Science Fiction und Fantasy im August 2024

The Barbican, London - XX

Ich fan­ge mal, weil es ein­fa­cher ist, mit den bei­de Seri­en an, die ich im August ange­guckt habe: Wit­cher Blood Ori­gin (2022, Net­flix) – eine soli­de gemach­te Mini­se­rie als Pre­quel zum Wit­cher, die viel Hin­ter­grund ein­führt und erklärt. 

Und die vier­te und letz­te Staf­fel der Umbrel­la Aca­de­my (2024, Net­flix). Hier sind die Superheld:innen erst ein­mal ganz nor­ma­le Men­schen mit einem ganz nor­ma­len Leben, und erst nach und nach taucht „Mari­gold“ als Stoff, der ihnen spe­zi­el­le Fähig­kei­ten ver­leiht, wie­der auf. Die­se schlie­ßen­de Staf­fel erklärt eini­ges, und endet dann (ohne jetzt zu viel zu ver­ra­ten) außer­ge­wöhn­lich und anders, als das bei Super­hel­den­co­mic­ver­fil­mun­gen sonst der Fall ist. Wie schon in den Staf­fel davor: gut umge­setzt, lei­der teil­wei­se ziem­lich blut­rüns­tig, groß­ar­ti­ger Sound­track und Sze­nen und Bil­der, die in Erin­ne­rung blei­ben – etwa das U‑Bahn-Netz und auch das dor­ti­ge Bis­tro, in dem Fünf Fünf und Fünf trifft. Die Teen­ager waren mit dem Ende unzu­frie­den – das sei auch noch dazu gesagt.

Dann zu den sie­ben Büchern, die ich im August gele­sen habe.

Ombria in Shadow von Patri­cia A. McKil­lip ist bereits 2002 erschie­nen; bis­her sag­te mir weder die Autorin noch das Buch etwas. Irgend­je­mand (sor­ry, ich erin­ne­re mich nicht mehr, wer es war) erwähn­te das Buch auf Mast­o­don, das klang inter­es­sant – und ja, sehr schö­ne Fan­ta­sy. Eine Stadt, wohl ein Stadt­staat, mit Hafen und Taver­nen und einem Schloss. Der Herr­scher stirbt/wird umge­bracht, sei­ne Gelieb­te Lydea flieht. Domi­na Pearl, eine vam­pir­ar­tig gezeich­ne­te uralte Ver­wand­te, greift nach der Macht und über­nimmt die Vor­mund­schaft über den jun­gen Prin­zen. Eine Schre­ckens­herr­schaft droht. Ombria ist eine Stadt, die eine Schat­ten­welt hat, in der eine gesichts­lo­se Zau­be­rin herrscht. Deren Gehil­fin Mag fängt an, eige­ne Gedan­ken zu ent­wi­ckeln und sich aus der Schat­ten­welt her­aus ein­zu­mi­schen. Im Schloss steht Ducon Gre­ve, unehe­li­cher Nef­fe des toten Herr­schers, vor der Fra­ge, ob er Par­tei ergrei­fen soll – oder der­je­ni­ge blei­ben möch­te, der durch dunk­le Ecken streift und die­se zu Papier bringt. Aus die­sem Set­ting her­aus ent­wi­ckelt McKil­lip eine sprach­lich sehr schön und mit Grau­tö­nen erzähl­te Geschich­te über Rebel­lio­nen und die schwie­ri­ge Arbeit, Nor­ma­li­tät immer wie­der herzustellen. 

