Zeit des Virus, Update VII

Blue, blue Black forest

Wie etwas ist, wird ja oft erst hin­ter­her klar. Der Som­mer war eine gro­ße Erleich­te­rung. Doch jetzt sind wir unver­hofft und schlecht vor­be­rei­tet in die zwei­te Wel­le gestol­pert. Da mag die Sai­so­na­li­tät des Virus eine Rol­le gespielt haben. Und dar­über, ob es falsch war, die Gren­ze für har­tes, loka­les Ein­grei­fen erst bei 50 Neu­in­fek­tio­nen pro 7 Tage pro 100.000 Ew zu legen, kann rück­bli­ckend gestrit­ten wer­den. Die Zahl war das Ergeb­nis eines poli­ti­schen Rin­gens. Wenn ich mich recht erin­ne­re, stan­den nied­ri­ge­re Schwel­len im Raum, die aber nicht kon­sen­tier­bar waren in der Kon­fe­renz der Minis­ter­prä­si­den­tin­nen und Minis­ter­prä­si­den­ten (MPK), im Som­mer, als die loka­len Aus­brü­che klar umris­sen und nach­voll­zieh­bar waren.

Das ist jetzt anders. In den letz­ten Tagen färb­ten sich die Deutsch­land­kar­ten in einem Tem­po rot, als ob sie dem Herbst­laub Kon­kur­renz machen wollten. 

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Zeit des Virus, Update VI

Norddeich (post-apocalyptic wasteland with evil overlord, I guess)

Im Juni hat­te ich ja davon berich­tet, eine Feri­en­woh­nung an der Nord­see gebucht zu haben. So ganz wohl war mir nicht dabei, aber letzt­lich haben wir trotz Coro­na-Kri­se Urlaub am Meer gemacht. Kon­kret waren das lan­ge Bahn­fahr­ten in recht lee­ren Zügen, teil­wei­se in der ers­ten Klas­se, in der ich sonst nicht fah­re, die aber noch­mal etwas mehr Abstand und etwas weni­ger Leu­te bie­tet. Erfah­run­gen mit dem Mas­ken­tra­gen: ja, so eine Mas­ke nervt natür­lich, aber sie lässt sich auch für acht Stun­den Zug­fahrt tra­gen, und mei­ne sonst ger­ne mal rebel­li­schen Kin­der hat­ten auch kein Pro­blem damit, son­dern frag­ten höf­lich, ob es ok sei, die Mas­ke abzu­set­zen, um etwas zu essen oder zu trin­ken. Es gab aller­dings immer auch – eini­ge weni­ge – Mitfahrer*innen, die ihre Nase aus der Mas­ke raus­hän­gen lie­ßen. In eini­gen Zügen gab es Durch­sa­gen und auch deut­li­che direk­te Anspra­chen des Zug­per­so­nals, in ande­ren wirk­ten die Zugbegleiter*innen eher über­for­dert und erwähn­ten die Mas­ken­pflicht noch nicht ein­mal bei den Ansagen.

Wir sind mehr­fach von Nord­deich nach Nor­der­ney mit der Fäh­re gefah­ren – bei fri­scher Luft auf dem Deck, und trotz­dem deut­li­chen Hin­wei­sen am Ein­gang und per Laut­spre­cher auf Mas­ken­pflicht und Abstands­ge­bo­te. Eben­so schie­nen mir die Restau­rants einen recht rou­ti­nier­ten Umgang damit gefun­den zu haben – „sie wer­den plat­ziert“, Des­in­fek­ti­ons­mit­tel, Mas­ken­pflicht in den Gän­gen und vie­le Plät­ze im Frei­en. In den Sou­ve­nier­lä­den etc. war es eher Glücks­sa­che, ob die Verkäufer*innen Mas­ke tru­gen (oder sich durch Plexis­glas­schil­de geschützt fühl­ten, oder ob es keins von bei­den gab), und auch im Walo­se­um gab es zwar deut­li­che Hin­wei­se (nur eine Fami­lie pro Raum, Mas­ken­pflicht, …), aber kaum Kon­trol­len die­ser Vor­schrif­ten und vie­le Expo­na­te zum Anfas­sen. Hm. 

