Kafka am Morgen (oder: Twitterende, Teil 4 von x)

Nicht die Ver­wand­lung, son­dern der Pro­zess – irgend­was wird mir vor­ge­wor­fen, aber ich habe kei­ne Ahnung, um was es geht, und was ich (außer auf den Knopf „Ein­spruch ein­le­gen“) dage­gen tun kann. Der übli­che mor­gend­li­che Griff nach dem Han­dy, der Klick auf das X, das den blau­en Vogel ersetzt hat, führt ins Lee­re – und ich muss zwei­mal hin­schau­en, um zu kapie­ren, was da steht:

"Dein Account ist gesperrt"

Mein Account ist gesperrt. Eine Mail dazu gab es nicht. Und der Account ist auch gleich „per­ma­nent gesperrt“. Kei­ne Ver­war­nung, kein Hin­weis auf „bit­te die­sen Post löschen“, son­dern „per­ma­nent gesperrt“. War­um? Weil ich gegen – unfrei­wil­li­ge Komik – „X Regeln“ ver­sto­ßen haben soll. Wel­che das sind, wird nicht gesagt. 

Ver­mu­ten kann ich, dass die letz­ten paar Posts, die Aiwan­gers jugend­li­che Freu­de am Natio­nal­so­zia­lis­mus kom­men­tiert haben, der Grund für die Sper­rung waren. Wei­ter kann ich ver­mu­ten, dass da jemand flei­ßig Posts gemel­det hat (wobei ich auch dazu kei­ne Infor­ma­tio­nen bekom­men habe, was sonst der Fall ist). Oder es war ein über­eif­ri­ger Bot. Und ich ken­ne min­des­tens einen zwei­ten Account, der ges­tern eben­falls gesperrt wurde. 

Viel­leicht endet nach 15 Jah­ren oder so, genaue­res müss­te ich nach­schau­en, mei­ne Nut­zung von Twit­ter. Wäre ja auch nicht das schlech­tes­te. Aber wis­sen, was da hin­ter steckt, wür­de ich schon ger­ne. Inso­fern bin ich gespannt, ob der Ein­spruch gegen die Sper­re irgend­et­was bewegt. All zu viel Hoff­nung habe ich aller­dings nicht. 

Gleich­zei­tig legt die­se Sper­re auch offen, wie unbe­nutz­bar Twit­ter aka X inzwi­schen ist – theo­re­tisch kann ich mit der Sper­re wei­ter lesen, was auf Twit­ter gepos­tet wur­de. Prak­tisch kam sofort die Mel­dung, dass ein Häu­fig­keits­li­mit über­schrit­ten ist, und ich doch bit­te ein Abo abschlie­ßen soll, um wei­te­re Tweets zu lesen. Nee, sicher nicht. 

Der Ver­such, in mei­nem Pro­fil­text dar­auf hin­zu­wei­sen, dass der Account gesperrt ist, schei­ter­te eben­falls an einem HTML-Feh­ler (in der ios-App), und der Klick auf „Archiv her­un­ter­la­den“ führ­te nur in eine End­los­schlei­fe. Viel­leicht ist es ein­fach so, dass das Ex-Twit­ter kaputt ist. Dann eben anders­wo. Wer mit mir inter­agie­ren will: bei Mast­o­don unter @_tillwe_ geht das weiterhin. 

P.S.: Neben­ef­fekt: ich mer­ke, wie sehr ich das „mal schnell eben auf Twit­ter gucken“ inzwi­schen ver­in­ner­licht und als Pra­xis auto­ma­ti­siert habe. Oder mit Gar­fin­kel: erst die Kri­se zeigt die Regel­struk­tu­ren auf. 

Projekte und die Mitte

No. Five is alive II

Man kann sich auch auf Mast­o­don wun­der­bar in die Haa­re krie­gen. Und manch­mal ist das sogar pro­duk­tiv. Bei­spiels­wei­se ist das Ergeb­nis einer sol­chen Pos­ting-Schlacht ges­tern, dass ich seit­dem dar­über nach­den­ke, wie das mit Pro­jek­ten und der Mit­te ist, und ob der Main­stream sich umlei­ten lässt.

Ober­fläch­lich ging’s in der Debat­te um sozia­le Netz­wer­ke. Unab­hän­gig davon kann ich dazu emp­feh­len, was Dejan Miha­j­lo­vić heu­te mor­gen zu sozia­len Netz­wer­ken zwi­schen Demo­kra­tie und Dienst­leis­tung geschrie­ben hat. Das hat aller­dings nur tan­gen­ti­al mit dem zu tun, um was es mir geht. Näm­lich um die Fra­ge, wie im wei­tes­ten Sin­ne „lin­ke“ Netz­werk­pro­jek­te mit Inklu­si­on und Exklu­si­on umge­hen. Und die­se Fra­ge geht weit über sozia­le Netz­wer­ke und Open-Source-Digi­tal­pro­jek­te hinaus.

