Ohne Titel?

Up and down

Per­son und Gewis­sen: Stu­di­en zu Vor­aus­set­zun­gen, Not­wen­dig­keit und Erfor­der­nis­sen heu­ti­ger Gewis­sens­bil­dung – das ist der Titel der 1980 an der Phi­lo­so­phi­schen Fakul­tät der Uni­ver­si­tät Düs­sel­dorf ange­nom­me­nen Dok­tor­ar­beit der For­schungs­mi­nis­te­rin Annet­te Scha­van. Und es könn­te der Punkt sein, an dem ihre poli­ti­sche Kar­rie­re ein Ende findet.

Ich bin mir noch nicht hun­dert­pro­zen­tig sicher, was ich davon hal­ten soll. Auf der einen Sei­te ist es völ­lig klar: Eine Bun­des­mi­nis­te­rin, die – soll­te sich der Ver­dacht bewahr­hei­ten – in ihrer Pro­mo­ti­ons­ar­beit wis­sent­lich und wil­lent­lich getäuscht hat, und der des­we­gen der Titel ent­zo­gen wird, hat ein Pro­blem. Das gilt erst recht, wenn die­se Minis­te­rin sich – wie hier gesche­hen – in der Gut­ten­berg-Affä­re schon sehr deut­lich zum The­ma der Qua­li­tät wis­sen­schaft­li­cher Abschlüs­se geäu­ßert hat, und wenn sie qua Amt sozu­sa­gen der obers­te Garant dafür sein soll, dass das Hoch­schul- und Wis­sen­schafts­sys­tem in Deutsch­land höchs­ten wis­sen­schaft­li­chen Ansprü­chen gerecht wird. Inso­fern gehe ich davon aus, dass eine Aberken­nung des Dok­tor­ti­tels Kon­se­quen­zen für Annet­te Scha­van haben wird.

Trotz­dem gibt es drei Punk­te, die ich bei der jetzt neu auf­flam­men­den Debat­te schwie­rig finde.

Der ers­te lie­ße sich unter eine Über­schrift wie „Per­sön­li­che Inte­gri­tät und Skan­da­li­sier­bar­keit“ stel­len. Wie sol­len Poli­tik und Medi­en mit klei­ne­ren und grö­ße­ren Feh­lern von Poli­ti­ke­rIn­nen umge­hen? Wäre es eine unan­ge­mes­se­ne Ver­harm­lo­sung, den einen oder ande­ren Skan­dal Skan­dal sein zu las­sen. Ist es sinn­voll, um bei Annet­te Scha­van zu blei­ben, deren Wir­ken an einer 1980 als Abschluss­ar­beit eines grund­stän­di­gen Stu­di­ums – zu die­sem Zeit­punkt noch durch­aus üblich – erstell­ten Pro­mo­ti­on zu mes­sen? (Ich wür­de sogar behaup­ten: mit Feh­lern wie dem ver­tusch­ten Zitie­ren von Sekun­där- statt Pri­mär­quel­len, die sicher­lich nicht nur in Ein­zel­fäl­len statt­fan­den, und die auch etwas mit wis­sen­schaft­li­chen Kul­tu­ren etc. zu tun haben …).

Auch die gan­zen Gates der Pira­ten fal­len mir hier ein. Das Inter­net trägt das sei­ne dazu bei, dass Fehl­ver­hal­ten jeg­li­cher Art über­aus schnell skan­da­li­sier­bar wird. Mein Gefühl: nach einer lan­gen Pha­se des Ver­tu­schens sind wir der­zeit in einer Pha­se der Hyper­sen­si­ti­vi­tät gegen­über ech­ten und schein­ba­ren Inte­gri­täts­feh­lern bei Poli­ti­ke­rIn­nen. Eine Pha­se, die es schwer macht, zwi­schen Baga­tel­len und Map­pu­sia­den zu unter­schei­den, und die noch dazu dem Takt der media­len Groß­wet­ter­la­ge mit ihren Auf­merk­sam­keits­tiefs und ‑hochs gehor­chen muss. 

