Über fliegende Teppiche und eine mögliche Zukunft als offene Bündnispartei

Many apples

Heu­te wird in Hes­sen gewählt. Ich ken­ne das Ergeb­nis noch nicht, gehe aber davon aus, dass die letz­ten Umfra­gen nicht völ­lig dane­ben lie­gen wer­den, und – ähn­lich wie in Bay­ern – Ver­lus­te bei der Uni­on und bei der SPD und grü­ne Gewin­ne zu erwar­ten sind. Ob es 20 Pro­zent wer­den, ob Grü­ne erst‑, zweit- oder dritt­stärks­te Par­tei in Hes­sen wer­den, und ob sich dar­aus Chan­cen für Tarek Al-Wazir ablei­ten las­sen, nicht nur stell­ver­tre­ten­der Minis­ter­prä­si­dent zu wer­den – all das wird in ein paar Stun­den klar sein.

Mir geht’s um etwas ande­res. Bay­ern und Hes­sen sind in gewis­ser Wei­se die ers­ten Test­fel­der einer neu­en grü­nen Auf­stel­lung für den Bund. Auch da sind wir wie­der mal Umfra­gen­sie­ge­rin in der Mit­te der Legis­la­tur­pe­ri­ode. Jeden­falls dann, wenn die Legis­la­tur­pe­ri­ode einen nor­ma­len Ver­lauf nimmt und die „Gro­ße“ Koali­ti­on im Bund wei­ter Bestand hat. Ange­sichts der der­zei­ti­gen Umfra­gen, ange­sichts der Unklar­heit über poten­zi­el­le Merkel-Nachfolger*innen in der CDU wie in der SPD hal­te ich es für sehr wahr­schein­lich, dass „Schre­cken ohne Ende“ für die alten Volks­par­tei­en die weni­ger ris­kant erschei­nen­de Stra­te­gie ist und die Koali­ti­on hält. Aber auch das wer­den wir in den nächs­ten Tagen wissen.

Peter Unfried schreibt heu­te in der taz von Grü­nen als Par­tei ver­nünf­ti­ger Leu­te. In der ZEIT wird über groß ange­leg­te Stra­te­gien spe­ku­liert, um die Mit­te der Gesell­schaft zu gewin­nen. Klar ist jeden­falls: Grün zu wäh­len ist heu­te kei­ne rand­stän­di­ge Ent­schei­dung mehr. Ein Fünf­tel, ein Vier­tel, ein Drit­tel – poten­zi­ell die Hälf­te aller Wähler*innen! – kann sich vor­stel­len, eine Stim­me für Bünd­nis 90/Die Grü­nen abzugeben. 

Das ist ein Erfolg einer unauf­ge­reg­ten Klar­heit. Auf der einen Sei­te ste­hen die gro­ßen Her­aus­for­de­run­gen. Nicht nur der Kli­ma­wan­del und die anhal­ten­de öko­lo­gi­sche Kri­se, son­dern auch die sozia­le Pola­ri­sie­rung in Deutsch­land. Das welt­weit unter Druck gera­te­ne Modell der libe­ra­len Demo­kra­tie. Eine Welt­po­li­tik, die ihre Mit­te ver­lo­ren hat. (Ach ja: der digi­ta­le Wan­del ist auch noch da und war­tet nicht.)

Ange­sichts die­ser Her­aus­for­de­run­gen, ange­sichts der Dring­lich­keit wür­de es nahe lie­gen, nun in Alar­mis­mus zu ver­fal­len. Das Ende ist nahe. Manch­mal macht die­se Welt ja wirk­lich die­sen Ein­druck. Aber für Unter­gangs­pro­phe­zei­un­gen wird nie­mand gewählt. Ich neh­me heu­te eine grü­ne Linie war, die in etwa heißt: ja, es gibt da gigan­ti­sche Her­aus­for­de­run­gen, und ja, es ist wich­tig, hier und jetzt zu han­deln (statt sich im Zwei­kampf zu ver­bei­ßen). Und ja: wir haben ein paar Ideen, wie die­se Pro­ble­me gelöst wer­den könn­ten, aber bei wei­tem noch nicht alle Ant­wor­ten. Wir wis­sen, in wel­che Rich­tung es gehen soll. Wir haben Über­zeu­gun­gen, für die wir bereit sind, aktiv zu wer­den, aber wir sind eben­so bereit, zuzu­hö­ren. Und die­se grü­ne Linie stößt durch­aus auf Inter­es­se bei Wäh­le­rin­nen und Wählern.

