In letzter Zeit wabberte an verschiedenen Ecken und Enden ja immer mal wieder das Thema „Bio ist bäh“ ins Licht der medialen Aufmerksamkeit. Sei es durch die Stanford-Studie, die keine Unterschiede beim Vitamingehalt feststellen konnte (und Pestizidbelastungen nicht berücksichtigte), sei es durch diverse genüsslich wiedergekäute Skandale und Skandälchen, sei es durch SPIEGEL-Kolumnisten, die der SPD das Karottenkuchenmilieu madig machen wollen. Und trotzdem halte ich es nach wie vor für sinnvoll, „bio“ einzukaufen (und für „fair“ gilt ganz ähnliches). Warum? Dazu zehn Thesen.
Nachdenken über Nachhaltigen Konsum
Vor ein paar Tagen habe ich ein bisschen was über die Münchener Tagung zu Konsum und Nachhaltigkeit geschrieben. Jetzt bin ich am Überlegen, ob ich für die Tagung Sustainable Consumption – Towards Action and Impact im November in Hamburg einen Abstract einreiche (die Deadline ist heute abend). Mir gefällt jedenfalls die Ausrichtung der Tagung, und einige der Keynote-Speaker klingen auch sehr spannend. Das mal als Vorbemerkung zu den folgenden Überlegungen zum Thema „Nachhaltiger Konsum“.
Ein Grundproblem der sozialwissenschaftlichen Nachhaltigkeitsdebatte ist meiner Meinung nach die doppelte Bedeutung des Begriffs „nachhaltig“. Und damit meine ich jetzt nicht die Tatsache, dass das Adjektiv auch als Synonym für „dauerhaft“ verwendet werden kann, sondern die Unterscheidung zwischen einer materiellen und einer symbolischen Ebene, wenn es um „nachhaltigen Konsum“ oder um „nachhaltige Lebensstile“ geht. Das sieht dann ungefähr so aus:
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Kann Konsum nachhaltig sein?
Ich war gestern und vorgestern auf einer kleinen, aber feinen Fachtagung in München, organisiert von Claus Tully vom Deutschen Jugendinstitut e.V. und von Matthias Groß als Sprecher der Sektion Umweltsoziologie der Deutschen Gesellschaft für Soziologie. In den Vorträgen ging’s um das Thema „Konsum und Nachhaltigkeit“ – in etwa der Hälfte der Vorträge mit einem Bezug zu Schulprojekten. Ich selbst habe was praxistheoretisches zu den Möglichkeiten und Grenzen „grüneren Telefonierens“ vorgetragen.
Nicht zuletzt aus Zeitgründen will ich aber gar keinen Tagungsbericht schreiben, sondern nur auf vier interessante Ideen hinweisen:
1. Praktiken ändern, indem vorgelagerte Ketten und Kontextbedingungen verändert werden. Praxistheorie scheint ja zunächst einmal einen Fokus auf individuelles Handeln zu legen. Bei genauerer Betrachtung rücken in einer praxistheoretischen Perspektive aber schnell die „systems of provision“ (Shove) ins Blickfeld. Ich habe – vor allem auch nach einer schönen Zusammenfassung der praxistheoretischen Perspektive in der Umweltsoziologie durch Karl-Werner Brand – den Eindruck, dass Interventionen in Richtung „nachhaltiger Konsum“ erfolgreicher sind, wenn sie gar nicht an den (Konsum-)Praktiken ansetzen, sondern vorher, also an den Ketten und Kontexten. Auch dazu müssen „windows of opportunity“ da sein und genutzt werden. Ein Beispiel ist die BSE-Krise: die hat zwar auch dazu geführt, dass ein paar Monate lang weniger Rindfleisch verzehrt wurde – sie hat aber vor allem dazu geführt, dass das „system of provision“ der Landwirtschaft so umgebaut wurde, dass eine über die vorherige kleine Nische hinausgehende Bioproduktion möglich wurde (also die Künast-Agrarwende-Politik). Konsumpraktiken haben sich dann an diese neue Situation angepasst (weil wir das mit unseren Praktiken immer machen) – und das in einer stabileren Form.