Mir scheint es hier zwei Her­an­ge­hens­wei­sen zu geben, die – zumin­dest in ihren Extre­men gedacht – nicht, zumin­dest nur schlecht mit­ein­an­der zu ver­ein­ba­ren sind. Und ich bin mir nicht sicher, ob allen immer klar ist, in wel­chem die­ser Modi sie gera­de unter­wegs sind. „Pro­jek­te und die Mit­te“ weiterlesen

Kurz: Twitterende, Teil 3 von x

Das ehe­ma­li­ge Twit­ter („Ex-Twit­ter“, oder kurz „X“) macht wei­ter Sor­gen. Der­zeit kur­siert die Ankün­di­gung Musks, die Block-Funk­ti­on abzu­schaf­fen. Bis­her ist es für jeden Account mög­lich, ande­re Accounts zu blo­ckie­ren – d.h., die­se kön­nen, zumin­dest, solan­ge sie ein­ge­loggt sind, die eige­nen Inhal­te nicht sehen, und, wich­ti­ger noch, die­se nicht kom­men­tie­ren. Das mag umständ­lich klin­gen, ist in der Pra­xis aber wich­tig, weil es furcht­bar anstren­gend und unpro­duk­tiv ist, von jedem und jeder zur Kom­mu­ni­ka­ti­on qua­si gezwun­gen wer­den zu kön­nen. Um die eige­ne Time­line zu „kura­tie­ren“, oder, schö­ner gesagt: für ein ange­neh­mes Dis­kus­si­ons­kli­ma zu sor­gen, ist es nicht nur wich­tig, wel­chen ande­ren Accounts und Per­so­nen man folgt, son­dern eben auch, wen man rauswirft. 

Genau die­ses „Blo­cken“ soll es, wenn Musk umsetzt, was er ankün­digt, in Zukunft nicht mehr geben. Ein wei­te­rer Grund, sich von Twit­ter zu ver­ab­schie­den. Zumin­dest alles per­sön­li­che­re läuft bei mir eh längst auf Mast­o­don – das Ex-Twit­ter nutz­te ich noch für poli­ti­sche Debat­ten, weil die lei­der wei­ter eher dort stattfinden.

In dem Zusam­men­hang noch ein Wort zur Ver­wun­de­rung über den Drang, zu „Blues­ky“ zu wech­seln. Ich kann das einer­seits „kul­tu­rell“ ver­ste­hen – alles wie Twit­ter 2018, nicht so unan­ge­nehm tech­nisch wie Mast­o­don, die Hür­den sind klei­ner, und die Invi­te-Only-Poli­tik sorgt dafür, dass inter­es­san­te Men­schen dort­hin wol­len. Ande­rer­seits ist der Blues­ky-Grün­der jetzt nicht unbe­dingt ein Garant für freund­li­ches Zusam­men­sein, trotz angeb­lich dezen­tra­li­sier­ba­rer Archi­tek­tur bleibt das Pro­blem, dass die Platt­form in einer Hand bleibt und jeder­zeit enden oder sich ver­än­dern kann – und letzt­lich will irgend­wer mit Blues­ky Geld ver­die­nen. Da will ich nicht hin. Und wenn ich auf die letz­ten Jah­re zurück­bli­cke, in denen ich ohne Insta­gram-Account aus­ge­kom­men bin – auch das wird sich nicht ändern – und nie bei „Club­house“ war, sehe ich auch kei­ne Not­wen­dig­keit, mich um einen Blues­ky-Account zu küm­mern. Das glei­che gilt noch viel mehr für Post und wie die ande­ren Twit­ter-Klo­ne alle hei­ßen. The­re is no need to be hip.

Mög­li­cher­wei­se endet die Zeit unitä­rer Kom­mu­ni­ka­ti­ons­platt­for­men. Muss auch nicht unbe­dingt etwas schlech­tes sein. Wie über­haupt, glau­be ich, eine Inter­net-Ära gera­de zu Ende geht, weil die Trans­ak­ti­ons­kos­ten, um Web­sites und Platt­for­men „kom­mer­zi­ell“ mit Inhal­ten zu fül­len, gera­de ins Nega­ti­ve sin­ken, ChatGPT etc. sei Dank. Soll hei­ßen: das Netz wird zuneh­mend zu einer Müll­hal­de aus maschi­nell pro­du­zier­ten und ger­ne inhalt­lich fal­schen Tex­ten, die eigent­li­chen Infor­ma­tio­nen ver­ber­gen sich gut und Such­ma­schi­nen ver­lie­ren mas­siv an Nutz­wert. Das ist anders als 2020. 

