Die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer ist nicht nur altehrwürdig, sondern schuld daran, dass ich meiner Arbeit nicht so nachgehen kann, wie ich das eigentlich gerne würde. Und außerdem streikt sie ziemlich gerne, wenn der verlinkte Wikipedia-Eintrag stimmt. Dabei geht es allerdings, sofern ich diverse Presseberichte richtig verstehe, bei diesem Streik nicht nur um mehr Geld (ob das angemessen ist oder nicht, kann ich nicht beurteilen), sondern auch um die Frage, welche Gewerkschaft für welchen Teil des Bahnpersonals zuständig ist.
Warum willst du nicht hier bleiben? – Darum!
Eigentlich ist das mit den Geschlechterverhältnissen hier in Deutschland doch schon ganz ordentlich, oder? Also so im Vergleich zu anderen Ländern. Tja, denkste – der Blick von außen ist dann doch erhellend. Deswegen folgt hier ein (anonymisierter) Rant einer Bekannten von mir, die seit vielen Jahren in den USA lebt, dort eine erfolgreiche Professorin ist, und jetzt für ein Jahr wieder nach Deutschland zurückgekehrt ist. Ihre Erfahrungen damit, wie tief eingegraben überkommene Geschlechterrollen hierzulande sind – selbst oder gerade in einem akademischen Kontext:
Before I moved back to Germany I did not consider myself a feminist, just a woman, who expects to be treated equally. That’s all. After a year back in Germany I feel like a radical feminist activist.
The main reason I could not see myself living in Germany again permanently is because of gender roles. Overall I see men here a lot more equally involved in household chores, the care of the children, it is not uncommon for men to take paternity leave; yet even many of those men still boss their female partners around telling them how to do what when or ordering for them in the restaurant. I conducted interviews here with Germans about their identity, in an attempt to understand, how people in Germany define Germanness and themselves as Germans. One man (married to an accomplished female doctor) responded to the question “wer sind Sie und wie würden Sie sich beschreiben” with the following “Ich bin Chef. Ich bin der Chef bei der Arbeit. Chef meines Hauses und Chef meiner Familie.” And that is the attitude I saw in many places.
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Das allmähliche Ende der alten Bundesrepublik: kein Nachruf
Heute erreichte uns die Nachricht, dass der Kabarettist Dieter Hildebrandt gestorben ist. Ich will mich an dieser Stelle nicht an einem Nachruf versuchen, denn das können andere weitaus besser, sondern dieses traurige Ereignis zum Anlass nehmen, ein paar Gedanken zum allmählichen Verbleichen der (links-alternativen) Selbstverständlichkeiten der alten Bundesrepublik – also der BRD, West Germany – niederzuschreiben. Als Kind der 1970er Jahre gehöre ich zu der Generation, für die politisches Kabarett synonym mit der Münchener Lach- und Schießgesellschaft, mit Hildebrandt und mit dem Scheibenwischer ist. Hildebrandts Tod ist das Verschwinden einer weiteren Institution der Bonner Republik.
Vielleicht ist es die nostalgische Verklärung, aber nicht nur das Kinderprogramm (ich sag nur Rappelkiste) und die Wissenschaftssendungen (egal, ob Hobbythek oder Knoff-hoff-Show) waren selbstverständlich unglaublich viel besser als alles, was heute so läuft, sondern selbstverständlich auch das Fernsehkabarett. Es war bei klaren Frontlinien bissig, hatte immer recht, traf den Punkt und schreckte vor billigem Klamauk zurück. Statt dessen gab’s auch mal fein ziselierte, nachdenklichere Töne. Die Primärsozialisation zahlt sich aus: So, und nicht anders, muss politisches Kabarett sein.
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Beschwert euch nicht, wählt!
Ich finde Steinbrück nicht sonderlich sympathisch. Aber darum geht es nicht. Die Umfragewerte sehen nicht so toll aus. Aber auch darum geht es nicht. Unser Parteien- und Koalitionssystem führt dazu, dass die Wahl am 22.9. realistischerweise drei Ergebnisse haben kann:
1. Merkel und ihre schwarz-gelbe Koalition werden bestätigt und nehmen das als Signal dafür, den bisherigen Kurs verschärft fortzusetzen. Klar, der Blick in die Zukunft bleibt ein bisschen nebulös, weil Merkels Kurs nicht so klar ist. Die letzten vier Jahre zeigen jedenfalls, dass dazu Bonuspolitik für Lobbygruppen und Besserverdienende gehört, dass es gesellschaftspolitisch immer wieder Rückschläge gibt und die wenigen Verbesserungen oft vor dem Bundesverfassungsgericht erstritten werden mussten, und dass Umwelt oder Klima für Merkel keine Themen sind, und entsprechend Murks betrieben wird.
