tei­li­gung ganz beson­ders aus­ge­prägt – aber an die Kul­tur der nur zu beson­de­ren Anläs­sen geöff­ne­ten Türen gewöhnt. Und han­deln danach.

Ver­trau­lich­keit hat nicht ohne Grund etwas mit Ver­trau­en und mit Ver­traut­heit zu tun. Bis­her ver­trau­li­che Mei­nungs­bil­dungs­pro­zes­se trans­pa­rent zu machen (Ergeb­nis­se sind noch ein­mal eine ande­re Fra­ge), ist in einer „intrans­pa­rent socie­ty“ ein poten­zi­el­ler Ver­trau­ens­bruch. Und des­we­gen sehr viel weni­ger ein­fach umzu­set­zen, als es die pla­ka­ti­ven Pira­ten­for­de­run­gen und die tech­ni­schen Mög­lich­kei­ten suggerieren.

P.S.: Extrem­bei­spiel für die wei­te­re Debat­te: die For­de­rung der Pira­ten, Koali­ti­ons­ver­hand­lun­gen zu streamen.

War­um blog­ge ich das? Weil die­se Gedan­ken – die nicht abge­schlos­sen sind – schlecht in 140 Zei­chen pas­sen. Dank an @sebaso, @neina_hh, @themroc, @christiansoeder und @mrtopf für Anre­gun­gen auf Twitter.

Über Doppelmitgliedschaften – oder: Wozu gibt’s Parteien?

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Anke Dom­scheit-Berg, Mit­glied von Bünd­nis 90/Die Grü­nen, und heu­te die Ham­bur­ger Grü­ne Nina Gal­la sind der Pira­ten­par­tei bei­getre­ten. Ins­be­son­de­re der Pira­ten-Ein­tritt von Dom­scheit-Berg fand auch ein gewis­ses media­les Echo, so nach dem Mot­to: „Grü­ne ver­lie­ren ihre Netz­kom­pe­tenz“ (wobei ich sagen muss, dass Dom­scheit-Berg inner­par­tei­lich bis­her so gut wie gar nicht in Erschei­nung getre­ten ist; ihr netz­po­li­ti­sches Renom­mee beruht nicht auf ihrem par­tei­po­li­ti­schen Enga­ge­ment). Mal abge­se­hen davon, dass es wei­ter­hin eine ziem­lich gro­ße Zahl grü­ner Netz­po­li­ti­ke­rIn­nen gibt – wir könn­ten ja auch mal einen offe­nen Brief oder sowas machen, um zu zei­gen, wie vie­le wir sind – fin­de ich die­se Par­tei­ein­trit­te vor allem des­we­gen inter­es­sant, weil sie nach dem Wil­len der bei­den Neu-Pira­tin­nen genau das sein sol­len: Ein­trit­te, aber kei­ne Über­trit­te, kei­ne Parteiwechsel.

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Ein paar Notizen zum Delegiertenprinzip

Ein Kri­tik­punkt der Pira­ten­par­tei an ande­ren Par­tei­en ist das Dele­ga­ti­ons­prin­zip. Zum Teil kann ich die­se Kri­tik tei­len (etwa wenn ich mir mehr­stu­fi­ge Dele­ga­tio­nen in der SPD anschaue, wo auf Kreis­ebe­ne bereits Dele­gier­te ent­schei­den, und wo Länder/Bezirke die Dele­gier­ten für den Bun­des­par­tei­tag wäh­len). Letzt­lich aber schei­nen mir Dele­ga­tio­nen – unter bestimm­ten Vor­aus­set­zun­gen – einen guten Kom­pro­miss zwi­schen Betei­li­gung und Effi­zi­enz darzustellen.

Wie machen wir Grü­ne das? Vor­weg sei gesagt: unter­schied­lich, weil unse­re Lan­des- und Kreis­ver­bän­de einen hohen Grad an Auto­no­mie auf­wei­sen. Bei­spiels­wei­se gibt es Kreis­ver­bän­de, die ihre Dele­gier­ten auf ein oder zwei Jah­re wäh­len, das also als eine Art Par­tei­amt ver­ste­hen. Ande­re ent­schei­den für jeden Par­tei­tag neu. Oder auf Lan­des­ebe­ne: Da gibt es durch­aus grü­ne Lan­des­ver­bän­de, die neben oder statt der Lan­des­de­le­gier­ten­kon­fe­renz eine Lan­des­mit­glie­der­ver­samm­lung kennen.