Kurz: Twitterende, Teil 2 von x

Twit­ter wird mehr und mehr zu einem unge­müt­li­chen Ort. Mit der Aus­wahl der chro­no­lo­gi­schen Time­line, einem losen Block­fin­ger und etwas Gelas­sen­heit ist Twit­ter noch halb­wegs nutz­bar. Ja, ich bin da immer noch – ich ver­su­che, auf Mast­o­don akti­ver zu sein und „net­te“ Din­ge wie z.B. Blu­men­fo­tos eher dort zu pos­ten, aber schnel­le, poli­ti­sche, jour­na­lis­ti­sche Debat­ten fin­den nach wie vor auf Twit­ter statt. Lei­der. Die Zahl „blau­be­hak­ter“ Idiot*innen ist aller­dings groß, und alles, was in Rich­tung Emp­feh­lun­gen geht, soll­te tun­lichst gemie­den wer­den. Da ist dann schon sehr stark spür­bar, dass „free speech“ für Musk vor allem freie Bahn für Nazis bedeutet.

Heu­te dann ein paar Ankün­di­gun­gen, die sehr nach end­gül­ti­gem Ende von Twit­ter klin­gen. Zum einen las­sen sich ver­link­te Tweets ohne Account nicht mehr lesen. Damit ist Twit­ter kein öffent­li­cher Ort mehr. Und zum ande­ren wur­de heu­te ein „Time­line limit“ angekündigt.

Musk schrieb: „To address extre­me levels of data scra­ping & sys­tem mani­pu­la­ti­on, we’­ve appli­ed the fol­lo­wing tem­po­ra­ry limits:

- Veri­fied accounts are limi­t­ed to rea­ding 6000 posts/day
– Unve­ri­fied accounts to 600 posts/day
– New unve­ri­fied accounts to 300/day“

Da steht, genau gele­sen, dass die­se Beschrän­kun­gen tem­po­rär sind. Ob das stimmt, sei dahin­ge­stellt. Viel­leicht soll es wirk­lich das Scra­ping von Twit­ter (und das Ein­füt­tern in AIs) unter­bin­den. Oder es geht dar­um, Leu­ten den Bezahl­ac­count schmack­haft zu machen (never!). Aber dann wäre es unlo­gisch, auch da eine Gren­ze einzuziehen.

Pi mal Dau­men mal durch­ge­rech­net: ich fol­ge 2000 Leu­ten, selbst wenn im Schnitt nur ein bis zwei Pro­zent davon je Stun­de einen Tweet schrei­ben, wür­de ich die 600 Tweets (pro Tag) im Time­line­scrol­len schnell errei­chen. Und wenn ein paar Power­user dabei sind, die z.B. einen län­ge­ren Tweet ret­wee­ten, geht’s noch schnel­ler. Inso­fern ist eine Begren­zung auf das Lesen von 600 Posts ein ech­tes Pro­blem. Oder, anders gesagt: Twit­ter tut gera­de sehr viel, um Mast­o­don etc. attrak­ti­ver zu machen. Dann halt so. 

Early days of a better nation

Viel­leicht zuviel Pathos, aber ein klei­nes biss­chen fühlt Mast­o­don sich so an. Den unter @_tillwe_ ange­leg­ten Account nut­ze ich inzwi­schen rege, etwa ein Vier­tel der Men­schen, denen ich auf Twit­ter fol­ge, habe ich im Fedi­ver­se auch schon gefun­den. Und neben mastodon.social habe ich auf freiburg.social (unter till­we) eben­falls einen Account ange­legt, der aber bis­her noch brach­liegt. Viel­leicht zie­he ich noch von da nach dort um – eine loka­le Instanz passt eigent­lich bes­ser zum Kon­zept hin­ter Mast­o­don als ein gro­ßer Ser­ver. Oder ich nut­ze das als Zweit­ac­count. Twit­ter jeden­falls brennt.

