Be bold! Mach’s einfach, wenn du etwas ändern willst. Was mich von Anbeginn an an der Wikipedia fasziniert hat, war dieser grundsätzliche Imperativ. Den meisten ist wahrscheinlich der „Neutral Point of View“ wichtiger, oder das kollaborative Prinzip, oder die enzyklopädische Qualität. Aber was mich lange Jahre dazu gebracht hat, viele Abende und Stunden in das Schreiben von Einträgen, in Editwars, aber mehr noch in lange Debatten um die sprichwörtliche Kommasetzung zu investieren, war wohl dieser Imperativ.
Der hat natürlich zunächst etwas sehr amerikanisches: Wenn du was ändern willst an der Welt, dann tue es einfach, nimm’s selbst in die Hand! Oder auch was von Pippi Langstrumpf: Wir machen uns die Welt, wie sie uns gefällt. Faszination strahlte das „Be bold!“ aber vor allem deswegen auf mich aus, weil sich ein riesiges Projekt mit vielen tausend MitstreiterInnen scheinbar allein an diesem – darf ich das Adjektiv verwenden – anarchistischen Grundsatz kristallisieren konnte. Natürlich ist das verkürzt, natürlich gab es auch von Anfang an andere Regeln (den wissensphilosophisch fragwürdigen neutralen Standpunkt, beispielsweise), und natürlich gab es das Gottkönigtum von Jimbo Wales als Letztinstanz. Trotzdem: der Geist, den ich mit der Wikipedia verbinde – seit 2002 war ich an der englischsprachigen Wikipedia beteiligt – lässt sich am ehesten in diesem „Be bold!“ zusammenfassen – immer zusammengedacht mit einer von mir als angelsächsisch empfundenen, stark deliberativ-diskursiven Atmosphäre des Problemlösens durch Kommunikation auf Augenhöhe. Im schlimmsten Fall dann ein „agree to disagree“.
Vielleicht übertreibe ich auch. Was auf jeden Fall stimmt, war ein Gefühl starker Gemeinschaftlichkeit und Identitätsstiftung in der englischsprachigen Wikipedia. Es gab zwar Trolle und Querköpfe, aber es waren unsere Trolle und Querköpfe – vielleicht unausweichlich in einer relativ kleinen und verschworenen Provinzgemeinde an der Frontier. Was ich als unglaublich motivierend empfand, war nicht nur das Gefühl, Teil eines gemeinschaftlichen Projekts zu sein, sondern auch die Praxis dieses Projekts: in der konstruktiven Zusammenarbeit zwischen sich völlig Fremden wurde aus dem radebrechenden „Stub“ des Nichtmuttersprachlers ein ausgewachsener Artikel.
Schon damals erschien mir die deutschsprachige Wikipedia, an der ich mich später und spärlicher ebenfalls beteiligte, weniger attraktiv. Vielleicht, weil der Reiz des Fremden fehlte und damit das immergleiche Breiige besser zur Geltung kam. Vielleicht aber auch, weil der kulturelle Rückgriff hier eben nicht bei „tongue in cheek“, Diskurs und einem gewissen anarchistischen Grundverständnis landete, sondern bei Ordentlichkeit und Tümelei. Schon in den Anfangsjahren war mein Bauchgefühl immer das, dass hier, in der deutschen – eigentlich ja: deutschsprachigen – Wikipedia Administratoren (natürlich sprachlich nur Männer …) und Bürokraten als Übersetzung von admin und bueraucrat als ernst gemeint verstanden wurden, nicht als unbeliebte, aber notwendige Tätigkeiten. Entsprechend schnell – und schnell auch mit formalisierten Verfahren und Abstimmungen gestützt – entwickelte sich hier ein Ordnungssystem aus Anträgen, Einspruchsmöglichkeiten und letztentscheidenden Gremien. Wer schnell die Überhand gewann, das waren die PerfektionistInnen – die enzyklopädische Liebe fürs Detail übertrug sich auch auf die Verfahrensregeln – und letztlich dann auch die „Deletionists“. Dazu gleich mehr. Erstmal aber möchte ich festhalten, dass mein Eindruck von der deutschsprachigen Wikipedia immer unter dem Vergleich mit der englischsprachigen Wikipedia stand, und dass ich hier das Gefühl einer selbstorganisierten, autonomen, wenig hierarchisch organisierten Gemeinschaft, an der ich gerne und motiviert Teil hatte, nicht wieder fand. Das gemeinsame Ziel war nicht mehr die Verkörperung des „Hitchhiker Guide“ – manchmal ein bißchen schräg oder im Detail irritierend, aber hilfreich für alle Lebenslagen – sondern das professionelle Konkurrenzprodukt zum Brockhaus. Die typische Handbewegung für das sich rege entwickelnde „Vereinsleben“ der deutschsprachigen Wikipedia ist dementsprechend wohl der „Löschantrag“ – als Symbol für geordnete Verfahrenswege. Vom „Be Bold!“ zum „Sei mutig!“:
Zum Vergleich die Hauptaussage der beiden Seiten:
We would like everyone to be bold and help make Wikipedia a better encyclopedia. How many times have you read something and thought, „Why aren’t these pages copy-edited?“ Wikipedia not only allows you to add, revise, and edit articles: it wants you to do it. It does require some amount of politeness, but it works. You’ll see. Of course, others here will edit what you write. Do not take it personally! (Be Bold!)
