Work in progress: Für eine linke, grüne Netzpolitik (Version 0.1)

Vorbemerkung

Der fol­gen­de Text ist ein Ent­wurf. Teils Blog­ein­trag, teils ers­te Fas­sung eines Mani­fests für eine grü­ne, lin­ke Netz­po­li­tik, beruht der Text maß­geb­lich auf den Dis­kus­sio­nen des Work­shops „Netz­po­li­tik“ beim Kon­gress „grün.links.denken“. In die­sem Pad* kann an die­sem Text wei­ter­ge­ar­bei­tet wer­den. Ich bin gespannt – auch auf Kom­men­ta­re der­je­ni­gen, die die Aus­gangs­the­sen nicht teilen.

[Ergän­zung 0:08 Und weil es dazu auf Twit­ter noch einen hef­ti­gen Schlag­ab­tausch gab: Das Papier ist nicht als Angriff auf den ande­ren grü­nen Flü­gel gemeint. Klar ist vie­les von dem, was ich anhand lin­ker grü­ner Grund­wer­te (also nicht allei­nig links­grü­ner oder „flü­gel­lin­ker“ Grund­wer­te!) an Posi­tio­nen ablei­te, in der Par­tei Kon­sens. Oder es scheint zumin­dest so zu sein. Ich bin über­zeugt davon, dass es gut ist, wenn wir uns gera­de in einer Zukunfts­fra­ge wie der Netz­po­li­tik auch in unse­rer Par­tei in eine pro­gram­ma­ti­sche Aus­ein­an­der­set­zung bege­ben – zwi­schen den Flü­geln und über die­se hin­weg, aber vor allem auch mit denen, die Netz­po­li­tik als viel­leicht gera­de modi­sches Nischen­the­ma abtun. Ich glau­be, dass bei die­ser über den Zir­kel der Netzpolitiker_innen hin­aus­ge­hen­den Debat­te durch­aus Dif­fe­ren­zen und unter­schied­li­che Gewich­tun­gen sicht­bar wer­den. Dar­über müs­sen wir reden – und da sind die Flü­gel als Dis­kurs­ge­ne­ra­to­ren ein rich­ti­ger Ort, um so eine Aus­ein­an­der­set­zung anzufangen!]

I. Das politische Feld und sein Gegenstand

In den letz­ten Jah­ren hat sich Netz­po­li­tik zu einem aus­ge­wach­se­nen poli­ti­schen Feld ent­wi­ckelt. Das Netz, die zen­tra­le Infra­struk­tur unse­rer glo­ba­len Netz­werk­ge­sell­schaft, und alle damit ver­bun­de­nen Ent­wick­lun­gen sind durch und durch politisch. 

Am Netz hän­gen Fra­gen wie die nach gesell­schaft­li­cher Teil­ha­be und nach der Art und Wei­se, wie Arbeit, Bil­dung und Demo­kra­tie in Zukunft aus­ge­stal­tet sein sol­len. Das Netz ist ein trans­na­tio­na­ler Raum – gleich­zei­tig ist es weder imma­te­ri­ell noch extra­ter­ri­to­ri­al. Unter allen Apps und Kom­mu­ni­ka­ti­ons­strö­men lie­gen Kabel und Rechen­zen­tren. Grün gedacht: Ener­gie und Roh­stof­fe. Und klar: die Geset­ze, ob sie jetzt pas­sen oder nicht, gel­ten auch dann, wenn Kom­mu­ni­ka­tio­nen und Trans­ak­tio­nen im Inter­net stattfinden. 

Eine Illu­si­on wäre es auch, das Netz als herr­schafts­freie Are­na der frei­en Rede zu begrei­fen. Wer sich ins Netz begibt, nimmt den gan­zen Ruck­sack gesell­schaft­li­cher Erwar­tun­gen und Vor­prä­gun­gen mit. Gro­ße Tei­le der Infra­struk­tur und der Anwen­dun­gen befin­den sich in pri­va­ter Hand, auch wenn sie fak­tisch öffent­li­che Diens­te und Räu­me dar­stel­len. Das hat etwas mit Macht und Mono­po­len zu tun, aber auch damit, dass das Netz, wie wir es ken­nen, in der neo­li­be­ra­len Epo­che zu sei­ner heu­ti­gen Grö­ße gewach­sen ist und erwach­sen wurde. 

Staat­li­che Ver­su­che, kon­kur­rie­ren­de Dienst­leis­tun­gen bei­spiels­wei­se zu Such­ma­schi­nen anzu­bie­ten, sind ein­deu­tig geschei­tert: Staa­ten und öffent­li­che Ver­wal­tun­gen waren in ihrer Denk­wei­se, ihren Dienst­we­gen und ihren Geschäfts­mo­del­len zu lang­sam und zu infle­xi­bel, ver­gli­chen mit den Frei­hei­ten der Start-ups, aus denen die gegen­wär­ti­gen Oli­go­po­le erwach­sen sind. Das ist eine Geschich­te, die im Prin­zip bereits mit Bild­schirm­text und Mini­tel begon­nen hat. Durch­ge­setzt hat sich das weit­ge­hend dezen­tra­le, stel­len­wei­se fast schon orga­nisch anmu­ten­de Netz, wie wir es heu­te ken­nen, das Netz, hin­ter dem tech­nisch eine Mischung aus Selbst­re­gu­lie­rung, staat­li­cher Infra­struk­tur­po­li­tik und Wirt­schafts­in­ter­es­sen steckt.

Das Netz wird genutzt, es ist Werk­zeug und Medi­um, Ort und Maschi­ne zugleich. Wir Nutzer_innen arbei­ten und spie­len, kom­mu­ni­zie­ren und infor­mie­ren uns im und mit dem Netz. Manch­mal ist es dabei fast unsicht­bar gewor­den. Wenn wir vom Smart­phone aus Face­book oder Twit­ter auf­ru­fen, dann ist das naht­los in den All­tag inte­griert. Dass wir dabei das Netz nut­zen, ver­ges­sen wir völ­lig zu recht. Als Netznutzer_innen sind wir zugleich Konsument_innen und Produzent_innen von Medi­en­in­hal­ten und Dienst­leis­tun­gen. Wir tra­gen zum ste­ti­gen Strom der Neu­ig­kei­ten und Gerüch­te bei, tei­len Bil­der und Links, und erhal­ten das Netz so am Leben.