Rela­tiv vie­le Ange­bo­te waren geschlos­sen – bei­spiels­wei­se der Indoor-Kin­der­spiel­platz, den es in Nord­deich eigent­lich geben soll­te, diver­se Leucht­tür­me etc. oder im Muse­um das Cafe. Am Strand wur­de dar­um gebe­ten, Strand­kör­be nicht zu ver­schie­ben und Abstand zu hal­ten; Mas­ken wur­den hier aller­dings nur an den Kios­ken getra­gen, eine Auf­sicht, Erfas­sung der Besucher*innen oder Kon­trol­le der Per­so­nen­zahl gab es nicht. Aller­dings waren die Strän­de auch nicht über­füllt, so dass hier pro­blem­los Abstand zwi­schen ein­zel­nen Fami­li­en war.

Letzt­lich waren wir – von ein­zel­nen Zug­fahr­ten, Laden- und Muse­ums­be­su­chen abge­se­hen – fast die gan­ze Zeit ent­we­der in der Feri­en­woh­nung oder an der fri­schen Luft. Inso­fern hof­fe ich, dass mein Risi­ko­ein­druck mich nicht täuscht und das ins­ge­samt akzep­ta­bel war. 

Trotz­dem bli­cke ich mit Sor­ge auf die inzwi­schen wie­der schnell stei­gen­den Fall­zah­len und bin froh, wie­der zuhau­se zu sein. Das Gedächt­nis der Men­schen scheint kurz zu sein; der Weg hin zu einem effek­ti­ven Impf­schutz ist noch weit. Bis dahin schei­nen mir Mas­ket­ra­gen und Abstand­hal­ten sowie der Ver­zicht auf unnö­ti­ge Men­schen­an­samm­lun­gen wei­ter sinn­voll zu sein. Auch wenn es unge­recht ist, hal­te ich in die­sem Sin­ne auch die Tests bei Reiserückkehrer*innen aus Risi­ko­ge­bie­ten für eine sinn­vol­le Sache. 

In Baden-Würt­tem­berg sind noch bis Anfang Sep­tem­ber Schul­fe­ri­en. Danach kommt der Herbst, und (wie im Juni schon geschrie­ben) auch die Schu­le läuft dann wie­der an. Laut Kul­tus­mi­nis­te­ri­um soll der Fokus auf dem „Kern­cur­ri­cu­lum“ lie­gen, schul­spe­zi­fi­sche Ergän­zun­gen oder AGs wer­den als „kann weg­fal­len“ betrach­tet. Bis­her ist dafür ein weit­ge­hend „nor­ma­ler“ Prä­senz­be­trieb geplant. Nach jet­zi­gem Stand soll es eine Mas­ken­pflicht nur außer­halb des Unter­richts geben. Ob das so bleibt, bin ich skep­tisch – und ich hof­fe wei­ter­hin, dass unab­hän­gig von den Wei­sun­gen der Kul­tus­mi­nis­te­rin alle Schu­len sich inten­siv auf einen Plan B vor­be­rei­ten, bei dem grö­ße­re Teil des Schul­be­triebs im Distanz­un­ter­richt statt­fin­den wer­den. Selbst wenn wir im Sep­tem­ber nicht mit­ten in einer zwei­ten Wel­le mit Aus­gangs­be­schrän­kun­gen lie­gen, wird es ein­zel­ne Klas­sen und Schu­len geben, die auf­grund von Coro­na­fäl­len in Qua­ran­tä­ne gehen müs­sen, und es wird Kin­der geben, die auf­grund von Vor­er­kran­kun­gen oder aus Sor­ge der Eltern vom Prä­senz­un­ter­richt abge­mel­det sind. Auch die­se müs­sen erreicht wer­den. An vie­len Schu­len hat sich dafür in den letz­ten Wochen des letz­ten Schul­halb­jahrs eine gute Pra­xis ent­wi­ckelt. „Never chan­ge a run­ning sys­tem“ heißt auch, dann nicht mit­ten in der Pan­de­mie auf neue Soft­ware umzu­stei­gen, wie es Frau Eisen­mann wohl plant. Bil­dungs­po­li­tisch wird es jeden­falls zuneh­mend heiß im Land.