Zwei­tens: Was sagt so ein Titel über­haupt aus? Und was sagt er im his­to­ri­schen Kon­text aus? Je nach Fach (hal­lo, Human­me­di­zin!), Ein­bin­dung (hal­lo, wis­sen­schaft­li­che Arbeits­tei­lung!), gesell­schaft­li­chem Umfeld (hal­lo, Bür­ger­tum!) und Zeit­punkt (Magis­ter­stu­di­en­gän­ge wur­den in den 1960er Jah­ren ein­ge­führt, um die bis dahin im geis­tes­wis­sen­schaft­li­chen Umfeld übli­che Pro­mo­ti­on als Regel­ab­schluss durch einen „berufs­nä­he­ren“ Grad zu ergän­zen) steckt hin­ter den Buch­sta­ben „Dr.“ eine ganz unter­schied­li­che Leis­tung. Man­che Arbei­ten aus den 1960er und 1970er Jah­ren wür­den heu­te gera­de noch so als Mas­ter­the­sis durch­ge­hen, man­che ande­re haben einen Umfang und eine inhalt­li­che Tie­fe, die sonst eher mit Habi­li­ta­ti­ons­schrif­ten ver­knüpft wird. 

Inner­halb des Wis­sen­schafts­sys­tems mag das erfolg­reich abge­schlos­se­ne, mit Buch und Prü­fung und kri­ti­scher Bewer­tung durch ande­re Wis­sen­schaft­le­rIn­nen ver­se­he­ne, umfang­rei­che Pro­jekt, das in einem Dr.-Titel mün­det, mit all die­sen Dif­fe­ren­zie­run­gen eine sinn­vol­le Funk­ti­on haben. Ob der Weg dahin effi­zi­ent orga­ni­siert ist, ist dann noch ein­mal eine ganz ande­re Fra­ge (bei­des sage ich auch als einer, der sich der­zeit höchst unsi­cher dar­über ist, ob und wenn ja was aus dem vor lan­ger Zeit ange­fan­ge­nen Pro­mo­ti­ons­vor­ha­ben noch so wer­den könnte).

Kniff­li­ger wird es, wenn der aka­de­mi­sche Titel in ande­re Fel­der über­führt wird. Dass Diplom und Magis­ter, Bache­lor und Mas­ter eine Ori­en­tie­rung auch für die Berufs­welt bie­ten – ok. (Auch wenn sich lan­ge dar­über dis­ku­tie­ren lässt, war­um ein Eti­kett wie „Diplom-Inge­nieur“, auf­ge­klebt auf einen Bache­lor of Engi­nee­ring oder einen Mas­ter of Sci­ence, Eti­ket­ten­schwin­del ist, und kein zusätz­li­ches Qua­li­täts­sie­gel). Aber was sagen die unter­schied­li­chen Dok­tor­gra­de in der Berufs­welt – oder jen­seits davon, als Aus­weis gesell­schaft­li­cher Aner­ken­nung – denn nun eigent­lich wirk­lich aus? Han­delt es sich dabei um Meri­to­kra­tie – oder um den Miss­brauch eines für einen ganz ande­ren Zweck erfun­de­nen Sys­tems, mit dem Neben­ef­fekt, dass nun die­je­ni­gen, denen es um die sekun­dä­ren Wir­kun­gen geht, plötz­lich aus die­ser Moti­va­ti­on her­aus ver­su­chen, pro­mo­viert zu wer­den? (Die­ses nur auf die Außen­wir­kung bedach­te Motiv wür­de ich Scha­van übri­gens nicht unter­stel­len, wohl aber zu Guttenberg).