Wenn dann noch Per­so­nen dazu kom­men, die eine sol­che Hal­tung glaub­haft ver­mit­teln, weil sie dafür ste­hen: für fröh­li­che Gesprächs­be­reit­schaft und Klar­heit in der Posi­ti­on, für Unauf­ge­regt­heit ange­sichts von rich­tig gro­ßen Her­aus­for­de­run­gen und für Kom­pe­tenz und Lösungs­be­reit­schaft – dann fängt der grü­ne Tep­pich an zu flie­gen. Und das sehen wir gerade.

Bis­her klappt das ganz gut. Als Par­tei kön­nen wir ein biss­chen was dazu tun, dass die­ser Tep­pich in der Luft bleibt. Unse­re Bun­des­de­le­gier­ten­kon­fe­renz am 9.–11. Novem­ber, bei der Euro­pa­lis­te und Euro­pa­wahl­pro­gramm beschlos­sen wer­den, ist in gewis­ser Wei­se der Lack­mus-Test dafür, ob die eben skiz­zier­te Hal­tung in die­ser Par­tei breit ange­kom­men ist. Es gibt aber auch Tur­bu­len­zen, die von außen kom­men – wenn BILD sich sen­sa­ti­ons­lüs­ter­ne Kam­pa­gnen star­tet, bei­spiels­wei­se. Da kommt es dann dar­auf an, zusam­men­zu­ste­hen und sich nicht intern zu zerlegen.

Mit­tel­fris­tig stellt sich bei Wahl­er­geb­nis­sen, die eher in Rich­tung 20, 30 Pro­zent gehen, schnell die Volks­par­tei­f­ra­ge. Selbst mit inzwi­schen 70.000 Mit­glie­dern sind wir weit von der gesell­schaft­li­chen Ver­wur­ze­lung ent­fernt, die die klas­si­schen Volks­par­tei­en, die ja immer noch meh­re­re hun­der­tau­send Mit­glie­der haben, aus­zeich­net. Ich hal­te es für unrea­lis­tisch, in den nächs­ten Jah­ren in die­se Grö­ßen­ord­nun­gen vor­zu­sto­ßen. Was wir statt des­sen anbie­ten kön­nen, als in der Mit­glied­schaft klei­ne­re Par­tei, ist etwas, was viel­leicht zeit­ge­mä­ßer ist als das Modell der Volks­par­tei. Wir kön­nen Bünd­nis­part­ner sein. 

Das Grund­satz­pro­gramm von 1980 und der grü­ne Grund­kon­sens von 1993 beto­nen die sozia­len Bewe­gun­gen als Wur­zel der grü­nen Par­tei­wer­dung. Bewe­gungs­par­tei im Sin­ne eines „par­la­men­ta­ri­schen Arms“ sind wir sicher nicht mehr. Aber wir kön­nen heu­te der Kris­tal­li­sa­ti­ons­keim sein, der brei­te Bünd­nis­se aus der (umfas­send zu ver­ste­hen­den) Zivil­ge­sell­schaft zusam­men­bringt. Bünd­nis­se, die sich von links bis in die libe­ra­le Mit­te erstre­cken. Die für eine ver­nünf­ti­ge Poli­tik ste­hen – egal, ob es um einen huma­nen Umgang mit Flücht­lin­gen, um die Wer­te des Grund­ge­set­zes oder um die gemein­sam not­wen­di­ge Anstren­gung geht, den CO2-Aus­stoß nicht nur in Deutsch­land mas­siv zu redu­zie­ren. Das sind die Fra­gen unse­rer Zeit, die vie­le Men­schen umtreibt (übri­gens auch Unter­neh­me­rin­nen und Unter­neh­mer). Ich glau­be, dass es unse­re Rol­le und Auf­ga­be sein könn­te, die­sen heu­te zen­tra­len The­men eine poli­ti­sche Stim­me zu geben. Das krie­gen wir hin – gemeinsam.