Und etwas wei­ter in die Zukunft geblickt, ste­hen dann Lan­des- und Bun­des­par­tei­ta­ge an. Aktu­ell sind sol­che Ver­an­stal­tun­gen mit Hygie­ne­kon­zep­ten und Abstands­ge­bo­ten mög­lich. Ob das im Spät­herbst immer noch der Fall sein wird, ist die eine Fra­ge – ob es sinn­voll ist, sich mit ein paar hun­dert Dele­gier­ten in einer Hal­le zu ver­sam­meln, um über Pro­gram­me und Per­so­nen zu befin­den, die ande­re. (Die Auf­stel­lungs­ver­samm­lun­gen zur Land­tags­wahl im Wahl­kreis Frei­burg lie­fen mit viel Abstand im Bier­gar­ten – das ist aber lei­der nicht auf einen gro­ßen Par­tei­tag im Novem­ber übertragbar …). 

Zeit des Virus, Update IV

May

Aus Lan­ge­wei­le bin ich heu­te ein­mal um das Rie­sel­feld, also den Stadt­teil Frei­burgs, in dem ich woh­ne, her­um spa­ziert. Was mir neu war: Das ist fast kom­plett jen­seits von Stra­ßen mög­lich; das, was ich bis­her als Stra­ßen­be­gleit­grün wahr­ge­nom­men habe, sind in Wirk­lich­keit auch am süd­öst­li­chen Rand des Stadt­teils klei­ne licht­durch­flu­te­te Wäld­chen mit viel Holun­der und Robi­nie, durch die sich sanf­te Wege schlängeln.

Anders gesagt: all­mäh­lich gehen mir die Spa­zier­we­ge aus. Das soll nicht hei­ßen, dass mei­ne Tage nicht gut gefüllt wären. Wenn die Kin­der da sind, ist es ein ziem­li­cher Kampf, Home-Office, Unter­stüt­zung der Kin­der und Din­ge wie Essen für alle Kochen unter einen Hut zu brin­gen. Wenn sie nicht da sind, ist der Tag mit Video­kon­fe­ren­zen, Mails und Tele­fo­na­ten (und am Ran­de noch ein biss­chen Par­tei­ar­beit) gut aus­ge­füllt. Über­haupt: dass jetzt auch Men­schen, bei denen ich das gar nicht erwar­tet hät­te – wie etwa unser Minis­ter­prä­si­dent – die Vor­tei­le von Video­kon­fe­ren­zen ent­de­cken, hin­ter­lässt bei mir eine gewis­se Hoff­nung, dass es auch in der Zeit nach Coro­na nicht mehr für jeden Zwei­stun­den­ter­min ein Deutsch­land­rei­se braucht. Oder, etwas loka­ler: vie­le Teilnehmer*innen des grü­nen Kreis­mit­glie­der­tref­fens im Flä­chen­land­kreis Breis­gau-Hoch­schwarz­wald stell­ten am Ende fest: geht so auch, und spart lan­ge Anfahr­ten aus dem Hoch­schwarz­wald oder dem Kai­ser­stuhl. (Und auch die Kin­der haben inzwi­schen ihre regel­mä­ßi­gen Video-Ter­mi­ne: die Pfad­fin­der machen eine Grup­pen­stun­de per Zoom, die Schu­le setzt auf Mood­le beim Lan­des­netz­werk bel­wue, dort ist Big­BlueBut­ton als Video­kon­fe­renz­sys­tem integriert.)

