So sieht das hier im Rieselfeld nachts aus. Unscheinbar, klotzig – nicht zu sehen sind die Tempo-30-Regelungen, die Solarpanels oben auf dem Glashaus, die Kinder- und Jugendmediathek, das ehrenamtliche Cafe, die Sozialberatung und der Bürgerverein, die innen drin stecken, die Carsharing-Autos vor der Tür, die Straßenbahnanbindung, die Vielfalt der Herkünfte und Hintergründe der Stadtteil-BewohnerInnen, die Grünflächen samt Picknickdecken und urbanem Garten, der Neunaugenbach, die Spielplätze und der nahe Wald mit seinen Waldkindergärten und den Mundenhof. Und so ein bisschen Stadt haben wir auch. All das halt, was das Rieselfeld zu einem besonderen Stadtteil macht. So können Fotos täuschen.
Plätze machen Städte
Freiburg nennt sich ja manchmal „Green City“. Je nachdem, was genau unter „grün“ in diesem Zusammenhang verstanden wird, durchaus zu Recht. Das Vauban-Viertel ist ein gelungenes sozial-ökologisches Experiment, über das Rieselfeld ließe sich ähnliches sagen, es gibt Radexpresswege, Straßenbahnen, Tofubratwürste, Windräder, grüne Wahlergebnisse, einen grünen OB und ein Milieu, das durchaus schon in das einschlägige Liedgut Eingang gefunden hat.
Wer durch die Innenstadt geht, das Flair des Münstermarkts und die Hänge des Schwarzwalds bewundert, sieht davon allerdings nicht unbedingt etwas. Oder, ganz stimmt das nicht: der Rotteckring zwischen dem Stadttheater mit politischem Anspruch, der Universität, die jetzt auf Nachhaltigkeit setzt, und dem neuen Kristallpalast der Universitätsbibliothek ist für den Autoverkehr gesperrt und wird noch nicht von den geplanten Straßenbahnlinien durchkreuzt. Nur FahrradfahrerInnen und FußgängerInnen queren – in Freiburg-üblichen Massen den Platz.
Unsichtbare Wahlkampfthemen: Platz der Alten Synagoge
Es gibt Wahlkampfthemen, die präsent sind. In Freiburg gehört die Frage Stadtbau, Mieten, Wohnungssituation sicher dazu. Es gibt aber auch Wahlkampfthemen, die unterschwellig vor sich hinköcheln. Möglicherweise ist die geplante Umgestaltung des Platzes der Alten Synagoge ein solches unterschwelliges Wahlkampfthema. Vielleicht ist’s auch eines, dass nur Studierende und deren Umfeld (also mich z.B. ;-)) wirklich interessiert. Hellhörig gemacht hat mich jedenfalls die Tatsache, dass im aktuellen u‑asta-infou‑Bote listenübergreifend gleich sieben der dort porträtierten zwölf „studentischen“ KandidatInnen für die Gemeinderatswahl den Platz der Alten Synagoge ansprechen.
Ich würde mich freuen, einige dieser Stimmen dann auch im Gemeinderat wiederzufinden (und nein, das soll jetzt keine Wahlempfehlung für die KandidatInnen der SPD oder CDU werden – aber wer schon diese Parteien wählen möchte, kann ja mal in der Stimmgewichtung nachdenken, wer passt). Bei einigen ist auch gar nicht so ganz klar, was sie jetzt eigentlich wollen. Zumindest das Thema wird aber gesetzt – das ist schon mal ganz gut so.
