Kurz zu Amazonfail, und dann darüber hinaus

Nur ein kur­zer Hin­weis auf die Cau­sa Ama­zon­fail (etwa „Ama­zon-Fehl­schlag“). Seit eini­ger Zeit lis­tet Ama­zon kei­ne Bücher mit LGBT-Con­tent (Les­bi­an, Gay, Bi, Trans) in den Ran­kings, und damit auch nicht mehr in den Best­sel­ler-Lis­ten und Emp­feh­lun­gen. Gro­ßer Netz­auf­schrei, weil Ama­zon-Amis das Netz „sau­ber“ hal­ten wol­len, um die prü­den Main­stream-Kun­dIn­nen nicht zu verprellen. 

Uner­war­te­te Wen­dung: mög­li­cher­wei­se war Ama­zon nur sehr indi­rekt schuld – teh­de­ly skiz­ziert die Mög­lich­keit eines „Angriffs“ auf das Repu­ta­ti­ons­sys­tem von Ama­zon, und weev behaup­tet, es gewe­sen zu sein (oder viel­leicht auch nicht). Das dort skiz­zier­te Vor­ge­hen: erstel­le über die Pro­gram­mier­schnitt­stel­le eine Lis­te sämt­li­cher Pro­duk­te, die mit „gay“ oder „les­bi­an“ gekenn­zeich­net sind, nut­ze ein paar Sicher­heits­lü­cken bzw. die Mög­lich­keit des bil­li­gen Out­sour­cens von Rou­ti­ne­tasks aus, und bewer­te all die­se Titel hun­der­te Male als „adult only“. Fer­tig. Und Ama­zon wun­dert sich über ver­är­ger­te AutorIn­nen und KundInnen.

Kei­ne Ahnung, was wirk­lich dahin­ter­steckt. Zwei Din­ge wer­den durch „ama­zon­fail“ aber defi­ni­tiv sicht­bar: das Poten­zi­al von Nahe­zu­mo­no­po­lis­ten wie Ama­zon, zu steu­ern, was im Netz sicht­bar ist und was nicht, und damit so etwas ähn­li­ches wie Zen­sur aus­zu­üben – ganz ohne Legi­ti­ma­ti­on -, und zwei­tens, dass Trust- und Repu­ta­ti­ons­sys­te­me sich mit genü­gend Geduld leicht „hacken“ und zu allem mög­li­chen miss­brau­chen lassen.

Eine weit vom eigent­lich Fall ent­fernt lie­gen­de Schluss­fol­ge­rung, über die ich mir (unab­hän­gig von den hun­dert damit ver­bun­de­nen Umset­zungs­pro­ble­men) immer mal wie­der Gedan­ken mache: wäre es an der Zeit, eine Ver­staat­li­chung nahe­zu­mo­no­po­li­sier­ter Netz­räu­me zu for­dern? Durch die Netz­werk­struk­tur des Inter­net gibt es immer wie­der Nahe­zu­mo­no­po­le für bestimm­te Funk­tio­nen – die­je­ni­gen, die die­se als ers­te oder als für einen bestimm­ten Zeit­raum bes­te anbie­ten, und dann ver­wen­det wer­den, weil alle sie ver­wen­den. Bei Goog­le oder Ama­zon ist die­se Mono­po­li­sie­rung nicht not­wen­di­ger­wei­se gege­ben, bei allem, was in Rich­tung „social soft­ware“ geht, liegt es in der Natur der Sache, dass die Platt­form oder das Medi­um, das „alle“ ver­wen­den, am ehes­ten auch von den denen genutzt wird, die spä­ter dazu kom­men (Bsp. Face­book). Aufmerksamkeitsspiralen.

Inter­es­sant wird es, wenn die­se Anbie­ter qua­si-öffent­li­che Leis­tun­gen zur Ver­fü­gung stel­len. Die Navi­ga­ti­on im Netz (Goog­le). Die Kom­mu­ni­ka­ti­on in einem neu­en sozia­len Raum (Face­book). Ein Medi­um für schnel­le, syn­chro­ne, auf bestimm­ter Nut­zer­krei­se beschränk­te many-to-many-Kurz­nach­rich­ten (Twit­ter). Der Zugriff auf gedruck­te Bücher welt­weit (Ama­zon)? Wenn hier Nahe­zu-Mono­pol und böse Absicht zusam­men­kom­men – oder auch nur Sicher­heits­lü­cken und damit Aus­fäl­le – dann fal­len rela­tiv essen­ti­el­le gesell­schaft­li­che Leis­tun­gen aus. Die Sicht­bar­keit von les­bi­scher oder schwu­ler Lite­ra­tur, im aktu­el­len Fall. 

