Kurz: Vox populi im IC

Im Zug von Stutt­gart nach Frei­burg nolens volens zwei bil­dungs­bür­ger­li­chen Paa­ren im Ren­ten­al­ter zuge­hört. Zu allem eine gut gebil­de­te Mei­nung, Einig­keit zählt mehr als Fak­ten. Waren im Muse­um, Her­bert hat das ja gut orga­ni­siert mit der Bahn­fahrt. „Grün-Rot redet mit Beam­ten“, so die Schlag­zei­le. Der Chor: uner­hört, die Beam­ten zu benach­tei­li­gen, Bay­ern über­trägt die Tarif­er­hö­hung ja auch zeit­gleich. Der Schmid kann’s halt nicht. Schwenk zur Stadt­po­li­tik, Rie­sel­fel­der Natur­schutz­ge­biet soll nicht bebaut wer­den. Der Chor: Uner­hört, wenigs­tens prü­fen müs­se man, sind ja Fach­leu­te, die Stadt­pla­nungs­rent­ner, ein­fach auf­he­ben, grü­ne Wie­sen gibt es ja auch anders­wo. Die Stadt­bau baut häss­li­che Rei­hen­häu­ser, kriegt sie nicht ver­kauft, 700.000, kein Wun­der, kann halt nicht rech­nen, die Stadt­bau. Der Zug hält fahr­plan­mä­ßig in Lahr, der Chor: Da hält der sonst nie, sicher ein Son­der­stopp der Deut­schen Bun­des­bahn für einen Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­ten, genau. Und iih, die Läu­se kom­men wie­der, fast wie 1946 ist es jetzt in den Schulen.

Die bei­den grau­en Paa­re amü­sie­ren sich präch­tig mit ihrer ver­trau­ten und beschwing­ten Bes­ser­wis­se­rei. Zur Not wird die Wiki­pe­dia zitiert. Wich­tig ist nur, Recht zu behal­ten. Weil: alle ande­ren haben ja kei­ne Ahnung, und böser Wil­le steckt eh dahinter …

Gefreut haben die vier sich dann, dass sie trotz Ver­spä­tung noch die Anstalt angu­cken kön­nen. Finan­ziert aus „Zwangs­ge­büh­ren“. Auch wenn die frü­her bes­ser war. (Und ich fra­ge mich, was die wohl wählen …)

Taschengeldgeschichten

Zur Kind­heit im voll­ende­ten Kapi­ta­lis­mus gehört die Inves­ti­ti­on von Taschen­geld in – aus Eltern­sicht eher schreck­li­chen – Plas­tik­kruscht, ger­ne in Form von Sam­mel­fi­gu­ren. R. hat ges­tern abend aus­ge­rech­net, dass er sich zwei Figu­ren kau­fen kann, und mir heu­te mor­gen extra noch mit­ge­teilt, dass wir doch bit­te nach dem Kin­der­gar­ten zum Dis­coun­ter gehen sol­len, um die­sen Plan in die Tat umzu­set­zen. Gesagt, getan – ich hole R. vom Kin­der­gar­ten ab, gemein­sam fin­den wir den Dis­coun­ter (in dem ich sonst nie ein­kau­fe), und auch der Akti­ons­be­reich kurz vor der Kas­se ist schnell loka­li­siert. Ein hilfs­be­rei­tes Kind infor­miert uns – die Figu­ren sind nicht aus­ge­zeich­net – über Prei­se und Erwerbs­stra­te­gien, R. kauft sei­ne bei­den roten Figu­ren, packt sie schon auf dem Weg zum Fahr­rad­an­hän­ger aus und ist zunächst glücklich.

Es wird jetzt aber auch höchs­te Zeit, Z. vom Hort abzu­ho­len. Also die Rie­sel­feld­al­lee ent­lang­ge­saust – bis das mun­te­re Spiel-Gebrab­bel aus dem Anhän­ger jäh unter­bro­chen wird. „Papa, eine Figur ist weg!“

Ich hal­te am Stra­ßen­rand an, wir schau­en im Anhän­ger nach, unter der Kuschel­de­cke, in R.s Jacken­ta­schen. Da ist die Figur nicht. Und wirk­lich – der Anhän­ger hat an eini­gen Stel­len Öff­nun­gen, aus denen die Figur gekul­lert sein könn­te. R. bleibt beim Rad (könn­te ja gestoh­len wer­den, meint er), ich gehe noch­mal ein gan­zes Stück zurück, ange­strengt Aus­schau hal­tend nach einer klei­nen roten Plas­tik­fi­gur. Fin­de aber kei­ne. Den kom­men­den Wut­aus­bruch schon vor dem inne­ren Auge, tei­le ich dies R. mit. Er ist trau­rig, nur die Ansa­ge, dass ich den finan­zi­el­len Ver­lust zu tei­len bereit bin, hei­tert ihn auf. Aber es hilft alles nichts, wir müs­sen weiter.

Kaum will ich los, sehe ich eine Sam­mel­fi­gur im Stra­ßen­dreck lie­gen. Grün, nicht rot, aber aus der glei­chen Serie. Müs­sen gera­de alle haben. R. ist glück­lich über die grü­ne Figur. Ich den­ke, dass es doch eine Kar­ma­ver­rech­nung gibt – da wird sich dann wohl ein ande­res Kind über R.s ver­lo­re­ne Figur freu­en. Aus­glei­chen­de Gerech­tig­keit, aber jetzt auf zum Hort.