Die übri­gen Bücher in die­sem Monat waren dann alle Sci­ence Fic­tion. Loka (2024), die Fort­set­zung von S.B. Divyas Meru ist ganz frisch erschie­nen und scheint mir gut in den Hope­punk-Trend zu pas­sen, den ich gera­de beob­ach­te. Wäh­rend Meru vor allem im Son­nen­sys­tem, auf dem namens­ge­ben­den Pla­ne­ten und „an Bord“ eines leben­den Raumschiff-„Alloys“ (Alloys sind post­hu­ma­ne Cyborgs, die größ­ten­teils im Welt­raum leben) gespielt hat, ist der Ort von Loka zum gro­ßen Teil die Erde. Wir beglei­ten Aks­ha­ya – Hybrid einer mensch­li­chen Mut­ter und eines Alloy-Vaters, für das Leben auf Meru ange­passt – und ihre Freun­din Somya – beim Ver­such, die Anthro­po­lo­gi­cal Chall­enge zu meis­tern. Damit ist eine Rei­se rund um die Erde gemeint, und zwar ohne jede Unter­stüt­zung durch Alloys, nur mit dem, was Men­schen vor die­ser post­hu­ma­nen Ära konn­ten. Sie machen sich mit Solar­fahr­rä­dern auf den Weg – und stel­len bald fest, dass inner­halb des „Loka“, der von Alloys gema­nag­ten Zone der Erde, eine sol­che Akti­vi­tät sehr skep­tisch gese­hen wird. Jen­seits des Loka-Gür­tels sind die Gebie­te „out of bound“, in denen Men­schen leben, die den Alloys – und post­hu­ma­nen Men­schen wie Aks­ha­ya – nicht unbe­dingt freund­lich gesinnt sind. Neben einem Blick auf das, was einen leben­den Pla­ne­ten aus­macht (und die im Welt­raum auf­ge­wach­se­ne Aks­ha­ya über­rascht), ist die­se Rei­se auch eine Aus­ein­an­der­set­zung zwi­schen Aks­ha­ya und ihrer Mut­ter, und mit der Fra­ge, wie weit Erwar­tun­gen und Wün­sche der Eltern vor­ge­ben, was deren Kin­der ein­mal machen. Mir hat Loka letzt­lich sehr gut gefal­len, obwohl ich anfangs ange­sichts des For­mats einer Aben­teu­er-Rei­se rund um die Erde skep­tisch war.

Um bei Din­gen, die viel­leicht Hope­punk sind, zu blei­ben: auch Ken MacLeods Bey­ond the Light Hori­zon (2024) – der drit­te Band sei­ner Lightspeed-Tri­lo­gie – hat ins­be­son­de­re in der Beschrei­bung des All­tags frem­der Wel­ten (und in dem All­tag ganz nor­ma­ler Men­schen zwi­schen poli­ti­schen Intri­gen) Aspek­te, die dazu pas­sen. Prä­mis­se die­ser Tri­lo­gie ist zum einen, dass es seit lan­gem eine Mög­lich­keit gibt, sich mit Über­licht­ge­schwin­dig­keit zu bewe­gen (aber obacht: ab und zu gera­ten dabei die Welt­li­ni­en durch­ein­an­der), dass die­se aber von den gro­ßen Welt­mäch­ten geheim gehal­ten wird, und dass die­se – ein Block rund um die USA und ein auto­kra­ti­scher Block – eben­so im Gehei­men begon­nen haben, frem­de Pla­ne­ten zu besie­deln. Die nach einer Revo­lu­ti­on sozia­lis­ti­sche Euro­päi­sche Uni­on (zu der auch Schott­land gehört) ist erst spät in die­sem Spiel dabei. Das alles ist mehr oder weni­ger die Geschich­te der ers­ten bei­den Bän­de; es kom­men zudem künst­li­che Intel­li­gen­zen und selt­sa­me Kris­tall­we­sen – den Fer­mi – vor, die gegen Ende des zwei­ten Ban­des ver­schwin­den. Im drit­ten Band taucht nun ein Son­nen­sys­tem auf, in dem intel­li­gen­te Dino­sau­ri­er seit Mil­lio­nen von Jah­ren ein Venus-Äqui­va­lent besie­deln … und sie sind nicht die ein­zi­ge intel­li­gen­te Lebens­form (man merkt, dass MacLeod mal als Bio­lo­ge gear­bei­tet hat). MacLeod schließt in die­sem drit­ten Band die eine oder ande­re offe­ne Zeit­schlei­fe, bin­det auch sonst zusam­men, was zusam­men­zu­bin­den ist, und schafft es trotz­dem, am Schluss noch­mal eine wirk­lich über­ra­schen­de Wen­dung hin­zu­krie­gen. Ins­ge­samt sind die drei Bän­de der Lightspeed-Tri­lo­gie damit eine run­de und lesens­wer­te Sache.