Netz­po­li­tik – das ist das poli­ti­sche Feld, in dem es um die­se Infra­struk­tur und ihre Nut­zung geht. Dar­um, wel­che Regeln gel­ten und wer Zugang hat. Es geht um sozia­le Gerech­tig­keit und um Markt­macht, um Bürger_innenrechte und demo­kra­ti­sche Betei­li­gung. Netz­po­li­tik ist die Fra­ge, wer zu wel­chen Bedin­gun­gen Zugriff auf Wis­sen hat, und es ist nicht zuletzt die Fra­ge, wer dar­über ent­schei­det, wel­che Inhal­te im Netz ste­hen dür­fen, und wel­che nicht. Netz­po­li­tik ist das Han­deln, in dem die grund­le­gen­den Bedin­gun­gen unse­res digi­ta­len All­tags poli­tisch ent­schie­den werden.

Als typi­sches Quer­schnitts­the­ma ist Netz­po­li­tik mit vie­len ande­ren poli­ti­schen Fel­dern ver­knüpft. Zugang ist auch eine sozia­le Fra­ge. Ungleich­hei­ten in der Gesell­schaft spie­geln sich im Netz. Netz­po­li­tik stößt immer wie­der auf inne­re Sicher­heit und auf die Wei­ter­ent­wick­lung unse­rer Demo­kra­tie. Der Schutz der Verbraucher_innen im Netz ist eben­so netz­po­li­ti­sches The­ma wie die aktu­ell heiß dis­ku­tier­te Anpas­sung des Urhe­ber­rechts an das digi­ta­le Zeitalter. 

II. Netzpolitik ist nicht links oder rechts, sondern … ja was eigentlich?

Netz­po­li­tik ist ein jun­ges poli­ti­sches Feld für eine noch immer neue und sich wei­ter­hin schnell ent­wi­ckeln­de gesell­schaft­li­che Infra­struk­tur. Öffent­lich sicht­bar ist Netz­po­li­tik erst in den letz­ten Jah­ren gewor­den, ins­be­son­de­re im Abwehr­kampf gegen die Ein­schrän­kung von Bürger_innenrechten im Netz. In die­ses Sicht­bar­wer­den haben vie­le Akti­ve viel Ener­gie gesteckt. 

Die „Netz­ge­mein­de“, die genau­so viel­fäl­tig und hete­ro­gen ist wie die Gesell­schaft ins­ge­samt, hat sich for­miert. Im gemein­sa­men Kampf dar­um, das Netz über­haupt als poli­ti­sches The­ma salon­fä­hig zu machen, und im Rück­griff auf die Tra­di­ti­ons­li­nie des „raw con­sen­sus“ – rich­tig ist, was gut funk­tio­niert – der Inter­net­tech­nik hat sich Netz­po­li­tik selbst zunächst als unpo­li­ti­sches Feld kon­sti­tu­iert. Auf die Macht­ge­fü­ge und Lager der „eta­blier­ten“ Poli­tik schaut die Netz­be­we­gung mit Skep­sis. Inso­fern die Pirat_innen als netz­po­li­ti­sche Bewe­gung zu ver­ste­hen sind, wol­len sie eben­falls eine maxi­mal unpo­li­ti­sche Par­tei sein. 

Damit hat sich in den letz­ten Jah­ren der Ein­druck fest­ge­setzt, dass Netz­po­li­tik weder links noch rechts ist. Die­se Wahr­neh­mung wird dadurch ver­stärkt, wie die Akteur_innen der prä­di­gi­ta­len Poli­tik sich in wich­ti­gen netz­po­li­ti­schen Dis­kus­sio­nen ver­hal­ten haben. 

Die Idee, eine Sperr­in­fra­struk­tur gegen Kin­der­por­no­gra­phie auf­zu­bau­en, die im Som­mer 2009 ihren Höhe­punkt fand und iko­nisch auf „Zen­sur­su­la“ (die zustän­di­ge Minis­te­rin Ursu­la von der Ley­en) ver­kürzt wur­de, wur­de in der dama­li­gen Kon­stel­la­ti­on im Bun­des­tag von CDU und SPD ein­ge­bracht und ver­tei­digt. Sowohl die FDP als auch die LINKE stell­te sich klar gegen die Idee einer Zen­sur­in­fra­struk­tur. Die bünd­nis­grü­ne Frak­ti­on nahm mehr­heit­lich eine ableh­nen­de Hal­tung ein, inner­halb der Frak­ti­on gab es aber fast ein Drit­tel Ent­hal­tun­gen – quer zu allen Lagern. Übri­gens ein Umstand, der uns noch heu­te im Netz übel genom­men wird. 

Bei der Vor­rats­da­ten­spei­che­rung fin­den sich ähn­li­che Koali­tio­nen – CDU und SPD ste­hen auf der einen Sei­te, Bünd­nis 90/Die Grü­nen, DIE LINKE, Pira­ten und die FDP auf der ande­ren Sei­te der Trennlinie.

Schlag­wor­te wie „Open Data“, „Open Access“ oder „digi­ta­le Demo­kra­tie“ sind – bei gro­ßem Des­in­ter­es­se der Mehr­heit der Volks­par­tei­en – eben­falls links wie rechts zu fin­den. Die Admi­nis­tra­ti­on von Barack Oba­ma, das damals rot-rot regier­te Ber­lin, das rot-grü­ne Bre­men und das schwarz­blau-gel­be Bay­ern: Sie alle sehen sich als Vor­rei­ter, wenn es dar­um geht, die in Ver­wal­tun­gen und Regie­run­gen ent­stan­de­nen Daten öffent­lich ver­füg­bar zu machen. Open Access, der Zugriff auf wis­sen­schaft­li­che Publi­ka­tio­nen, wird inner­halb der CDU genau­so wie von grü­nen Forschungspolitiker_innen ein­ge­for­dert. Betei­li­gungs­tools pro­bie­ren nicht nur die Pira­ten aus – Bünd­nis 90/Die Grü­nen natür­lich erst recht –, son­dern auch in SPD und CDU fin­den sich ent­spre­chen­de Projekte.

Oder neh­men wir die gro­ße Urhe­ber­rechts­the­ma­tik: Hier scheint nicht links oder rechts, ja noch nicht ein­mal das Alter oder die Face­book-Nut­zungs­fre­quenz, son­dern in ers­ter Linie die gefühl­te Nähe zum Kul­tur­be­trieb dar­über zu ent­schei­den, wer wel­che Posi­ti­on einnimmt. 