Im Blick auf die­sen zwei­ten Punkt fin­de ich den Vor­schlag der grü­nen Wis­sen­schafts­po­li­ti­ke­rin Kris­ta Sager sinn­voll, nicht nur Rah­men­be­din­gun­gen und Qua­li­täts­si­che­run­gen bei Pro­mo­ti­ons­ar­bei­ten in den Blick zu neh­men, son­dern auch den Dr.-Grad aus dem Per­so­nal­aus­weis zu ent­fer­nen, also der Ver­mi­schung von wis­sen­schafts­in­ter­nem Qua­li­täts­kri­te­ri­um und gesell­schaft­li­chem Sta­tus­kri­te­ri­um eine Ende zu bereiten.

Drit­tens schließ­lich, und auch das ist eine Ver­mi­schung genau die­ser bei­den Punk­te, stellt sich die Fra­ge, ob eine gute For­schungs­mi­nis­te­rin pro­mo­viert sein muss. Wenn sie es ist, soll­te sie den Dok­tor­grad ehr­lich und wis­sen­schaft­li­chen Stan­dard ent­spre­chend erwor­ben haben. Wenn er dann aberkannt wird, stellt das die Glaub­wür­dig­keit in höchs­tem Maße in Fra­ge. Soweit klar. Aber in eini­gen Kom­men­ta­ren klingt die Vor­stel­lung durch, dass gute Hoch­schul- und Wis­sen­schafts­po­li­tik nur durch jemand gemacht wer­den kön­ne, der oder die „aus dem Sys­tem“ kommt, qua­si nur auf Zeit von der Hoch­schu­le ins Minis­te­ri­um abge­ord­net ist. Und das hal­te ich für falsch. Nicht nur, weil es frag­wür­dig ist, ob eine Pro­mo­ti­on eine Aus­sa­ge dar­über ist, ob jemand gute Poli­tik machen wird, son­dern auch des­we­gen, weil ich eine kla­re Auf­ga­ben­tren­nung sehe zwi­schen der Selbst­ver­wal­tung der Wis­sen­schaft einer­seits und der staat­li­chen Auf­sicht, Steue­rung und poli­ti­schen Gestal­tung ande­rer­seits. Zuviel Nähe kann hier durch­aus zum Pro­blem werden.

War­um blog­ge ich das? Weil ich gespannt beob­ach­te, wie der „Fall Scha­van“ wei­ter­geht. Gut­ten­bergs Pla­gi­ats­fall hat, soweit ich das sehe, nicht zu Ände­run­gen der gesell­schaft­li­chen Hal­tung zu Pro­mo­tio­nen geführt, oder zu poli­ti­schen Ver­än­de­run­gen etwa in der Qua­li­täts­si­che­rung. Viel­leicht haben eini­ge Sta­tus-Pro­mo­vie­ren­de sich des­we­gen anders ent­schie­den, oder mehr Ener­gie in die Ver­tu­schung von Täu­schun­gen gesteckt. Aber rich­ti­ge nach­hal­ti­ge Fol­gen sehe ich nicht. Und ich befürch­te, dass das auch jetzt nicht anders wird – ins­be­son­de­re dann, wenn das Pro­blem auch im Fall Scha­van allein als per­so­na­li­sier­tes Pro­blem dis­ku­tiert wird. Scha­van soll­te Gewis­sen zei­gen – und ihr Nach­fol­ger oder ihre Nach­fol­ge­rin sich der oben skiz­zier­ten Auf­ga­be inten­siv wid­men. Von mir aus auch erst ab 2013.

P.S.: Ein Neben­aspekt des Gan­zen ist die Tat­sa­che, dass die sys­te­ma­ti­sche Suche nach Pla­gia­ten erst durch die kol­la­bo­ra­ti­ve Arbeit im Inter­net und die vie­len digi­tal zur Ver­fü­gung ste­hen­den Tex­te so rich­tig ermög­licht wird. Und dadurch, dass aka­de­mi­sche Abschluss­ar­bei­ten – aus gutem Grund – ver­öf­fent­licht wer­den müssen.