Also, die Tage sind gut gefüllt. Trotz­dem wird die Rou­ti­ne so ganz ohne Abwechs­lun­gen per Orts­wech­sel all­mäh­lich lang­wei­lig. Und ich mache mir Gedan­ken, ob ich mei­ne Bahn­card 100 ver­län­gern soll oder doch noch war­te. Denn auf abseh­ba­re Zeit sind wir, allen Locke­rungs­de­bat­ten zum Trotz, noch in einer vom Virus bestimm­ten Zeit, nicht in der Zeit des Danach. 

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Zeit des Virus, Update III

Flowers everywhere! - IX

All­mäh­lich wird aus der hek­ti­schen Betrieb­sam­keit der ers­ten Wochen etwas, das sich lang zieht, etwas, das nach Aus­dau­er und War­ten ruft. Etwas, das noch kein Ende kennt, ein Drit­tes neben Kri­se und Normalbetrieb.

In den letz­ten drei Wochen, seit ich zuletzt über die „Zeit des Virus“ geschrie­ben habe, ist es gefühlt deut­lich schwie­ri­ger und anstren­gen­der gewor­den. Ostern hat ganz gut geklappt, Kern­fa­mi­li­en­fei­er, per Sky­pe zuge­schal­te­te Groß­el­tern und Geschwis­ter, gemein­sam ver­brach­te Zeit. Aber die Oster­fe­ri­en, die in Baden-Würt­tem­berg erst mor­gen enden, sind kei­ne Feri­en, weil die Kin­der bei­de noch Schul­stoff erle­di­gen müs­sen, und weil auch die Frak­ti­ons­ar­beit weit­ge­hend „nor­mal“ weiterläuft.

Auch bei mir gibt es zuneh­mend das Gefühl, dass es doch mal auf­hö­ren müss­te mit die­sem Lock­down, mit den gan­zen Beschrän­kun­gen. Ich kann mir noch nicht so ganz vor­stel­len, wie die Kin­der damit klar kom­men sol­len, wei­te­re Wochen im „Home-Schoo­ling“ zu ver­brin­gen. Für Mon­tag sind die nächs­ten Auf­ga­ben und Tele­fo­na­te mit den Lehrer*innen ange­kün­digt. „Macht doch mal was“ bleibt trotz­dem an den Eltern hän­gen, und klar: es gibt so etwas wie einen Rhyth­mus, aber es sind doch Tage, an denen deut­lich weni­ger pas­siert als es in der Schu­le der Fall wäre. Und zumin­dest R. ist zuneh­mend frus­triert davon, wenn drau­ßen auf dem Hof Kin­der spie­len und ich nur sage, dass wir es nicht möch­ten, dass er dazu geht.

Gefühlt also Eile, trotz aller Intro­ver­tier­heit der Wunsch, dass die Zeit des Virus mal vor­bei gehen möge. Und gleich­zei­tig im Kopf das Wis­sen dar­um, dass wir noch längst nicht über den Berg sind, der Ärger dar­über, dass allein die Debat­te um „Locke­run­gen“ bei eini­gen wohl dazu geführt hat, das alles nicht mehr ernst zu neh­men … ich möch­te nicht wis­sen, was das für die Anste­ckungs­zah­len in ein paar Tagen bedeutet.