III. Ändern wir das: Plädoyer für eine grüne, linke Netzpolitik

Ist Netz­po­li­tik also in der Tat ein neu­es poli­ti­sches Feld, für das die alten Eti­ket­ten nicht mehr stim­men? Ich möch­te dem wider­spre­chen und dafür plä­die­ren, für eine grü­ne und expli­zit auch lin­ke grü­ne Netz­po­li­tik ein­zu­tre­ten. Nicht weil Netz­po­li­tik per se links oder rechts ist, son­dern weil sich im Feld der Netz­po­li­tik inzwi­schen Posi­tio­nen aus­dif­fe­ren­zie­ren – wer für das Netz Poli­tik macht, meint damit längst nicht mehr unbe­dingt das gleiche.

Eine grü­ne, lin­ke Netz­po­li­tik hat zwei Aspek­te. Das eine ist die inhalt­li­che Aus­rich­tung im netz­po­li­ti­schen Feld. Dazu gleich mehr. Der zwei­te Aspek­te ist ein stra­te­gi­scher: Wenn die ein­gangs geäu­ßer­te The­se stimmt, dass das Netz die zen­tra­le Infra­struk­tur der Gegen­warts­ge­sell­schaft dar­stellt, deren Gestal­tung mas­si­ve Aus­wir­kun­gen dar­auf hat, wie sich ganz unter­schied­li­che gesell­schaft­li­che Sphä­ren zukünf­tig ent­wi­ckeln, dann muss eine pro­gres­si­ve Lin­ke ein Inter­es­se dar­an haben, hier mit­zu­ge­stal­ten und hier als Akteu­rin auf­zu­tre­ten. Eines der gesell­schaft­li­chen Kon­flikt­fel­der in den nächs­ten Jah­ren wird die Aus­ge­stal­tung und Regu­lie­rung des Net­zes sein. In die­sem Kon­flikt müs­sen wir uns posi­tio­nie­ren, statt eines Tages plan­los zwi­schen den Fron­ten aufzuwachen. 

Wenn die stra­te­gi­sche Not­wen­dig­keit erkannt wird, sich hier zu posi­tio­nie­ren, dann reicht es aller­dings nicht aus, per Copy und Pas­te Gedan­ken und Kon­zep­te ande­rer zu über­neh­men. Das wür­de min­des­tens so auf­ge­setzt wir­ken wie die Mas­ken der Anonymous-Bewegung.

Erst wenn wir es schaf­fen, uns selbst – als Strö­mung, als Par­tei – hier, von unse­ren Hal­tun­gen und Wer­ten aus­ge­hend, zu posi­tio­nie­ren, kön­nen wir authen­tisch agie­ren. Erst wenn wir in der Par­tei um die­se Fra­gen gerun­gen haben – auch mit denen, die das Netz vor­geb­lich nicht inter­es­siert – erst dann sind wir stark genug, um Wider­sprü­che und Gegen­wind auszuhalten. 

Des­we­gen hal­te ich es für sinn­voll, einen Schritt zurück­zu­tre­ten und Netz­po­li­tik anhand zen­tra­ler lin­ker, grü­ner Grund­wer­te durchzudenken. 

Was sind Grund­wer­te lin­ker Grü­ner? Bei allen Dif­fe­ren­zen ist es doch so, dass Soli­da­ri­tät und die gerech­te Teil­ha­be an Arbeit, Bil­dung, Chan­cen und Demo­kra­tie einen ganz zen­tra­len Wert die­ser Art dar­stellt. Wenn wir uns als eman­zi­pa­to­ri­sche Lin­ke ver­ste­hen, die für Frei­heit ste­hen, und damit für die Schaf­fung der Bedin­gun­gen dafür, dass jeder Mensch sich frei ent­fal­ten kann, dann ist die Kon­zen­tra­ti­on auf Bürger_innenrechte und auf die Eman­zi­pa­ti­on des Men­schen ein zwei­ter sol­cher Wert. Drit­tens sind wir Grü­ne – Lin­ke, die den Weg von der mate­ria­lis­ti­schen Wachs­tums­be­glü­ckungs­ideo­lo­gie hin zu post­ma­te­ria­lis­ti­schen Fra­gen der Nach­hal­tig­keit und der Öko­lo­gie gegan­gen sind.

Gerech­te Teil­ha­be, Eman­zi­pa­ti­on und Öko­lo­gie – das ist für mich zumin­dest die zen­tra­le Wer­te­tri­as grü­ner Lin­ker. Was bedeu­tet es nun, Netz­po­li­tik anhand die­ser Wer­te­tri­as zu denken?

Teil­ha­be ist eng ver­knüpft mit Fra­gen des Zugangs zum Netz. Die­se Fra­ge geht wei­ter über die tech­ni­sche Ver­füg­bar­keit von Breit­band­zu­gän­gen hin­aus. Teil­ha­be ist vor­aus­set­zungs­reich. Da sind zum einen die not­wen­di­gen finan­zi­el­len und zeit­li­chen Res­sour­cen, um das Netz dazu zu nut­zen, an Gesell­schaft teil­zu­ha­ben. Wir kön­nen uns sicher­lich dar­auf eini­gen, einen schnel­len und brei­ten Zugang zum Netz im 21. Jahr­hun­dert als Bestand­teil der Daseins­vor­sor­ge zu ver­ste­hen, und breit­ban­di­gen Netz­zu­gang damit gleich­zu­stel­len mit Was­ser, Strom, Ein­kaufs­mög­lich­kei­ten und Kul­tur im sozia­len Nah­be­reich. Was ist mit denen, die sich einen Netz­zu­gang nicht leis­ten kön­nen? Um es aufs ganz kon­kre­te Bei­spiel her­ab­zu­bre­chen: Wel­chen Anteil an einem Hartz-IV-Regel­satz sehen wir als aus­rei­chend an, um damit Tele­kom­mu­ni­ka­ti­on und Netz­zu­gang abzu­de­cken – letzt­lich ja nicht nur eine Fra­ge des Dienst­leis­tungs­abos, son­dern auch eine der zur Ver­fü­gung ste­hen­den Hardware. 

Lin­ke grü­ne Poli­tik ist es, beim Netz­zu­gang, beim Breit­band­aus­bau mit­zu­den­ken, dass Teil­ha­be­chan­cen heu­te ungleich ver­teilt sind. Wir sehen die Chan­cen, die es bringt, Betei­li­gungs­pro­zes­se im Netz statt­fin­den zu las­sen und staat­li­che Dienst­leis­tun­gen und Ver­wal­tungs­vor­gän­ge, gera­de im länd­li­chen Raum, ins Netz zu ver­la­gern. E‑Government und E‑Demokratie, egal ob vom Smart­phone oder vom PC aus gedacht, kön­nen unse­ren Staat moder­ner machen und ihn näher an die Bürger_innen set­zen. Teil­ha­be an Demo­kra­tie, an Dis­kur­sen und am Ent­schei­den: all das ist vor­aus­set­zungs­reich. Wer hier blind ist, ern­tet die Dik­ta­tur der wohl­si­tu­ier­ten, aka­de­misch gebil­de­ten Mittelschicht.