Wer Space Ope­ra mag, wird an Jona­than Stra­hans Antho­lo­gie New Adven­tures in Space Ope­ra (2024) gefal­len fin­den. Das Buch ent­hält in sich geschlos­se­ne Kurz­ge­schich­ten von Ann Leckie / Becky Cham­bers, Alas­ta­ir Rey­nolds, T. King­fi­sher, Char­lie Jane Anders, Anya Johan­na DeNi­ro, Yoon Ha Lee, Lavie Tid­har, Tobi­as S. Buckell, Arka­dy Mar­ti­ne, Ali­et­te de Bodard, Seth Dick­in­son und Karin Tid­beck – und allein die­se Lis­te an Namen zeigt sowohl die Band­brei­te als auch die Qua­li­tät der hier ver­sam­mel­ten Geschichten. 

Eine ganz kon­kre­te Kon­se­quenz der Lek­tü­re die­ser Antho­lo­gie war bei mir, dass ich Nine­fox Gam­bit von Yoon Ha Lee aus dem Jahr 2016 end­lich mal gele­sen habe – das lag schon lan­ge in mei­nem (digi­ta­len) Bücher­sta­pel. Es geht hier um Space Ope­ra, um post­hu­ma­ne Wel­ten – und um ein Uni­ver­sum, in dem eine hoch­ent­wi­ckel­te Zah­len­mys­tik es erlaubt, die Rea­li­tät zu beein­flus­sen. Wor­aus sich bei­spiels­wei­se grau­sa­me Waf­fen bau­en las­sen. Die Haupt­per­son Kel Che­ris ist eine Sol­da­tin der Hex­ar­chie; die Kel sind eine der sechs Frak­tio­nen, die die­ses galak­ti­sche Impe­ri­um gemein­sam regie­ren – sie sind für das Mili­tär zustän­dig, wäh­rend Shu­os eher geheim­dienst­lich unter­wegs sind, Nirai die Geheim­nis­se des Uni­ver­sums erfor­schen usw. Gemein­sam mit einem lan­ge toten Rebel­len soll sie in einer gehei­men Mis­si­on her­aus­fin­den, wie es in einer Welt­raum­fes­tung zu einem Auf­stand kam – und den dort ver­wen­de­ten Kalen­der wie­der zu nor­ma­li­sie­ren. Die Prä­mis­sen und die dar­auf auf­bau­en­de Welt samt der Spra­che des Buchs (es gibt bei­spiels­wei­se kei­ne Raum­schif­fen, son­dern Mot­ten …) ist erst ein­mal etwas schwer zugäng­lich; wenn sie akzep­tiert wird, ist Nine­fox Gam­bit aber packend – auch auf der Ebe­ne der per­sön­li­chen Ent­wick­lung von Kel Che­ris. Neben Nine­fox Gam­bit gibt es noch zwei Fol­ge­bän­de sowie eine Rei­he von Kurz­ge­schich­ten aus dem sel­ben Universum. 

Apro­pos selt­sa­me Prä­mis­sen: Greg Egan schreibt ja eh Roma­ne, die davon leben, dass sie selt­sa­me Prä­mis­sen aus­buch­sta­bie­ren und in vol­ler Kon­se­quenz umset­zen. Mor­pho­tro­phic (2024) macht das mit Wucht: jen­seits des durch­aus inter­es­san­ten Plots ist es vor allem die Idee, die den Reiz die­ses Buchs aus­macht: Zel­len in Lebe­we­sen sind unab­hän­gi­ger und wan­del­ba­rer, als wir es ken­nen. Wenn sie nicht gut ver­sorgt wer­den, mit genau dem rich­ti­gen Mix an Nähr­stof­fen, gehen sie ein – oder ver­las­sen den Kör­per. So beginnt das Buch damit, dass der Haupt­per­son ihr Arm fehlt, weil über Nacht eine gan­ze Rei­he von Zell­ko­lo­nien ent­schie­den haben, ihr Glück woan­ders zu suchen. Und wer gute Zel­len hat – oder neue dazu­ge­winnt, lebt sehr lan­ge. Das gro­ße Geheim­nis in die­ser Welt ist die Fra­ge, wie Zel­len dazu gebracht wer­den, bestimm­te Kör­per­tei­le zu bil­den – und was eigent­lich Bewusst­sein und „ich“ aus­macht, wenn Tei­le des eige­nen Kör­pers sich ande­ren anschlie­ßen kön­nen. Anre­gend (und gar nicht so weit weg, wie es scheint: ein paar Tage nach Lek­tü­re des Buchs bin ich im Spek­trum der Wis­sen­schaft auf einen Auf­satz gesto­ßen, in dem über die Rol­le elek­tri­scher Signa­le für die Organ­ent­wick­lung gespro­chen wurde …). 