Und wenn ich ver­su­che, mir die ver­schie­de­nen Stra­te­gien, mit dem Virus umzu­ge­hen, vor Augen hal­te, dann wird klar: Her­den­im­mu­ni­tät, der Auf­bau eines natür­li­chen Schut­zes bei einem gro­ßen Teil der Bevöl­ke­rung: das funk­tio­niert nicht, jeden­falls nicht ohne eine Viel­zahl an Toten in Kauf zu neh­men. Was jetzt pas­siert, ist das Sen­ken der Wei­ter­ver­brei­tung auf ein Maß, mit dem das Gesund­heits­sys­tem klar kommt. Das sieht aktu­ell gut aus, die Neu­in­fek­tio­nen sind zurück­ge­gan­gen und seit Tagen sta­bil, auch die Zahl der täg­li­chen Todes­fäl­le ist halb­wegs sta­bil (zynisch, dass das eine gute Nach­richt ist). Aber so wei­ter zu machen, heißt eben auch, einen Kern aus Kon­takt­ver­mei­dung und har­ten Beschrän­kun­gen noch min­des­tens bis in den Herbst, viel­leicht auch ins Früh­jahr auf­recht zu erhal­ten. Und dann ste­hen sowohl Selb­stän­di­ge, die nichts ver­die­nen, weil der­zeit zum Bei­spiel nie­mand Auf­trit­te von Künstler*innen bucht, vor einem Pro­blem – genau­so wie alle Eltern, die das Gewurs­tel der letz­ten Wochen bis weit in die Zukunft hin­ein wei­ter­füh­ren sol­len. (Und nein, bei wei­tem nicht jeder Haus­halt besteht aus Vater Allein­ver­die­ner, der päd­ago­gisch ver­sier­ten Mut­ter Hob­by­leh­re­rin und den bra­ven Kin­dern 1 und 2, die ger­ne mit dem Hund im Gar­ten tol­len). (Apro­pos: sehr gut dazu Anna­le­na Baer­bock in der taz).

Nahe lie­gen­de Lösun­gen für die­ses Pro­blem gibt es nicht, am bes­ten wäre wohl eine Kom­bi­na­ti­on aus ech­tem Tele­un­ter­richt für die Kin­der (aber das muss tech­nisch erst ein­mal klap­pen), einem rol­lie­ren­den oder sonst irgend­wie redu­zier­tem Sys­tem von Kita- und Schul­öff­nun­gen und Lohn­er­satz­leis­tun­gen für alle, die so nicht arbei­ten kön­nen. Und irgend­wann dann die Imp­fung. Aber so oder so heißt dass, das es noch eine gan­ze Wei­le wei­ter­geht mit dem Sta­tus quo.

Der klei­ne Hoff­nungs­fun­ke: die Zahl der Neu­in­fek­tio­nen und die Zahl der Infek­tio­nen pro Per­son nimmt so stark ab, dass wie­der zu „Con­tain­ment“ als Stra­te­gie gegrif­fen wer­den kann. Das hat aber zwei nicht ganz ein­fa­che Vor­aus­set­zun­gen. Zum einen braucht es schnel­le Tests, auch auf Immu­ni­tät, und Wis­sen dar­über, wie die Dun­kel­zif­fern aus­se­hen. Also Tests und Strich­pro­ben. Und zum ande­ren braucht es eine Ein­hal­tung sowohl der jetzt gel­ten­den Kon­takt­be­schrän­kun­gen wie auch der dann wei­ter not­wen­di­gen Hygie­ne­re­geln durch einen gro­ßen Teil der Bevöl­ke­rung, also Ein­sicht. Bei den Tests und Stich­pro­ben bin ich halb­wegs zuver­sicht­lich, bei der Ein­sicht habe ich der­zeit so mei­ne Zwei­fel. Der Heins­berg-Coup von Laschet ist dies­be­züg­lich, um es deut­lich zu sagen, hoch­gra­dig kontraproduktiv.

In der Pres­se und in der Frak­ti­on – genau­so wie in den sozia­len Medi­en – gibt es der­zeit eigent­lich nur ein The­ma. Auch das trägt dazu bei, dass die­se Tage sich stre­cken. Es geht immer um Coro­na. In der Arbeit. In der Frei­zeit. Am Wochen­en­de. In den „Feri­en“. Usw. Klar gibt es Flucht­mo­men­te – Com­pu­ter­spie­le, Fil­me, Bücher – aber eigent­lich ist das Virus dau­er­prä­sent. Und das seit Wochen. Auch das macht die­se Zeit schwie­rig. Viel­leicht brau­chen wir hier ande­re Räume.