Auf geht’s, mach diese oder jene Änderung, korrigiere einen Rechtschreibfehler, füge einen Aspekt hinzu, präzisiere die Sprache und so weiter. Das ist in Ordnung! Es ist genau das, was alle erwarten. Und es funktioniert tatsächlich, wenngleich ein gewisses Maß an Höflichkeit oder besser noch Freundlichkeit vonnöten ist. Du wirst schnell merken: Der „instinktive“ und verständliche Wunsch eines Autors, sein Geschriebenes zu „besitzen“ und zu konservieren, ist hierbei jedoch kontraproduktiv. Es ist gut, diese emotionale Bindung abzuschütteln, indem man Änderungen von vornherein offen gegenübersteht, denn nur so kann sich das Ergebnis verbessern. Bedenke: Du kennst möglicherweise nicht alle Aspekte eines Themas, auch wenn du noch so sorgfältig arbeitest. Und du kannst keinen neutralen Standpunkt einnehmen, wenn du dich an deinen Text klammerst. Sei daher also auch mutig bei Änderungen anderer an deinen Texten. (Sei mutig!)
Noch deutlicher werden diese kulturellen Unterschiede, wenn die eigentlichen policy-Seiten verglichen werden (vgl. Deletion policy mit Löschregeln).
Damit will ich jetzt nicht sagen, dass die en.Wikipedia das Maß aller Dinge ist, oder paradisischen Charakter hat. Aber trotzdem hat sie es irgendwie geschafft, bei aller Verregelung ein gewisses Maß an Freiheitlichkeit zu bewahren. Selbst in der Auflistung der Schnelllöschgründe wird dies noch deutlich. In der deutschsprachigen Wikipedia haben neue Artikel 15 Minuten Zeit, bis sie gelöscht werden (wenn sie nicht den harten Augen der relevanzkriteriengeschulten AdministratorInnen standhalten). In der englischsprachigen Wikipedia heißt der Grundsatz „if the page can be improved, this should be solved through regular editing, rather than deletion“. Im Vordergrund steht immer noch – trotz tausender Artikellöschungen pro Tag – die Konfliktlösung durch Kommunikation – nicht durch einmal etablierte, harte Standardverfahren.
Trotz alledem: auch in der englischsprachigen Wikipedia haben die „Deletionists“ die Oberhand. In der deutschsprachigen Wikipedia sind sie übermächtig. Wer sind Deletionists?
Deletionists are beings who are believed by some to be editing Wikimedia Foundation projects. Although most people see these fairy-tale like animals as purely mythical, some subscribers to the wikien‑l mailing list claim that not only does this species really exist, but that it is devouring the English Wikipedia!
