Das hier ist der zweite Blogeintrag einer Serie, in der ich den Zusammenhang von Praxistheorie und Umweltverhalten erläutern will – vor allem, um meine eigenen Gedanken zu ordnen. Insofern bitte ich darum, keinen glatten und in jedem Punkt ordentlichen Text zu erwarten, sondern das als – vielleicht auch für andere interessantes – Rohmaterial zu betrachten. Im ersten Teil ging es um eine kurze Einführung in die Praxistheorie, nach dem Klick auf „Weiterlesen“ gehe ich erst einmal auf menschliches Umweltverhalten ein.
II. Menschliches Umweltverhalten
Bevor ich – in Teil III – darauf eingehe, wie Praxistheorie und Umweltsoziologie zusammengebracht werden können, möchte ich ein paar Gedanken zum „menschlichen Umweltverhalten“ loswerden. Auf den ersten Blick sieht es ganz einfach aus: menschliche Handlungen haben direkte und indirekte Konsequenzen auf die naturale Umwelt. Abstrakt gesprochen: die umweltbezogenen Effekte menschlichen Verhaltens bzw. menschlicher Gesellschaften ist der (materielle) Unterschied zwischen dem Planeten Erde, wie wir ihn kennen, und einem identischen Planeten, auf dem die Menschheit vor Beginn der Menschwerdung ausgestorben ist. Sich diese Differenz – bzw. eine nicht von Menschen besiedelte Erde – vorzustellen, ist allerdings gar nicht so einfach. Insbesondere müssten ja jede Menge Wechselwirkungen berücksichtigt werden. Und damit meine ich nicht nur den anthropogene Klimawandel, sondern Ereignisse wie die Domestizierung bestimmter Tier- und Pflanzenarten, die Tatsache, dass das, was wir als „natürliche Landschaft“ empfinden, zu einem großen Teil „Kulturlandschaft“ darstellt, also das Ergebnis jahrtausendelanger Bearbeitung ist, oder auch die Anpassung natürlicher Prozesse an menschliche Präsenz. Kurz gesagt: die Ko-Evolution menschlicher Gesellschaften und naturaler Umwelt dieser Gesellschaften hat zu einer Situation geführt, in der es heute wenig Sinn ergibt, Menschen einfach herauszurechnen, um festzustellen, was „natürlich“ – und was Konsequenz menschlichen Handelns – ist.
Eine Möglichkeit, diese Eingangsüberlegung weiterzuverfolgen, landet letztlich bei der Disziplin der Humanökologie, die menschliche Gesellschaften vor allem als biologische Einheiten erfasst. Auch die von Catton/Dunlap (1979) vorgegebene Route führt in diese Richtung. Die Unterscheidung zwischen Gesellschaft und naturaler Umwelt würde damit – etwas platt gesagt – zugunsten der naturalen Umwelt aufgegeben. Aber auch andersherum wäre eine Eingemeindung möglich: die vielfach begangene soziologische Ausblendung von Materialität und Natur, der im umweltsoziologischen Sinne „konstruktivistische“ Blick auf kulturelle Naturbilder. Ein Überblick über verschiedene soziologische Herangehensweisen an diese Frage findet sich bei Brand/Kropp (2004).