5 Antworten auf „Ohne Titel?“

  1. Tja, so lan­ge „die Wirt­schaft“ nach immer höhe­ren Titeln von ihren Bewerber/Inn/en giert (natür­lich mit noch mehr Pra­xis­re­le­vanz!) und sich Absolvent/inn/en davon ganz tol­le (Einstiegs)Gehälter ver­spre­chen, wird die­ses Sta­tus­dok­tor Pro­blem nicht weg gehen denk’ich.

    Aber ich bin ja eh der Mei­nug, dass die Fach­hoch­schu­len in der fak­ti­schen („das ist ja nur ne ande­re Her­an­ge­hens­wei­se“ my Ass. Uni-Profs bli­cken auf FHler her­ab) mehr Beach­tung ver­die­nen soll­ten. Dort kriegt die Wirt­schaft was sie will und dann kann an der Uni auch Wis­sen­schaft betrie­ben wer­den. Gin­ge eigent­lich ganz ein­fach, indem man die Staats­examen-Stu­di­en­gän­ge an die FHs verfrachtet.

  2. Die Über­le­gun­gen sind m.E. für sich genom­men legi­tim, gehen aber am eigent­li­chen Pro­blem, das Scha­van und ihr Han­deln dar­stellt, vorbei.
    Neh­men wir an, ein Finanz­be­am­ter hät­te Steu­ern hin­ter­zo­gen, vor län­ge­rer Zeit. Natür­lich könn­te man nach der Ent­de­ckung sagen, dass 1. der Finanz­be­am­te ja als Pri­vat­per­son betro­gen hät­te und nicht als Beam­ter; dass 2. es sich bei dem hin­ter­zo­ge­nen Geld um D‑Mark gehan­delt hät­te, die ja heu­te bekannt­lich sowie­so nichts mehr wert sei; und dass 3. ein Finanz­be­am­ter ja gar nicht unbe­dingt viel Geld haben müs­se, um Finanz­be­am­ter zu sein. Aber dar­um geht es doch nicht. Es geht um die Miss­ach­tung der Regeln, die man sel­ber reprä­sen­tie­ren soll. Selbst wenn sich Details der Regeln über die Zeit ändern.
    Es wäre in Ord­nung, wenn Scha­van eine schlech­te, kur­ze, dün­ne, lang­wei­li­ge oder auch gar kei­ne Dok­tor­ar­beit geschrie­ben hät­te. Dafür dürf­te sie nicht belangt wer­den und müss­te auch nicht von ihrem Amt zurück­tre­ten. Sie hat aber mög­li­cher­wei­se betro­gen. Das ist der eigent­li­che Punkt.

    1. Das ist rich­tig, soweit es um Scha­van geht. Wider­spruch da nur in dem Punkt, dass es nicht geht, dass für eine Hand­lung vor 30 Jah­ren heu­ti­ge Regeln her­an­ge­zo­gen wer­den. Soll­te es 1980 üblich gewe­sen sein, dass wei­te Tei­le von Pro­mo­ti­ons­ar­bei­ten aus der kaum mar­kier­ten Zusam­men­fas­sung von Sekun­där­li­te­ra­tur bestehen, wäre das mei­ner Mei­nung nach anders zu beur­tei­len (also: war’s eine schlech­te Diss. oder eine Diss. mit betrü­ge­ri­schen Ele­men­ten – nach den Maß­stä­ben der 1980er). Auch mora­li­sche und juris­ti­sche Nor­men ändern sich.

      Prin­zi­pi­ell aber geht’s mir mit dem Text ja gar nicht um Scha­van. Son­dern zum einen um das Ver­hält­nis von Inter­net, Trans­pa­renz, Ansprü­chen an die mora­li­sche Inte­gri­tät von Poli­ti­ke­rIn­nen, Ver­ges­sen und den Skan­dal, um das Feld mal grob zu umrei­ßen, und zum ande­ren dar­um, wel­che Bedeu­tung aka­de­mi­sche Titel und Gra­de außer­halb der Wis­sen­schaft haben sollten.

  3. Pingback: till we *)

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