Dass Zugang zum Netz vor­aus­set­zungs­reich ist, zeigt sich nicht nur dar­in, dass der Zugang ins Netz etwas kos­tet, und dass es freie Zeit braucht, um im Netz mit­zu­dis­ku­tie­ren und Netz­an­ge­bo­te zu nut­zen. Die Hür­den sind nicht nur tech­ni­scher Art; gesell­schaft­li­che Teil­ha­be durch das Netz setzt Kom­pe­ten­zen und neue Kul­tur­tech­ni­ken vor­aus. Wie for­mu­lie­re ich mei­ne Mei­nung? Wie fin­de ich jen­seits der vor­ge­ge­be­nen Bah­nen der Netz­un­ter­hal­tungs­in­dus­trie das, was ich suche? Was ist eine AGB, und was pas­siert, wenn ich ihr zustimme?

Kom­pe­tenz im Umgang mit dem Netz wird beson­ders da rele­vant, wo die Grau­zo­nen betre­ten wer­den. Wir gehen von mün­di­gen Nutzer_innen aus, die wis­sen, was kopiert wer­den darf und wo Abmah­nun­gen dro­hen, die Spam und Lock­an­ge­bo­te von ernst­ge­mein­ten Zuschrif­ten unter­schei­den kön­nen. Der Staat kann hier nur in begrenz­tem Umfang regu­la­to­risch tätig wer­den. Die Grau­zo­nen des Net­zes las­sen sich nicht weg­ver­bie­ten. Als lin­ke Grü­ne tre­ten wir dafür ein, die recht­li­chen Rah­men­be­din­gun­gen an die neu­en Rea­li­tä­ten des Net­zes anzu­pas­sen – bei­spiels­wei­se beim Abmahn­we­sen. Verbraucher_innenschutz bedarf es im Netz viel­leicht noch mehr als in ande­ren Hand­lungs­fel­dern des Alltags. 

Im Sin­ne eines eman­zi­pa­to­ri­schen Men­schen­bil­des wol­len wir Men­schen nicht vor­schrei­ben, was sie im Netz zu tun und zu las­sen haben. Aber Men­schen sol­len im Wis­sen um die Kon­se­quen­zen ihres Tuns han­deln – bei­spiels­wei­se, wenn es um die Pri­vat­sphä­re in sozia­len Netz­wer­ken geht. Das ein­schät­zen zu kön­nen, dazu müs­sen Men­schen in die Lage ver­setzt wer­den – und Regeln und Vor­schrif­ten müs­sen sozia­le Netz­wer­ke und Web-Anbie­ter_in­nen dazu zwin­gen, es Men­schen leicht zu machen, die Kon­se­quen­zen ihres Tuns einzuschätzen. 

Mas­siv ver­än­dert hat sich in der Netz­werk­ge­sell­schaft die Art und Wei­se, wie wir arbei­ten. Gren­zen zwi­schen Arbeit und Pri­vat­sphä­re, zwi­schen Anstel­lung und Selbst­stän­dig­keit ver­schwim­men. Es wer­den Ansprü­che erho­ben, sich ein Leben lang fort­zu­bil­den. Die­se Fle­xi­bi­li­sie­rung der Arbeits­welt, die maß­geb­lich durch Infor­ma­ti­ons- und Kom­mu­ni­ka­ti­ons­tech­no­lo­gien und durch die Infor­ma­ti­sie­rung der Wirt­schaft vor­an­ge­trie­ben wur­de, sehen wir kri­tisch. Ein Zurück zur wohl­ge­ord­ne­ten Arbeit von ges­tern wird es nicht geben. Wir wer­den uns immer wie­der der Her­aus­for­de­rung stel­len, Kon­zep­te dafür zu ent­wi­ckeln und die­se umzu­set­zen, was eine an gerech­ter Teil­ha­be und Eman­zi­pa­ti­on ori­en­tier­te Poli­tik in die­ser neu­en Arbeits­welt bedeutet. 

Die Teil­ha­be im und durch das Netz ist für uns ein Recht der Bür­ge­rin­nen und Bür­gern der Netz­werk­ge­sell­schaft. Aber auch klas­si­sche Fra­gen der Bürger_innenrechte und des Daten­schut­zes tau­chen im Netz immer wie­der auf. Das Recht auf infor­ma­tio­nel­le Selbst­be­stim­mung. Schutz­rech­te gegen­über dem Staat, wenn es um Vor­rats­da­ten­spei­che­rung und Deep Packet Inspec­tion, also den Blick in den digi­ta­len Brief­um­schlag geht. Hier soll­ten wir uns als lin­ke Grü­ne ohne Wenn und Aber auf die Sei­te der Bür­ge­rin­nen und Bür­ger stel­len. Dabei geht es nicht um eine anar­chis­ti­sche Frei­heit des Net­zes. Wir wol­len, dass das Netz als halb­öf­fent­li­cher Raum behan­delt wird, in dem Men­schen genau­so anonym auf­tre­ten kön­nen wie auf öffent­li­chen Stra­ßen und Plät­zen, und in dem Kom­mu­ni­ka­tio­nen das sel­be Maß an Ver­trau­lich­keit zukommt, das auch für die Rede außer­halb des Net­zes gilt. Für vie­le ist das Netz eine vir­tu­el­le Hei­mat und eine Woh­nung. Das respek­tie­ren wir.