War­um blog­ge ich das? Als klei­ne Reak­ti­on auf die Wah­len in Bay­ern und Hes­sen und auf die Debat­te ange­sichts der bun­des­wei­ten Umfragewerte.

Phase 4: Grüne als Plattform neu erfinden

Die Ener­gie, die Anna­le­na Baer­bock und Robert Habeck mit ihren Bewer­bun­gen für den grü­nen Bun­des­vor­stand aus­ge­strahlt haben, ist nicht ver­blasst. Nein: es ist spür­bar, dass sich in der grü­nen Bun­des­ge­schäfts­stel­le jetzt etwas bewegt. Nicht nur, weil die­se neu auf­ge­stellt wird und Dop­pel­spit­ze jetzt nicht mehr als Par­al­lel­struk­tur, son­dern als Team gedacht wird. Nein, auch der begin­nen­de Grund­satz­pro­gramm­pro­zess – ein schreck­li­ches Wort – strahlt die­se Ener­gie aus.

Letzt­lich geht es um nichts weni­ger als die ja auch von mir immer mal wie­der ein­ge­for­der­te Neu­erfin­dung der Par­tei. Im Impuls­pa­pier des Bun­des­vor­stands für das heu­te und mor­gen in Ber­lin statt­fin­den­de „Start­kon­vent“ für die Erar­bei­tung des neu­en Grund­satz­pro­gramms fin­den sich vie­le Umschrei­bun­gen der Her­aus­for­de­run­gen und Anfor­de­run­gen, die mit die­ser Neu­erfin­dung, für die „vier­te Pha­se der Grü­nen“, ver­bun­den sind.

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Die emanzipierte Partei

Es gibt ja zwei Geschich­ten, die über die­sen Par­tei­tag erzählt wer­den können. 

Die eine han­delt davon, wie der lin­ke Flü­gel mar­gi­na­li­siert wur­de, sich mar­gi­na­li­sie­ren las­sen hat, so dass unter Auf­kün­di­gung aller Ver­ein­ba­run­gen und Tra­di­tio­nen doch tat­säch­lich nicht ver­hin­dert wur­de, eine Rea­lo-Frau und einen Rea­lo-Mann an die Spit­ze zu wählen. 

Die ande­re Geschich­te erzählt von zwei Kandidat*innen für den Bun­des­vor­stand, die Neu­es vor­ha­ben, eine Par­tei in Bewe­gung ver­set­zen kön­nen, und die, Flü­gel hin oder her, damit die Neu­gier­de und die Empa­thie all der­je­ni­gen Dele­gier­ten geweckt haben, denen das alte Immer­glei­che nicht mehr genug war. Kata­ly­siert durch freund­li­che media­le Beglei­tung kam es zum Aufbruch.

Bei­de Geschich­ten las­sen sich gut erzäh­len, und bei­de Geschich­ten sind ein Stück weit gelogen. 

Trotz­dem ten­die­re ich dazu, die­se außer­or­dent­li­che BDK als Auf­bruch zu ver­ste­hen, als Geschich­te von Dele­gier­ten, die sich von dem star­ren, längst nicht mehr pas­sen­den Flü­gel­dua­lis­mus-Kor­sett befreit haben, und die danach gewählt haben, wer die­se Par­tei als Per­son vor­an­brin­gen kann, und nicht, wel­che Posi­ti­on reprä­sen­tiert wer­den muss.