Ist es tat­säch­lich der Markt, der hier am bes­ten agiert. Oder bräuch­te es – wenn schon kei­ne Ver­staat­li­chung die­ser Leis­tun­gen; wie die EU-Such­ma­schi­nen­pro­jek­te gezeigt haben, kommt dabei nicht unbe­dingt sinn­vol­les her­aus – zumin­dest einen glo­ba­len ord­nungs­po­li­ti­schen Rah­men, der garan­tiert, dass die Nahe­zu-Mono­po­lis­ten eben nicht poli­tisch nicht legi­ti­mier­te Zen­sur etc. aus­üben, bzw. Schnitt­stel­len anbie­ten, um Auf­merk­sam­keits­mo­no­po­le auf­zu­bre­chen. Nur mal so als Denkanregung.

War­um blog­ge ich das? Nach fast zwei Tagen off­line und Fami­lie bin ich heu­te „ins Netz zurück­ge­kehrt“ – und habe dann (neben Mix­as Oster­wün­schen) erst­mal gese­hen. Und mich gewundert.

Update: Charles Stross ver­weist auf eine Ent­schul­di­gung sei­tens Ama­zon – und auf die Mög­lich­keit mensch­li­chen Ver­sa­gens als Ursache.

Mein Wurzelwerk-Tagebuch, Teil I

Heu­te ist Wur­zel­werk, die grü­ne Ver­net­zungs­platt­form nach einer mehr­wö­chi­gen War­tungs­pau­se end­lich wie­der online. Ich habe ja immer noch die Hoff­nung, dass es sowas wie die von mir schon lan­ge gefor­der­te Ent-Even­ti­sie­rung eines Vir­tu­el­len Par­tei­tags wer­den könn­te; gera­de in der Kom­mu­ni­ka­ti­ons­par­tei Bünd­nis 90/Die Grü­nen viel­leicht tat­säch­lich ein­mal zu einem wich­ti­gen Instru­ment inner­par­tei­li­cher Mei­nungs­bil­dung, Sozia­li­sa­ti­on und Netz­werk-Ver­knüp­fung wer­den kann. Des­we­gen möch­te ich in die­sem Bei­trag nach und nach über mei­ne Erfah­run­gen mit dem Wur­zel­werk berichten.

Heu­te tags­über konn­te ich via Twit­ter ver­fol­gen, dass das Sys­tem offen­sicht­lich läuft. Von ziem­lich vie­len Men­schen habe ich ein „Ich bin drin“ gehört. Ich selbst hat­te mei­ne Pass­wort-Daten nicht dabei und konn­te des­we­gen nicht gleich zum Mit­tags­pau­sen­test schrei­ten. Inter­es­sant dabei – nur im Beob­ach­ten des Twit­ter-Streams – schon eine gan­ze Rei­he von offen­sicht­li­chen Pro­ble­men. So wird bei ver­ges­se­nem Pass­wort erwar­tet, dass die Ant­wort auf die vor­her gewähl­te Sicher­heits­fra­ge ein­ge­ge­ben wird. Nur die­se Fra­ge wird nicht dar­ge­stellt. Ist natür­lich beson­ders sicher, aber wer merkt sich schon, wel­che Fra­ge aus­ge­wählt wurde?

Twit­ter infor­mier­te mich auch schnell über eine zwei­te Schwie­rig­keit: eine der wich­tigs­ten Funk­tio­nen sozia­ler Netz­wer­ke, näm­lich das Kon­tak­te-Knüp­fen, scheint noch nicht rich­tig zu gehen. Jeden­falls gab es eini­ge Mel­dun­gen der Form „kann nie­mand fin­den, wo seid ihr alle“, aber auch Beschwer­den dar­über, dass eine anony­me Nut­zung nicht mög­lich ist.

Noch deut­lich gra­vie­ren­der schließ­lich ein ande­res Pro­blem, dass auch mich dann am Abend ereil­te: bei man­chen geht gar nichts, ein Auf­ruf der Sei­te „Wur­zel­werk“ lan­det in einer End­los­schlei­fe. Fire­fox bringt dazu eine schö­ne Fehlermeldung:

Fehlermeldung Firefox

Auch Twit­ter wuss­te hier kei­nen Rat, Cache lee­ren, Sei­te gezwun­gen neu laden oder Brow­ser neu star­ten – alles half nicht. Es blieb bei der grü­nen End­los­schlei­fe. End­less Wur­zel­werk­ing, sozusagen.