Wenn es dar­um geht, nach wel­chen Regeln im Netz gespielt wird, rich­tet sich unser Blick unwei­ger­lich auf die Tat­sa­che, dass sowohl die phy­si­ka­li­sche Infra­struk­tur des Net­zes als auch die dort lau­fen­den Anwen­dun­gen und sozia­len Netz­wer­ke sich in pri­va­ter Hand befin­den. Face­book und Goog­le sind Fir­men, die inzwi­schen eine gewal­ti­ge Markt­macht haben. Wenn wir das Netz sozi­al nut­zen wol­len – ob als Par­tei oder als Pri­vat­per­son –, sind wir dazu gezwun­gen, die­sen Fir­men ver­trau­en, oder in Nischen der Selbst­be­stim­mung aus­zu­wei­chen. Uns ist die­ser Zwie­spalt bewusst, aber wir ent­schei­den uns eben­so bewusst, dort hin­zu­ge­hen, wo die Men­schen sind. Zugleich stel­len wir in Fra­ge, ob es rich­tig sein kann, dass die­se zen­tra­len Kno­ten­punk­te des Net­zes in pri­va­ter Hand – und noch dazu in nahe­zu mono­po­lis­ti­scher Hand – sind. Unse­re Visi­on ist die einer demo­kra­ti­schen Kon­trol­le des Net­zes, ohne damit in ein Den­ken in Natio­nal­staats­con­tai­nern zurück­zu­fal­len. Nicht zuletzt gehört dazu das Behar­ren auf Netz­neu­tra­li­tät, auf der Gleich­be­hand­lung aller Daten, egal wel­cher Klas­se sie angehören.

Wir den­ken das Netz als Medi­um der Teil­ha­be, als Ort, an dem Men­schen sich ent­fal­ten kön­nen und frei sein kön­nen. Aber wir kön­nen das Netz nicht nut­zen, ohne den damit ver­bun­de­nen Preis immer wie­der bewusst zu machen. Die Rechen­zen­tren, die Such­ma­schi­nen und sozia­le Netz­wer­ke erst mög­lich machen, die Kno­ten­punk­te, Rou­ter und End­ge­rä­te sind inzwi­schen für einen nicht uner­heb­li­chen Anteil des glo­ba­len Strom­ver­brauchs ver­ant­wort­lich. Immer neue Rech­ner­ge­nera­tio­nen, immer neue Smart­phone­ge­ne­ra­tio­nen las­sen schnell ver­ges­sen, dass dahin­ter sel­te­ne und umkämpf­te Roh­stof­fe und teil­wei­se men­schen­un­wür­di­ge Pro­duk­ti­ons­be­din­gun­gen ste­hen. In einer nach­hal­ti­gen Gesell­schaft darf das nicht ver­schwie­gen wer­den, und es darf nicht so blei­ben: Green IT, das star­ke Insis­tie­ren dar­auf, das Netz und die damit ver­bun­de­nen Gerä­te immer ener­gie­ef­fi­zi­en­ter und lang­le­bi­ger zu machen, ist nicht nur ein Wirt­schafts­fak­tor, son­dern essen­ti­ell dafür, auch in Zukunft das Netz nut­zen zu können.

Das welt­wei­te Netz ist gekom­men, um zu blei­ben. Wir als lin­ke Grü­ne neh­men das Netz an. Wir haben den Anspruch, das Netz nicht nur zu nut­zen, son­dern des­sen Zukunft aktiv mit­zu­ge­stal­ten. Daher ste­hen wir für eine durch­dach­te Netz­po­li­tik, die zu uns passt, zu unse­ren Wer­ten und Grund­hal­tun­gen. Wir machen Vor­schlä­ge, wie eine lin­ke, grü­ne Netz­po­li­tik aus­se­hen kann, und wir wer­den uns auch in Zukunft in die­se Debat­te ein­mi­schen – online wie offline.

* Anek­do­te am Rand: Irgend­wie hat das mit dem Pad erst nicht funk­tio­niert. Ich hab’s auf die wack­li­ge Netz­ver­bin­dung im ICE gescho­ben. Was war’s wirk­lich? Ein Anfüh­rungs­zei­chen zuviel bzw. zuwe­nig im Link, und damit ein Ver­weis auf das fal­sche Pad. Technik!

12 Antworten auf „Work in progress: Für eine linke, grüne Netzpolitik (Version 0.1)“

  1. netz­po­li­tik zu ideo­lo­gi­sie­ren hal­te ich seit­dem sie kein nischen­the­ma mehr ist für überfällig.
    grü­ne, lin­ke und pira­ten sind sich als mit­tig-lin­ke par­tei­en bei den meis­ten din­gen wohl recht einig, für die wäh­ler wäre es aber inter­es­sant zu wis­sen für wel­chen sub­be­reich inner­halb der netz­po­li­tik eine par­tei sich beson­ders ein­setzt. natür­lich wer­den die par­tei­en behaup­ten dass ihnen alles gleich­wich­tig ist – aber das ist unglaub­wür­dig. so wer­den sich grü­ne viel­leicht eher um green IT, lin­ke eher um die fra­ge der neu­en arbeits­mo­del­le und pira­ten um teil­ha­be küm­mern. eine prio­ri­sie­rung und auf­split­tung der kom­pe­ten­zen fän­de ich als wäh­ler glaub­wür­di­ger als rund­um­sorg­los­pa­ke­te ange­bo­ten zu bekommen.

    inhalt­lich stim­me ich per­sön­lich dem meis­ten zu, es gibt aber ein paar punk­te die ich als lin­ker pirat anders ein lin­ker grü­ner sehe: 

    - die durch das inter­net ent­stan­de­nen neu­en arbeits­mo­del­le sehe ich zwar auch kri­tisch, ich sehe aber vor allem die vor­tei­le die dar­aus ent­ste­hen. für mich ist es eine gro­ße befrei­ung nicht mehr abhän­gig beschäf­tigt sein zu müs­sen, aller­dings wer­de ich dadurch kei­ne ren­te bekom­men, mich pri­vat zu ver­si­chern ist für mich nicht leist­bar. eine direk­te for­de­rung die dar­aus ent­steht wäre daher für mich ein bge – grü­ne wer­den dar­auf ande­re ant­wor­ten haben.

    - netz­neu­tra­li­tät klingt erst­mal sinn­voll, nie­mand will zustän­de wie in den usa mit pseu­do­flat­rates oder in deutsch­land wo im mobil­funk­netz sky­pe­pa­ke­te gedros­selt wer­den. ande­rer­seits will ich aber auch qua­li­ty of ser­vice um zb für den medi­zi­ni­schen bereich ein 100% sta­bi­les netz mit paket­prio­ri­sie­rung zu ermög­li­chen, oder iptv ohne bild­aus­set­zer, oder spe­zi­el­le ange­bo­te für gamer mit nied­ri­gem ping. da wird man dif­fern­zier­te­re model­le fin­den müs­sen als popu­lis­tisch „all bits are equal“ zu grölen.