Last but not least: The For­t­u­na­te Fall von Came­ron Reed, 1996 unter dem heu­ti­gen Dead­na­me der Autorin zuerst erschie­nen, jetzt als Klas­si­ker des Cyber­punk wie­der ver­öf­fent­lich (und mit einem schö­nen Vor­wort von Jo Walt­on ver­se­hen). Wir fol­gen in einer aus heu­ti­ger Sicht sehr post­hu­ma­nen Welt einer „Kame­ra“, einer Frau, die mit zusätz­li­chen Implan­ta­ten auf­ge­rüs­tet als Ein-Per­so­nen-Repor­te­rin für eine der gro­ßen Sen­de­ket­ten durch die Welt zieht und in Tele­prä­senz immersiv berich­tet. Damit nicht jede Regung beim Publi­kum ankommt, arbei­tet sie mit einer Cut­te­rin zusam­men – eine sehr inti­me Erfah­rung. Die Kame­ra Maya Andreye­va ist kei­ne Hel­din, son­dern wird nach und nach in einen grö­ße­ren Kon­flikt hin­ein­ge­zo­gen. Gleich­zei­tig erfah­ren wir mehr dar­über, was es mit dem Blo­cker in ihrem Kopf auf sich hat, der die in die­ser Welt ver­bo­te­ne gleich­ge­schlecht­li­che Lie­be (und mehr) unter­drückt. Das Buch – Walt­on spricht von warm­her­zi­gem Cyber­punk – steckt vol­ler Ideen, die eine Welt zu Ende den­ken, in der Gehir­ne digi­tal gekop­pelt wer­den kön­nen. Am Schluss wur­de es mir etwas zu theo­lo­gisch, ins­ge­samt aber ein Buch, das zu Recht als Cyber­punk-Klas­si­ker gewer­tet wer­den soll, und das sich erstaun­lich gegen­wär­tig liest. 

Eine Antwort auf „Science Fiction und Fantasy im August 2024“

  1. Uh… Patri­cia McKil­lip nicht zu ken­nen isst eine ekla­tan­te Lücke in der Fan­ta­sy-Kennt­nis (wobei ich sofort bereit bin, ekla­tan­te Lücken bei der Kennt­nis von SF bei mir zuzu­ge­ben; Fan­ta­sy ist ein­fach mehr mein Gen­re). Ich möch­te aber die „Earth Magic/Riddlemaster“ Tri­lo­gie aus­drück­lich anemp­feh­len, als Klas­si­ker so wich­tig wie Ursu­la K.Le Guins „Earth­sea“ Tri­lo­gie (die aller­dings mit den viel spä­ter fol­gen­den Bän­den, von Teha­nu ange­fan­gen, Erd­see noch­mal deut­lich gewich­ti­ger gemacht hat). Als Ein­zel­bannd der eher mär­chen­haf­ten Fan­ta­sy emp­feh­le ich „Die ver­ges­se­nen Tie­re von Eld“ von McKil­lip, mit dem und der Erd­zau­ber-Tri­lo­gie hät­test du zumin­dest einen bes­se­ren Ein­druck davon, wen du in den letz­ten 45 Jah­ren ver­passt hast. :-)

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