Also muss­te für mei­nen zwei­ten ers­ter Ein­druck von Wur­zel­werk-Beta dann doch ein nicht genann­ter ande­rer Brow­ser her­hal­ten, in dem kei­ne Alt­da­ten umher­geis­ter­ten. Damit bin ich dann tat­säch­lich (EMail + Pass­wort) reingekommen.

Ers­ter Ein­druck: sieht optisch schon mal schö­ner aus als beim letz­ten Mal. Ein paar augen­fäl­li­ge Ver­bes­se­run­gen, z.B. ist die Lis­te der Grup­pen jetzt durch­blät­ter­bar und kei­ne eine lan­ge Lis­te. Und auch der Lan­des­ver­bands-Con­tent sieht schon ganz ordent­lich aus.

Zum ers­ten Ein­druck gehört aber auch: huch, ist das win­zig. Die Schrift­grö­ße ist sehr sehr klein, und die kann zwar in jedem moder­nen Brow­ser ver­grö­ßert wer­den, ist aber trotz­dem eine Zumutung.

Screenshot Wurzelwerk IE

Ein paar Funk­tio­nen habe ich dann gleich aus­pro­biert. Das Hoch­la­den eines Pro­fil­fo­tos ging pro­blem­los. Ansons­ten fin­de ich die vor­ge­ge­be­ne Lis­te an Beschrei­bungs­fel­dern für das Pro­fil immer noch eher ärger­lich – das hat­te ich schon im clo­sed-beta angemerkt.

Dann habe ich eine Grup­pe ange­legt. Das hat – mit etwas her­um­pro­bie­ren – auch gut funk­tio­niert (wobei auch hier bei­spiels­wei­se das Ein­ga­be­feld für die Grup­pen­be­schrei­bung win­zig ist). 

Sogar das Ein­bin­den eines exter­nen RSS-Feeds in die Start­sei­te der Grup­pe klapp­te, nach­dem ich mal kapiert habe, dass die Feh­ler­mel­dung „die­se URLs sind ungül­tig“ sich auf lee­re URL-Fel­der bezog. ((Wer es nach­ma­chen will: dafür ist die Funk­ti­on „Port­lets ein­fü­gen“ im „Ver­wal­tungs­be­reich“ zustän­dig, da kann dann eine Zusatz­an­wen­dung für RSS-Streams ein­ge­bun­den wer­den. Die zeigt erst­mal Yahoo-News etc., das lässt sich aber kon­fi­gu­rie­ren – dafür ist das zahn­rad­ar­ti­ge Icon oben im Fens­ter­rah­men da)).

Die Fin­ger weg­ge­las­sen habe ich von der Funk­ti­on „Kon­troll­be­reich“. Im clo­sed beta konn­te damit ziem­li­cher Unsinn ange­stellt wer­den. Das aus­zu­pro­bie­ren, ist mir mei­ne neue Grup­pe dann doch zu schade.

Ver­zwei­felt bin ich beim Ver­such, Leu­te in die Grup­pe ein­zu­la­den. Das scheint immer noch nicht sinn­voll mög­lich zu sein – oder ich bin blind.

Über­haupt: Leu­te fin­den. Wer genau weiss, wenn er oder sie sucht, kann die Suche ver­wen­den. Die scheint zu funk­tio­nie­ren. Ich fin­de mich jeden­falls selbst. Auch die Suche z.B. nach Vor­na­men geht. An so gefun­de­ne Leu­te las­sen sich dann Kon­takt­an­fra­gen schi­cken. Ich hät­te ger­ne eine durch­blät­ter­ba­re Lis­te aller Leu­te, die ange­zeigt wer­den wol­len. Oder auch nur die aus einer bestimm­ten Gliederungsebene.

Auch Grup­pen kön­nen über die Such­funk­ti­on gefun­den wer­den. Z.B. die mei­nes KVs, die mein Vor­stands­kol­le­ge schon heu­te mit­tag ange­legt hat. Da habe ich dann gleich mal die Mit­glied­schaft bean­tragt. Hier (viel­leicht nicht bei einer KV-Grup­pe, aber gene­rell) ver­mis­se ich die Mög­lich­keit, eine Grup­pe so frei­zu­schal­ten, dass jeder sofort bei­tre­ten kann. Oder habe ich das auch übersehen?

Soviel erst­mal für heu­te. Gleich wird das Wur­zel­werk eh erst­mal für die täg­li­che War­tung heruntergefahren.