2. Lieber Konsum als Nachhaltigkeit? Kai-Uwe Hellmann war eingeladen, um eine provokante Keynote zu halten, und hat das im Sinn der „Verunsicherungswissenschaft“ auch gut hingekriegt. Seine Argumentation war so etwa: „Nachhaltiger Konsum“ schaut erstens immer nur auf die dunkle Seite des Konsums und geht zweitens von einem Verbraucher aus, der von Informationen etc. völlig überfordert wird. Statt dessen sei es notwendig, unvoreingenommene Konsumsoziologie zu betreiben und Konsum als aktive, mit Sinnstiftung etc. verbundene Leistung anzuerkennen – egal, ob jetzt nachhaltig oder nicht. Und „nachhaltiger Konsum“ sei letztlich auch nur als über Marken (wie das Biosiegel) komplexitätsreduzierte Lebensstil-Entscheidung denkbar. Da ist einiges wahres dran, trotzdem habe ich mich darüber auch ein bisschen geärgt – mein Eindruck ist der, dass die deutsche Umweltsoziologie deutlich weiter ist (also längst nicht mehr das Programm hat, alle Welt zu moralischen VerbraucherInnen umzuerziehen). Trotzdem ein anregender Außenblick auf den Stand einer Disziplin. – Ebenfalls einen Außenblick auf „Nachhaltigen Konsum“ lieferte Jens Hälterlein von der Uni Jena, der den Weg vom Wirtschaftswunder über moralische Verzichtsappelle (und eine antikapitalistisch-risikominimierungsorientierte Umweltbewegung) bis zum Ökokapitalismus und den LOHAS nachzeichnete. „Nachhaltiger Konsum“ ist dabei ein Versuch, einen Kompromiss zu finden zwischen der Marktlogik und der Nachhaltigkeitslogik. Schön daran der externe Blick auf den Diskurs um Nachhaltigkeit, der – das kam auch bei Brand vor – noch einmal deutlich macht, dass die Frage, was „Nachhaltige Entwicklung“ ist und was „Nachhaltiger Konsum“ ist, immer wieder neu ausgehandelt wird und in einem heftig umstrittenen Diskursfeld positioniert ist.
3. Die Ökobilanz der Großküche: Die Wissenschaftsjournalistin Johanna Bayer stellte eine ganze Reihe von Thesen und wiss. Ergebnissen zum Thema Essverhalten und Ernährung vor. Letztlich ging es ihr vor allem darum, zu zeigen, dass die Ernährungsempfehlungen etwa der Deutschen Gesellschaft für Ernährungswissenschaft oft überholt und unsinnig sind. Zudem wollte sie darauf hinweisen, dass „gesunde Ernährung“ und „Nachhaltigkeit“ vielfach gegenläufig sind – so soll beispielsweise viel Fisch gegessen werden, gleichzeitig leiden die Meere jetzt schon an Überfischung. Über ein bisschen mehr (Ernährungs-)Soziologie hätte ich mich gefreut. Nichtsdestotrotz spannend fand ich einen Gedanken, den sie wohl von Ines Weller übernommen hat:* Dass nachhaltige Ernährung eigentlich idealerweise (weil die meisten Berufstätigen auswärts essen, weil die Ökobilanz von Selber-Kochen gar nicht so eindeutig ist, und vor allem, weil es sowas wie ökologische Skaleneffekte gibt) zu einem großen Teil in „Nachhaltigen Kantinen“ (oder … Volksküchen?) stattfinden müsste. Eine Marktlücke?
4. Alles nur eine Frage des Geldes? Roland Bogun schließlich hat versucht, Daten dazu zu kriegen, wie einkommens- und vermögensabhängig die tatsächliche Pro-Kopf-Umweltbelastung ist. Dazu gibt es wenig belastbares Material, sein Eindruck ist aber grob gesagt der, dass Einkommen und auch Vermögen sehr viel mehr Einfluss auf den Pro-Kopf-Umweltverbrauch haben als alle anderen Faktoren – wer reich ist, verbraucht durch größere ohnfläche, mehr Konsum, mehr Flüge und auch durch Geldanlagen deutlich mehr Umwelt als jemand, der arm ist. Bogun sprach von einer Spannbreite von 10 bis 100 Tonnen CO2-Äq./Jahr/Kopf. Besonders interessant ist dabei der Punkt Geldanlagen – die letztlich (etwa bei Aktien) ja massiv mit dem CO2-Ausstoss der industriellen Produktion zu tun haben. Nicht völlig klar ist, ob es auch Investmentformen mit negativem Umweltverbrauch gibt.