Gleich­zei­tig emp­fin­de ich es als schwie­rig, die Pan­de­mie aus­zu­blen­den. Bei­spiel Wahl­pro­gramm – im Früh­jahr 2021 sind Land­tags­wah­len in Baden-Würt­tem­berg. Da jetzt ein Pro­gramm zu schrei­ben, das aus­sieht wie jedes ande­re, das wird nicht gehen. Nicht nur, weil die Wirt­schafts­la­ge und die Finanz­la­ge des Lan­des eine ande­re sein wer­den, son­dern auch des­we­gen, weil die Pan­de­mie eine gan­ze Rei­he von poli­ti­schen Prio­ri­tä­ten umge­wor­fen hat. Das ist jeden­falls mein Ein­druck. Jetzt auf Ant­wor­ten aus dem Jahr 2019 zu set­zen, hät­te ähn­li­che Effek­te wie die gran­di­os dane­ben gegan­ge­ne „Alle reden von Deutsch­land – wir nicht“-Kampagne, die die West-Grü­nen nach der Wen­de aus dem Bun­des­tag kick­te. Es braucht also Sen­si­bi­li­tät dafür, wie die Stim­mung im Land im Früh­jahr 2021 aus­se­hen wird. Nur weiß das jetzt noch nie­mand. Poli­tik wie üblich funk­tio­niert auch des­we­gen gera­de nicht.

Arne Jung­jo­hann hat­te auf Twit­ter mit Bezug auf Caro­lin Emckes Coro­na-Tage­buch nach gene­ra­tio­nen­de­fi­nie­ren­den his­to­ri­schen Ereig­nis­sen gefragt. Bis­her hät­te ich da mit Tscher­no­byl geant­wor­tet, viel­leicht mit der Wen­de, mit der ers­ten rot-grü­nen Bun­des­re­gie­rung, mit 9/11 oder auch mit Fuku­shi­ma und allen Fol­gen, auch in der baden-würt­tem­ber­gi­schen Lan­des­po­li­tik. Gut mög­lich, dass das Jahr 2020 in vie­len Bio­gra­fien die­se Ereig­nis­se über­strah­len wird und in der Geschich­te der Zukunft der Punkt sein wird, an dem das alte 20. Jahr­hun­dert dann wirk­lich geen­det hat.

P.S.: April­ta­ge mit fast 30° Cel­si­us, viel zu wenig Regen, Dür­re­war­nung – die ande­re gro­ße Kri­se ist wei­ter­hin da.

Zeit des Virus, Update II

All­mäh­lich ent­wi­ckeln sich neue Rou­ti­nen. Drau­ßen blü­hen die Obst­bäu­me und die For­sy­thi­en, die Wie­sen sind von Gän­se­blüm­chen über­sät. Drin­nen wech­seln sich Tage, an denen eine Video­kon­fe­renz auf die ande­re folgt, mit Tagen ab, an denen mei­ne Kin­der bei mir sind, und an denen die Frak­ti­ons­ar­beit in den Hin­ter­grund rückt.

Ich beob­ach­te, dass auch Tele­fo­na­te mit Kolleg*innen inzwi­schen häu­fi­ger als frü­her als Video­te­le­fo­nat statt­fin­den. Das mag eine Unacht­sam­keit sein, weil unser Tele­fon­sys­tem hier sei­ne Eigen­hei­ten hat, mag aber auch dem Wunsch ent­spre­chen, die Kol­le­gin bzw. den Kol­le­gen zumin­dest mal zu sehen. Und manch­mal ertap­pe ich mich dabei, die Tasche für das Pen­deln packen zu wol­len und früh ins Bett gehen zu wollen.

Aber das ist jetzt anders. Wir blei­ben län­ger wach und ste­hen spä­ter auf.

Die Kin­der dazu zu moti­vie­ren, die Auf­ga­ben­zet­tel abzu­ar­bei­ten, fällt wei­ter­hin schwer. Wenn schon Schu­le, dann doch lie­ber Dokus zu kom­plett ande­ren The­men anschau­en oder die Mathe­app durch­ar­bei­ten. Ich bin froh, dass der Schul­lei­ter der Schu­le mei­ner Kin­der in einem Rund­schrei­ben dar­auf hin­weist, dass die­ses Schul­jahr kein nor­ma­les Schul­jahr sein wird, und dass alle ihre Erwar­tun­gen ändern müssen.