    - net­ze in staat­li­cher hand fin­de ich per­sön­lich ne graus­li­ge vor­stel­lung. pri­va­te, nicht-kom­mer­zi­el­le bür­ger­net­ze wie zb frei­funk aber sehr sym­pa­thisch. grund­sätz­lich kann ich mir aber gut ein neben­ein­an­der pri­va­ter, staat­li­cher und all­men­de­ba­sier­ter net­ze vorstellen.

    span­nend und für mich bis­her unbe­a­ant­wor­tet fin­de ich auch die fra­ge der anony­mi­tät im netz. da wird man sich auch ent­schei­den müs­sen. voll­stän­di­ge anony­mi­tät bedeu­tet halt auch dass ver­bre­chen nicht mehr auf­ge­klärt wer­den kön­nen. was wäre eine lin­ke ant­wort zb zur bekämp­fung von dezen­tra­len kin­der­por­notausch­rin­gen wo man weder löschen noch sper­ren kann?

    so long, korbinian

  2. Öko­lo­gie? Das Wort wird 2 mal ver­wen­det, aber lei­der fehlt der Inhalt dazu. Netz­po­li­tik soll­te aber ich der Tat auch die Betrach­tung des enor­men not­wen­di­gen Ener­gie­be­darfs, und z.b die Pro­ble­ma­tik der Bedarfs­be­schaf­fung sel­te­ner Erden unter öko­lo­gi­schen und men­schen­recht­lin­nen sein.

    1. „Wir den­ken das Netz als Medi­um der Teil­ha­be, als Ort, an dem Men­schen sich ent­fal­ten kön­nen und frei sein kön­nen. Aber wir kön­nen das Netz nicht nut­zen, ohne den damit ver­bun­de­nen Preis immer wie­der bewusst zu machen. Die Rechen­zen­tren, die Such­ma­schi­nen und sozia­le Netz­wer­ke erst mög­lich machen, die Kno­ten­punk­te, Rou­ter und End­ge­rä­te sind inzwi­schen für einen nicht uner­heb­li­chen Anteil des glo­ba­len Strom­ver­brauchs ver­ant­wort­lich. Immer neue Rech­ner­ge­nera­tio­nen, immer neue Smart­phone­ge­ne­ra­tio­nen las­sen schnell ver­ges­sen, dass dahin­ter sel­te­ne und umkämpf­te Roh­stof­fe und teil­wei­se men­schen­un­wür­di­ge Pro­duk­ti­ons­be­din­gun­gen ste­hen. In einer nach­hal­ti­gen Gesell­schaft darf das nicht ver­schwie­gen wer­den, und es darf nicht so blei­ben: Green IT, das star­ke Insis­tie­ren dar­auf, das Netz und die damit ver­bun­de­nen Gerä­te immer ener­gie­ef­fi­zi­en­ter und lang­le­bi­ger zu machen, ist nicht nur ein Wirt­schafts­fak­tor, son­dern essen­ti­ell dafür, auch in Zukunft das Netz nut­zen zu können.“

      Das ist der Abschnitt, um den Wert Öko­lo­gie anzu­fül­len (ganz am Ende des zuge­ge­ben etwas lan­gen Tex­tes). Zu kurz gegriffen?

  3. Das Mani­fest hal­te ich für eine gute und bei den Grü­nen über­fäl­li­ge Sache. Ich habe aber Bauch­grum­meln bei der Begriff­lich­keit „links“ – der Begriff steht ja nicht nur für eman­zi­pa­to­ri­sche Poli­tik­an­sät­ze, son­dern auch für eine bestimm­tes Lösungs­mo­dell in der poli­ti­schen Dis­kus­si­on, das stän­dig in Gefahr ist, eine Aus­ein­an­der­set­zung mit der Rea­li­tät durch ein gebets­müh­len­ar­ti­ges Her­bei­zi­tie­ren der guten alten Zei­ten und ihrer ein­fa­chen Kon­flikt­li­ni­en zu erset­zen. Viel­leicht füh­le ich mich auch unwohl dabei, dass der Begriff „links“ als Nähe zu einer bestimm­ten Par­tei ver­stan­den wer­den könn­te, wäh­rend auf der ande­ren Sei­te der anschei­nend obli­ga­to­ri­sche Sei­ten­hieb auf die Pira­ten nicht ausbleibt.

    Nun zu den inhalt­li­chen Fra­gen (ich ände­re nichts im Pad, da es mir erst mal um Dis­kus­si­on geht):

    1 Eine Grund­fra­ge der Netz­po­li­tik ist, ob man das Netz als Teil des Instru­men­ten­kof­fers für eine öko­lo­gisch-sozia­le Ent­wick­lung sieht oder in ers­ter Linie als ein qua­si natür­li­ches Phä­no­men, bei dem es in ers­ter Linie um die Abwehr von Gefah­ren geht. Allei­ne die Tat­sa­che, dass ein zuneh­mend grö­ße­rer Teil der Men­schen dem Netz einen wich­ti­gen Platz in ihrer Lebens­ge­stal­tung ein­räu­men, erfor­dert eine Aus­ein­an­der­set­zung mit die­ser Fra­ge. Dabei erge­ben sich zwangs­läu­fig Über­schnei­dun­gen zwi­schen Netz­po­li­tik und Fel­dern wie Wirtschafts‑, Bil­dungs- und Kul­tur­po­li­tik, denen nach­zu­ge­hen in einem Mani­fest span­nend wäre. 

    Die immer wie­der hoch­ge­hal­te­ne Chan­ce, über das Netz vom pas­si­ven Kon­su­men­ten zum akti­ven Pro­du­zen­ten zu wer­den, die tech­no­lo­gisch eröff­ne­ten Mög­lich­kei­ten zur Dezen­tra­li­sie­rung oder auch die Mög­lich­keit, Din­ge zu erle­di­gen, ohne auf Ver­kehrs­ver­bin­dun­gen ange­wie­sen zu sein, sind ja durch­aus attrak­ti­ve Ent­wick­lungs­per­spek­ti­ven. Netz­po­li­tik muss sich nicht nur mit den in die­sen Ent­wick­lun­gen ste­cken­den Gefah­ren aus­ein­an­der­set­zen, son­dern auch mit dem Unver­ständ­nis oder gar der Ableh­nung der­ar­ti­ger Per­spek­ti­ven in Tei­len der grü­nen Par­tei wie auch der Bevöl­ke­rung als Ganzer. 