Ich kann mal kurz dar­stel­len, wie der Kreis­ver­band Breis­gau-Hoch­schwarz­wald, in dem ich Mit­glied bin, die Dele­ga­ti­on hand­habt. Aktu­ell hat der Kreis­ver­band (KV) drei Dele­gier­ten­plät­ze für die Bun­des­de­le­gier­ten­kon­fe­renz (BDK) und fünf Dele­gier­ten­plät­ze für die Lan­des­de­le­gier­ten­kon­fe­renz (LDK).

Die­se Zah­len hän­gen von der rela­ti­ven Grö­ße des KV ab, bezo­gen auf den 31.12. des Vor­jahrs. Jeder KV hat ein Grund­man­dat, der Rest wird – in Baden-Würt­tem­berg – nach Hare-Nie­mey­er ver­teilt. Ins­ge­samt sind das für die baden-würt­tem­ber­gi­sche LDK etwa 200 Delegierte.

Für bestimm­te Par­tei­ta­ge (Lis­ten­auf­stel­lun­gen) müs­sen Dele­gier­te zur Bun­des­tags­wahl wahl­be­rech­tigt sein. Sonst ist nur die Mit­glied­schaft in der Par­tei relevant.

In mei­nem KV wer­den die Dele­gier­ten für jeden Par­tei­tag neu gewählt. Das führt zu lus­ti­gen Zei­tungs­ar­ti­keln, weil die Pres­se das irgend­wie als News ansieht, ist aber prak­tisch, weil damit Dele­gier­te nach The­men und z.T. nach Posi­tio­nie­run­gen aus­ge­wählt wer­den kön­nen. Wenn es ent­spre­chend vie­le Kan­di­da­tu­ren gibt, doch dazu gleich noch.

Für die Wahl der Dele­gier­ten gel­ten neben den all­ge­mei­nen Grund­sät­zen demo­kra­ti­scher Wah­len zwei Prinzipien.

Ers­tens das grü­ne Frau­en­sta­tut, das eine Min­dest­quo­tie­rung vor­sieht. Fak­tisch bedeu­tet dies, dass min­des­tens die Hälf­te der Dele­gier­ten­plät­ze an Frau­en ver­ge­ben wer­den soll. Dazu wird der Wahl­gang in einen Frau­en­wahl­gang (z.B. 3/5 Plät­zen) und einen offe­nen Wahl­gang (2/5 Plät­zen) auf­ge­teilt. Es gibt Mit­glie­der, die die­se Pra­xis kri­ti­sie­ren, aber letzt­lich führt sie tat­säch­lich zu quo­tier­ten Delegationen. 

Das zwei­te Prin­zip ist der Min­der­hei­ten­schutz. Damit ist hier nicht der SSW gemeint, son­dern die Tat­sa­che, dass es, wenn mehr Per­so­nen kan­di­die­ren, als es Plät­ze gibt, eine Begren­zung der Stim­men auf zwei Drit­tel gibt. Bei drei Plät­zen, die zu wäh­len sind, hat jedes Mit­glied auf der Kreis­mit­glie­der­ver­samm­lung nur zwei Stimmen. 

Damit soll ver­hin­dert wer­den, dass ein Block, der auf der Mit­glie­der­ver­samm­lung eine (leich­te) Mehr­heit hat, sei­ne Kan­di­da­tIn­nen durch­zieht. Letzt­lich ein Relikt aus den Zei­ten der Flü­gel­kämp­fe, aber doch auch heu­te noch ein Garant für eine gewis­se Meinungsvielfalt.

Ein ande­res altes Prin­zip, das impe­ra­ti­ve Man­dat, gilt so nicht mehr. Impe­ra­ti­ves Man­dat wür­de bedeu­ten, dass alle Ent­schei­dun­gen der LDK oder BDK in der Kreis­mit­glie­der­ver­samm­lung abge­stimmt wer­den und Dele­gier­te an die­se Ent­schei­dun­gen gebun­den sind. 

Was viel­mehr – bei wich­ti­gen und kon­tro­ver­sen The­men – geschieht, ist eine Dis­kus­si­on die­ser The­men auf der Kreis­mit­glie­der­ver­samm­lung, viel­leicht auch ein Mei­nungs­bild. Kan­di­da­tIn­nen für die Dele­ga­ti­on soll­ten sich ent­spre­chend äußern, so dass vor der Wahl klar ist, wer für wel­che Posi­ti­on steht.