Mein ers­tes Fazit: die Per­fo­manz­pro­ble­me sind wohl weg. Optisch hat sich eini­ges ver­bes­sert. Die Funk­tio­na­li­tät ist noch gewöh­nungs­be­dürf­tig und defi­ni­tiv noch nicht mas­sen­taug­lich. Da muss sich noch eini­ges tun – was nichts dar­an ändert, dass eine sol­che Platt­form unbe­dingt not­wen­dig ist. Zum Glück sind Grü­ne an Pro­vi­so­ri­en und Impro­vi­sa­ti­on gewöhnt. Trotz­dem bin ich gespannt, ob bis zur BDK im Mai alles eini­ger­ma­ßen glatt läuft – oder ob Wur­zel­werk da noch für einen Basis­auf­stand sorgt.

Kurz: Wurzelwerk

Natür­lich: heu­te ist Frei­tag der 13. Wie könn­te es auch anders sein, wenn der Launch einer Mit­glie­der­platt­form erst­mal ziem­lich schief geht. Aber hier mal die posi­ti­ven Sei­ten der neu­en grü­nen Com­mu­ni­ty Wur­zel­werk:

1. Sie wird pünkt­lich zur hei­ßen Wahl­kampf­pha­se sicher pri­ma laufen.
2. Der Name ist originell.
3. Wur­zel­werk ist gut gemeint. 

Nein, ernst­haft: gera­de für eine stark von inter­ner Kom­mu­ni­ka­ti­on, Mobi­li­sie­rung und Mei­nungs­bil­dung leben­de Par­tei wie Bünd­nis 90/Die Grü­nen ist sowas wie „Wur­zel­werk“ – qua­si als Ver­ste­ti­gung vir­tu­el­ler Par­tei­ta­ge – uner­läss­lich. Die Pre­mie­re heu­te steht zu recht unter dem „Beta“-Label. Ich kann schon jetzt pro­phe­zei­en, dass die Men­schen der dahin­ter­ste­hen­den Agen­tur in den nächs­ten Tagen noch eini­ges an Arbeit haben wer­den. Wenn’s danach rund läuft, schrei­be ich ger­ne auch noch ein­mal aus­führ­li­cher etwas übers Wurzelwerk.

P.S.: Infor­ma­ti­ke­rIn­nen dür­fen sich dar­über amü­sie­ren, dass Krab­bel­tie­re („bugs“) und Wur­zel­werk pri­ma zuein­an­der passen. 

Wahlcomputer-Urteil (Update: CCC, Grüne)

Das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt hat soeben das Urteil zu zwei Wahl­prü­fungs­be­schwer­den, die sich gegen den Ein­satz von „Wahl­com­pu­tern“ gewandt haben, ver­öf­fent­licht. Tenor: der Bun­des­tag muss nicht auf­ge­löst wer­den, weil es kei­ne Hin­wei­se auf Mani­pu­la­tio­nen gab, der Ein­satz von Wahl­com­pu­tern bei der Bun­des­tags­wahl 2005 war jedoch verfassungswidrig.

Twit­ter und das CCC-Umfeld jubeln jetzt erst­mal. Auch ich fin­de das Urteil gut. Das hat zum einen etwas damit zu tun, dass ich in der feh­len­den Nach­voll­zieh­bar­keit der Aus­zäh­lung und in der Gefahr „unsicht­ba­rer“ Mani­pu­lier­bar­keit eben auch gro­ße Schwach­stel­len von Wahl­com­pu­tern und Inter­net­wahl sehe.

Zum ande­ren gefällt mir das Urteil – und unter­schei­de ich mich wohl vom netz­po­li­ti­schen Main­stream – weil es die Mög­lich­keit offen lässt, ver­fas­sungs­kon­for­me Vari­an­ten von Wahl­com­pu­tern und Inter­net­wahl zu ent­wi­ckeln. Bei Spie­gel Online wird dazu Andre­as Voss­kuh­le zitiert: 

„Der Tenor der Ent­schei­dung könn­te dazu ver­lei­ten, zu mei­nen, das Gericht sei tech­nik­feind­lich und ver­ken­ne die Her­aus­for­de­run­gen und Mög­lich­kei­ten des digi­ta­len Zeit­al­ters“, sag­te Voss­kuh­le. Dies tref­fe jedoch nicht zu. Der Ein­satz von Wahl­ge­rä­ten sei durch­aus mög­lich. „Auch Inter­net-Wah­len hat das Gericht nicht etwa einen end­gül­ti­gen Rie­gel vorgeschoben.“ 

Ich glau­be nicht, dass es sinn­voll ist, zuviel Eupho­rie an digi­ta­le Stimm­ab­ga­be dran­zu­hän­gen – etwa in der Hoff­nung, dass dann die Wahl­be­tei­li­gung stei­gen und die Poli­tik­ver­dros­sen­heit abneh­men wür­de. Die Leu­te gehen nicht des­we­gen nicht zur Wahl, weil der Weg zum Wahl­lo­kal zu weit. 