    2 Die Defi­ni­ti­on „Netz­po­li­tik – das ist das poli­ti­sche Feld, in dem es um die­se Infra­struk­tur und ihre Nut­zung geht“ scheint mir ein wenig zu eng. Infra­struk­tur ist wich­tig, bei der Netz­nut­zung geht es aber zu aller­erst um Kom­mu­ni­ka­ti­on, Inhal­te und Anwen­dun­gen. Damit kom­men Fra­gen wie die Ver­fasst­heit der Wis­sens­ge­sell­schaft und das künf­ti­ge Aus­se­hens des Kul­tur­be­triebs in den Blick­punkt. Wis­sens­ge­sell­schaft und Kul­tur­be­trieb sind Fel­der, in denen wir das posi­ti­ve wie das nega­ti­ve Ver­än­de­rungs­po­ten­ti­al des Net­zes gera­de erst anfan­gen zu sehen. Wenn man Netz­po­li­tik (ähn­lich wie Ener­gie­po­li­tik) als eine Kern­dis­zi­plin für eine öko­lo­gisch-sozia­le Wen­de ansieht, darf Netz­po­li­tik sich nicht von einem Gestal­tungs­an­spruch für die­se Poli­tik­fel­der ver­ab­schie­den und damit zulas­sen, dass Lob­by­is­ten beson­ders des klas­si­schen Kul­tur­be­triebs die Ober­hand gewinnen.

    In die­ser Hin­sicht ist mir das gan­ze Mani­fest zu defen­siv. Es ist Ton und Argu­men­ta­ti­ons­li­nie her in Gefahr, sich auf das ver­gleichs­wei­se wenig kon­tro­ver­se The­ma Demo­kra­tie­ver­tei­di­gung zu beschränken.

    3 Das was im Netz pas­siert (Kom­mu­ni­ka­ti­on, Wis­sen, Kul­tur) ist immer noch in ers­ter Linie ein (zuneh­mend glo­ba­le­res) öffent­li­ches Gut, bei dem wir gera­de im Kon­flikt ste­hen, in wel­chem Umfang und um wel­chen Preis das pri­va­ti­siert wer­den kann. Die Fra­ge ist hier nicht nur, wie man Angrif­fe auf die­ses öffent­li­che Gut abweh­ren kann, son­dern auch, was man Tun kann, um zu stark pri­va­ti­sier­te Tei­le zurück­zu­ho­len. Es ist sicher­lich dis­kus­si­ons­wür­dig, ab wann die Kom­mer­zia­li­sie­rung von Bil­dungs­me­di­en den Punkt erreicht hat, wo das Men­schen­recht des Ein­zel­nen auf Zugang zu Bil­dung ver­letzt wird.

    5 Die Tat­sa­che, dass Wis­sen und Kul­tur in ers­ter Linie öffent­li­che Güter sind und auch mit Schutz­rech­ten wie dem Urhe­ber­recht beleg­te Wer­ke ohne den Zugriff auf Vor­bil­der und Inspi­ra­tio­nen nicht denk­bar sind, gibt der Gesell­schaft, aber auch jedem Ein­zel­nen Rech­te an die­sen mit Schutz­rech­ten beleg­ten Wer­ken. Bei einer Dis­kus­si­on um eine Reform des Urhe­ber­rechts wer­den die­se Ansprü­che der Gemein­schaft sich letzt­lich über Schran­ken am indi­vi­du­el­len Mono­pol des Urhe­bers bzw. Ver­wer­ters auf das Werk äußern müs­sen. Her­aus­zu­ar­bei­ten wäre, was hier unter den Bedin­gun­gen des Net­zes sinn­vol­le Ein­schrän­kun­gen sind (z.B. eine Fair Use-Klau­sel, das Recht auf eine Kopie von legal erwor­be­nen Pro­duk­ten für pri­va­te Zwe­cke, das Recht auf unbe­schränk­ten Wei­ter­ver­kauf, Ver­brau­cher­schutz­re­geln wie das Recht, im Inter­net kos­ten­los ver­füg­ba­re Objek­te zu zitie­ren, zu tei­len und zu ver­lin­ken und eini­ges mehr). 

    6 Die Fra­ge, wel­che Rech­te wer hat, soll­te man übri­gens von der Fra­ge tren­nen, wie eine Kul­tur­fi­nan­zie­rung (z.B. über eine Kul­tur-Flat­rate) aus­sieht. Der augen­blick­lich auch bei den Grü­nen hoch­an­ge­se­he­ne Vor­schlag, das Pro­blem der Kul­tur­fi­nan­zie­rung auch wei­ter­hin über Bezah­lung für die Nut­zung urhe­ber­recht­lich geschütz­ter Wer­ke zu lösen, hat schon ein wenig etwas von dem Ansatz zur Finan­zie­rung der Ener­gie­wen­de über eine Umla­ge und damit de fac­to über die Strom­prei­se für Pri­vat­kun­den. Bezah­lung für die Ertei­lung von Nut­zungs­rech­ten kann sinn­voll sein, es muss aber dar­auf geach­tet wer­den, dass der Zugang bezahl­bar bleibt. Das bedeu­tet natür­lich nicht, dass jedes ein­zel­ne Werk bezahl­bar sein muss, aber dass für jeder­mann ein aus­rei­chend guter, reich­hal­ti­ger, die aktu­el­le Kul­tur und das aktu­el­le Wis­sen wie­der­ge­ben­der Zugang mög­lich ist. In dem Zusam­men­hang soll­ten wir mal über­le­gen, wie das Gegen­stück einer öffent­li­chen Biblio­thek im digi­ta­len Zeit­al­ter aus­se­hen könnte. 

    7 Zugang zum Netz ist nicht eine Fra­ge des digi­ta­len Breit­band­zu­gangs, son­dern auch eine Fra­ge von Geld und Kul­tur­tech­ni­ken für das digi­ta­le Zeit­al­ter. Bei­des gilt beson­ders auch für Men­schen in Län­der z.B. in Afri­ka und Zen­tral­ame­ri­ka, in denen die Inter­net-Pene­tra­ti­on noch nicht so weit ver­brei­tet ist. Im Zusam­men­hang mit Kul­tur­tech­ni­ken gibt es auch noch das Pro­blem von Fremd­spra­chen. Gro­ße Tei­le der Kul­tur und des Wis­sens im Netz sind für Men­schen ohne die pas­sen­den Sprach­kennt­nis­se (und das sind wir alle an irgend­ei­ner Stel­le) nicht zugäng­lich. Da haben wir etwas in Deutsch­land zu tun (Ange­bo­te in Tür­kisch und evtl. ande­ren unter Migran­tin­nen ver­brei­te­te Spra­chen), aber es geht auch dar­um, ande­re Per­spek­ti­ven sicht­bar zu machen, die wir hier von Deutsch­land aus man­gels Sprach­kennt­nis­sen nur schwer errei­chen können.