According to folklore, deletionists hold the point of view that deleting poor articles is the only True Way. This is humorously known as deletionism. Previously thought to be solitary creatures quietly defending their right to remove substubs, recent claims have suggested that deletionists in fact gather in groups, known as cabals. (meta:deletionists)
Ich treffe jedenfalls viele der hier eher humorig beschriebenen „beings“ in der deutschsprachigen Wikipedia an. Eine etwas ausgewogenere Beschäftigung mit dieser Spezies – bzw. mit der Notwendigkeit von Relevanzkriterien für eine Enzyklopädie ist hier zu finden. Damit sind wir bei der aktuellen Debatte um die Löschung „irrelevanter“ Artikel wie „MOGIS“ (fefe) oder „Christoph Seidler“ (Hanno Böck). Diese Debatte hat es bis in den Spiegel geschafft (und natürlich auch in diverse A‑Level-Blogs). Inzwischen reagiert der Wikipedia-Verein mit einem Kommunikationsangebot (mehr dazu hier). Hingewiesen sei auch auf den augenzwinkernden Vorschlag, der in der Piratenpartei kursiert, die Wikipedia zu übernehmen und Basisdemokratrie dort einzuführen.
Diese Löschdebatten sind nichts neues. Diesmal sind sie so richtig in die Augen der sonst nicht an der Wikipedia interessierten Netzöffentlichkeit gelangt, anders als z.B. die Löschdebatte um Markus Beckedahl im letzten Herbst. Meine Beteiligung daran – die letztlich im Erhalt eines verbesserten und für relevant befundenen Artikels gipfelte – war eine meiner letzten Aktivitäten in der Wikipedia.
Damit zurück zum Anfang. Von 2002 bis etwa 2006 war ich rege aktiv in der Wikipedia. War (und bin wohl immer noch) Admin der englischsprachigen Wikipedia, habe viele Nächte damit zugebracht. Heute ist das nicht mehr so. Ich nutze die Wikipedia als Informationsquelle – meistens sehr zufrieden, manchmal auch verärgert (etwa, wenn bestimmte sozialwissenschaftliche Denkrichtungen völlig fehlen). Dass ich heute noch selbst an Artikeln etwas ändere, kommt selten vor – und wenn, dann sind es Rechtschreibfehler. Einen Artikel neu anlegen – aktuell habe ich weder Zeit noch Lust dazu. Dass ich zu einer aktiven Mitarbeit an der Wikipedia nicht mehr motiviert bin, hat verschiedene Gründe. Zur Blockwartigkeit der deutschsprachigen Wikipedia kommt der veränderte Charakter insgesamt: es geht jetzt weniger um den Aufbau eines Projekts, sondern um produsing, um ein relativ hochwertiges Produkt, dass durch kostenlosen Arbeitseinsatz von Freiwilligen verbessert und erhalten wird. Bleibt abzuwarten, wann einer der großen klassischen Lexikonanbieter (oder Google) ein Angebot zur Übernahme macht, das nicht ausgeschlagen werden kann.
Natürlich sind das nicht die einzigen Gründe. WP steht für mich inzwischen eher für WordPress als für Wikipedia. Meine Netzvergemeinschaftung hat sich in Richtung Twitter und Facebook verlagert. Und – typisch Mittdreißiger – freie Zeit zwischemn Kindern und Job finde ich auch sehr viel seltener (und wenn, nutze ich sie dazu, Artikel wie diesen zu schreiben).
Unabhängig von meiner persönlichen Geschichte mit Wikipedia lässt sich der Prozess zwischen 2002 und heute aber auch als spannendes Fallbeispiel einer transkulturellen Formation einer Organisation betrachten. Mit Giddens kann die Einführung und andauernde Durchsetzung von Regeln als Strukturation beschrieben werden, mit Latour (und der Techniksoziologie insgesamt) sehen wir Schließungen und interkulturelle Pfadabhängigkeiten.
Dass hier kräftig geforscht wird, ist daher gar nicht verwunderlich. Spannend ist es allemal – und vielleicht motivierender und weniger frustierend als die letztlich politische Einbringung in die Aushandlungsprozesse in der Wikipedia selbst.
Warum blogge ich das? Weil mich gerade nach meinen eigenen Erfahrungen mit der Wikipedia die Löschdebatte nicht hat ruhen lassen – und ich mir dann die Zeit dafür genommen habe, diesen Text zu schreiben.
P.S.: Der vorvorletzte kleine techniksoziologische Absatz mag gleichzeitig als Demonstration dafür dienen, wo die Wikipedia inhaltlich gut ist, und wo sie ihre eigenen Qualitätsstandards nicht erreicht. Nicht jeder der Links dort führt zum Ziel …
P.P.S.: Eine Reflektion über Relevanzkriterien findet sich auch bei Astrodicticum Simplex. Lesenswert.