Trotz­dem hal­te ich es für sinn­voll, dar­über nach­zu­den­ken, wie eine digi­ta­le Wahl (Inter­net, Wahl­com­pu­ter, digi­ta­les Ein­le­sen von Stimm­zet­teln, …) aus­se­hen kann, die den Ver­fas­sungs­an­sprü­chen der glei­chen, gehei­men und im Ergeb­nis nach­voll­zieh­ba­ren Wahl genügt, aber trotz­dem den Weg öff­net, zum Bei­spiel Volks­ab­stim­mun­gen zu vereinfachen. 

Die der­zei­ti­gen Wah­len sind teu­er und auf­wän­dig. Das wird der­zeit z.B. in NRW von den Grü­nen ange­führt – als Gegen­ar­gu­ment zu einem Extra-Wahl­ter­min für die Kom­mu­nal­wahl (42 Mil­lio­nen). Wenn es hier gelingt, mit Hil­fe von Infor­ma­ti­ons­tech­nik die Trans­ak­ti­ons­kos­ten der Demo­kra­tie zu sen­ken, wäre etwas dafür gewon­nen, demo­kra­ti­sche Betei­li­gung zu erleich­tern. Dafür dür­fen dann natür­lich kei­ne neu­en Hür­den auf­ge­baut wer­den, etwa kom­pli­zier­te Anmel­de­ver­fah­ren – oder eben die feh­len­de Nach­voll­zieh­bar­keit der Wahl. Aber mit dem Urteil jetzt von vor­ne­her­ein jede Form digi­ta­ler Stimm­ab­ga­be zu ver­teu­feln, hal­te ich für falsch. Und freue mich des­we­gen, dass das BVerfG das wohl auch so sieht.

BDK 09 - 19

Bleibt die Fra­ge, ob per Tele­vo­ting zustan­de gekom­me­ne Par­tei­lis­ten ver­fas­sungs­kon­form sind ;-) ((Für die grü­ne Euro­pa­lis­te: Ja, weil über die eigent­li­che Lis­te noch­mal auf Papier abge­stimmt wurde))

War­um blog­ge ich das? Weil ich es wich­tig fin­de, das The­ma Wahl­com­pu­ter dif­fe­ren­ziert zu betrach­ten. Auch und gera­de nach die­sem Urteil.

Update: Bei netzpolitik.org ist ein ganz lesens­wer­tes Inter­view mit Andre­as Bogk vom CCC zu fin­den („Aller­dings bleibt die For­schung ja auch nicht ste­hen, und so ganz aus­schlie­ßen kann man nicht, daß jemand auf die ent­schei­den­de Idee kommt, wie eine elek­tro­ni­sche oder gar Online-Wahl so durch­ge­führt wer­den kann, daß sie demo­kra­ti­schen Prin­zi­pi­en ent­spricht. Wir wer­den das kri­tisch wei­ter ver­fol­gen.“). In der – noch nicht online ste­hen­den – Pres­se­er­klä­rung der Grü­nen heißt es dage­gen pau­schal: „Wahl­com­pu­ter müs­sen end­lich der Ver­gan­gen­heit ange­hö­ren“. Dem CCC mag ich tat­säch­lich kei­ne Tech­nik­feind­lich­keit vor­wer­fen; bei mei­ner Par­tei fra­ge ich mich schon, ob es so undif­fe­ren­ziert sein muss. Und bin gespannt auf die nächs­ten Wah­len auf einem Par­tei­tag mit Wahlcomputern.

Thesen von Netzpolitik zu Politik 2.0

Mar­kus Becke­dahl hat fünf The­sen zur Poli­tik 2.0 bzw. zur Nut­zung von „social media“ im kom­men­den Wahl­kampf auf­ge­stellt. Fin­de ich span­nen­den und habe jeweils dazu­ge­schrie­ben, was ich davon halte.

After Work Party "Innovation und Arbeit" XIII – Georg Salvamoser
Mei­ne The­se: Wahl­kampf im Web wird face-to-face-Kom­mu­ni­ka­ti­on und ent­spre­chen­de Events im Wahl­kampf nie kom­plett erset­zen können.