Insofern Umweltsoziologie als aktuelle Teildisziplin der Soziologie aus den Neuen Sozialen Bewegungen bzw. aus der Auseinandersetzung damit hervorgegangen ist, interessiert nun jedoch gar nicht das menschliche Umweltverhalten in seiner Gesamtheit (oder anders ausgedrückt: die Beziehung zwischen Sozialität und Materialität), sondern es geht um umweltschädliches bzw. umweltfreundliches Verhalten, heute in der „regulativen Idee“ (Umweltbundesamt 2002: 2) der nachhaltigen Entwicklung gefasst. Für Fragen nach menschlichem Umweltverhalten bildet diese einen normativen Rahmen: interessant ist jetzt nicht mehr jede Art von Beziehungen und Koevolutionsprozessen zwischen Mensch und Umwelt, vielmehr geht es ganz anthropozentrisch darum, wie menschliche Gesellschaften so gestaltet werden können, dass die Bedürfnisse der aktuelle lebenden Menschen (in Nord und Süd) erfüllt werden, ohne, wie es in der klassischen Definition heißt, „die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen und ihren Lebensstil zu wählen.“ (Brundtland-Kommission 1987, zitiert nach Umweltbundesamt 2002: 1). Damit ist ein Zielzustand für nachhaltige Entwicklung vorgegeben: eine Gesellschaft, die den auf ihre materielle Basis bezogenen Möglichkeitsraum nicht verkleinert. Damit wird zugleich ein „ökologischer Rahmen“ für Wirtschaft und Gesellschaft vorgegeben:
Alles Wirtschaften und damit auch die Wohlfahrt im klassischen Sinne stehen unter dem Vorbehalt der ökologischen Tragfähigkeit. Denn nur innerhalb des Spielraumes, den die Natur als Lebensgrundlage bereitstellt, ist Entwicklung und damit auch Wohlfahrt dauerhaft möglich. Die Tragekapazität des Naturhaushalts muss daher als letzte, unüberwindliche Schranke für alle menschlichen Aktivitäten akzeptiert werden. Es kann nur darum gehen, wie die heutige Menschheit den ihr verbliebenen Spielraum am besten nutzen kann.“ (Umweltbundesamt 2002: 2)
Es soll nun hier nicht darum gehen, mit welchen Indikatoren die Einhaltung der „ökologischen Tragfähigkeit“ am besten gemessen werden kann. Ich möchte an dieser Stelle auch nicht auf konkurrierende regulative Ideen und Diskurse (z.B. Permakultur, deep ecology; vgl. auch Brand/Jochum 2000) eingehen, oder darauf, was das Ziel Nachhaltigkeit in seinen politischen Konsequenzen tatsächlich bedeutet (vgl. Wuppertal Institut 2005). Wichtig ist hier erst einmal, dass es möglich ist, die Effekte gesellschaftlichen Handelns unter dem Maßstab „Nachhaltigkeit“ als „Umweltverbrauch“ zu operationalisieren, und dass es weiterhin möglich ist, die materiellen Effekte bestimmter sozialer Organisationsformen und gesellschaftlicher Teilsysteme darzustellen. Hier liegt eine mögliche Verbindung zur Praxistheorie, insofern die Umwelteffekte von (in ihrer innergesellschaftlichen Wirkung äquivalenten) Praktiken prinzipiell miteinander verglichen werden können.
Aus einer an der regulativen Idee Nachhaltigkeit orientierten, umweltpolitischen Perspektive heraus lassen sich nun erstens unterschiedliche Handlungsfelder (z.B. Energie, Mobilität, Produktion oder – mit einigen Unschärfen – Konsum, vgl. Umweltbundesamt 2002) ableiten, zweitens werden unterschiedliche Akteure (z.B. internationale Organisationen, Staat, Privatwirtschaft, Bürgerinitiativen, einzelne BürgerInnen – vgl. Luks 2002) sichtbar, und drittens können (als in sinkender „Schärfe“ angeordnete Mittel v.a. des Akteurs Staat) Instrumente einer „Politik der Nachhaltigkeit“ (vgl. Umweltbundesamt 2002: 392) unterschieden werden: ordnungsrechtliche Instrumente (Verbote, Grenzwerte, Genehmigungen), planungsrechtliche Instrumente (Umweltprüfung, Bauleitplanung), ökonomische Instrumente (Ökosteuer, Emissionshandel) sowie „Instrumente zur Stärkung der Eigenverantwortung“ (wirtschaftliche Selbstverpflichtungen, Bildung für nachhaltige Entwicklung).
Angesprochen sind damit unterschiedliche Ebenen und Möglichkeiten unterschiedlicher Akteure, in das Gesellschaft-Umwelt-Verhältnis und damit die Effekte menschlichen Umweltverhaltens einzugreifen. Einen Schwerpunkt sozialwissenschaftlicher Umweltforschung stellen dabei v.a. die zuletzt genannten Instrumente der Eigenverantwortung dar, insofern Diskurse, Einstellungen und der „nachhaltige Konsum“ untersucht werden. Wieweit eine solche Eingrenzung sinnvoll ist, sei dahingestellt. Zwar nimmt der private Konsum den größeren Anteil am Bruttoinlandsprodukt ein, und sind die privaten Haushalte für immerhin ein Drittel des Primärenergieverbrauchs in Deutschland direkt verantwortlich. Beim Wasserverbrauch sieht es allerdings bereits ganz anders aus, hier sind es nur noch 8 % (Weller 2007). Soweit ich das nachvollziehen kann, ist hier allerdings der indirekte Verbrauch privater Haushalte durch den Konsum von Produkten, für deren Herstellung wiederum Energie, Wasser und andere Ressourcen verbraucht wurden, nicht eingerechnet. Hier sagt Weller allerdings mit Verweis auf die EcoTopTen-Studien des Öko-Instituts, dass durchschnittlich fast drei Viertel der Gesamtumweltbelastung für die dort betrachteten Geräte (u.a. Waschmaschine, PKW, Fahrrad, Heizung, Fernsehgeräte) der Nutzungsphase zugeschrieben werden können.