Hier die wichtigsten Zitate (in der Reihenfolge, in der das u‑asta-info sie abgedruckt hat – leider haben sich nicht alle Listen an der KandidatInnen-Vorstellung dort beteiligt. Die Linke Liste z.B. darf ihre Position gerne im Kommentarfeld zu diesem Beitrag nachholen ;-)):
„Oft haben wir ganz eigene Anliegen, z.B. eine Umgestaltung des Platzes der Alten Synagoge, die auch die Interessen der Studierenden berücksichtigt […]“ (Anna Schmid, Bündnis 90/Die Grünen, Platz 15)
„[…] möchte ich mich, falls gewählt, für folgende Dinge einsetzen: […] Umgestaltung des Platzes der Alten Synagoge mit mehr Grünflächen […]“ (Johannes Waldschütz, Bündnis 90/Die Grünen, Platz 22)
„Ein anderer Punkt ist der Umbau des Rotteckrings und des Platzes der Alten Synagoge vor dem KG II. Hier sollten meiner Meinung nach die Bedürfnisse und die Lebenswelt der Studierenden besser berücksichtigt werden.“ (Daniel Sander [!], CDU, Platz 2)
„Die Stadt entscheidet […] wie der Platz der Alten Synagoge gestaltet wird. […] Es gibt also viele Gründe, warum Studierende sich für Kommunalpolitik interessieren und engagieren sollten.“ (Henrike Hepprich, GAF, Platz 6)
„Zur Kommunalpolitik kam ich über die Hochschulpolitik – und andersrum. Rotteckring und Platz der Alten Synagoge sollen seit vielen Jahren umgestaltet werden […] Steinwüste statt Wiese? […] Nicht mit mir!“ (Konstantin Görlich, GAF, Platz 15)
„Themen wie die […] Stadtentwicklung (Platz der alten Synagoge, Rempartstraße) […]“ (Kai-Achim Klare, SPD, Platz 5)
„Die Umgestaltung des Platzes der Alten Synagoge betrifft uns in hohem Maße. Mit dem derzeitigen Entwurf ist die Mehrheit unzufrieden. Vor allem muss die Grünfläche vor dem KG II erhalten bleiben. Sie ist ein wichtiger Ort, um Sonne zu tanken, zu lernen und Freundinnen und Freunde zu treffen.“ (Mariella Scharfenberg, SPD, Platz 26)
Warum blogge ich das? Aus der leisen Hoffnung heraus, dass Kommunalwahlen manche scheinbar schon feststehenden Tatsachen doch noch verändern können.
Kurzupdate: Leere Plätze
Auch das u‑asta-info der u‑bote (Ausgabe #779, pdf) des Freiburger u‑asta hat inzwischen das Thema „Platz der Alten Synagoge“ aufgenommen und widmet ihm die Titelgeschichte, zwei Kommentare und einen satirischen Ausblick. Einhelliger Tenor: so ein leerer Platz ist unerwünscht. Sehe ich auch so, und wenn jetzt noch der Gender-Kasten im Artikel selbst berücksichtigt worden wäre, wäre ich restlos glücklich.
Platznutzungen und Utopien (Update)
Derzeit findet (noch bis zum 22. Juni) in Freiburg der Aktionsmonat „Zusammen die Utopie leben …“ statt, an dem ein breites Spektrum von Gruppen beteiligt ist – von der autonomen Szene und der KTS über WagenburglerInnen bis hin zu Flüchtlingsinitiativen und Greenpeace Freiburg. Entsprechend gemischt fällt das Programm aus; einige Veranstaltungen finde ich eher abschreckend, andere erscheinen mir ganz spannend. Mal schauen, ob ich die Zeit finde, zu der einen oder anderen hinzugehen.
Zum Auftakt dieses Aktionsmonats findet heute ein „Utopischer Stadtspaziergang“ statt, der wiederum mit einem ausführlichen Frühstück auf dem Platz der Alten Synagoge angefangen hat. Ich bin da eher zufällig vorbeigekommen, habe aber trotzdem gerne die Möglichkeit wahrgenommen, noch einen Kaffee und ein Stück Kuchen als zweites Frühstück zu mir zu nehmen. Abgesehen davon, dass mir aufgefallen ist, dass es in der Szene in Freiburg relativ viele neue Gesichter gibt, hat mir diese „utopische“ Platznutzung noch einmal deutlich vor Augen geführt, dass der Platz der Alten Synagoge mit seiner Wiesenfläche letztlich auch eine kommunikative Funktion hat: genau hier ist einer der wenigen Orte in Freiburg, wo autonom-alternative Szene und „Normalos“ miteinander in Berührung kommen, weil der Platz in der Innenstadt gelegen ist, sich aber trotzdem für Veranstaltungen wie das heutige Frühstück eignet. Ich kann mir sehr schlecht vorstellen, wie das auf einer Steinplatte samt Gastronomie funktionieren soll.
Ich will der Stadtverwaltung jetzt gar nicht unterstellen, dass die Umbaupläne für den Platz der Alten Synagoge unbedingt mit der Intention erfolgen, diese und ähnliche unangemeldeten Platznutzungen zu unterbinden; aber ein Stück weit ist es doch auch eine Privatisierung eines vielfach nutzbaren öffentlichen Raumes.
Warum blogge ich das? Weil ich es schön fände, wenn die Stadt Freiburg zu dieser Raumqualität stehen würde. Als ganz realpolitische Utopie.
Update: (18.5.2008) Bei fudder findet sich ein sympathischer Bericht und eine etwas konfuse Bildergalerie zu Brunch und den folgenden Aktionen.