 

The­se 1: Dabei sein ist alles!

Jeder halb­wegs moti­vier­te Kan­di­dat wird in einem der kom­men­den Wahl­kämp­fe einen Account bei Face­book und Twit­ter haben, dazu ab und an bei You­tube ins Inter­net spre­chen und viel­leicht blog­gen. Man­che wer­den das auch selbst machen. 

Der leicht sar­ka­ti­sche Unter­ton mag etwas mit die­ser Stu­die zu tun haben. Ich stim­me Mar­kus zu, dass der­zeit viel Wir­bel um Poli­tik 2.0 gemacht wird, und ent­spre­chend vie­le Kan­di­da­tIn­nen dar­auf ange­spro­chen wer­den, sich doch in die schö­ne neue Web-Welt zu bege­ben. Ich glau­be aber wei­ter­hin, dass nicht alle alles mit­ma­chen, und dass es auch hin­sicht­lich der genann­ten Platt­for­men gewis­se Unter­schie­de gibt.

You­tube: sehe ich weni­ger als direk­tes Kan­di­da­tIn­nen-Medi­um als viel­mehr als Platt­form der Par­tei­en (kanal grün und so wei­ter). Für Lis­ten­platz 9 oder den Direkt­kan­di­da­ten von Hin­ter­tup­fin­gen mag es doch etwas auf­wän­dig sein, eige­ne Vide­os zu pro­du­zie­ren (wobei mich auch schon einer unse­rer Orts­ver­bän­de ange­fragt hat, ob nicht kur­ze Video-State­ments der Gemein­de­rats­kan­di­da­tIn­nen eine gute Sache wären). 

Face­book: Ja, mit der Ein­schrän­kung „domi­nan­te Platt­form“ (s.u.). Inter­es­sant ist, was mit *vz, mit XING und mit dem kürz­lich von RTL gekauf­ten „Wer kennt wen“ pas­siert, die mei­nem Gefühl nach ande­re Milieus bzw. Ziel­grup­pen anspre­chen als Face­book. Außer­dem kos­ten Face­book-Accounts wenig: ein­mal anle­gen, und wie viel dann getan wird, ist eine ande­re Sache.

Twit­ter: Poli­tik mit direk­tem und nahe­zu syn­chro­nem Rück­ka­nal – für mich eine der span­nends­ten Ent­wick­lun­gen, aber auch eine Platt­form mit deut­li­cher Info­flut-Ten­denz. Pro­gno­se: wenn’s um die tat­säch­li­che bidi­rek­tio­na­le Nut­zung geht, wird es nur eine Hand­voll Kan­di­da­tIn­nen geben, die wirk­lich dabei sind.

Blogs: Sehe ich nicht. Eher Web 2.0‑Elemente in klas­si­schen Web 1.0‑KandidatInnen-Websites. Die dann aber wirk­lich jede und jeder Kan­di­da­tIn haben wird.

Nicht ange­spro­chen sind hier dezi­dier­te Third-Par­ty-Wahl­kampf­platt­for­men (abgeordnetenwatch.de) und Nischen­platt­for­men. Wahl­kampf bei Gay­ro­meo, Uto­pia oder in der ZEIT- oder Freitag-Community?

The­se 2: Poli­tik 2.0 auch leben?

Eini­ge Poli­ti­ker wer­den sich von der Mas­se abset­zen, indem sie nach den Wahl­kämp­fen immer noch die­se Werk­zeu­ge nut­zen und sie in ihren All­tag integrieren. 

Schön böse for­mu­liert. Hin­zu­zu­fü­gen wäre viel­leicht: eini­ge Poli­ti­ke­rIn­nen nut­zen die­se Platt­for­men auch jetzt schon, auch jen­seits des Wahl­kampfs. Hier liegt aller­dings der Hype nahe: ist es dra­ma­tisch, wenn (Hes­sen, Thors­ten Schä­fer-Güm­bel) ein Medi­um wie Twit­ter z.B. expli­zit als Wahl­kampf­me­di­um ver­wen­det wird? Ide­al­ty­pisch soll­te natür­lich jeder und jede immer kom­mu­ni­zie­ren, Poli­ti­ke­rIn­nen erst recht. Fak­tisch sind Wahl­kämp­fe kom­mu­ni­ka­ti­ons­in­ten­si­ver als „nor­ma­le Poli­tik“. Inso­fern fin­de ich es ver­ständ­lich und schon mal die hal­be Mie­te, wenn einE Poli­ti­ke­rIn sich dazu ent­schließt, „social-media“-Plattformen vor­ran­gig im Wahl­kampf zu nutzen. 