Wenn Anna­le­na und Robert – und Micha, Bene­dikt, Gesi­ne und Jami­la, denn die­ser sechs­köp­fi­ge Bun­des­vor­stand ist eben mehr als nur zwei – wenn sie es also schaf­fen, auch nur einen Teil des­sen umzu­set­zen, was in ihren Reden ange­legt war, dann ist mir um die grü­ne Zukunft nicht bang.

Macht kommt von machen, phi­lo­so­phiert Robert; in der Zeit der Digi­ta­li­sie­rung und glo­ba­ler Mäch­te heißt das auch: Zusam­men­halt und links neu den­ken; und Anna­le­na chan­nelt die Ener­gie einer Clau­dia Roth, wenn sie über Kli­ma und Flucht und Aus­gren­zung und Men­schen, Men­schen, Men­schen redet. Bei­des sind neue Töne und neue Pro­jek­te, und wenn sie aus dem Mund von Reformer*innen kom­men, sei’s drum.

Doch, da haben zwei einen Plan. Das ist schon mal wert­voll. Und der passt ins Jahr 2018. Was Anna­le­na und Robert mit der Par­tei vor­ha­ben, wird uns for­dern, wenn ich das rich­tig ver­ste­he. Da kommt Neu­es auf uns zu, und das heißt auch: Gewiss­hei­ten wer­den mög­li­cher­wei­se schräg ange­schaut. Offen­heit und Mut und eine gro­ße Gesprächs­be­reit­schaft – all das sind Din­ge, die mal weh­tu­en mögen, die wir aber drin­gend brau­chen. Denn alles ist bes­ser als sich dar­auf aus­zu­ru­hen, zu wis­sen, was rich­tig ist.

In den letz­ten Jah­ren haben Bünd­nis 90/Die Grü­nen sich ver­än­dert. Wir haben etwas gelernt. Ich möch­te das als Eman­zi­pa­ti­ons­pro­zess beschrei­ben, als Häu­tung. Streit wird es wei­ter geben, und Cha­os kön­nen wir noch immer ganz gut. Aber mit der stür­mi­schen Ent­schei­dung für Robert und für Anna­le­na hat die­se Par­tei eine Weg­mar­ke gesetzt. Da geht’s lang, Rich­tung Zukunft – und ja, hier stimmt das Par­tei­tags­mot­to: Das ist erst der Anfang, das grü­ne Pro­jekt ist noch lan­ge nicht am Ende!

War­um blog­ge ich das? Weil ich glau­be, dass die­se klu­ge Wahl eine drin­gend not­wen­di­ge Zumu­tung war.

Grüne Heimat: die Suche nach dem richtigen Maß an Distanz

Mal wie­der, aber dies­mal mit einer gewis­sen Dring­lich­keit, dis­ku­tie­ren Grü­ne über „Hei­mat“.

Mal wie­der, weil bei­spiels­wei­se die Kul­tur­kon­fe­renz der grü­nen Bun­des­tags­frak­ti­on 2009 unter dem Mot­to „Hei­mat. Wir suchen noch.“ stand. Weil die bay­ri­schen Grü­nen sich – schon 2011inten­siv mit Hei­mat befasst haben (dan­ke, Ulrich!). Weil die Land­tags­frak­ti­on der baden-würt­tem­ber­gi­schen Grü­nen als Cla­im der 15. Legis­la­tur­pe­ri­ode – 2011 bis 2016 – den Spruch „Im Grü­nen daheim“ ver­wen­de­ten. Oder weil in Schles­wig-Hol­stein Robert Habeck bereits 2012 als einer cha­rak­te­ri­siert wird, der „pro­blem­los von ‚Hei­mat‘ spricht“. Und in Öster­reich hat Alex­an­der van der Bel­len offen­siv auf den Begriff „Hei­mat“ gesetzt und damit eine Wahl gewon­nen. Auch eines der Pla­ka­te der nie­der­säch­si­schen Grü­nen für die dies­jäh­ri­ge Land­tags­wahl trägt – etwas anders akzen­tu­iert – den Slo­gan „Eine offe­ne Gesell­schaft ist die bes­te Heimat“.