Gewählt wer­den Dele­gier­te und Ersatz­de­le­gier­te. Dabei ist gewählt, wer die meis­ten Stim­men erhält, z.T. mit einem 20%-Quorum verbunden.

Die gewähl­ten Dele­gier­ten wer­den ange­mel­det und bekom­men dann die Par­tei­tags­un­ter­la­gen zuge­schickt. Sie neh­men am Par­tei­tag – meist an einem Wochen­en­de – teil. Fahrt- und z.T. Hotel­kos­ten stre­cken sie vor, der KV erstat­tet die­se bei Bedarf. Zum Teil bucht auch der KV gleich die Hotelzimmer.

Nicht uner­wähnt blei­ben soll die Tat­sa­che, dass es in der Pra­xis häu­fi­ger vor­kommt, dass das Inter­es­se, dele­giert zu wer­den, begrenzt ist. Wenn nur drei Per­so­nen für drei Plät­ze kan­di­die­ren, wer­den die­se dann meist im Block gewählt.

Bei „wich­ti­ge­ren“ Par­tei­ta­gen kommt es dage­gen durch­aus zu „Kampf­kan­di­da­tu­ren“ – denen sich bspw. auch die loka­len Abge­ord­ne­ten stel­len müssen.

Par­tei­ta­ge sind übri­gens gene­rell öffent­lich. Auch Mit­glie­der, die nicht dele­giert sind, haben Rede­recht und kön­nen Anträ­ge mit­ein­brin­gen (nötig sind 20 Mit­glie­der, um einen Antrag auf eine BDK ein­zu­brin­gen, in Baden-Würt­tem­berg 10 Mit­glie­der, um einen Antrag auf eine LDK einzubringen).

So machen wir das, mit dem Delegieren. 

Sicher­lich ein Sys­tem, das sei­ne eige­nen Nach­tei­le mit sich bringt – aber doch funk­ti­ons­fä­hig und aus mei­ner Sicht ein guter Kom­pro­miss zwi­schen dem Wunsch, alle zu betei­li­gen, und Par­tei­ta­ge hand­hab­bar zu gestalten.

War­um blog­ge ich das? Als Bei­trag zur Debat­te über Dele­ga­tio­nen – und weil dich das Wort Dele­gier­te so schreibt.

Länderrat in Lübeck: Ritt durch den Gemüsegarten

Ges­tern tag­te der grü­ne Län­der­rat – unser klei­ner Par­tei­tag mit etwa 60 Dele­gier­ten – in der schö­nen Stadt Lübeck. Dass der Län­der­rat nach Schles­wig-Hol­stein kam, war sicher­lich eben­so wenig Zufall wie die Tat­sa­che, dass eine ande­re Par­tei ihren Bun­des­par­tei­tag zeit­gleich im nicht weit ent­fern­ten Neu­müns­ter statt­fin­den ließ. Eine Woche vor den Wah­len in Schles­wig-Hol­stein, zwei Wochen vor den Wah­len in Nord­rhein-West­fa­len war die­ser Län­der­rat vor allem Schau­büh­ne, um grü­ne Poli­tik (auf­ge­lo­ckert durch ein paar Pony-Scher­ze) sicht­bar zu machen. 

„Län­der­rat in Lübeck: Ritt durch den Gemü­se­gar­ten“ weiterlesen

Der Weg von der Idee ins Programm

Falls jemand mal wissen wollte, wie eine Partei intern so str... on TwitpicNach­dem auf Twit­ter gera­de dar­über dis­ku­tiert wird, wie das mit der gan­zen inner­par­tei­li­chen Struk­tur bei Bünd­nis 90/Die Grü­nen so aus­sieht, und mei­ne Ant­wort neben die­sem Bild eigent­lich nur ist: viel­fäl­tig, weil jeder Kreis- und Lan­des­ver­band in gewis­ser Hin­sicht sei­ne eige­nen Gepflo­gen­hei­ten (Sat­zungs­au­to­no­mie!) hat, und weil es vie­le ver­schie­de­ne „Macht­zen­tren“ gibt, doch noch mal ein paar Wor­te mehr zu der Fra­ge, wie eine poli­ti­sche Idee vom Mit­glied ins Pro­gramm wan­dert.
„Der Weg von der Idee ins Pro­gramm“ weiterlesen