… oder: Unter welchen Bedingungen sollten AnhängerInnen der PIRATEN die PIRATEN wählen?
Es scheint ja nun so, dass die PIRATEN zur Bundestagswahl im Herbst antreten werden. Ich will mich hier jetzt gar nicht mit fehlender Programmatik, frauenlosen Listen oder dem den Klippen der massenmedialen Demokratie noch nicht gewachsenen Personal auseinandersetzen, sondern einen eher wahltaktischen Blick auf die Frage werfen, unter welchen Bedingungen AnhängerInnen der PIRATEN diese wählen sollten.
Dabei sind – aufgrund der Fünf-Prozent-Hürde – zwei Fälle zu betrachten.
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Es herrscht bei den AnhängerInnen bzw. in der allgemeinen Öffentlichkeit die Vermutung vor, dass die PIRATEN irgendwo zwischen ein und drei Prozent abschneiden werden, also deutlich unter der Fünf-Prozent-Hürde bleiben werden.
Eine Zweitstimme für die PIRATEN bleibt in dieser Konstellation erst einmal ohne steuernden Einfluss auf die Zusammensetzung des Bundestages. Ein gutes Ergebnis für die PIRATEN (also z.B. drei Prozent) würde aber in anderen Parteien wahrgenommen und könnte so indirekt deren Politik beeinflussen; ein hoher Wert an Stimmen für Sonstige inkl. PIRATEN würde zudem als generelle Kritik am Wahlsystem bzw. an den antretenden größeren Parteien aufgefasst werden. Zudem würden – je nach Ergebnis – einige Gelder aus der Wahlkampfkostenerstattung an die PIRATEN fließen, so dass diese Gelegenheit bekämen, ihren Parteiaufbau zu forcieren (auch das Europawahlergebnis führt schon jetzt zu solchen Effekten).
Zu beachten sind allerdings auch die negativen Effekte: so geht jede Stimme für die PIRATEN – so sie nicht aus dem Lager der NichtwählerInnen kommt – einer anderen Partei ab, deren Gewicht damit geschwächt wird. Gerade bei einem knappen Wahlausgang könnten die so fehlenden Stimmen über Mehrheiten für Regierungsbildungen entscheiden (wenn also z.B. schwarz-gelb knapp eine Mehrheit erhält).
Zudem bedeutet eine Stimme für eine Partei ohne Chance auf Einzug in den Bundestag, dass die Hürde, um eine Mehrheit der Sitze zu erhalten, sinkt. Wenn zehn Prozent der Stimmen auf Sonstige entfallen, reichen (je nach Sitzverteilungsverfahren) schon z.B. 46 Prozent der abgegebenen gültigen Stimmen aus, um eine absolute Mehrheit an Sitzen zu erreichen. Das ist unter demokratietheoretischen Gesichtspunkten – Repräsentation des Wählerwillens – schwierig (und natürlich prinzipiell kein Effekt des Antretens von Kleinstparteien, sondern ein Effekt der Sperrklausel).
Bisher ging es nur um Zweitstimmen. Diese sind für die Zusammensetzung des Bundestags relevanter; zweitens wird es, wenn ich das bisher richtig sehe, nur wenige Wahlkreise geben, in denen PIRATEN mit Direktkandidaten (und Kandidatinnen?) antreten werden. Je nach Stärke der anderen Parteien in diesen Wahlkreisen sind die Effekte von Erststimmen unterschiedlich.
Fazit zu diesem Fall: wenn zu erwarten ist, dass die PIRATEN die Fünf-Prozent-Hürde nicht überschreiten werden, bedeutet eine Zweitstimme für die PIRATEN, ein mediales Signal zu setzen, zugleich aber zu einem Bundestag beizutragen, in dem bestimmte Interessen nicht vertreten sind und möglicherweise gerade wegen der Proteststimmen andere Mehrheiten zustande kommen, als „in Zweitpräferenz“ von AnhängerInnen der PIRATEN gewünscht – insbesondere erhöht jede Stimme für die PIRATEN, wenn die Annahme stimmt, dass ein großer Teil der PIRATEN-WählerInnen „ansonsten“ SPD, LINKE oder Grüne gewählt hätte, die Chancen auf eine schwarz-gelbe Mehrheit.
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Anders sieht die Situation aus, wenn zu erwarten ist, dass die PIRATEN sich nahe an der Fünf-Prozent-Hürde bewegen. Jetzt könnte es sein, dass eine Stimme für die PIRATEN tatsächlich einen intendierten Einfluss auf die Zusammensetzung des Deutschen Bundestags hat. Ich halte diese Situation für unwahrscheinlich (bisher ist der öffentliche Aufschrei wegen „#Zensursula“ außerhalb des Netzes wenig vernehmbar; auch Tauss wird’s nicht retten – und zum Überspringen der Fünf-Prozent-Hürde wären etwa 1,5 Mio. Stimmen notwendig – mehr als fünf Mal so viele wie die PIRATEN bei der Europawahl erreicht haben). Wie dem auch sei: eine PIRATEN-Fraktion im Bundestag könnte das Zünglein an der Waage bei Koalitionsbildungen sein – zugleich sind die oben beschriebenen Einflüsse auf die Repräsentation des Wählerwillens – aber auch das mediale Signal – bei einem knappen Scheitern umso größer.
Realistisch betrachtet sollten AnhängerInnen der PIRATEN also nur dann für die PIRATEN stimmen, wenn ihnen 1. ein mediales Signal an andere Parteien sehr wichtig ist, ihnen 2. die Zusammensetzung des Bundestags egal ist (bzw. vielleicht sogar Präferenzen für schwarz-gelb da sind), oder wenn 3. bis zur Bundestagswahl die gesamtgesellschaftlichen diskursiven Erwartungen, dass ein Überspringen der Fünf-Prozent-Hürde durch die PIRATEN möglich ist – und damit die Chance, dass es dazu kommt – deutlich zunehmen. Die Fünf-Prozent-Hürde erweist sich hier also als chaotischer Attraktor.
Anders gesagt heißt das: vernünftige AnhängerInnen der PIRATEN machen jetzt einen starken PIRATEN-Wahlkampf, setzen damit andere Parteien (insbesondere FDP und GRÜNE) unter Druck, sich netzpolitisch richtig zu positionieren – und wählen dann am 27.9. nicht die PIRATEN, sondern diejenige der größeren Parteien, die bis dahin am ehesten und glaubwürdigsten für zentrale Forderungen aus dem PIRATEN-Programm steht.
Siehe generell auch Tipps und Tricks zur Bundestagswahl 2009.
Warum blogge ich das? Vor allem als Verschriftlichung meiner eigenen Überlegungen dazu, ob es sich lohnt, im grünen Wahlkampf offensiv auf die PIRATEN einzugehen.