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Der Unterschied zwischen NRW und Schleswig-Holstein

Die bei­den Land­tags­wah­len in Schles­wig-Hol­stein und NRW sind aus grü­ner Sicht eine Art Real­ex­pe­ri­ment: Die Aus­gangs­la­ge ist in bei­den Fäl­len ähn­lich. Es gibt eine rot-grü­ne Koali­ti­on (ich igno­rie­re den SSW jetzt ein­mal kurz). In bei­den Land­ta­gen sit­zen die Pira­ten, aber nicht die LINKE. Wenn SPD und SSW in Schles­wig-Hol­stein addiert wer­den, sind sogar die Zah­len­wer­te (SH, NRW) für die ein­zel­nen Par­tei­en – und die Mehr­heit der jewei­li­gen Koali­ti­on – recht ähn­lich. Das Wahl­sys­tem (Lis­te, zwei Stim­men) ist ähn­lich. Der Amts­in­ha­ber (bzw. die Amts­in­ha­be­rin) von der SPD ist halb­wegs popu­lär, der Her­aus­for­de­rer von der CDU eher blass. In bei­den Fäl­len gewinnt die CDU hin­zu, die FDP gewinnt mas­siv, die Pira­ten flie­gen aus dem Land­tag. Die AfD kommt mit einem eher nied­ri­gen Ergeb­nis in den Land­tag. In bei­den Fäl­len ver­liert die SPD (bzw. SPD+SSW in Schles­wig-Hol­stein) mas­siv, so dass es zum Wech­sel der Regie­rung kommt. Bun­des­trend, ich hör dich trappsen.

Ein­zi­ger gro­ßer Unter­schied: Das grü­ne Ergeb­nis. Auch hier ist die Aus­gangs­la­ge ver­gleich­bar. In Schles­wig-Hol­stein 13,2 Pro­zent, in NRW etwas schlech­ter mit 11,4 Pro­zent. Der gro­ße Unter­schied? In Schles­wig-Hol­stein wird das Ergeb­nis fast gehal­ten, Grü­ne kom­men am Schluss auf 12,9 Pro­zent und erhal­ten die sel­be Zahl von Man­da­ten wie zuvor. In Nord­rhein-West­fa­len hal­biert sich das Ergeb­nis fast, am Schluss ste­hen 6,4 Pro­zent aus dem Ergeb­nis­zet­tel, und mehr als die Hälf­te der Man­da­te gehen verloren.

Die gro­ße Fra­ge in die­ser Ver­suchs­an­ord­nung ist nun die nach den Varia­blen, die den Unter­schied machen. Dazu las­sen sich meh­re­re The­sen fin­den – etwa die Per­so­nen Robert Habeck (als inof­fi­zi­el­ler Spit­zen­kan­di­dat neben Moni­ka Hein­old) und Syl­via Löhr­mann. Geschlos­sen­heit vs. Flü­gel­streit. Die zen­tra­len Res­sorts der jewei­li­gen Regie­rung. Details des Auf­tre­tens im Wahl­kampf (in bei­den Fäl­len sehr pla­ka­tiv, inhalt­lich wenig aus­sa­ge­kräf­ti­ge Plakate). 

Mei­ne Idee ist eine ande­re. Ein Blick auf die Wahl­kreis­kar­te SH im Ver­gleich zu NRW zeigt einen Unter­schied. In Schles­wig-Hol­stein reicht die Spann­wei­te bei den Zweit­stim­men von 8,4 bis 15,4 21,1 Pro­zent. In Nord­rhein-West­fa­len geht es von 3,1 bis 16,6 Pro­zent. In bei­den Län­dern gibt es städ­ti­sche Hoch­bur­gen – aber in Schles­wig-Hol­stein steht das „fla­che Land“ im Ver­gleich zu NRW deut­lich weni­ger schlecht da. In NRW dage­gen kom­men Grü­ne selbst im direk­ten länd­li­chen Umfeld der Hoch­bur­gen nur knapp auf 5 Pro­zent oder lie­gen sogar darunter.