Welche Wirklichkeit hätten’s denn gerne?
Einen Sozialkonstruktivisten sollte das eigentlich nicht überraschen. Wir leben nicht nur in Filterblasen, sondern tatsächlich in so etwas wie auseinanderdriftenden Welten. Die Synchronisationsfunktion der Massenmedien stottert, und wenn es dann doch einmal gemeinsame mediale Großereignisse gibt – wie etwa das „TV-Duell“ zwischen Merkel und Steinbrück, das wohl mehr als 17 Mio. Menschen gesehen haben -, dann wird die Unterschiedlichkeit der Lebenswelten, Werte, vorherrschenden Deutungen und Wissensbestände umso sichtbarer.
Dass zwei Meinungsumfragen direkt nach dem Duell diametrale Ergebnisse hervorbringen, mag etwas mit methodischen Artefakten zu tun haben – also vielleicht damit, was genau gefragt wurde [Nachtrag, 5.9.: so ist es] – aber möglicherweise ist auch das nicht viel mehr als ein Ausdruck davon, wie unterschiedlich die verschiedenen Wahrnehmungen – und damit die verschiedenen Wirklichkeiten – sind.
Da hilft dann auch das Kretschmannwort von den harten Fakten nichts – selbst die lassen sich völlig unterschiedlich interpretieren. Das wurde nicht nur bei dem Doppelinterview von Steinbrück und Merkel deutlich, sondern auch in der heutigen Runde zwischen Gysi, Brüderle und Trittin. Wir leben gleichzeitig in einem Land, in dem es allen wunderbar geht, und das super dasteht, und in einem Land, in dem es massive Armut und eine auseinandergehende Wohlstandsschere gibt. Wir leben in einem Land, in dem die Solarenergie die Strompreise verteuert hat, und in einem Land, in dem die Bevorzugung der energieintensiven Unternehmen – und deren Herausnahme aus der Umlage – die Strompreise verteuert hat. (Ja, wir leben in einem Land, in dem Industriestrompreise sinken und Verbraucherstrompreise steigen). Wir leben in einem Land, in dem Überwachung das zentrale Problem ist, und wir leben gleichzeitig in einem Land, in dem sich niemand dafür interessiert.
Üblicherweise lässt es sich mit diesen unterschiedlichen Wirklichkeiten recht gut leben. Die „Anderen“ können, wenn sich Wege kreuzen, seltsam angeschaut werden, aber meist bleiben wir ja doch unter uns. Ganz egal, in welcher Blase, oder welcher Schnittmenge, welcher Verschachtelung von Blasen. Ein klein wenig Störung mag attraktiv erscheinen, Perturbation erhöht die Kreativität – aber im Großen und Ganzen bestätigen wir uns das, was wir schon wissen, und bestätigen uns darin, dass das, was wir wissen, richtig ist – und das es völlig selbstverständlich falsch ist, das anders zu sehen.
Nur in Zeiten des Wahlkampfs stoßen unterschiedliche Interpretationen der Welt so deutlich und so schmerzhaft aufeinander, wie das sonst nie der Fall ist. Nur in solchen Zeiten wird uns so richtig bewusst, dass wir aus Sicht der „Anderen“ diejenigen sind, die seltsamen Irrglauben nachhängen und auch noch meinen, vernünftig zu sein. Rationalität ist was feines – solange sie mit der eigenen Logik übereinstimmt.
Und ja, gemeinsam geteilte Vorannahmen machen das Leben leichter. Ohne wäre es kaum möglich, sich überhaupt zu verständigen. Umso schwieriger wird es, wenn eine Verständigung durch Seifenblasenwände hindurch erfolgen muss. Nicht von den glitzernden Farben ablenken lassen, und auch nicht davon, dass alles verzerrt ist!
Warum blogge ich das? Als Metakommentar zu den TV-Duellen und aus einer gewissen Wahlkampfverzweiflung – mit Blick auch auf Umfragewerte – heraus. Und aus einer naiven, romantischen Hoffnung, dass es doch so etwas wie eine gemeinsame Basis geben müsste, die überhaupt als Grundlage von Politik dienen könnte.