Ich und du und die Politiker

Was mich manch­mal auf­regt, wenn ich mei­nen Twit­terstream ver­fol­ge, sind Tweets, in denen pau­schal „die Poli­ti­ker“ (mit­ge­meint ver­mut­lich auch „die Poli­ti­ke­rin­nen“) beschimpft wer­den. (Ins­be­son­de­re dann, wenn Pira­tIn­nen sowas twittern …).

Nicht, weil es nicht genü­gend Poli­ti­ke­rIn­nen aller Par­tei­en gäbe, über die zu schimp­fen sich lohnt. Da fal­len mir ganz schnell auch ganz vie­le ein, ohne jetzt Namen zu nennen.

Son­dern weil „die Poli­ti­ker“ eine ganz wun­der­bar poli­tik­ver­dros­se­ne pau­scha­le popu­lis­ti­sche Pole­mik ist. Wer das so meint – ok. Es mag ja Leu­te geben, die jeden Glau­ben dar­an ver­lo­ren haben, dass die­se unse­re Demo­kra­tie irgend­wie funk­tio­niert. Aber wer sich über „die Poli­ti­ker“ ärgert, soll­te sich zumin­dest bewusst sein, dass damit eigent­lich gemeint ist, dass das par­la­men­ta­ri­sche Sys­tem der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land nicht funk­tio­niert. Also: infor­miert euch!

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FDP und Piraten jetzt fusionieren – 10 Gründe

Es gibt vie­le gute Grün­de, war­um FDP und Pira­ten jetzt in Fusi­ons­ver­hand­lun­gen tre­ten soll­ten, um zu den Freidemokraten&Piraten (FD&P) zu wer­den. Hier die zehn wichtigsten.

1. Bei­de behaup­ten, eine libe­ra­le Par­tei zu sein. Wir könn­ten also wei­ter von den Libe­ra­len sprechen.

2. Bei­de wäh­len weit über­wie­gend Män­ner, und sehen dar­in kein Pro­blem – gute Basis für das kul­tu­rel­le Zusam­men­wach­sen der bei­den Organisationen.

3. Bei­de ergän­zen sich gut: Wo die einen aus dem Land­tag flie­gen, kom­men die ande­ren rein. Bsp. Ber­lin, Saar­land, Schles­wig-Hol­stein, NRW.

4. Manch­mal macht die FDP die Netz­bür­ger­rechts­po­li­tik, die Pira­ten ger­ne machen wür­den. Und die rech­ten Wirt­schafts­flü­gel glei­chen sich auch.

5. Die F.D.P. ist tra­di­tio­nell die Satz­zei­chen­par­tei Deutsch­lands. Ein & wür­de gut dazu passen.

6. FDP wie Pira­ten sind im Kern Ein­the­men­par­tei­en mit Scharnierfunktion.

7. Pira­ten wür­den das Nach­wuchs­pro­blem der FDP lösen, die FDP das Pro­fes­so­na­li­sie­rungs­de­fi­zit der Pira­ten ausgleichen.

8. Eine Fusi­on wäre ein Hack, mit dem die Pira­ten sich aus dem Stand her­aus in die Bun­des­re­gie­rung kata­pul­tie­ren würden.

9. Die Debat­te dar­über, ob „Pira­ten“ ein däm­li­cher Name für eine Par­tei ist, wür­de auf­hö­ren – FD&P!

10. Eine Fusi­on wür­de es allen Poli­tik­wis­sen­schaft­le­rIn­nen, die mit der gro­ßen Sta­bi­li­tät des deut­schen Par­tei­en­sys­tems argu­men­tie­ren, leicht machen, die­se The­se wei­ter­hin auf­recht zu erhalten.

War­um blog­ge ich das? Weil ich ja irgend­was zur Wahl an der Saar sagen muss.

Ein Lehrstück?

Auftrag: grün 25
Ori­gi­nal

Ges­tern hat das Thea­ter Frei­burg zum letz­ten Mal in die­ser Spiel­zeit „Die Grü­nen. Eine Erfolgs­ge­schich­te“* auf­ge­führt, und ich habe mir die Arbeit end­lich mal ange­se­hen (die nächs­te Chan­ce dazu besteht erst wie­der im Janu­ar). Ich muss sagen: Ich bin durch­aus ange­tan von die­ser Form Thea­ter. Die Insze­nie­rung von Jarg Pata­ki und Vio­la Has­sel­berg ver­sucht – ich wür­de sagen: mit Mit­teln der qua­li­ta­ti­ven Sozi­al­for­schung, von der ver­dich­ten­den Dis­kurs­ana­ly­se bis hin zum nar­ra­ti­ven Inter­view** – die Fra­ge zu beant­wor­ten, ob der Pro­zess der Par­tei­wer­dung und Pro­fes­sio­na­li­sie­rung eine Zwangs­läu­fig­keit ist. Zwi­schen die Sze­nen sind dem­entspre­chend Zita­te aus Robert Michels‘ Arbei­ten zur Ent­ste­hung der Sozi­al­de­mo­kra­tie gesetzt, die ohne wei­te­res auch auf die grü­ne Insti­tu­tio­na­li­sie­rung passen.