Warum blogge ich das? Demnächst wird’s wohl auch noch eine Seite mit den Vorträgen geben – aber diese Gedanken wollte ich doch auch so schon mal breiter zugänglich machen als nur der kleinen Gruppe, die in den letzten beiden Tagen in München war.
* Ich habe jetzt nochmal nachgefragt: Sie bezog sich dabei auf drei Quellen: Dagmar Vinz (2005), „Nachhaltiger Konsum und Ernährung“. PROKLA 138; auf Ines Weller (2002): Zusammenfassung BMBF-Sondierungsstudie „Geschlechterverhältnisse, nachhaltige Konsummuster und Umweltbelastungen“ (dürfte diese Untersuchung sein) sowie auf einen Vortrag von Karl-Michael Brunner im November 2010 an der PH Wien.
Kurz: Bio mit Gesicht
Seit einiger Zeit ist mir auf einigen der Bioprodukte, die ich so kaufe, der Hinweis auf das Portal „Bio mit Gesicht“ aufgefallen (Naturland steckt u.a. dahinter). Kurz gesagt geht es dabei darum, dass auf jedem Produkt eine Nummer aufgedruckt ist, die auf der Website bio-mit-gesicht.de eingegeben wird. Heute habe ich es mal mit den Kartoffelpuffern ausprobiert, die wir zum Mittagessen gegessen haben (ja, ein Halbfertig-Bio-Convenience-Produkt). Und was soll ich sagen: es funktioniert. Die Nummer 1007323 führt nicht nur zu der Firma, die die Kartoffelpuffer produziert hat (mit Gruppenfoto), sondern geht die halbe Wertschöpfungskette lang – porträtiert wird die Tiefkühlbäckerei, der Kartoffelbauer, der Hof, der die Zwiebeln angebaut hat, der, der das Getreide angebautgeliefert hat, und die Mühle, die das Getreide gemahlen hat.
Finde ich erstmal ziemlich beeindruckend, so im Sinne einer Bewusstmachung der Arbeitsleistung und der vielen kollektiven Akteure, die an z.B. der Produktion von Bio-Kartoffelpuffern beteiligt sind. Und auch die mehr oder weniger regionalen Produktionszusammenhänge werden so sichtbar. Ich nehme an, dass der Aufwand dafür gar nicht so groß ist, weil vermutlich die entsprechenden Abschnitte der Wertschöpfungsketten eh für durchgehende Zertifizierungen erfasst werden müssen – so wird das ganze dann halt noch mit einem Hofportrait und einem Foto verbunden und online abrufbar gemacht. Ob’s allerdings mehr als ein nettes Bio-Gimmick ist, darüber bin ich mir noch unschlüssig. Soll heißen: hat die Möglichkeit, sich anzuschauen, wer da alles an meinem Essen mitmacht, einen Einfluss darauf, was ich kaufe?
Last but not least: Spannend wäre es, wenn es sowas auch für hochintegrierte Produkte wie z.B. Mobiltelefone gäbe …
Kurz: Tipps zum Atomausstieg
Wenn die Regierung es nicht macht, trotz der vielen, vielen, die gestern in Berlin demonstriert haben, dann müssen es a. die Gerichte und b. wir alle regeln. Was? Den Atomausstieg.
Für die Option b. gibt’s Wahlen, und es gibt die Möglichkeit, über den Wechsel des Stromanbieters den Atomausstieg selber zu machen. Bisher bin ich davon ausgegangen, dass im „grünen“ Milieu letzteres ziemlich selbstverständlich ist. Die derzeit laufende Online-Frage der taz zu Ökostrom hat (Stand 11:11) aber nur eine Zustimmung von etwa 53% zur Option „Ökostrom aus meiner Steckdose“.
Warum mich das wundert? Weil es weder teuer noch aufwändig ist, zu einem der echten Ökostromanbieter zu wechseln. Zum Beispiel zu den Elektrizitätswerken Schönau – bei denen sind wir seit geraumer Zeit, und es fühlt sich gut an.