P.P.P.S.: Bei Rivva wird deutlich, wie breit diese Debatte inzwischen geführt wird. Ich möchte noch auf einen wirklich lesenswerten Text hinweisen: die Sozialtheoristen sehen als Grundproblem der Wikipedia als Organisation, dass ihr ein externer Selektionsmechanismus fehlt (via Isotopp). Daraus ein längeres Zitat:
All diese Organisationen entscheiden selbst, was relevant ist und was nicht. Allerdings: Der Selektionsmechanismus ist ein externer. Eine Partei, die sich thematisch verschätzt, wird abgewählt. Ein Unternehmen, das sich vertut, findet keine Käufer. Eine Zeitung, die Fehlentscheidungen trifft wird entweder nicht gelesen oder gänzlich ignoriert. Die Selektionsmechanismen operieren im Markt, im Wählerpublikum, in der Medienlandschaft – die Organisationen sind diesen Mechanismen ausgeliefert.
Der Wikipedia fehlt solch ein Selektionsmechanismus.
Anders gesagt: trotz der dank freiem Lizenzmodell theoretischen (und diverse Male in der Praxis gescheiterten) Möglichkeit, zu „forken“, also eine Wikipedia mit anderen Regeln zu starten, ist Wikipedia de facto ein Monopolanbieter für freien Wissenszugang. Die Sozialtheoristen kommen jetzt zu der Schlussfolgerung, dass (deswegen) die Welt eine Stimme in der Wikipedia braucht: „Warum darf man als Leser nicht darüber abstimmen, ob man einzelne Beiträge für gut und informativ findet oder nicht.“
Ich denke, da ist was wahres dran – natürlich kann in gewisser Weise jedeR heute schon über Artikel in der Wikipedia abstimmen, aber eben nur in der Form intensiver Mitarbeit. Ein Einklick-Feedback im Sinne von „dieser Artikel war interessant“ könnte zwar auch in Editwars missbraucht werden, würde aber eine solche externe Relevanzsetzung ermöglichen.
P.P.P.P.S.: Die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Lesen und Schreiben. Bin jetzt bei mspro noch auf den Hinweis gestoßen, dass Relevanz natürlich längst ein externes Selektionskriterium ist – und zwar nicht zuletzt vermittelt der Suchmaske. Was mich zu dem Schluss bringt: Infos, die in der Wikipedia vielfach gesucht werden, aber ins Leere laufen, weil es keinen Artikel darüber gibt, sind per se relevant und sollten nach Anlage des Artikels nicht aus Relevanzgründen wieder gelöscht werden. Oder noch kürzer: Was gesucht wird, soll auch gefunden werden dürfen!
Sehr interessanter Beitrag, ich muss ihn nachher nochmal in Ruhe lesen.
Ein paar Gedanken: MOGIS, Tschunk, Zensursula und Schäublone wurden die ganze Zeit gefunden. Ob jetzt ein Artikel unbedingt ein eigenes Lemma braucht, wenn die wesentlichen Infos bereits gut sichtbar und im Kontext in der Wikipedia stehen ist doch keine ernsthafte Debatte, mit der man sich beschäftigen müsste?
Wichtiger sind echte strukturelle Probleme, auf die ich auch seit Jahren hinweise. Die Regelungssucht ist ein Überlebensmechanismus der Wikipedianer. Man hat – größtenteils unbewusst – Mechanismen aufgebaut, Trolle, Spinner und Selbstdarsteller zu frustrieren. Man kann jedem zu jeder Zeit für jede Aktion irgendwelche Regelverstöße ankreiden – die Hoffnung ist, dass das „hive mind“ nur die richtigen Regeln letztendlich durchsetzt. Man hat dabei aber übersehen, wie viel Frustration auf allen Seiten entsteht.
Dass Wikipedia für Dich nicht mehr so interessant ist, hat wohl auch andere Gründe: sowohl du als auch das Projekt Wikipedia sind mittlerweile in einer anderen Lebensphase. Wenn 2002 in Wikipedia ein Fehler war – so what? Heute landen die Ergebnisse von Wikipedia-Streits immer mehr vorm Richter, ein Wiki beeinflusst Börsenkurse und Wahlkämpfe. Man fasst sich an den Kopf, aber es ist so.