Z. war­tet schon, gemein­sam trö­deln wir uns nach Hau­se. Am spä­ten Nach­mit­tag ist das ein lan­ger Weg. End­lich in der Tief­ga­ra­ge ange­kom­men, das Rad ver­staut, die Trep­pen zur Woh­nung hoch, bleibt R. plötz­lich ste­hen. Ver­dutzt prä­sen­tiert er uns – die rote, die ver­lo­ren geglaub­te Figur. Die wohl in den Ärmel gerutscht war. „Hat­te ich die gan­ze Zeit in der Hand, ohne es zu mer­ken“, meint R. dazu. 

Mor­gen will er dann wei­te­re Figu­ren kau­fen. Ich hof­fe, er hält sie gut fest.

Photo of the week: Night market

Night market

 
Ich woh­ne nach wie vor ger­ne im Rie­sel­feld. Städ­te­bau­lich ist die­ser Frei­bur­ger Stadt­teil gelun­gen. Dazu gehört auch der Maria-von-Rud­l­off-Platz als einer der zen­tra­len Plät­ze. Hier steht die Kir­che (inter­es­siert mich nicht so), hier ist das Stadt­teil­zen­trum Glas­haus, hier fährt die Stra­ßen­bahn ab, und rings­rum gibt es Geschäf­te des täg­li­chen Bedarfs. Zwei­mal in der Woche wird der Maria-von-Rud­l­off-Platz zum Markt­platz – Mitt­woch nach­mit­tags und Sams­tag vor­mit­tags gibt es einen inzwi­schen durch­aus umfang­rei­chen Markt mit regio­na­lem Obst und Gemü­se (auch in Bio), Brot, Käse, Honig, dem Holy Taco Shack und einem klei­nen Kaf­fee­mo­bil. Mag ich ger­ne. Jetzt kann’s Mitt­wochs auch schon mal dun­kel wer­den. Vom Turn­hal­len­dach der Grund­schu­le aus sieht der Markt dann fast schon weih­nacht­lich, auf jeden Fall hei­me­lig aus. Schön, hier zu wohnen.

Kurz: Zufällige Bewegung, oder: Ich als Elementarteilchen

TristesseDie kür­zes­te – also, schnells­te – Stra­ßen­bahn­ver­bin­dung zwi­schen dem Rie­sel­feld und dem Frei­bur­ger Haupt­bahn­hof sieht vor, an der Hal­te­stel­le Am Lin­den­wäld­le umzu­stei­gen. Da war­ten dann die Bah­nen auch halb­wegs auf­ein­an­der. Das sel­be gilt natür­lich für den Rück­weg vom Bahn­hof ins Rie­sel­feld. Abends aller­dings bin ich etwas erra­tisch in mei­ner Stra­ßen­bahn­nut­zung. Nicht, weil die Ver­bin­dung nicht auch da gut auf­ein­an­der abge­stimmt wäre – meist sind es ein bis zwei Minu­ten, bis die Anschluss­bahn kommt – son­dern weil ich dann manch­mal den­ke, dass es doch eigent­lich gut wäre, mich zu bewe­gen. Also, nicht in strö­men­dem Regen oder bei eisi­ger Käl­te. So unge­fähr jedes zwei­te Mal ent­schei­de ich mich gegen die Bahn und für den Fuß­weg ins Rie­sel­feld. Wegen der Bewe­gung. Was ich schon schrieb. Und weil die Bank auf dem Weg liegt, ich also noch Geld holen kann. Und weil es mir uner­träg­lich erscheint, zwei Minu­ten auf die nächs­te Bahn zu war­ten. Oder weil ich nach zwei Stun­den im Zug und zehn Minu­ten in der Stra­ßen­bahn ein­fach genug vom Gedrän­ge und der beson­de­ren Indoor-Atmo­sphä­re des öffent­li­chen Ver­kehrs habe. Meist über­holt die Stra­ßen­bahn mich dann – mal direkt vor der Ampel, die ins Rie­sel­feld führt, mal erst irgend­wann im Stadt­teil. Inter­es­san­ter­wei­se geht mir das nur abends so. Mor­gens könn­te ich theo­re­tisch ja auch bis zur Hal­te­stel­le Am Lin­den­wäld­le lau­fen. Die Argu­men­te wären die­sel­ben. Aber da geht es dar­um, die Bahn nicht zu ver­pas­sen. Des­we­gen war­te ich mor­gens gedul­dig und schlaf­trun­ken. Und gehe lie­ber abends ein paar Schrit­te zu Fuß. An man­chen Tagen jedenfalls. 

P.S.: Einen Schritt­zäh­ler habe ich nicht. Hiel­te ich auch eher für Quatsch. Und nach­dem mein Fair­pho­ne kei­ne im Hin­ter­grund lau­fen­den Bewe­gungs­mess­ap­ps mag, schei­det das auch aus. Inso­fern – stellt euch das vor – weiß ich gar nicht, wie vie­le Schrit­te ich am Tag gehe. Und kann das auch nicht zur ratio­na­len Ent­schei­dun­gen Stra­ßen­bahn ja/nein heranziehen!