Die beiden Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und NRW sind aus grüner Sicht eine Art Realexperiment: Die Ausgangslage ist in beiden Fällen ähnlich. Es gibt eine rot-grüne Koalition (ich ignoriere den SSW jetzt einmal kurz). In beiden Landtagen sitzen die Piraten, aber nicht die LINKE. Wenn SPD und SSW in Schleswig-Holstein addiert werden, sind sogar die Zahlenwerte (SH, NRW) für die einzelnen Parteien – und die Mehrheit der jeweiligen Koalition – recht ähnlich. Das Wahlsystem (Liste, zwei Stimmen) ist ähnlich. Der Amtsinhaber (bzw. die Amtsinhaberin) von der SPD ist halbwegs populär, der Herausforderer von der CDU eher blass. In beiden Fällen gewinnt die CDU hinzu, die FDP gewinnt massiv, die Piraten fliegen aus dem Landtag. Die AfD kommt mit einem eher niedrigen Ergebnis in den Landtag. In beiden Fällen verliert die SPD (bzw. SPD+SSW in Schleswig-Holstein) massiv, so dass es zum Wechsel der Regierung kommt. Bundestrend, ich hör dich trappsen.
Einziger großer Unterschied: Das grüne Ergebnis. Auch hier ist die Ausgangslage vergleichbar. In Schleswig-Holstein 13,2 Prozent, in NRW etwas schlechter mit 11,4 Prozent. Der große Unterschied? In Schleswig-Holstein wird das Ergebnis fast gehalten, Grüne kommen am Schluss auf 12,9 Prozent und erhalten die selbe Zahl von Mandaten wie zuvor. In Nordrhein-Westfalen halbiert sich das Ergebnis fast, am Schluss stehen 6,4 Prozent aus dem Ergebniszettel, und mehr als die Hälfte der Mandate gehen verloren.
Die große Frage in dieser Versuchsanordnung ist nun die nach den Variablen, die den Unterschied machen. Dazu lassen sich mehrere Thesen finden – etwa die Personen Robert Habeck (als inoffizieller Spitzenkandidat neben Monika Heinold) und Sylvia Löhrmann. Geschlossenheit vs. Flügelstreit. Die zentralen Ressorts der jeweiligen Regierung. Details des Auftretens im Wahlkampf (in beiden Fällen sehr plakativ, inhaltlich wenig aussagekräftige Plakate).
Meine Idee ist eine andere. Ein Blick auf die Wahlkreiskarte SH im Vergleich zu NRW zeigt einen Unterschied. In Schleswig-Holstein reicht die Spannweite bei den Zweitstimmen von 8,4 bis 15,4 21,1 Prozent. In Nordrhein-Westfalen geht es von 3,1 bis 16,6 Prozent. In beiden Ländern gibt es städtische Hochburgen – aber in Schleswig-Holstein steht das „flache Land“ im Vergleich zu NRW deutlich weniger schlecht da. In NRW dagegen kommen Grüne selbst im direkten ländlichen Umfeld der Hochburgen nur knapp auf 5 Prozent oder liegen sogar darunter.
Soll heißen: ich vermute, ausschlaggebend für die Differenz im Ergebnis war insbesondere auch die Verankerung der Partei (und der Regierungspolitik) im ganzen Land. Dass beispielsweise Robert Habeck sich mit Bauern und Fischerinnen und der Landbevölkerung streitet – und die danach vielleicht doch grün wählt – kann ich mir sehr gut vorstellen. Und hier geht’s eben nicht um den Wahlkampf, sondern darum, was davor passiert ist. Also um die Regierungspolitik. Ohne jetzt den Parteifreund*innen in NRW zu nahe treten zu wollen: ich vermute, dass der Unterschied zwischen beiden Ländern auch darin liegt, ob Grüne sich als Ansprechpartner und Vertreterin aller Menschen im Land gesehen haben, oder ob sie sich auf ein ganz bestimmtes Milieu und deren (vermeintliche) Interessen konzentriert haben. Ob regiert wird, oder ob Regieren auch was mit Zuhören, Auseinandersetzen und Erklären – und danach vielleicht einem Ändern der Position – zu tun hat. (In Klammern: hier steckt auch eine Botschaft für die zweite Regierungsperiode in Baden-Württemberg …)
Das hässliche an dieser These: wenn das so stimmt, dann kann ein Wahlkampf viel kaputt machen, aber zumindest für eine Partei aus der Regierung heraus, nicht mehr heiße Kastanien aus dem Feuer holen, wenn dieses schon längst erkaltet ist. Auf die Regierungszeit kommt es an, der Wahlkampf bringt nur was, wenn er hier auf echte Erfolge aufbauen kann. (Also auf Erfolge, die nicht nur Erfolge im Sinne eines Abhaken des Koalitionsvertrags sind, sondern vor allem auch als solche wahrgenommen werden. Was am besten dann gelingt, wenn die Menschen im Land eine positive Veränderung bemerken).
Nun ist die Bundestagswahl eine andere Wahl, der Wahlkampf findet für Grüne aus der Opposition (plus dem Mitregieren in einer gewissen Zahl von Ländern …) statt. Und es ist ein bisschen spät, jetzt die Politik der vergangenen vier Jahre im Bundestag ändern zu wollen. Soll heißen: ich bin hier pessimistisch. Ein gutes Programm, eine gute Kampagne ohne grobe Fehler, ein gutes Auftreten der Spitzenkandidat*innen, einen extrem engagierten Wahlkampf: all das werden wir brauchen, um im September ein halbwegs passables Ergebnis zu erreichen. Für mehr fehlen – sage ich mit Blick auf NRW und Schleswig-Holstein im Vergleich – möglicherweise die Grundlagen, die jetzt nicht mehr gelegt werden können.
Warum blogge ich das? Weil ich befürchte, dass wir jetzt innerparteiliche Schuldzuweisungen und das Gegenteil von Geschlossenheit erleben werden. Und weil grüne Politik, die sich als Politik für das ganze Land versteht, so oder so eine gute Sache ist.