Die grü­ne Par­tei­ge­schich­te seit Ende der 1970er Jah­re wird in eine Abfol­ge von Sze­nen gesetzt, die es in ihrer Aus­wahl und Ver­dich­tung, aber auch in den gewähl­ten Bil­dern und Insze­nie­rungs­for­men schaf­fen, den (not­ge­drun­ge­nen?) Anpas­sungs­pro­zess auf den Punkt zu brin­gen. Am Anfang ste­hen hete­ro­ge­ne und sich teil­wei­se gar nicht grü­ne Bewe­gungs­ak­teu­re, deren Ein­zug in den Bun­des­tag umfang­rei­che Selbst­fin­dungs­de­bat­ten unter mas­si­vem rhe­to­ri­schen Beschuss von außen nach sich zieht. Die Par­tei bringt sich auf Linie und wird in der rot-grü­nen Regie­rungs­zeit zum ein­ge­spiel­ten Macht­ap­pa­rat. Ein­drucks­voll Josch­ka Fischers‘ Koso­vor­ede im Zwei­kampf mit „Wer hat dich bloss so rui­niert“ und Mega­pho­nen. In der Gegen­wart ange­langt erschei­nen Son­nen­kö­ni­ge mit Hof­staat und selbst­ver­lieb­te Mar­ke­ting­ex­per­ten, die über die Vor­zü­ge der Far­be grün phi­lo­so­phie­ren, wenn sie in der Insze­nie­rung nach­zei­chen, wie Par­tei­ta­ge insze­niert wer­den – der Applaus­re­flex beim auf Show­re­den getrimm­ten Publi­kum ist nur schwer zu unterdrücken.

Schluss­bild im eiser­nen Käfig – ist das die Zukunft der grü­nen Par­tei? Oder steckt zwi­schen, hin­ter und neben der kri­ti­schen Thea­ter­au­ßen­sicht auf das pro­fes­sio­na­li­sier­te grü­ne Innen­le­ben auch heu­te noch ein Anspruch, eine Par­tei zu sein, deren Mit­glie­der nah an den sozia­len Bewe­gun­gen dran sind, deren Appa­ra­te nicht her­me­tisch sind und deren The­men sich nicht auf die Opti­mie­rung von Wahl­er­fol­gen begren­zen lassen?

War­um blog­ge ich das? Weil mich die Fra­ge nach den (zwang­läu­fi­gen) Struk­tu­rie­run­gen poli­ti­scher Par­tei­en und den Hand­lungs­frei­räu­men inner­halb eines par­la­men­ta­ri­schen Sys­tems seit lan­gem umtreibt.

* Ich mag ja die Dop­pel­deu­tig­keit die­ses Titels.

** Die Insze­nie­rung arbei­tet fast nur mit vor­ge­fun­de­nen Tex­ten – Zita­ten aus Pro­to­kol­len, The­sen­pa­pie­ren und Inter­views – ergänzt durch zumeist mono­lo­gisch insze­nier­te Aus­zü­ge aus Geprä­chen mit „Zeit­zeu­gen“, die nach dem Prin­zip nar­ra­ti­ver Inter­views viel inne­re Logik und viel­leicht unge­wollt Gesag­tes ans Tages­licht bringen.

Über nervende Unstetigkeiten des Wahlsystems

bild-wahlomat-bw2Unge­fäh­re* Distanz der Posi­tio­nen ein­zel­ner Par­tei­en zuein­an­der (laut Aus­wer­tung der Wahl-o-Mat-Ant­wor­ten für die Land­tags­wahl in Baden-Würt­tem­berg 2011), Grö­ße der Krei­se gibt pro­gnos­ti­zier­te Wahl­er­geb­nis­se wie­der. Für mich eine schö­ne Illus­tra­ti­on der The­se, dass die Wahl von Kleinst­par­tei­en zu einem gewis­sen Grad durch die Wahl grö­ße­rer Par­tei­en sub­sti­tu­ier­bar ist. 

Quel­le der Abbil­dung: andena17 bei Libri Logi­corum, mit freund­li­cher Geneh­mi­gung [ein­ge­fügt um 16:02].