Soll hei­ßen: ich ver­mu­te, aus­schlag­ge­bend für die Dif­fe­renz im Ergeb­nis war ins­be­son­de­re auch die Ver­an­ke­rung der Par­tei (und der Regie­rungs­po­li­tik) im gan­zen Land. Dass bei­spiels­wei­se Robert Habeck sich mit Bau­ern und Fische­rin­nen und der Land­be­völ­ke­rung strei­tet – und die danach viel­leicht doch grün wählt – kann ich mir sehr gut vor­stel­len. Und hier geht’s eben nicht um den Wahl­kampf, son­dern dar­um, was davor pas­siert ist. Also um die Regie­rungs­po­li­tik. Ohne jetzt den Parteifreund*innen in NRW zu nahe tre­ten zu wol­len: ich ver­mu­te, dass der Unter­schied zwi­schen bei­den Län­dern auch dar­in liegt, ob Grü­ne sich als Ansprech­part­ner und Ver­tre­te­rin aller Men­schen im Land gese­hen haben, oder ob sie sich auf ein ganz bestimm­tes Milieu und deren (ver­meint­li­che) Inter­es­sen kon­zen­triert haben. Ob regiert wird, oder ob Regie­ren auch was mit Zuhö­ren, Aus­ein­an­der­set­zen und Erklä­ren – und danach viel­leicht einem Ändern der Posi­ti­on – zu tun hat. (In Klam­mern: hier steckt auch eine Bot­schaft für die zwei­te Regie­rungs­pe­ri­ode in Baden-Württemberg …)

Das häss­li­che an die­ser The­se: wenn das so stimmt, dann kann ein Wahl­kampf viel kaputt machen, aber zumin­dest für eine Par­tei aus der Regie­rung her­aus, nicht mehr hei­ße Kas­ta­ni­en aus dem Feu­er holen, wenn die­ses schon längst erkal­tet ist. Auf die Regie­rungs­zeit kommt es an, der Wahl­kampf bringt nur was, wenn er hier auf ech­te Erfol­ge auf­bau­en kann. (Also auf Erfol­ge, die nicht nur Erfol­ge im Sin­ne eines Abha­ken des Koali­ti­ons­ver­trags sind, son­dern vor allem auch als sol­che wahr­ge­nom­men wer­den. Was am bes­ten dann gelingt, wenn die Men­schen im Land eine posi­ti­ve Ver­än­de­rung bemerken).

Nun ist die Bun­des­tags­wahl eine ande­re Wahl, der Wahl­kampf fin­det für Grü­ne aus der Oppo­si­ti­on (plus dem Mit­re­gie­ren in einer gewis­sen Zahl von Län­dern …) statt. Und es ist ein biss­chen spät, jetzt die Poli­tik der ver­gan­ge­nen vier Jah­re im Bun­des­tag ändern zu wol­len. Soll hei­ßen: ich bin hier pes­si­mis­tisch. Ein gutes Pro­gramm, eine gute Kam­pa­gne ohne gro­be Feh­ler, ein gutes Auf­tre­ten der Spitzenkandidat*innen, einen extrem enga­gier­ten Wahl­kampf: all das wer­den wir brau­chen, um im Sep­tem­ber ein halb­wegs pas­sa­bles Ergeb­nis zu errei­chen. Für mehr feh­len – sage ich mit Blick auf NRW und Schles­wig-Hol­stein im Ver­gleich – mög­li­cher­wei­se die Grund­la­gen, die jetzt nicht mehr gelegt wer­den können.

War­um blog­ge ich das? Weil ich befürch­te, dass wir jetzt inner­par­tei­li­che Schuld­zu­wei­sun­gen und das Gegen­teil von Geschlos­sen­heit erle­ben wer­den. Und weil grü­ne Poli­tik, die sich als Poli­tik für das gan­ze Land ver­steht, so oder so eine gute Sache ist.