Ich hab’s gerade mal ausprobiert: MOGIS, Zensursula und Schäublone sind tatsächlich ganz gut über die Suche auffindbar, die letzten beiden haben (derzeit) auf Weiterleitungen, die auf „Stasi 2.0“ verweisen. Bei MOGIS finde ich die Suchergebnisse nicht so ganz befriedigend, da wäre ein eigenes Lemma (oder ein eigener Absatz in einem größeren Text) sicher sinnvoll. Tschunk findet die Suche nicht als Mischgetränk, sondern nur im Zusammenhang mit Fussballern, wenn ich das richtig sehe. „Christoph Seidler“ taucht in mehreren Einträgen über andere RAF-Mitglieder auf – allein das zeigt m.E. hier allerdings schon, dass ein eigenes Lemma sinnvoll wäre (oder zumindest sowas wie ein Gruppenartikel „Mitglieder der RAF“). Letztlich sind das aber in der Tat Debatten, die eigentlich in sinnvoller Weise in der Wikipedia selbst geführt werden müssen. Die Löschdiskussion ist dafür allerdings m.E. nicht der richtige Ort.
Wichtig finde ich deinen Hinweis auf die ungewollten Nebeneffekte der „Regelungssucht“. Mich frustiert die ja auch (wenn auch die Lebensphasen-Aussage stimmt).
Was lernen wir jetzt daraus? Auf der einen Seite steht die alte Debatte zwischen Deletionist und Inklusionists – ich zähle klar zu letzteren. Die wird sich jetzt nicht aufheben lassen. Auf der anderen Seite ist es für mich die Feststellung, dass die Wikipedia in der Tat selbst eine andere Relevanz erlangt hat, als das vor ein paar Jahren noch der Fall war. Mein Fazit daraus wäre: im Kontext der Kultur der deutschsprachigen Wikipedia braucht es sowas wie ein Verfassungskonvent, das dazu da sein müsste, das Dickicht gewachsener Regeln – mit denen in der Tat bei bösem Willen und entsprechenden Machtmitteln so ziemlich alles verhindert oder zumindest „frustriert“ werden kann – in eine tragfähige und faire Konstitution umzuwandeln. Aber auch die klarste Definition von Userrechten und die deutlichste Demokratisierung innerorganisatorischer Verfahrenswege dürfte wenig tragfähig bleiben, wenn die „Organisationskultur“ bestehen bleibt, dass jede und jeder, die/der bisher nicht in der Wikipedia aufgetaucht ist, erst einmal unter dem Verdacht steht, ein Troll zu sein. Und da sind wir dann bei der richtig spannenden Herausforderung: wie sieht change management in einer Unorganisation aus?
Dass MOGIS nicht ganz befriedigend ist liegt unter anderem daran, dass Bahls jede nachprüfbare Information verweigert. Das mit dem Tschunk sollte nicht sein, hier lahmt die Datenbank offenbar.
Der Gegensatz zwischen Inklusionisten und Exklusionisten ist in Wahrheit nicht gar nicht so weit. Die lautesten Kritiker haben nie einen Artikel für Wikipedia geschrieben, in der Praxis ist es nur ein graduelles Problem, wo man die Grenze zieht.
Was könnte Deiner Meinung anch das Ergebnis eines Verfassungskonvents sein? Hehre Ansprüche und gute Ideen gibt es immer wieder – zum Beispiel die Fach-Redaktionen, die Neuankömmlinge bei der Hand nehmen und so voreilige Löschungen verhindern. Wenn sich dann aber nachher niemand an den Portalen beteiligt, nützt die schönste Einigkeit zu Beginn nicht. Auf der anderen Seite könnte man den Entscheidungsprozess der Wikipedia als niemals endendes Verfassungskonvent sehen.
Ich habe mich auch über die Löschitis von Wikipedia geärgert.
So sehr, dass ich die
http://www.wiki-waste.de/
gegründet habe.
Hier versuche ich auf der einen Seite Inhalte zu retten, die Wikipedia löscht – und auf der anderen Seite hoffe ich auch auf Autoren, die hier schreiben, was die Wikipedia für nicht relevant erachtet!