Ers­te Ein­drü­cke von Mast­o­don: nach den ers­ten Tagen, in denen mei­ne Time­line von Twit­ter-nach-Mast­o­don-Umzug­de­bat­ten etc. domi­niert war, wird es nach und nach inter­es­san­ter. Weni­ger inter­na­tio­nal, weni­ger Poli­tik (bei­des: bis­her noch, ändert sich), ein biss­chen mehr Nerd­zeug, ein biss­chen mehr lin­ke Sze­ne. Unter­schie­de in der dis­kur­si­ven Pra­xis: die Leu­te ver­su­chen, freund­li­cher zu sein; es gibt mehr Zei­chen pro Nach­richt; Cont­ent­war­nun­gen wer­den rela­tiv inten­siv genutzt, Quo­te-Tweets von eini­gen ver­misst. Span­nen­de Debat­ten dar­über, wie weit die Mast­o­don-Dis­kus­si­ons­kul­tur kon­tra­pro­duk­tiv ist: füh­ren Cont­ent­war­nun­gen zu The­men wie Ras­sis­mus dazu, das die­ser unsicht­bar gemacht wird? Und was ist mit die­sen omi­nö­sen Instan­zen-Blocks – eini­ge Instan­zen schei­nen alles zu blo­cken, was zu groß ist, wo der/die Admin nicht die exakt rich­ti­ge Ein­stel­lung hat, wo das fal­sche gesagt wird. Gefühlt: hier ruckelt sich gera­de noch eini­ges zu recht. 

Uto­pi­scher Dri­ve beim Blick auf das Poten­zi­al eines föde­rier­ten sozia­len Netz­werks. Das gemein­sa­me Pro­to­koll Acti­vi­ty­Pub heißt, dass Mast­o­don-Instan­zen mit allen ande­ren die­sem Pro­to­koll fol­gen­den Ser­vern kom­mu­ni­zie­ren kön­nen. Neben den ger­ne hoch­ge­hal­te­nen Fedi­ver­se-Bei­spie­len, die Insta­gram (Pixel­fed) und You­tube (Peer­tu­be) nach­bau­en sol­len, ist das bei­spiels­wei­se auch die­ses Blog hier, das unter @till­we alle Bei­trä­ge auch im Fedi­ver­se ver­füg­bar hält. RSS, nur uni­ver­sa­ler und inter­ak­ti­ver. Oder Ple­ro­ma (ein ande­re Soft­ware für „Twitter“-artige Instan­zen). Und weil alle auf das glei­che Pro­to­koll zurück­grei­fen, ist es mög­lich, über unter­schied­li­che „Platt­for­men“ hin­weg Men­schen und Din­gen zu fol­gen. Zudem bedeu­tet die­ser Auf­bau, das ganz unter­schied­li­che Apps genutzt wer­den können.

Span­nend wird es, wenn „kom­mer­zi­el­le“ Instan­zen dazu­kom­men – dann dürf­te es ziem­lich hef­ti­ge Kul­tur­krie­ge dazu geben, ob die­se ein­ge­bun­den („föde­riert“) oder geblockt wer­den. Im Zwei­fel gibt es die Mög­lich­keit, das sozia­le Netz­werk (aller­dings nicht den alten Con­tent) halb­au­to­ma­tisch umzu­zie­hen oder eben Accounts auf meh­re­ren Instan­zen anzulegen.

Fühlt sich alles ein biss­chen wie die frü­hen 2000er Jah­re an, als das auf einem gemein­sa­men offe­nen Pro­to­koll auf­bau­en­de World Wide Web mit ganz unter­schied­li­chen Ser­vern und Brow­sern anfing, für brei­te­re Mas­sen inter­es­sant zu wer­den. Ich bin gespannt, was hier noch pas­siert – tech­nisch wie kulturell.

Und: die letz­ten Jah­ren waren von einem Hype um Web 3.0 und Block­chains dis­kur­siv über­la­gert. Das, was die Web‑3.0‑Jünger*innen ver­spre­chen, wird zu einem Teil von dem jetzt Sicht­bar­keit bekom­men­den Fedi­ver­se längst gelie­fert – mit instan­zen­be­zo­ge­ner Authen­ti­fi­zie­rung und ganz ohne Block­chain. Und an Nach­rich­ten­aus­tausch statt an finan­zi­el­len Mikro­trans­ak­tio­nen als Modell orientiert. 

Also: extrem viel Poten­zi­al, und ich bin sehr gespannt, was dar­aus noch wird. Der Kauf und die Brand­schat­zung von Twit­ter durch Elon Musk als Kata­ly­sa­tor für ein offe­nes, nicht kom­mer­zi­el­les sozia­les Netz­werk, das noch ein biss­chen mehr kann, als nur glo­ba­le Chats zu ermög­li­chen – wer hät­te das gedacht?