Bleiben wir beim „Konsum“ – wie sehen hier die Umweltbezüge im Sinne der regulativen Ideen nachhaltiger Entwicklung aus? Die tatsächlichen Umweltwirkungen z.B. des Wäschewaschens hängen von einer Reihe unterschiedlicher Faktoren ab, auf die die NutzerIn der Waschmaschine unterschiedlich viel Einfluss hat:
- Effekte durch die Produktion und den Transport des Gerätes (nur indirekter Einfluss durch Kaufverhalten, abhängig von Markt)
- Effekte der vor- und nachgeschaltete Infrastrukturen (z.T. Einfluss, etwa bei der Frage, ob der Strom von einem Ökostrom-Anbieter bezogen wird, z.T. überhaupt kein Einfluss, etwa bei der Frage, wie das Abwasser geklärt wird)
- Strom- und Wasserverbrauch des Gerätes (Einfluss durch a. Kaufverhalten (indirekt) und b. die Art der Verwendung des Geräts,. z.B. Programmwahl, Beladung, Art des Waschmittels)
- Nutzungsdauer, Entsorgung (z.T. Einfluss, aber auch abhängig von externen Faktoren)
- Entscheidungen über umfassendere Alternativen im Bereich Wasch-Praktiken, z.B. gemeinschaftliche Nutzung, Trockner vs. Wäscheleine usw.
Auch dort, wo NutzerInnen Einfluss haben, etwa bei der Frage, welche Waschmaschine gekauft wird, ist dies nicht allein eine Frage individueller Entscheidungen, sondern zum einen auch eine Frage von ökonomischen Ressourcen (Was kann ich mir leisten?) und vorhandenem Wissen/Einstellungen (Ist der NutzerIn bekannt und wichtig, dass Wäschewaschen Umwelteffekte hat?), zum anderen aber auch eine Frage des Angebots (Welche Geräte stehen überhaupt faktisch zur Verfügung?) und der Kommunikation (Ist klar, welche Geräte ökologisch sinnvoller sind als andere?).
Im nächsten Teil soll es dann darum gehen, diese Überlegungen mit der Praxistheorie in Verbindung zu setzen.
Literatur
Brand, Karl-Werner / Jochum, Georg (2000): Der deutsche Diskurs zu nachhaltiger Entwicklung. MPS-Texte 1/2000, München: Münchener Projektgruppe für Sozialforschung e.V.
Brand, Karl-Werner / Kropp, Cordula (2004): »Naturverständnisse in der Soziologie«, in Dieter Rink, Monika Wächter (Hrsg.): Naturverständnisse in der Nachhaltigkeitsforschung. Frankfurt am Main/New York: Campus, S. 103–139.
Brundtland-Kommission (1987): Our Common Future: World Commission on Environment and Development. Oxford University Press.
Catton, William R. / Dunlap, Riley E. (1979): »Environmental Sociology«, in Annual Review of Sociology, 5 (1979), S. 243–273.
Luks, Fred (2002): Nachhaltigkeit. Hamburg: Europäische Verlagsanstalt.
Umweltbundesamt (Hrsg.) (2002): Nachhaltige Entwicklung in Deutschland. Die Zukunft dauerhaft umweltgerecht gestalten. Berlin: Erich Schmidt Verlag.
Weller, Ines (2008): »Konsum im Wandel in Richtung Nachhaltigkeit? Forschungsergebnisse und ‑perspektiven«, in Hellmuth Lange (Hrsg.): Nachhaltigkeit als radikaler Wandel. Die Quadratur des Kreises? Wiesbaden: VS.
Wuppertal Institut (Hrsg.) (2005): Fair Future. Begrenzte Ressourcen und globale Gerechtigkeit. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung (Lizenzausgabe, C.H. Beck, München).
guter Artikel – nur leider finde ich den krönenden Abschluss (Teil III – Verknüpfung von Praxistheorie und Umweltsoziologie) nicht..
@Valentina: hier ist Teil III – so ganz zufrieden bin ich damit allerdings nicht.