Nicht zuletzt, weil ich hier auch ein gewis­ses Ska­lie­rungs­pro­blem sehe: wenn allein die 56 oder so grü­nen Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­ten alle immer so flei­ßig wie Vol­ker Beck twit­tern wür­den, wäre es selbst für medi­en­af­fi­ne Grü­ne kaum noch mög­lich, die­ser Info­flut zu fol­gen. D.h., dann müss­te letzt­lich doch wie­der tech­nisch gefil­tert oder sozi­al sele­giert wer­den (nicht allen twit­tern­den Poli­ti­ke­rIn­nen fol­gen, nicht allen Grü­nen fol­gen, son­dern nur den zwei per­sön­lich Bekann­ten, der Wahl­kreis­ab­ge­ord­ne­ten und der Frak­ti­ons­spit­ze und dem einen Fach­ab­ge­ord­ne­ten). Oder so. Hier scheint mir die Eta­blie­rung sozia­ler Prak­ti­ken und tech­ni­scher Werk­zeu­ge der mas­sen­haf­ten Nut­zung von „social media“ noch deut­lich hin­ter­her­zu­hin­ken. (P.S.: NY Times zum The­ma „A Beg­in­ners Gui­de for Twit­ter“ geht schon deut­lich in die­se Richtung).

The­se 3: Remix Politics.

Will­kom­men im Kon­troll­ver­lust: Die span­nen­den und uner­war­te­ten Ent­wick­lun­gen wer­den aus der Zivil­ge­sell­schaft kommen. 

Erst­mal: Defi­ne Zivilgesellschaft.

Ich wür­de die­se The­se etwas anders zuspit­zen: span­nend wird es da, wo eher unpo­li­ti­sche Web2.0‑MedialistInnen (Blog­ge­rIn­nen, Twit­ter-Jun­kies, semi­pro­fes­sio­nel­le, aber nicht beruf­li­che Ver­lin­ke­rIn­nen) über die­se tech­ni­schen Schnitt­stel­len mit der Sphä­re der Poli­tik zusam­men­sto­ßen. Bei­spiel: Bericht­erstat­tung der ein­ge­bet­te­ten Blog­ge­rIn­nen vom grü­nen Parteitag. 

Span­nend wird es auch da, wo Poli­ti­ke­rIn­nen kapie­ren, dass „social media“ einen wahn­sin­ni­gen und ganz anders als klas­si­sche Medi­en beein­fluss­ba­ren (aller­dings nicht kon­trol­lier­ba­ren) Reso­nanz­raum schaf­fen kön­nen. Bei­spiel: Howard Dean, und natür­lich Barack Obama.

Die Pira­ten­par­tei wird es aller­dings trotz­dem nicht ins Par­la­ment schaf­fen, und der CCC mutiert in Rich­tung Netzlobby.

The­se 4: Inter­net wird nicht dominieren.

Auch wenn jetzt alle zu den USA bli­cken und von Obama’s Inter­net­kam­pa­gne träu­men: Fern­se­hen bleibt 2009 das Leit­me­di­um. Den ers­ten rich­ti­gen Inter­net-Wahl­kampf wer­den wir 2013 erleben. 

Ich sehe eher eine funk­tio­na­le Aus­dif­fe­ren­zie­rung als eine Ablö­se-Sequenz. The­men wer­den wei­ter­hin durch klas­si­sche „Leit­me­di­en“ gesetzt – je nach Sphä­re kann das BILD sein, das Fern­seh­pro­gramm (aller­dings fin­det dort ja Poli­tik jen­seits von Unter­hal­tung kaum noch statt, höchs­tens die Agen­da-Set­ting-Funk­ti­on von „Tat­ort“ und „DSDS“ wäre zu nen­nen) oder eben auch die Frank­fur­ter All­ge­mei­ne Sonn­tags­zei­tung. Mobi­li­sie­rung fin­det dage­gen dort statt, wo vie­le Men­schen direkt erreicht und zum Mit­ma­chen über­zeugt wer­den kön­nen. Für die Groß­par­tei­en sind das viel­leicht die eige­nen Mit­glie­der und eher kon­ven­tio­nel­le Kom­mu­ni­ka­ti­ons­ka­nä­le. Für die Klein­par­tei­en ist das Inter­net der Königs­weg der Mobi­li­sie­rung. Das heißt auch: Die 5‑Mark-Kam­pa­gne der Mas­sen­me­di­en wür­de heu­te nicht mehr funk­tio­nie­ren, und „Angrif­fe von unten“ sind mehr denn je mög­lich. Die Syn­chro­ni­sa­ti­on der Öffent­lich­keit liegt nicht mehr nur beim zen­tra­len The­men­set­zen der Mas­sen­me­di­en, son­dern kann nun – plötz­lich, uner­war­tet und umso gefähr­li­cher – auch dezen­tral ver­netzt gesche­hen. Und – da gebe ich Mar­kus recht – das wird dann weni­ger aus den Par­tei­en her­aus kom­men, son­dern eher über Mul­ti­pli­ka­ti­ons­platt­for­men und tech­nisch ver­netz­te sozia­le Netz­wer­ke geschehen.