Nach­mit­tags spielt R. nicht mit dem Nach­bars­jun­gen auf dem Hof, son­dern mit sei­nem Cou­sin aus Bonn auf einem Mine­craft-Ser­ver. Für Z. ist Whats­app der Kom­mu­ni­ka­ti­ons­ka­nal der Wahl, um mit ihren Freund*innen in Kon­takt zu bleiben.

Ich ver­su­che wei­ter­hin, die Woh­nung mög­lichst sel­ten zu ver­las­sen. Das hat zu einem auf­ge­räum­ten Bal­kon geführt und zu aus­ge­mis­te­ten Zei­tungs­sta­peln. Gut, dass es Twit­ter und Net­flix gibt, dass eBooks wei­ter lie­fer­bar sind, und gut, dass es Com­pu­ter­spie­le gibt, die ich mag (der­zeit neben Star­dew Val­ley v.a. Mini­me­tro). Ehr­lich gesagt: ganz so groß sind die Unter­schie­de in mei­ner Frei­zeit­ge­stal­tung nicht – manch­mal hat Intro­ver­tiert­heit auch Vorteile.

Raus­ge­gan­gen bin ich in den letz­ten Tagen ein­mal zum Ein­kau­fen und zwei­mal, um beim Rad­fah­ren bzw. Spa­zie­ren­ge­hen etwas fri­sche Luft und Bewe­gung zu bekom­men. Ich bin froh, in einem Bun­des­land zu leben, dass die nöti­gen Maß­nah­men zur Kon­takt­ver­mei­dung nicht unnö­tig streng aus­legt – anders als in Ber­lin sind Pick­nick­de­cken und Park­bän­ke nicht per se ver­bo­ten, anders als in Sach­sen wird die Ent­fer­nung zur Woh­nung nicht kon­trol­liert. Aller­dings kann es drau­ßen ganz schön voll sein – ges­tern, bei schö­nem Früh­lings­wet­ter, bot es sich dann an, von den Haupt­rou­ten abzu­zwei­gen, um nicht alle paar Meter jemand aus­wei­chen zu müssen.

Hefe gibt es wei­ter­hin nicht. Der net­te Bio­la­den ver­wan­delt sich nach und nach in eine Indus­trie­hal­le: Ple­xi­glas­schei­ben an der Kas­se, gelb-schwarz abge­kleb­te Sperr­zo­nen und Abstands­mar­kie­run­gen. Es ist recht leer. Beim Ein­kau­fen füh­le ich mich wei­ter­hin unsi­cher: Ist es ris­kant, das nicht abge­pack­te Gemü­se zu kau­fen? Wie vie­le Packun­gen Milch, wie viel Mehl ist ange­mes­sen? Ist es ein Pro­blem, den Stift für die bar­geld­lo­se Unter­schrift anzufassen?

War­um Hefe? Offen­bar bin ich nicht der ein­zi­ge, der jetzt ver­su­chen möch­te, selbst Brot zu backen, statt zum Bäcker zu gehen. Viel­leicht geht es dabei um das Gefühl, sich not­falls selbst ver­sor­gen zu kön­nen – „Angst­ba­cken“ nann­te das jemand auf Twitter.

Wie geht es wei­ter? Das Land befin­det sich im War­te­zu­stand. Die Zahl der neu­en Fäl­le steigt lang­sa­mer an als vor ein paar Tagen, aber es ist unklar, ob das ein Abfla­chen der Kur­ve ist oder nur ein Arte­fakt begrenz­ter Test­ka­pa­zi­tä­ten und eines ver­än­der­ten Test­re­gimes. Wäh­rend­des­sen stei­gen die Todes­fäl­le wei­ter expo­nen­ti­ell an. Der Blick nach Frank­reich, nach Ita­li­en, in die USA beun­ru­higt. Wir war­ten weiter.