 

Auch wenn es jetzt sicher sofort wie­der heißt, dass es sich hier­bei um die Arro­ganz einer eta­blier­ten Par­tei han­deln wür­de, und dass ich als Grü­ner – also als Mit­glied einer Par­tei, der Ende der 1970er, Anfang der 1980er Jah­re eben trotz der Argu­men­te der SPD der Sprung von der außer­par­la­men­ta­ri­schen Bewe­gung in die Par­la­men­te gelun­gen ist – damit irgend­wie ganz beson­ders arro­gant argu­men­tie­ren wür­de, muss ich doch noch­mal die Fak­ten auf­zäh­len, die mich dazu brin­gen, von der Wahl von Par­tei­en abzu­ra­ten, die nicht annä­hernd auf 5% kom­men. Über die­se Fak­ten kön­nen wir ger­ne diskutieren.
„Über ner­ven­de Unste­tig­kei­ten des Wahl­sys­tems“ weiterlesen

Demokratische Kultur und bürgerliche Negativkampagnen

Ohne jetzt noch­mal wirk­lich über­all nach­ge­le­sen zu haben – die Medi­en­be­rich­te zu gelb statt grün (FDP), die-dagegen-partei.de (CDU) und „niveau­los“ (CSU) sind, so mein Ein­druck, in einem einig. Näm­lich dar­in, dass es inter­es­sant ist, dass die Uni­on und die FDP sich jetzt die Grü­nen als Haupt­geg­ner aus­er­ko­ren haben – und dar­in, dass die Mach­art und Wir­kungs­wei­se nur auf sehr begrenz­te Zustim­mung stößt. 

Grüne Kampagne: Dagegen/dafür braucht

Der Voll­stän­dig­keit hal­ber sei auch auf die grü­ne Auf­lis­tung hin­ge­wie­sen, die das gan­ze Gere­de von der Dage­gen­par­tei auf­nimmt: Dage­gen braucht’s grün bzw. Dafür braucht’s grün. Eine gute Zusam­men­stel­lung zen­tra­ler grü­ner Posi­tio­nen (mal den ein­zel­nen Links fol­gen, da steckt rich­tig Inhalt dahin­ter), die klar macht, dass es wenig bringt, kon­text­los das Dage­gen­sein zum Haupt­mo­tiv einer Anti-Grün-Kam­pa­gne zu machen.

Auch zum The­ma „Fort­schritt“ bzw. „Fort­schritts­feind­lich­keit“ (letzt­lich ja der gern der Nega­tiv­kam­pa­gnen) lie­ße sich eini­ges sagen, samt eini­ger Sei­ten­hie­be auf die SPD und deren stolz und grund­los mit dem Begriff „neu­er Fort­schritt“ beti­tel­tem Pro­gramm­ent­wurf. Aber das las­se ich jetzt mal. Grund mei­nes Pos­tings ist viel­mehr die simp­le Fra­ge nach der Bür­ger­lich­keit. Wiki­pe­dia ver­weist bei der Suche nach „bür­ger­lich“ auf das Bür­ger­tum und refe­riert dann eini­ge der sozio­lo­gi­schen und sozi­al­ge­schicht­li­chen Theo­rien dazu. Letzt­lich wird deut­lich, dass „Bür­ger“ hier ein Begriff der Abgren­zung ist – his­to­risch gegen Bau­ern­schaft, Adel und Arbei­te­rIn­nen, heu­te gegen – ja, gegen wen eigent­lich? Was kenn­zeich­net die­ses angeb­lich exis­tie­ren­de „bür­ger­li­che Lager“, das jetzt mit Klau­en und Zäh­nen davon über­zeugt wer­den soll, dass es auf gar kei­nen Fall vom Groß‑, Mit­tel- oder Klein­bür­ger zum „Wut­bür­ger“ (oder zur „Wut­bür­ge­rin“) wer­den darf, um dann die schlim­me Tat des Grün-Wäh­lens zu bege­hen? Gemein­hin als bür­ger­lich ver­stan­de­ne Tugen­den kön­nen es jeden­falls schon ein­mal nicht sein. Jeden­falls dann nicht, wenn das Niveau der Nega­tiv­kam­pa­gnen, der Wes­ter­wel­le-Reden oder die poli­ti­sche Hal­tung der Sar­ra­zin-Gut­fin­de­rIn­nen hier typisch sein sollten.

