Vielleicht zuviel Pathos, aber ein kleines bisschen fühlt Mastodon sich so an. Den unter @_tillwe_ angelegten Account nutze ich inzwischen rege, etwa ein Viertel der Menschen, denen ich auf Twitter folge, habe ich im Fediverse auch schon gefunden. Und neben mastodon.social habe ich auf freiburg.social (unter tillwe) ebenfalls einen Account angelegt, der aber bisher noch brachliegt. Vielleicht ziehe ich noch von da nach dort um – eine lokale Instanz passt eigentlich besser zum Konzept hinter Mastodon als ein großer Server. Oder ich nutze das als Zweitaccount. Twitter jedenfalls brennt.
Erste Eindrücke von Mastodon: nach den ersten Tagen, in denen meine Timeline von Twitter-nach-Mastodon-Umzugdebatten etc. dominiert war, wird es nach und nach interessanter. Weniger international, weniger Politik (beides: bisher noch, ändert sich), ein bisschen mehr Nerdzeug, ein bisschen mehr linke Szene. Unterschiede in der diskursiven Praxis: die Leute versuchen, freundlicher zu sein; es gibt mehr Zeichen pro Nachricht; Contentwarnungen werden relativ intensiv genutzt, Quote-Tweets von einigen vermisst. Spannende Debatten darüber, wie weit die Mastodon-Diskussionskultur kontraproduktiv ist: führen Contentwarnungen zu Themen wie Rassismus dazu, das dieser unsichtbar gemacht wird? Und was ist mit diesen ominösen Instanzen-Blocks – einige Instanzen scheinen alles zu blocken, was zu groß ist, wo der/die Admin nicht die exakt richtige Einstellung hat, wo das falsche gesagt wird. Gefühlt: hier ruckelt sich gerade noch einiges zu recht.
Utopischer Drive beim Blick auf das Potenzial eines föderierten sozialen Netzwerks. Das gemeinsame Protokoll ActivityPub heißt, dass Mastodon-Instanzen mit allen anderen diesem Protokoll folgenden Servern kommunizieren können. Neben den gerne hochgehaltenen Fediverse-Beispielen, die Instagram (Pixelfed) und Youtube (Peertube) nachbauen sollen, ist das beispielsweise auch dieses Blog hier, das unter @tillwe alle Beiträge auch im Fediverse verfügbar hält. RSS, nur universaler und interaktiver. Oder Pleroma (ein andere Software für „Twitter“-artige Instanzen). Und weil alle auf das gleiche Protokoll zurückgreifen, ist es möglich, über unterschiedliche „Plattformen“ hinweg Menschen und Dingen zu folgen. Zudem bedeutet dieser Aufbau, das ganz unterschiedliche Apps genutzt werden können.
Spannend wird es, wenn „kommerzielle“ Instanzen dazukommen – dann dürfte es ziemlich heftige Kulturkriege dazu geben, ob diese eingebunden („föderiert“) oder geblockt werden. Im Zweifel gibt es die Möglichkeit, das soziale Netzwerk (allerdings nicht den alten Content) halbautomatisch umzuziehen oder eben Accounts auf mehreren Instanzen anzulegen.
Fühlt sich alles ein bisschen wie die frühen 2000er Jahre an, als das auf einem gemeinsamen offenen Protokoll aufbauende World Wide Web mit ganz unterschiedlichen Servern und Browsern anfing, für breitere Massen interessant zu werden. Ich bin gespannt, was hier noch passiert – technisch wie kulturell.
Und: die letzten Jahren waren von einem Hype um Web 3.0 und Blockchains diskursiv überlagert. Das, was die Web‑3.0‑Jünger*innen versprechen, wird zu einem Teil von dem jetzt Sichtbarkeit bekommenden Fediverse längst geliefert – mit instanzenbezogener Authentifizierung und ganz ohne Blockchain. Und an Nachrichtenaustausch statt an finanziellen Mikrotransaktionen als Modell orientiert.
Also: extrem viel Potenzial, und ich bin sehr gespannt, was daraus noch wird. Der Kauf und die Brandschatzung von Twitter durch Elon Musk als Katalysator für ein offenes, nicht kommerzielles soziales Netzwerk, das noch ein bisschen mehr kann, als nur globale Chats zu ermöglichen – wer hätte das gedacht?