    8 Die Debat­te, ob wir Netz­zu­gang als ein Men­schen­recht sehen bzw. wie nahe wir dar­an sind, ist sicher­lich auch eine Über­le­gung wert.

    9 Wir soll­ten nicht ver­ges­sen, dass vie­les im Netz auch ein offe­ner oder ver­deck­ter Kon­flikt zwi­schen Unter­neh­men ist – Bei­spiel Musik­in­dus­trie: iTu­nes ver­sus klas­si­sches CD-Ver­wer­ter. Da haben wir mög­li­cher­wei­se Hand­lungs­be­darf auf dem Gebie­te des Ver­brau­cher­schut­zes oder des Wett­be­werbs­rechts, wir müs­sen uns aber auf­pas­sen, uns inner­halb der Netz­po­li­tik nicht vor den Kar­ren von Par­ti­ku­lar­in­ter­es­sen wie denen der klas­si­schen Buch- oder Musik­ver­la­ge span­nen zu lassen.

    Jetzt ist mal genug für den Anfang.

    1. Dan­ke für die Anre­gun­gen. Ich kom­me gera­de nicht dazu, im Detail dar­auf ein­zu­ge­hen, ist aber viel span­nen­des dabei. Ein Anmer­kung trotz­dem jetzt schon: Dass ich Netz­po­li­tik rela­tiv eng an die Infra­struk­tur gekop­pelt habe, hat etwas damit zu tun, dass sonst rela­tiv schnell „Alles ist irgend­wie Netz­po­li­tik“ dabei her­aus­kommt. Was dann auch wie­der nicht das Wah­re wäre.

      1. Die Befürch­tung, belie­big zu sein, tei­le ich. Ich plä­die­re auch nicht dafür, sich in einem sol­chen Mani­fest mit Din­gen wie Green IT, Algo-Tra­ding oder den iSlaves bei Fox­conn zu befas­sen. Was in mei­nen Augen aller­dings dazu gehört, sind die Aspek­te, die wir im Werk­zeug­kof­fer für eine öko­lo­gi­sche-sozia­le Ent­wick­lung haben soll­ten. Das lässt sich, so glau­be ich, ganz gut mit drei Begrif­fen umreis­sen: Kul­tur, Wis­sen und Kom­mu­ni­ka­ti­on. Und bis­her ist ja für kei­nes die­ser drei Fel­der gesi­chert, ob es sich durch das Netz in eine posi­ti­ve oder nega­ti­ve Rich­tung entwickelt.

  4. Hal­lo an alle, wie Till ja schon weiß, habe ich ein paar Gedan­ken, die ich nach Lek­tü­re hat­te, bereits letz­te Woche hier ver­bloggt: http://junggruendigital.de/?p=155
    Lei­der hat­te wohl der Track­back nicht funk­tio­niert, daher hier eben mal nachgereicht. :)

    Zum Text in sei­ner jet­zi­gen Form möch­te ich mir noch­mal geson­dert Gedan­ken machen.

    1. Guten Tag Patrick,

      Dei­ne Gedan­ken fin­de ich span­nend und was die Kon­flikt­li­ni­en der nächs­ten zehn Jah­re angeht, erschre­ckend zutref­fend. Mich treibt bei der „Wem gehört die gigi­ta­le Welt“ noch zwei ande­re Fra­gen um:
      – Unter­neh­men, die etwas ver­kau­fen wol­len, sehen „ihre“ Kun­den als ein wert­vol­les Asset an, deren Wert nach Stär­ke der Bin­dung und damit dem künf­ti­gen Umsatz­po­ten­ti­al beur­teilt wird. Es geht nicht nur um Dei­nen Com­pu­ter, Dei­nen Con­tent, Dei­ne Daten, son­dern um Dich als Person.
      – Wir haben immer die Ten­denz, so zu tun, als ob das Netz ein glo­ba­les öffent­li­ches Gut sei. Das ist aber schon heu­te eine pre­kä­re Illu­si­on, die auch davon lebt, dass Fir­men wie Goog­le ein Geschäft dar­aus machen kön­nen. Wir steu­ern mit irr­sin­ni­ger Geschwin­dig­keit auf eine Welt zu, in der Goog­le und Face­book so „sys­tem­re­le­vant“ sind wie Großbanken.

      Gruß

      Erich

      1. Hal­lo Erich,

        Dan­ke für dei­ne Anmer­kun­gen. Lei­der bin ich mir nicht ganz sicher, ob es wirk­lich die Kon­flikt­li­ni­en der nächs­ten zehn Jah­re sind. Wenn ich mir Secu­re­Boot, iOS und der Trend zur Cloud anse­he, dann pas­siert sehr viel gera­de jetzt.

        Aber gera­de die ers­te von dir gestell­te Fra­ge, näm­lich wie Unter­neh­men uns als Indi­vi­du­en ver­da­ten, um uns zu mone­ta­ri­sie­ren ist erschre­ckend. Emp­feh­len kann ich dazu vor allem die Lek­tü­re von „Die Daten­fres­ser“ von Con­stan­ze Kurz und Frank Rie­ger, wo auf­ge­zeigt wird, dass die­se Daten vor allem des­halb gesam­melt wer­den, um den Unter­neh­mens­wert zu bestim­men und zu erhöhen.

        Was die Fra­ge der Öffent­lich­keit der Infra­struk­tu­ren im Netz betrifft, so hast du natür­lich auch ziem­lich recht. Daher ist es auch sehr wich­tig, uns für The­men wie Netz­neu­tra­li­tät stark zu machen. Aber einen Aspekt wür­de ich da nicht ver­nach­läs­si­gen wol­len: die Tech­no­lo­gien der Netz­in­fra­struk­tur sind ver­gleichs­wei­se offen, alle Stan­dards ste­hen zur Ver­fü­gung und sind gut doku­men­tiert, viel not­wen­di­ge Soft­ware frei ver­füg­bar. Es gibt durch­aus Mög­lich­kei­ten, gegen das Netz der Mono­po­le etwas ent­ge­gen­zu­set­zen, dezen­tra­le Struk­tu­ren zu ent­wi­ckeln oder gemein­schaft­li­che Struk­tu­ren auf­zu­bau­en, wie z.B. die Wiki­pe­dia, oder das Netz­pro­jekt Freifunk.

        Vie­le Grüße,
        Patrick

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