Oder noch ein­mal anders gefragt: Gibt es tat­säch­lich sowas wie eine sta­bi­le sozia­le Kon­fi­gu­ra­ti­on eines „bür­ger­li­chen Milieus“, das ein­deu­tig von ande­ren sozia­len Milieus abgrenz­bar ist? Und was war dann noch ein­mal die „neue Mit­te“, wie­so wählt die kon­sum-hedo­nis­ti­sche „Unter­schicht“ auch ger­ne mal CDU, und wie konn­te es pas­sie­ren, dass schon seit lan­gem bei SINUS eines der (bür­ger­li­chen?) Leit­mi­lieus als „post­ma­te­ria­lis­tisch“ beschrie­ben wird? Zwi­schen Lebens­stil und poli­ti­schen Wahl­ent­schei­dun­gen gibt es schon seit län­ge­rem Diver­gen­zen, eine kla­re Zuord­nung eines poli­ti­schen Lagers zu einem Milieu wird kom­pli­zier­ter. Angeb­lich woll­te sich ja selbst die CDU schon mal für jun­ge urba­ne Krea­ti­ve öff­nen, oder so … auch wenn sie davon inzwi­schen wohl wie­der abge­kom­men ist. (Und neben­bei bemerkt, wider­spricht die Idee einer Volks­par­tei ja eigent­lich auch der Idee einer engen Milieu­bin­dung – you can’t have both).

Mei­ne Ver­mu­tung: Die Behaup­tung, dass es bei die­sen Kam­pa­gnen dar­um geht, eine bestimm­te sozia­le For­ma­ti­on an sich zu bin­den (vul­go: „das bür­ger­li­che Lager“), ist nicht son­der­lich stich­hal­tig. Viel­mehr fin­det das, was wir gera­de sehen, auf zwei ande­ren Ebe­nen statt. Zum einen geht es um den Kon­kur­renz­kampf zwi­schen Par­tei­en und dabei um den Ver­such, Grü­ne klein zu hal­ten – egal, was dafür gera­de als Argu­ment her­hal­ten muss, und wie es begrün­det wird. Das hat etwas damit zu tun, dass sich die Uni­on bis­her als mit Abstand meist­ge­wähl­te Par­tei mit dem Nie­der­gang der SPD sicher fühl­te, und jetzt fest­stel­len muss, dass es zu einer Ver­schie­bung im Par­tei­en­sys­tem kommt, die lang­fris­tig den Macht­er­halt extrem erschwert. 

Zum ande­ren zie­len die­se Kam­pa­gnen dar­auf, Leit­ideen im gesell­schaft­li­chen Dis­kurs zu beset­zen, also die Leit­kul­tur­de­bat­te durch die Hin­ter­tür. Wahr­schein­lich erin­nert vie­les auch des­we­gen so an die geis­tig-mora­li­sche Wen­de der 1980er Jah­re Hel­mut Kohls. Hier aber erscheint mir – um an den Anfang zurück­zu­keh­ren – das media­le Echo nicht gera­de dafür zu spre­chen, dass die­se leit­kul­tu­rel­le Bot­schaft dis­kur­siv ankommt. Wenn die Ver­mu­tung stimmt, dass die Schlich­tung bei Stutt­gart-21 etwas gebracht hat, und Men­schen, die das bis­her nicht im Traum zu den­ken gewagt haben, jetzt bei Mei­nungs­um­fra­gen ange­ben, grün wäh­len zu wol­len (ganz egal, ob sie es dann wirk­lich tun oder nicht) – dann hat die CDU mit­tel­fris­tig ver­lo­ren. Denn dann ist bis weit ins „bür­ger­li­che Lager“, in die „neue Mit­te“ oder ande­re Ecken der Gesell­schaft hin­ein die Bot­schaft ange­kom­men, dass Poli­tik von oben nicht mehr ankommt. Und dann funk­tio­niert das Poli­tik­spiel aus Macht­er­halt, Seil­schaf­ten und „fort­schritt­li­chen“ Groß­pro­jek­ten schlicht­weg nicht mehr, ohne immer aufs Neue Wider­stand zu ent­zün­den. Die Kam­pa­gnen der CDU, der CSU und der FDP zie­len mei­nes Erach­tens genau hier­auf: zu ver­hin­dern, dass sich auf Dau­er ein demo­kra­ti­sches Ver­ständ­nis von Bür­ger­ge­sell­schaft festsetzt. 

Dar­um, und nicht um 18, 20 oder 25% bei den nächs­ten Wah­len geht es.

War­um blog­ge ich das? Eigent­lich woll­te ich nur kurz was dazu sagen, dass ich den Begriff des Bür­ger­li­chen als Abgren­zungs­be­griff im poli­ti­schen Raum vor­de­mo­kra­tisch fin­de. Und dann ist es län­ger gewor­den. Jetzt fra­ge ich mich, ob mei­ne Schluss­fol­ge­rung stimmt – und was das für evtl. grü­ne und „bür­ger­ge­sell­schaft­li­che“ Reak­tio­nen auf die­se Nega­tiv­kam­pa­gnen bedeu­tet. Und ob ich nicht doch noch was über den Fort­schritts­be­griff der SPD blog­gen sollte.