Und MOGIS ist auch dabei!
@Torsten: ein bißchen geht das hier ja in die von mir angedachte Richtung. Aber eigentlich geht’s mir darum, dass eine regelversessene Organisation mit „gewachsenen“ Regeln letztlich alles machen kann. Was fehlt (die gibt’s teilweise auch, aber ich finde sie nicht zufriedenstellend) sind Metaregeln, die die Regelsetzungskompetenz in einer für eine offene Organisation mit vielen tausend passiven NutzerInnen zufriedenstellenden Art und Weise klären.
@Wiki-Waste: kennst du a. dieses Skript? und b. die deletionpedia (63.000 gelöschte Artikel aus der englischsprachigen Wikipedia, über einen Bot „gerettet“)? Ich meine mich auch dunkel noch an ein „best of deleted articles“-Blog zu erinnern, finde das aber grade nicht.
@alle: noch ein Hinweis aufAndrew Lih und die Deletionism-Debatte, die vor zwei Jahren in der englischsprachigen Wikipedia stattfand. Ich sehe da gewisse Ähnlichkeiten.
Till: Ich habe gestern einen tollen Podcast von „This American Life“ gehört, der erklärt, wie das US-Gesundheitssystem gewachsen ist – warum das zu seiner Zeit gut und wichtig war und wie sich das zu einem gewaltigen Desaster entwickelt hat.
Ich begleite die Entwicklung bei Wikipedia seit zirka 5 Jahren und habe das wiederholt thematisiert – alleine: wer soll den gordischen Knoten durchschlagen? Der Mob, der derzeit durch twitter und Blog-Kommentare tobt, hat leider nicht ausreichende Kenntnisse von der Komplexität des Problems. Klssische demokratische Prozesse setzen die Schaffung eines Wahlvolks voraus, das erstens klar abgegrenzt ist und sich zweitens vor den Entscheidungen ausreichend informiert. Doch wenn man die wahlbeteiligung bei den Wahlen zu den Wikimedia-Vorständen ansieht, dann ist das Ergebnis deprimierend.
Eventuell ist die „Verfassungsversammlung“ nicht das ultimative Mittel, vielleicht sollte die Wikimedia Foundation ihre Moderationsfunktion verstärken. Schließlich bestimmt die Stiftung über die Software, deren Gestaltung sich unmittelbar auf die Entscheidungsprozesse auswirkt.
Wiki-Waste: Was Du da baust ist eine systematische Rechtsverletzung. Wenn schon, dann bau Rechtshinweise und Versionsgeschichte mit ein. Zudem sind nicht alle Artikel, die Du da aufführst tatsächlich auch gelöscht.
BTW: ZEIT, das gute alte Medium, berichtet jetzt auch. Und zwar ganz ordentlich.
Achtung Werbung! (Ich warne mal vorher)
Dann möchte ich doch gleich auchmal Werbung für das MARJORIE-WIKI machen. Hier werden jedoch die Artikel incl. aller Autoren und Versionen, völlig lizenzkonform importiert!
http://marjorie.wikia.com
Saignee
@Torsten
Wärest Du bitte so nett mir zu verraten wo die Rechtsverletzung liegt?
Typischerweise nenne ich die Quelle (Wikipedia) und führe die Autoren auf.
Meines Wissens nach ist es nicht notwendig die gesamte Historie zu importieren.
Würde mich freuen, wenn du da mir mehr dazu erzählen könntest.
wiki-waste: am 22. Oktober war dies nicht durchweg der Fall.
@Torsten:
Hallo Torsten;
Es war nicht systematisch.
Typischerweise habe ich das was ich gemacht habe mit Autoren (Oder einen Link zu den Autoren bei den ersten Artikeln) Und einen Link zur Wikipedia gesetzt.
Ich habe schon verscuht mich an WPs Lizenzvorgaben zu halten.
Und das Lizenzmodel von Wiki-Waste entspricht auch dem der WP soweit ich das als Laie betrachte.
Danke aber noch mal für einen Grund zur Reflekion ;-)
Irgendwo im Netz müssten auch History-erhaltende lizenzkonforme Auto-Importer rumfahren – es gibt/gab genügend forks, die vor dem selben Problem stehen/standen (vgl. z.B. „wikiweise“).