The­se 5: Es wird domi­nie­ren­de Platt­for­men geben.

Face­book wird zen­tra­le Social-Net­work Platt­form für den Online­wahl­kampf (trotz nach wie vor über­schau­ba­rer deut­scher Nut­zer­zah­len). Der Wil­le der Par­tei­en zur Nut­zung von You­tube ist unüber­seh­bar. Twit­ter wird den Wahl­kampf mas­siv beschleu­ni­gen, bleibt aber vor allem Medienhype. 

You­tube ist Fern­se­hen im Inter­net, und scheint so schön an die alten mas­sen­me­dia­len Ideen anzu­schlie­ßen. Aber ernst­haft: ich glau­be auch, dass es domi­nie­ren­de Platt­for­men geben wird. Ob das für alle Par­tei­en die glei­chen sein wer­den, wage ich zu bezwei­feln. Offen bleibt, wel­che Rol­le hier die Mit­glie­der­net­ze der Par­tei­en spie­len wer­den. Eine tech­ni­sche Wild­card könn­te dar­in lie­gen, dass Cross-Platt­form-Tech­no­lo­gien eta­bliert wer­den (wenn ich mei­ne XING-Kon­tak­te auch bei Face­book sehe, ist es egal, auf wel­cher Platt­form ich agiere). 

Die Ein­schät­zung, dass Twit­ter Medi­en­hype blei­ben wird, tei­le ich nicht. Twit­ter ist der­zeit medi­al gehypt, das ist rich­tig, und die­ser Hype wird auch wie­der abflau­en. Es wird aber wei­ter­hin Men­schen geben, die Twit­ter und kom­pa­ti­ble Platt­for­men nut­zen wol­len, um schnel­le ver­netz­te Direkt­kom­mu­ni­ka­ti­on ohne Lang­zeit­spei­che­rung zu haben (übri­gens: span­nen­der­wei­se mehr Frau­en als Män­ner, wenn die Sta­tis­ti­ken dazu stim­men). Jour­na­lis­tIn­nen wer­den dort mit­le­sen, inso­fern wer­den Debat­ten ihren Weg aus Twit­ter in die klas­si­schen Mas­sen­me­di­en fin­den. Twit­ter funk­tio­niert für die dort ver­netz­ten auch, wenn die Netz­wer­ke nicht all­um­fas­send sind. Die kri­ti­sche Grö­ße, die Rele­vanz garan­tiert, scheint mir jetzt schon über­schrit­ten zu sein. Eher stellt sich die bereits erwähn­te Fra­ge nach den tech­ni­schen und sozia­len Prak­ti­ken, die ein auf einen rele­van­ten Anteil der Gesamt­be­völ­ke­rung und der „Mei­nungs­trä­ge­rIn­nen“ ska­lier­tes Twit­ter hand­hab­bar wer­den las­sen. Zusam­men­ge­nom­men heißt dass dann aber wie­der­um auch, dass es unwahr­schein­lich ist, dass jede mit jedem bei Twit­ter ver­netzt sein wird. Mög­li­cher­wei­se kommt es auch da zu funk­tio­na­len Dif­fe­ren­zie­run­gen im Wahl­kampf- bzw. Poli­tik­kom­mu­ni­ka­ti­ons­ap­pa­rat der Par­tei­en: wer „bespielt“ das „social-media“-Netzwerk, und wer pflegt die klas­si­schen Kamin­zim­mer­kon­tak­te – und wer macht rela­tiv wenig Kom­mu­ni­ka­ti­ons­ar­beit und trotz­dem Politik?

War­um ich das blog­ge? Weil ich es ein­fa­cher fin­de, in die­ser Form auf die­se The­sen zu reagie­ren als mit einem Kom­men­tar bei Markus.